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- 04.04.2020
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Der Flipperautomat
Billy schlurft aus der Werkstatt heraus und saugt die vertrauten Gerüche der Tankstelle in sich hinein – Staub, Benzin, gegrilltes Fleisch aus Henrys BBQ-Laden nebenan; selbst die vertrockneten Gebüsche, die den Straßenrand säumen, meint er riechen zu können. Der Wind bläst unnachgiebig und weht ihm Sandkörner ins Gesicht. Er hält sich die ausgestreckte Hand an die Stirn und schirmt die Augen vor dem Bombardement ab. Er muss niesen, die Sandkörner kratzen unter den Augendeckeln; mit dem Ärmel seines Blaumanns wischt er sich über Nase und Mund. Er geht hinüber zum Zigarettenautomaten, steckt zwei Quarter in den Münzschlitz und zieht sich eine Packung Luckies aus der Maschine. Die Mittagssonne brennt auf seinen Nacken herab und die Sandkörner prasseln weiter auf seine verschwitzte Haut ein. Er lässt die Tankstelle mit gesenktem Kopf hinter sich und kämpft sich gegen den Wind bis zu Henrys Laden vor. Er setzt sich an den Tresen und wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund; mit der anderen Hand kratzt er Schweiß und Staub vom Hals und streift das braune Gemisch an der Gesäßtasche ab.
„Das Gleiche wie immer?“, fragt Laurie, den Blick auf Notizblock und Kugelschreiber gerichtet.
„Bitte“, sagt er. Er starrt auf ihre abgekauten Fingernägel und den Ring, der ein tiefes Tal in den fleischigen Finger schneidet, und krempelt einen Ärmel des Blaumanns hoch.
Laurie kritzelt die Bestellung auf den Notizblock, reißt das Blatt ab, faltet es schräg und steckt es in den Zettelhalter vor seinem Platz. Sie wendet sich ab und geht hinüber zu Henry, der am Grill steht und pfundweise Steaks auf den Rost hievt. Rauch steigt auf, begleitet von einem scharfen Zischen. Henry dreht sich um und hebt die Hand, mit der er die Grillzange festhält, zum Gruß.
„Hi“, sagt Henry.
Billy nickt und kramt die Luckies und ein Feuerzeug aus der Brusttasche. Er öffnet die Packung und zündet sich eine Zigarette an. Als Laurie kurz darauf die Coke vor ihm abstellt, legt er den Kopf in den Nacken, bläst den Rauch lautstark nach oben und sieht zu, wie der Deckenventilator den Rauch in ihr Gesicht treibt. Sie sieht auf und fixiert zum ersten Mal seine Augen. Er sieht die Tusche, die ungleichmäßig und verklumpt an ihren Wimpern hängt und er sieht die geplatzten Äderchen, die wie rote Flüsse durch das Weiß ihrer Augäpfel ziehen. Sie sagt nichts, greift nach dem Kugelschreiber, den sie von früh bis spät hinter dem Ohr trägt, und tippt mit dem Druckknopf auf den Tresen; ihr Mund ist leicht geöffnet, die Zungenspitze an den linken Eckzahn gedrückt. Er schmunzelt, rupft das Blatt aus dem Zettelhalter, faltet es so, dass die Ecken perfekt aufeinanderliegen, und steckt es wieder in den Zettelhalter. Dann steht er auf, wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund, geht hinüber zur Jukebox und lässt Chapel of Love von den Dixie Cups spielen.
Er summt die letzte Strophe des Liedes mit, als Frank und der Sheriff zwei Minuten später in den Laden kommen und sich neben ihn setzen.
„Hast du Hardees Wagen fertig?“, fragt Frank.
„Kann ihn heute Nachmittag abholen“, sagt Billy. „Muss ihn bloß noch abspritzen.“
„Guter Junge“, sagt Frank und klopft ihm auf die Schulter. „Du hast schon bestellt?“ Frank deutet auf die Bestellung in Billys Zettelhalter und sagt, ohne eine Reaktion abzuwarten: „Laurie, Darling, zweimal Steak für den Sheriff und mich.“
Laurie kommt an den Tresen und streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Was darf’s zu trinken sein?“, fragt sie.
„Zwei Bier, Sweetheart“, sagt Frank. „Ist immerhin Freitag.“
Laurie schreibt die Bestellung auf, faltet die Zettel so, dass die Ecken perfekt aufeinanderliegen, und steckt sie in die Halter. „Schon unterwegs“, sagt sie und macht sich auf den Weg zu Henry.
Der Sheriff legt seinen Hut auf den Tresen und glättet sich mit Daumen und Zeigefinger den Schnurrbart. „Jesus“, sagt er. „Sie sieht von Tag zu Tag kaputter aus.“
Frank kann sich ein Lachen nicht verkneifen und schnaubt durch die Nase.
Billy fingert eine neue Zigarette aus der Packung und zündet sie an. Er nimmt einen Schluck von der Coke und beobachtet Laurie, die am Zapfhahn steht: Die fettige Schürze verdeckt ihre Hüfte, doch darüber quillt der Bauchspeck hervor, und wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellt, um ein Bierglas aus dem Schrank zu fischen, dann hebt sich ihre Bluse und entblößt die milchige, mit roten Druckstellen überzogene Haut. Er zieht den Rauch mit einem zischenden Geräusch in die Lungen.
„Hör mal“, durchbricht Frank seine Gedanken, „kannst du Hardee den Wagen nach Feierabend vorbeibringen?“ Frank legt seine Hände aufeinander und klopft mit dem Mittelfinger der oberen Hand auf den Tresen. „Der Scheißkerl kommt vor abends nicht aus dem Kieswerk und ich schaff’s heute nicht.“
„Wär n’feiner Zug“, sagt der Sheriff. „Wenn du’s nicht tust, wird Scarlett mich drum bitten, und ich …“
„Geht klar“, sagt Billy. „Geht klar“, wiederholt er.
„Warum musste sich deine Schwester auch von dem verfluchten Hardee schwängern lassen“, sagt Frank.
„Wär nicht passiert, wenn ich da gewesen wäre“, sagt der Sheriff, „das schwör ich bei Gott.“
Billy kichert vor sich hin, den Kopf auf den Handballen gestützt, und lässt den Rauch stoßweise zwischen den Zähnen entweichen. „Hey Sheriff“, sagt er dann und wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund. „Nixon hat den Lieutenant aus der Haft entlassen. Schon gehört?“
Der Sheriff zieht eine Augenbraue hoch. „Was?“, sagt er.
Billy drückt die Zigarette im Aschenbecher aus und schiebt ihn zur Seite. Er steht auf, läuft zur Jukebox, schnappt sich den Big Spring Herald aus dem Zeitungsständer und lässt ihn auf das Besteck des Sheriffs fallen. „Hier“, sagt er. „Lies selbst.“
Der Sheriff funkelt ihn an, packt die Zeitung, dreht sich leicht zur Seite, faltet die Zeitung auf und überfliegt die Schlagzeilen auf der Frontseite.
„Was für ein Lieutenant?“, fragt Frank.
„Sei still“, sagt der Sheriff.
Laurie kommt an den Tresen und stellt die Biere ab. „Was gibt’s Neues in der Welt, Sheriff?“, fragt sie.
Der Sheriff bewegt die Lippen, doch sein Blick bleibt auf die Zeitung gerichtet.
Billy zündet sich eine neue Zigarette an und schiebt den Aschenbecher wieder zu sich hin. Er wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund und betrachtet aus dem Augenwinkel das Namensschild auf Lauries üppigem Busen.
„Welcher Lieutenant?“, flüstert Frank, das Gesicht hinter dem Bierglas versteckt.
Billy sagt: „Er war damals …“
„Schluss!“, sagt der Sheriff und schlägt mit der Faust auf den Tresen. Laurie zuckt zusammen und hält sich die Hände vor die Brust. Sie sieht Frank mit großen Augen an und verschwindet dann in Richtung des Grills. Als sie weg ist, sagt der Sheriff: „Nicht hier, verstanden?“ Der Sheriff faltet die Zeitung unsauber zusammen und steckt sie in die Außentasche seiner Jacke.
Billy verlässt Henrys Laden als Erster und geht durch den Staub zurück in die Werkstatt. Er läuft hinüber zur Werkbank und schaltet den alten Radioapparat ein. Hardees Ford steht in der Mitte des Raums, die Motorhaube noch immer aufgeklappt. Er hält die Motorhaube mit der linken Hand fest, löst mit der rechten Hand den Bügel, klappt ihn ein und lässt die Motorhaube mit einem metallischen Knall ins Schloss fallen. Dann wischt er sich mit dem Ärmel über Nase und Mund und setzt sich auf den Drehstuhl vor der Werkbank. Er holt die Luckies aus der Brusttasche und zündet sich eine an; von der Wand blickt die verstaubte Miss Juli 1970 lüstern und nur mit einer Perlenkette bekleidet auf ihn herab.
„Was war das eben?“
Billy dreht sich zum Eingangstor der Werkstatt um und sieht zwischen den blaugrauen Rauchfäden die Silhouette des Sheriffs.
„Was hast du dir dabei gedacht?“, fragt der Sheriff.
„Raus aus meiner Werkstatt“, sagt Billy.
Der Sheriff drückt den Lichtschalter an der Wand und zieht das Tor hinter sich zu. Die Neonröhren an der Decke beginnen zu flackern und tauchen die Werkstatt kurz darauf in hellweißes Licht.
„Mach das Tor wieder auf und raus hier“, sagt Billy.
„Du verfluchter Idiot“, sagt der Sheriff und kommt auf ihn zu. „Was fällt dir ein, den Lieutenant vor Frank und Laurie zu erwähnen?“ Der Sheriff packt ihn am Kragen des Blaumanns und drückt ihn gegen die Wand. „Die Schlampe würd‘s doch jedem erzählen.“
Billy lässt die Zigarette auf den Boden fallen. Er reißt die Hände nach oben und stößt dem Sheriff mit aller Kraft gegen die Brust. Der Sheriff kracht auf den Kofferraum von Hardees Wagen und knallt mit dem Kopf auf die Heckscheibe. „Fick dich, Roger“, sagt er. Er wendet sich ab und setzt sich wieder auf den Drehstuhl. „Hier bist du vielleicht der große Sheriff“, sagt er, „aber vergiss nicht, wen du vor dir hast.“ Er wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund und zündet sich eine neue Zigarette an. „Du standest unter meinem Kommando.“
Der Sheriff stützt sich mit beiden Armen auf den Knien ab, die Hüfte an Hardees Wagen gelehnt und atmet schwer. „Sie dürfen‘s nicht wissen“, sagt der Sheriff. „Wenn das die Runde macht, kann ich meinen Posten räumen und dich werden sie mit brennenden Fackeln aus der Stadt jagen.“ Der Sheriff tastet nach seinem Hut auf Hardees Kofferraum und lässt sich auf den Boden sinken. „Jesus … Ist es das, was du willst?“
„Die wissen längst, dass wir dort waren, Roger“, sagt er.
„Aber nicht, dass wir in seinem Platoon waren“, sagt der Sheriff. „Wenn das rauskommt, dann verlieren wir alles, kapierst du das nicht? Calley und My Lai, das geht Hand in Hand.“ Der Sheriff fährt sich mit zittrigen Fingern durchs Haar. „Ich hab eine Familie, Herrgott.“
„Scheiß auf deine Familie!“ Billy schnippt die Zigarette zum Eingangstor und springt auf. „Und was habe ich?“, sagt er. Er wischt sich dreimal kräftig mit dem Ärmel über Nase und Mund und spürt, wie warmes Blut über seine Lippen läuft. „Sieh es dir an, Roger“, sagt er. Er kniet sich vor den Sheriff hin und streckt ihm sein Gesicht entgegen. „Sieh es dir an!“ Das Blut tropft auf die Uniform des Sheriffs und er kann die Tränen nicht zurückhalten.
Das Tor der Werkstatt steht offen und der Wind hat nachgelassen. Billy riecht Fleisch, hört das Ticken der Uhr an der Wand und starrt auf das Bild der drallen Miss Juli 1970.
„Hey … bist du … komm … Shop rüber“, knackt es aus dem Funkgerät, das auf der Werkbank steht.
Er steht auf, fährt mit der Hand über die Beule im Kofferraum von Hardees Wagen und verlässt die Werkstatt. An der zweiten Zapfsäule steht ein olivgrüner Plymouth Valiant, den er hier noch nie gesehen hat. Er kratzt eine Handvoll Sand auf dem Boden zusammen, hebt ihn auf und zerreibt ihn zwischen den Händen. In den Fenstern von Henrys Laden spiegelt sich die tiefstehende Sonne; das Licht brennt in seinen Augen. Er steuert den Zigarettenautomaten an, wirft zwei Münzen ein, zieht eine neue Packung Luckies aus der Maschine, öffnet die neue Packung und zündet sich eine Zigarette an. Als er auf den Boden spuckt, kommt eine junge Frau aus dem Tankstellen-Shop. Sie sieht ihn an, wendet das Gesicht gleich wieder ab und verschwindet eilig hinter dem Steuer des Valiants. Er sieht zu, wie sich der aufgewirbelte Staub wieder auf den Boden legt und geht in den Shop hinein.
„Du sollst nicht an der Tankstelle qualmen, verflucht“, sagt Frank. „Wie oft muss ich dir das noch eintrichtern?“
„Nur die Ruhe, Frank“, sagt er. „Passiert schon nichts.“
„Ist der Wagen sauber?“, fragt Frank.
Billy nickt.
„Sag Hardee, dass er die Rechnung nächste Woche bezahlen soll. Der Mistkerl schuldet mir schon genug Geld.“ Frank nimmt ein Bündel Quittungen aus der Kasse und beginnt damit, sie auf dem Verkaufstresen zu sortieren.
„Warum sagst du es ihm nicht?“, fragt Billy. „Bin nicht dein Geldeintreiber, Frank.“
„Hey“, sagt Frank und tritt hinter dem Verkaufstresen hervor, „was denkst du eigentlich, womit ich dich bezahle?“
Billy läuft hinüber zum Kühlschrank und schnappt sich eine Dose Coke. Er trinkt die Dose in einem Zug leer und lässt den Zigarettenstummel hineinfallen. Dann läuft er an den Kühlschränken vorbei, wirft die Dose in den Abfalleimer und stellt sich vor den Flipperautomaten.
„Klar, bedien dich ruhig“, sagt Frank in theatralischem Ton. „Verflucht, was ist los mit dir heute?“
„Alles gut“, sagt Billy. Er wirft eine Münze in den Flipperautomaten und schießt die silberne Kugel auf das Spielfeld.
„Ach ja? Und was sollte das mit dir und Roger? Drüben bei Henry?“, fragt Frank.
„Nichts. Eine alte Army-Geschichte. Nicht der Rede wert.“
„Erzähl mir nichts“, sagt Frank. „Ich habe den Artikel gelesen. Ganz schön heftig, was dieser Calley und seine Männer da in der Provinz abgezogen haben. Frauen und Kinder? Scheiße … Kennt ihr den Typen etwa?“
„Lass gut sein, Frank“, sagt Billy. „In Vietnam kannte jeder jeden.“ Die Kugel saust zwischen den Hebeln hindurch und verschwindet im Automaten. Er zündet sich eine neue Zigarette an und lässt sie im Mundwinkel hängen. „Sonst noch was?“, fragt er.
„Wisch den Staub von den Tankplätzen, bevor du zu Hardee gehst, die Tankstelle sieht aus wie Sau“, sagt Frank. „Und mach die verfluchte Zigarette aus.“
Billy spürt, wie seine Nase juckt, doch er lässt die Hände in den Hosentaschen.
Hardee ist nicht zu finden und vom Vorarbeiter erfährt Billy, dass Hardee das Kieswerk vor einer halben Stunde zusammen mit Kowalski verlassen habe. Er lässt die Lagerhalle hinter sich, trottet über den Parkplatz, steigt in den Wagen, öffnet die Dose Bier, die er auf dem Heimweg trinken wollte, und zündet sich eine Zigarette an. Er flucht vor sich hin und schaltet das Radio ein. Einen Moment lang hört er sich den Live-Kommentar des Rangers-Spiels an, nimmt einen tiefen Zug von der Zigarette und wechselt auf den Musik-Kanal.
… A hill to take, a battle to be won.
Kiss me goodbye and write me while I’m gone.
Goodbye my sweetheart, hello Viet…
Mit dem Handballen schlägt er auf das Radio ein. Asche und glimmender Tabak rieseln auf die Fußmatte der Beifahrerseite nieder. Er schüttet Bier auf die schwelenden Stellen; der beißende Textilgeruch ätzt in seinen Nasenhöhlen. Er kurbelt das Fenster runter, wirft das Bier, die Zigarette und die Fußmatte auf den Parkplatz. Mit beiden Händen packt er das Lenkrad, rüttelt daran, wirft sich im Sitz vor und zurück.
Er schreit.
Die Fenster von Henrys Laden sind komplett schwarz, nur das schwach leuchtende Reklameschild mit der Aufschrift All You Can Meat! erhellt den Vorplatz. Billy stellt den Wagen vor der Werkstatt ab, läuft zu Henrys Laden hinüber und bleibt vor dem ersten Fenster stehen. Er schirmt das Gesicht mit beiden Händen ab und drückt sie gegen das Glas. Das Licht der Jukebox wird vom Grill und dem mit Chromstahl überzogenen Tresen reflektiert. Er sieht die Umrisse der Aschenbecher und der Gabeln und Messer, die für den nächsten Tag bereitliegen. Er zündet sich eine Zigarette an und setzt sich auf die mit Staub überzogenen Holzplanken, mit dem Rücken lehnt er sich an die Wand unter dem Fenster. Ein Hund mit struppigem Fell trippelt über den Vorplatz, bleibt stehen und sieht ihn an. Dann reckt er die Schnauze in die Luft und schnüffelt. Billy schnippt die Zigarette in Richtung des Köters, verfehlt ihn aber deutlich. Der Hund kratzt sich mit der Hinterpfote am Ohr, setzt sich wieder in Bewegung und verschwindet aus dem schummrigen Lichtkegel der Leuchtreklame.
Billy geht zurück zur Werkstatt, schiebt das Tor hoch, fährt Hardees Wagen rückwärts hinein und zieht das Tor hinter sich zu. Aus dem Metallschrank neben Miss Juli fischt er eine gebrauchte Fußmatte, klopft sie ab und legt sie auf den Boden der Beifahrerseite. Er stemmt beide Arme in die Hüfte und betrachtet die Fußmatte. Dann holt er die Luckies und das Feuerzeug hervor und zündet sich eine Zigarette an.
Kurz darauf geht er durch die Hintertür in den kleinen Lagerraum, der die Werkstatt mit dem Tankstellen-Shop verbindet. Er öffnet eine weitere Tür, streift sich den Blaumann von den Schultern und setzt sich auf die Schüssel. Er überlegt, ob er nochmals eine rauchen soll, lässt es dann aber sein. Auf dem Metalldeckel des Papierhalters liegt eine dicke Schicht Staub. Er wischt den Dreck mit dem Ärmel weg, beugt sich nach vorne, inspiziert sein Gesicht und tupft die Nase mit Papier ab. Die Spülung trägt seine Scheiße und die blutigen Fetzen nur widerwillig und nach mehrfachen Versuchen weg.
Als er aus der Toilette tritt, bemerkt er unter der Tür, die in den Shop führt, einen dünnen Streifen Licht. Er erstarrt, hört gleichmäßiges Scheppern, gedämpfte Stimmen, klatschende Geräusche. Blut schießt in seinen Kopf. Stöhnen.
Er umgreift die Türklinke mit schweißnasser Hand; sein Herz hämmert gegen den Brustkorb. Dunkle Tropfen prasseln auf Boden und Stiefel. Er drückt die Klinke nach unten und öffnet die Tür.
Sie schreit nur kurz und schrill, als sie ihn sieht.
„Verflucht“, sagt Frank. „Was tust du hier?“ Frank zieht den Schwanz aus ihr raus, bückt sich, packt Unterhose und Jeans und reißt sie hoch. „Raus!“, sagt Frank.
Sie presst die Schenkel zusammen, doch ihre Scham kann sie nicht verbergen.
In der Wüste vor der Stadt ist die Luft kühl und rein. Billy liegt auf dem Rücken, hat Arme und Beine wie ein Engel ausgestreckt; die spitzen Steine unter seinem Körper stören ihn kaum, nur das Pochen in seiner Brust und das unregelmäßige Klacken des abkühlenden Motors durchbrechen die Stille. Er blickt hoch zum Himmel, sucht die Sternbilder, die er sich in langen Nächten eingeprägt hat, und schließt dann die Augen. Er spürt die feuchte Luft im Gesicht, das warme Metall in seinen Händen, die Enge durchnässter Stiefel. Er sieht grünes Dickicht und namenlose Tiere, die an namenlosen Pflanzen hochklettern, die starren Blicke regungsloser Männer. Er riecht Benzin, lodernde Hütten, verbranntes Fleisch, den Gestank seines ungewaschenen Schritts. Er hört das Auf und Ab kleiner Füße im Matsch, das Kratzen von Klingen auf frisch herausgeschälten Knochen.
Mit dem Ärmel wischt Billy sich über Nase und Mund.
Er hört Sirenen.
„Das Gleiche wie immer?“, fragt Laurie, den Blick auf Notizblock und Kugelschreiber gerichtet.
„Bitte“, sagt er. Er starrt auf ihre abgekauten Fingernägel und den Ring, der ein tiefes Tal in den fleischigen Finger schneidet, und krempelt einen Ärmel des Blaumanns hoch.
Laurie kritzelt die Bestellung auf den Notizblock, reißt das Blatt ab, faltet es schräg und steckt es in den Zettelhalter vor seinem Platz. Sie wendet sich ab und geht hinüber zu Henry, der am Grill steht und pfundweise Steaks auf den Rost hievt. Rauch steigt auf, begleitet von einem scharfen Zischen. Henry dreht sich um und hebt die Hand, mit der er die Grillzange festhält, zum Gruß.
„Hi“, sagt Henry.
Billy nickt und kramt die Luckies und ein Feuerzeug aus der Brusttasche. Er öffnet die Packung und zündet sich eine Zigarette an. Als Laurie kurz darauf die Coke vor ihm abstellt, legt er den Kopf in den Nacken, bläst den Rauch lautstark nach oben und sieht zu, wie der Deckenventilator den Rauch in ihr Gesicht treibt. Sie sieht auf und fixiert zum ersten Mal seine Augen. Er sieht die Tusche, die ungleichmäßig und verklumpt an ihren Wimpern hängt und er sieht die geplatzten Äderchen, die wie rote Flüsse durch das Weiß ihrer Augäpfel ziehen. Sie sagt nichts, greift nach dem Kugelschreiber, den sie von früh bis spät hinter dem Ohr trägt, und tippt mit dem Druckknopf auf den Tresen; ihr Mund ist leicht geöffnet, die Zungenspitze an den linken Eckzahn gedrückt. Er schmunzelt, rupft das Blatt aus dem Zettelhalter, faltet es so, dass die Ecken perfekt aufeinanderliegen, und steckt es wieder in den Zettelhalter. Dann steht er auf, wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund, geht hinüber zur Jukebox und lässt Chapel of Love von den Dixie Cups spielen.
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Er summt die letzte Strophe des Liedes mit, als Frank und der Sheriff zwei Minuten später in den Laden kommen und sich neben ihn setzen.
„Hast du Hardees Wagen fertig?“, fragt Frank.
„Kann ihn heute Nachmittag abholen“, sagt Billy. „Muss ihn bloß noch abspritzen.“
„Guter Junge“, sagt Frank und klopft ihm auf die Schulter. „Du hast schon bestellt?“ Frank deutet auf die Bestellung in Billys Zettelhalter und sagt, ohne eine Reaktion abzuwarten: „Laurie, Darling, zweimal Steak für den Sheriff und mich.“
Laurie kommt an den Tresen und streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Was darf’s zu trinken sein?“, fragt sie.
„Zwei Bier, Sweetheart“, sagt Frank. „Ist immerhin Freitag.“
Laurie schreibt die Bestellung auf, faltet die Zettel so, dass die Ecken perfekt aufeinanderliegen, und steckt sie in die Halter. „Schon unterwegs“, sagt sie und macht sich auf den Weg zu Henry.
Der Sheriff legt seinen Hut auf den Tresen und glättet sich mit Daumen und Zeigefinger den Schnurrbart. „Jesus“, sagt er. „Sie sieht von Tag zu Tag kaputter aus.“
Frank kann sich ein Lachen nicht verkneifen und schnaubt durch die Nase.
Billy fingert eine neue Zigarette aus der Packung und zündet sie an. Er nimmt einen Schluck von der Coke und beobachtet Laurie, die am Zapfhahn steht: Die fettige Schürze verdeckt ihre Hüfte, doch darüber quillt der Bauchspeck hervor, und wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellt, um ein Bierglas aus dem Schrank zu fischen, dann hebt sich ihre Bluse und entblößt die milchige, mit roten Druckstellen überzogene Haut. Er zieht den Rauch mit einem zischenden Geräusch in die Lungen.
„Hör mal“, durchbricht Frank seine Gedanken, „kannst du Hardee den Wagen nach Feierabend vorbeibringen?“ Frank legt seine Hände aufeinander und klopft mit dem Mittelfinger der oberen Hand auf den Tresen. „Der Scheißkerl kommt vor abends nicht aus dem Kieswerk und ich schaff’s heute nicht.“
„Wär n’feiner Zug“, sagt der Sheriff. „Wenn du’s nicht tust, wird Scarlett mich drum bitten, und ich …“
„Geht klar“, sagt Billy. „Geht klar“, wiederholt er.
„Warum musste sich deine Schwester auch von dem verfluchten Hardee schwängern lassen“, sagt Frank.
„Wär nicht passiert, wenn ich da gewesen wäre“, sagt der Sheriff, „das schwör ich bei Gott.“
Billy kichert vor sich hin, den Kopf auf den Handballen gestützt, und lässt den Rauch stoßweise zwischen den Zähnen entweichen. „Hey Sheriff“, sagt er dann und wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund. „Nixon hat den Lieutenant aus der Haft entlassen. Schon gehört?“
Der Sheriff zieht eine Augenbraue hoch. „Was?“, sagt er.
Billy drückt die Zigarette im Aschenbecher aus und schiebt ihn zur Seite. Er steht auf, läuft zur Jukebox, schnappt sich den Big Spring Herald aus dem Zeitungsständer und lässt ihn auf das Besteck des Sheriffs fallen. „Hier“, sagt er. „Lies selbst.“
Der Sheriff funkelt ihn an, packt die Zeitung, dreht sich leicht zur Seite, faltet die Zeitung auf und überfliegt die Schlagzeilen auf der Frontseite.
„Was für ein Lieutenant?“, fragt Frank.
„Sei still“, sagt der Sheriff.
Laurie kommt an den Tresen und stellt die Biere ab. „Was gibt’s Neues in der Welt, Sheriff?“, fragt sie.
Der Sheriff bewegt die Lippen, doch sein Blick bleibt auf die Zeitung gerichtet.
Billy zündet sich eine neue Zigarette an und schiebt den Aschenbecher wieder zu sich hin. Er wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund und betrachtet aus dem Augenwinkel das Namensschild auf Lauries üppigem Busen.
„Welcher Lieutenant?“, flüstert Frank, das Gesicht hinter dem Bierglas versteckt.
Billy sagt: „Er war damals …“
„Schluss!“, sagt der Sheriff und schlägt mit der Faust auf den Tresen. Laurie zuckt zusammen und hält sich die Hände vor die Brust. Sie sieht Frank mit großen Augen an und verschwindet dann in Richtung des Grills. Als sie weg ist, sagt der Sheriff: „Nicht hier, verstanden?“ Der Sheriff faltet die Zeitung unsauber zusammen und steckt sie in die Außentasche seiner Jacke.
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Billy verlässt Henrys Laden als Erster und geht durch den Staub zurück in die Werkstatt. Er läuft hinüber zur Werkbank und schaltet den alten Radioapparat ein. Hardees Ford steht in der Mitte des Raums, die Motorhaube noch immer aufgeklappt. Er hält die Motorhaube mit der linken Hand fest, löst mit der rechten Hand den Bügel, klappt ihn ein und lässt die Motorhaube mit einem metallischen Knall ins Schloss fallen. Dann wischt er sich mit dem Ärmel über Nase und Mund und setzt sich auf den Drehstuhl vor der Werkbank. Er holt die Luckies aus der Brusttasche und zündet sich eine an; von der Wand blickt die verstaubte Miss Juli 1970 lüstern und nur mit einer Perlenkette bekleidet auf ihn herab.
„Was war das eben?“
Billy dreht sich zum Eingangstor der Werkstatt um und sieht zwischen den blaugrauen Rauchfäden die Silhouette des Sheriffs.
„Was hast du dir dabei gedacht?“, fragt der Sheriff.
„Raus aus meiner Werkstatt“, sagt Billy.
Der Sheriff drückt den Lichtschalter an der Wand und zieht das Tor hinter sich zu. Die Neonröhren an der Decke beginnen zu flackern und tauchen die Werkstatt kurz darauf in hellweißes Licht.
„Mach das Tor wieder auf und raus hier“, sagt Billy.
„Du verfluchter Idiot“, sagt der Sheriff und kommt auf ihn zu. „Was fällt dir ein, den Lieutenant vor Frank und Laurie zu erwähnen?“ Der Sheriff packt ihn am Kragen des Blaumanns und drückt ihn gegen die Wand. „Die Schlampe würd‘s doch jedem erzählen.“
Billy lässt die Zigarette auf den Boden fallen. Er reißt die Hände nach oben und stößt dem Sheriff mit aller Kraft gegen die Brust. Der Sheriff kracht auf den Kofferraum von Hardees Wagen und knallt mit dem Kopf auf die Heckscheibe. „Fick dich, Roger“, sagt er. Er wendet sich ab und setzt sich wieder auf den Drehstuhl. „Hier bist du vielleicht der große Sheriff“, sagt er, „aber vergiss nicht, wen du vor dir hast.“ Er wischt sich mit dem Ärmel über Nase und Mund und zündet sich eine neue Zigarette an. „Du standest unter meinem Kommando.“
Der Sheriff stützt sich mit beiden Armen auf den Knien ab, die Hüfte an Hardees Wagen gelehnt und atmet schwer. „Sie dürfen‘s nicht wissen“, sagt der Sheriff. „Wenn das die Runde macht, kann ich meinen Posten räumen und dich werden sie mit brennenden Fackeln aus der Stadt jagen.“ Der Sheriff tastet nach seinem Hut auf Hardees Kofferraum und lässt sich auf den Boden sinken. „Jesus … Ist es das, was du willst?“
„Die wissen längst, dass wir dort waren, Roger“, sagt er.
„Aber nicht, dass wir in seinem Platoon waren“, sagt der Sheriff. „Wenn das rauskommt, dann verlieren wir alles, kapierst du das nicht? Calley und My Lai, das geht Hand in Hand.“ Der Sheriff fährt sich mit zittrigen Fingern durchs Haar. „Ich hab eine Familie, Herrgott.“
„Scheiß auf deine Familie!“ Billy schnippt die Zigarette zum Eingangstor und springt auf. „Und was habe ich?“, sagt er. Er wischt sich dreimal kräftig mit dem Ärmel über Nase und Mund und spürt, wie warmes Blut über seine Lippen läuft. „Sieh es dir an, Roger“, sagt er. Er kniet sich vor den Sheriff hin und streckt ihm sein Gesicht entgegen. „Sieh es dir an!“ Das Blut tropft auf die Uniform des Sheriffs und er kann die Tränen nicht zurückhalten.
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Das Tor der Werkstatt steht offen und der Wind hat nachgelassen. Billy riecht Fleisch, hört das Ticken der Uhr an der Wand und starrt auf das Bild der drallen Miss Juli 1970.
„Hey … bist du … komm … Shop rüber“, knackt es aus dem Funkgerät, das auf der Werkbank steht.
Er steht auf, fährt mit der Hand über die Beule im Kofferraum von Hardees Wagen und verlässt die Werkstatt. An der zweiten Zapfsäule steht ein olivgrüner Plymouth Valiant, den er hier noch nie gesehen hat. Er kratzt eine Handvoll Sand auf dem Boden zusammen, hebt ihn auf und zerreibt ihn zwischen den Händen. In den Fenstern von Henrys Laden spiegelt sich die tiefstehende Sonne; das Licht brennt in seinen Augen. Er steuert den Zigarettenautomaten an, wirft zwei Münzen ein, zieht eine neue Packung Luckies aus der Maschine, öffnet die neue Packung und zündet sich eine Zigarette an. Als er auf den Boden spuckt, kommt eine junge Frau aus dem Tankstellen-Shop. Sie sieht ihn an, wendet das Gesicht gleich wieder ab und verschwindet eilig hinter dem Steuer des Valiants. Er sieht zu, wie sich der aufgewirbelte Staub wieder auf den Boden legt und geht in den Shop hinein.
„Du sollst nicht an der Tankstelle qualmen, verflucht“, sagt Frank. „Wie oft muss ich dir das noch eintrichtern?“
„Nur die Ruhe, Frank“, sagt er. „Passiert schon nichts.“
„Ist der Wagen sauber?“, fragt Frank.
Billy nickt.
„Sag Hardee, dass er die Rechnung nächste Woche bezahlen soll. Der Mistkerl schuldet mir schon genug Geld.“ Frank nimmt ein Bündel Quittungen aus der Kasse und beginnt damit, sie auf dem Verkaufstresen zu sortieren.
„Warum sagst du es ihm nicht?“, fragt Billy. „Bin nicht dein Geldeintreiber, Frank.“
„Hey“, sagt Frank und tritt hinter dem Verkaufstresen hervor, „was denkst du eigentlich, womit ich dich bezahle?“
Billy läuft hinüber zum Kühlschrank und schnappt sich eine Dose Coke. Er trinkt die Dose in einem Zug leer und lässt den Zigarettenstummel hineinfallen. Dann läuft er an den Kühlschränken vorbei, wirft die Dose in den Abfalleimer und stellt sich vor den Flipperautomaten.
„Klar, bedien dich ruhig“, sagt Frank in theatralischem Ton. „Verflucht, was ist los mit dir heute?“
„Alles gut“, sagt Billy. Er wirft eine Münze in den Flipperautomaten und schießt die silberne Kugel auf das Spielfeld.
„Ach ja? Und was sollte das mit dir und Roger? Drüben bei Henry?“, fragt Frank.
„Nichts. Eine alte Army-Geschichte. Nicht der Rede wert.“
„Erzähl mir nichts“, sagt Frank. „Ich habe den Artikel gelesen. Ganz schön heftig, was dieser Calley und seine Männer da in der Provinz abgezogen haben. Frauen und Kinder? Scheiße … Kennt ihr den Typen etwa?“
„Lass gut sein, Frank“, sagt Billy. „In Vietnam kannte jeder jeden.“ Die Kugel saust zwischen den Hebeln hindurch und verschwindet im Automaten. Er zündet sich eine neue Zigarette an und lässt sie im Mundwinkel hängen. „Sonst noch was?“, fragt er.
„Wisch den Staub von den Tankplätzen, bevor du zu Hardee gehst, die Tankstelle sieht aus wie Sau“, sagt Frank. „Und mach die verfluchte Zigarette aus.“
Billy spürt, wie seine Nase juckt, doch er lässt die Hände in den Hosentaschen.
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Hardee ist nicht zu finden und vom Vorarbeiter erfährt Billy, dass Hardee das Kieswerk vor einer halben Stunde zusammen mit Kowalski verlassen habe. Er lässt die Lagerhalle hinter sich, trottet über den Parkplatz, steigt in den Wagen, öffnet die Dose Bier, die er auf dem Heimweg trinken wollte, und zündet sich eine Zigarette an. Er flucht vor sich hin und schaltet das Radio ein. Einen Moment lang hört er sich den Live-Kommentar des Rangers-Spiels an, nimmt einen tiefen Zug von der Zigarette und wechselt auf den Musik-Kanal.
… A hill to take, a battle to be won.
Kiss me goodbye and write me while I’m gone.
Goodbye my sweetheart, hello Viet…
Mit dem Handballen schlägt er auf das Radio ein. Asche und glimmender Tabak rieseln auf die Fußmatte der Beifahrerseite nieder. Er schüttet Bier auf die schwelenden Stellen; der beißende Textilgeruch ätzt in seinen Nasenhöhlen. Er kurbelt das Fenster runter, wirft das Bier, die Zigarette und die Fußmatte auf den Parkplatz. Mit beiden Händen packt er das Lenkrad, rüttelt daran, wirft sich im Sitz vor und zurück.
Er schreit.
* * *
Die Fenster von Henrys Laden sind komplett schwarz, nur das schwach leuchtende Reklameschild mit der Aufschrift All You Can Meat! erhellt den Vorplatz. Billy stellt den Wagen vor der Werkstatt ab, läuft zu Henrys Laden hinüber und bleibt vor dem ersten Fenster stehen. Er schirmt das Gesicht mit beiden Händen ab und drückt sie gegen das Glas. Das Licht der Jukebox wird vom Grill und dem mit Chromstahl überzogenen Tresen reflektiert. Er sieht die Umrisse der Aschenbecher und der Gabeln und Messer, die für den nächsten Tag bereitliegen. Er zündet sich eine Zigarette an und setzt sich auf die mit Staub überzogenen Holzplanken, mit dem Rücken lehnt er sich an die Wand unter dem Fenster. Ein Hund mit struppigem Fell trippelt über den Vorplatz, bleibt stehen und sieht ihn an. Dann reckt er die Schnauze in die Luft und schnüffelt. Billy schnippt die Zigarette in Richtung des Köters, verfehlt ihn aber deutlich. Der Hund kratzt sich mit der Hinterpfote am Ohr, setzt sich wieder in Bewegung und verschwindet aus dem schummrigen Lichtkegel der Leuchtreklame.
Billy geht zurück zur Werkstatt, schiebt das Tor hoch, fährt Hardees Wagen rückwärts hinein und zieht das Tor hinter sich zu. Aus dem Metallschrank neben Miss Juli fischt er eine gebrauchte Fußmatte, klopft sie ab und legt sie auf den Boden der Beifahrerseite. Er stemmt beide Arme in die Hüfte und betrachtet die Fußmatte. Dann holt er die Luckies und das Feuerzeug hervor und zündet sich eine Zigarette an.
Kurz darauf geht er durch die Hintertür in den kleinen Lagerraum, der die Werkstatt mit dem Tankstellen-Shop verbindet. Er öffnet eine weitere Tür, streift sich den Blaumann von den Schultern und setzt sich auf die Schüssel. Er überlegt, ob er nochmals eine rauchen soll, lässt es dann aber sein. Auf dem Metalldeckel des Papierhalters liegt eine dicke Schicht Staub. Er wischt den Dreck mit dem Ärmel weg, beugt sich nach vorne, inspiziert sein Gesicht und tupft die Nase mit Papier ab. Die Spülung trägt seine Scheiße und die blutigen Fetzen nur widerwillig und nach mehrfachen Versuchen weg.
Als er aus der Toilette tritt, bemerkt er unter der Tür, die in den Shop führt, einen dünnen Streifen Licht. Er erstarrt, hört gleichmäßiges Scheppern, gedämpfte Stimmen, klatschende Geräusche. Blut schießt in seinen Kopf. Stöhnen.
Er umgreift die Türklinke mit schweißnasser Hand; sein Herz hämmert gegen den Brustkorb. Dunkle Tropfen prasseln auf Boden und Stiefel. Er drückt die Klinke nach unten und öffnet die Tür.
Sie schreit nur kurz und schrill, als sie ihn sieht.
„Verflucht“, sagt Frank. „Was tust du hier?“ Frank zieht den Schwanz aus ihr raus, bückt sich, packt Unterhose und Jeans und reißt sie hoch. „Raus!“, sagt Frank.
Sie presst die Schenkel zusammen, doch ihre Scham kann sie nicht verbergen.
* * *
In der Wüste vor der Stadt ist die Luft kühl und rein. Billy liegt auf dem Rücken, hat Arme und Beine wie ein Engel ausgestreckt; die spitzen Steine unter seinem Körper stören ihn kaum, nur das Pochen in seiner Brust und das unregelmäßige Klacken des abkühlenden Motors durchbrechen die Stille. Er blickt hoch zum Himmel, sucht die Sternbilder, die er sich in langen Nächten eingeprägt hat, und schließt dann die Augen. Er spürt die feuchte Luft im Gesicht, das warme Metall in seinen Händen, die Enge durchnässter Stiefel. Er sieht grünes Dickicht und namenlose Tiere, die an namenlosen Pflanzen hochklettern, die starren Blicke regungsloser Männer. Er riecht Benzin, lodernde Hütten, verbranntes Fleisch, den Gestank seines ungewaschenen Schritts. Er hört das Auf und Ab kleiner Füße im Matsch, das Kratzen von Klingen auf frisch herausgeschälten Knochen.
Mit dem Ärmel wischt Billy sich über Nase und Mund.
Er hört Sirenen.
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