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Der Gaukler in Griromia

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09.08.2006
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Der Gaukler in Griromia

Und so kam die Zeit, da die zwei großen Zivilisationen von Dramania und Northrann sich, wohl aus Überdruss an ihrer eigenen Größe und krank geworden an ihrer vermeintlichen Vollendung, gegenseitig zu zerfleischen begannen.
Einunddreißig lange Jahre dauerte das blutige Ringen an, bis schließlich der Kaiser Northranns über den Trümmern Dramanias stand, die gefallene Kultur verächtlich mit den Füßen trat und verfügte, alle Dramanier zu töten, wie auch ihre Bücher zu verbrennen. Die Einzigartigkeit der northrannischen Größe, sollte nie wieder in Zweifel gezogen werden können.
Nur wenigen Dramaniern gelang die Flucht und auch sie sollte wieder einunddreißig Jahre dauern, einunddreißig Jahre neuerlichen Leids und einunddreißig Jahre des Zuges nach Süden. Erst dann, nach der Durchquerung des furchtbaren Waldes von Forlornhop, sollten die Vertriebenen ihre neue Heimat erreichen, die bis dahin unbekannte wunderbare Ebene am Fuße des alles überragenden Weltengebirges – wo das Himmelszelt aufgespannt ist.
Und diese neue Heimat nannten sie Griromia.

Die Stirn in Falten gelegt, wie stets wenn er eifrig nachsann, schlug Ultharan XXXI. das alte Buch behutsam zu und fuhr mit den Fingern über den ledernen Einband. Sein Blick verlor sich, irgendwo am Rande der im Buche erwähnten Ebene, wo der düster dräuende Wald von Forlornhop begann. Natürlich – von hier oben aus, vom höchsten Balkon des höchsten Turmes der hochaufragenden Turmstadt Griromia, der Perle der Zivilisation, wirkte der dunkle Forst klein, wie ein albernes Relikt aus vergangenen Tagen. Doch Ultharan wusste, dass er als König es sich nicht leisten konnte, über die Vergangenheit zu lachen, sie mit einer wegwerfenden Geste abzutun. Schließlich waren es seine Vorfahren gewesen, die vor nicht einmal fünfhundert Jahren halb verhungert und verdurstet aus dem Wald in dieses neue Land getreten waren. Arm und zerlumpt, aus einem untergegangenen Reich – untergegangen wohl auch, weil seine Bewohner in ihrer Arroganz nur in der Gegenwart gelebt hatten, die Vergangenheit belächelnd, der Zukunft nicht achtend.
Nein, die Vergangenheit war nicht tot, sie lebte fort und die Gegenwart war ihr Werk und ihre Inkarnation. Eben deshalb musste er als König Werke wie das seltsame und doch so weise und wahre Worte und Prophezeiungen Sindees lesen. Die Vergangenheit lebte fort und mochte sie auch im Augenblick nicht sichtbar sein, so war sie doch da unten, in den Eingeweiden der stolzen Turmstadt Griromia und arbeitete.
„Ja, wie dürfen sie nicht gering achten, was?“, fragte er nun grüblerisch laut.
Als Antwort erhielt er von seinem engsten Berater nur ein fragendes „Mein König?“. Unwillkürlich musste er schmunzeln, denn obwohl Amonbell ein Stück hinter ihm stand, konnte er beinah sehen, wie er resigniert mit den Augen rollte. Wieder einmal hatte er sich so in seinen Gedanken verloren, dass er nicht mehr bemerkte, dass diese nicht allen um ihn frei zugänglich waren.
„Ist schon gut, alter Freund“, gab er nun schlicht zurück.
Gerade wollte er wieder beginnen, über die schwere Bürde nachzudenken, die ihm als jungem König auferlegt war, da sah er unten auf der weiten Ebene etwas höchst Verwunderliches.
„Amonbell“, winkte er seinen Berater heran, „siehst du das dort auch?“
Mit schlurfenden Schritten bewegte sich der grauhaarige Weise nun ebenfalls an den Rand des Balkons, doch vermochten seine greisen Augen nicht zu sehen, was sein König ihm durch allerlei Deuten und Beschreiben zu zeigen versuchte.
„Es ist auch wirklich schwer zu erkennen, nur ein Fleck auf den ersten Blick… aber er bewegt sich und… ja, ich möchte fast meinen es handle sich um einen Menschen!“
Amonbell blickte ihn verdutzt von der Seite an. „Aber aus dieser Richtung kommt niemand hierher. Denn das würde bedeuten, derjenige habe den Wald von Forlornhop durchquert und Ihr wisst besser als ich, dass dieser tückische Forst in der Geschichte nur einmal durchquert wurde – vor beinah fünfhundert Jahren!“ Der Tonfall in dem er dies sagte, ließ Ultharan mutmaßen, sein Untergebener glaube, die etlichen Stunden des Studierens und innigen Denkens hätten dem königlichen Verstand nicht eben gut getan.
„Wenn ich es dir doch sage! Ich bin mir nun sicher, dass dort jemand ist – egal was das bedeuten mag.“ Der König war für seine Verhältnisse recht erregt, schien jedoch gleichzeitig die Konsequenzen seiner Entdeckung zu erwägen.
„Nun ja, wer auch immer diesen tödlichen Wald hinter sich gelassen hat dürfte nun zumindest nicht gerade in guter Verfassung sein. Sag den Wachen, sie sollen zwei Berittene schicken, um den Unbekannten sicher hierher zu geleiten oder ihm Hilfe zu leisten, so er sie benötigt. Ich ziehe mich auf meine Gemächer zurück und werde an meinem Buch arbeiten. Sobald geklärt ist, wer der Fremde ist, wirst du mich darüber unterrichten.“
Auf der Stelle wandte Ultharan sich um und verließ seinen Berater, der noch einen Augenblick lang stehen blieb, in die Ferne schaute und doch nicht sah, wer oder was da auf Griromia zukam.

Erst als das rötliche Glimmen des nächsten Tages sich bereits gegen die weißen Mauern Griromias warf, konnte Amonbell seinem Herrn Bericht erstatten. Dieser hatte sich nämlich am vorigen Abend, noch über seinen Unterlagen brütend, unfreiwillig dem Schlaf ergeben müssen, was er diesem sonst viel zu häufig verwehrte. Im Moment saß er in seinen betont schlichten Privatgemächern und nahm sein karges Frühstück zu sich – ein heißes Getränk von dunkler Farbe, gewonnen aus der Wurzel des Arzyl-Baumes und von einem Geschmack, an den zu denken allein Amonbell Übelkeit bereitete.
„Nun Amonbell, mit wem haben wir es denn zu tun?“
Und so begann Amonbell seine seltsame Erzählung.
Den beiden ausgeschickten Reitern hatte sich schon auf die Distanz ein Bild geboten, dass sie ebenso amüsierte, wie es sie auch verunsicherte. Denn was sich da auf die Stadt zu bewegte, war tatsächlich ein Mensch – und was für einer. Sein Gang war seltsam wiegend und beschwingt, beinah schien es, als tanze er. Seine eher mickrige Gestalt war gehüllt in ein geschecktes, tausendfach geflicktes Kostüm und auf dem Kopf trug das Männlein eine Mütze mit drei Zipfeln, an deren Enden jeweils eine klingende Glocke befestigt war.
Als die merkwürdige Gestalt die Reiter erblickte, legte sie den Kopf schief, grinste spitzbübisch und begann mit einem seltsam verzierten Szepter zu winken. Nun war auch das Gesicht genauer zu erkennen, ein Gesicht, das anmutete, wie die Karikatur seiner selbst: Die Nase war viel zu lang, genau wie das hervorstechende Kinn, die blitzenden Augen waren stets in Bewegung und der Mund schien das irgendwie anzügliche Grinsen nicht lassen zu können.
Bald hatten die beiden Reiter eine rechte Mühe damit, etwas an brauchbarer Information aus dem Fremden heraus zu bekommen, denn immer zu antwortete er nur mit kindischen Scherzen, in ungeschickten Reimen oder aber auf höchst sonderbare Art und Weise.
Wie sein Name sei, fragte man ihn.
Oh, er habe wohl mal einen Namen gehabt, ihn aber vergessen.
Woher er käme.
Von jenseits des Waldes.
Wie er den Wald habe durchqueren können.
Indem er einen Fuß vor den anderen setzte.
Wohin er wolle.
Nach Griromia, in die blühendste Stadt der Welt.
Was für einen Beruf er ausübe.
Er sei Gaukler.
Und dies war wohl das seltsamste überhaupt. Denn den Beruf des Gauklers kannte man in Griromia nur aus uralten Geschichten über die Zeiten Dramanias. Damals hatte es Gaukler gegeben, eine Klasse von, wie man heute befand, schäbigen Narren, die mit ihren plumpen Späßen die Menschen zerstreuten und verdummten, bis sie das Wesentliche aus den Augen verloren.
So war die Eskorte des Kleinen auch zunächst misstrauisch, doch bald legten sie ihre Scheu ab, da der Gaukler so wunderbar zu erzählen und zu unterhalten wusste. Schon bogen sie sich vor Lachen auf ihren Pferden, als sie das große von Skulpturen umsäumte Stadttor Griromias erreichten. Kaum hatten sie es passiert, da schoss der Gaukler geschwind davon und sie hatten Mühe, ihm zu folgen, da am großen Tor zu jeder Zeit ein reger Betrieb von Händlern und Reisenden herrschte
Überhaupt erwies sich der sonderbare Fremdling als keinesfalls erschöpft von seiner Reise, sondern vielmehr als besonders geschickt darin, sich seinen Weg durch die Menschenmassen zu erkämpfen. So streifte er mal durch diese, bald aber schon durch jene Gasse und über die mannigfaltigen bunten und duftenden Marktplätze der florierenden Turmstadt. Überall wurden die Menschen aufmerksam, auf jene unbekannte Erscheinung und sprachen ihn an und für jeden hatte er eine geistreiche und witzige Bemerkung übrig.
So folgte ihm bald eine ganze Schar der unterschiedlichsten Personen, von grimmigen Gewürzhändlern, über imposante Marktweiber, bis hin zu wohlgestalten Adligen.
Seine Bewacher aber gaben seine Verfolgung bald auf, als sie sahen, dass von dem sympathischen Kerlchen keine Bedrohung ausging und das er auch selbst nicht eben in Gefahr war.
„Ein Gaukler sagst du also…“, sprach Ultharan, indes er seine Stirn in Falten legte. „Sonderbar. Ich werde darüber nachdenken und lesen.“
„Mein König, mit Verlaub“, sprach nun vorsichtig Amonbell, „aber ich kenne Euch nun bereits so viele Jahre und stets erlebte ich Euch denkend und studierend und von Ernst erfüllt. Dabei sind es doch denkbar glückliche Zeiten zu denen Ihr regiert. Die Stadt wird bald den fünfhundertsten Jahrestag ihrer Gründung feiern. Meint ihr nicht, Ihr tätet gut daran, Euch mal wieder ein wenig der Zerstreuung hinzugeben? Im carcosischen Theater spielen sie heute ein neues Stück, das von geradezu opulenten Ausmaßen sein soll. Wie hieß es noch gleich? Ah ja, Der König in – “
An dieser Stelle unterbrach ihn unwirsch der König: „Dass die Zeiten gut sind ist nicht mein Verdienst, vielmehr ist es meine Pflicht dafür zu sorgen, dass sie auch weiterhin so gut bleiben.
Und gerade gute Zeiten, da das menschliche Streben sein Ziel erreicht und keine Richtung mehr hat können gefährlich sein, da sich eben dieses Streben neue Richtungen suchen muss und diese könnten – ach genug, lass mich allein!“ Mit einer Handbewegung scheuchte er seinen Untergeben fort. Dieser verneigte sich noch einmal schnell und schlüpfte dann durch die Tür hinaus.
Ärgerlich schüttelte Ultharan seinen Kopf. Er und sich zerstreuen, er, der doch bislang im Leben nichts vollbracht hatte, als sich per Geburtsrecht krönen zu lassen! Was denn, wenn nun eine schwere Prüfung genau in seine Herrschaftszeit fiele? Wenn er sich gerade „zerstreute“ während es um Wohl und Wehe des Gemeinwesens ging? Nicht auszudenken!
Überhaupt waren ihm all diese dekadenten Theaterstücke, wie sie in letzter Zeit immer beliebter wurden, zuwider. Und jetzt auch noch ein Gaukler...
Tief seufzend erhob sich Ultharan von seinem Stuhl und ging hinüber ins Arbeitszimmer. Dort widmete er sich aufs Neue der Lektüre der bizarren Worte und Prophezeiungen Sindees.

Noch in seinen ersten Tagen wurde das Gemeinwesen Griromias erneut auf eine harte Probe gestellt, als aus den Höhlen und Schächten unter dem Weltengebirge jene monströsen Wesen hervorbrachen, die man in Griromia alsbald nur noch als „Unterweltler“ bezeichnete. Wenig über ihr genaues Aussehen und über die furchtbare Schlacht, die sie sich mit den Neuankömmlingen lieferten, hat je die Mauern Griromias verlassen. Einzig bekannt ist, dass sie letztlich vernichtend geschlagen wurden und das junge Volk und seine Kultur tief prägten.
Dies ganz offenkundig nicht zu seinem Nachteil, denn bereits nach einhundert Jahren, begann die goldene Zeit Griromia und noch heute steigt der Stern der Stadt stetig höher hinauf. Schnell lernten die Einwohner Griromias, sich auch das härteste Gestein des Weltengebirges zunutze zu machen und daraus massive Häuser und Tempel zu fertigen. Immer weiter entwickelte sich ihre Kunst der Architektur, ihre Fähigkeit Säulen und Brücken von ungeahnter Perfektion und Stabilität zu errichten, indes sie die umliegenden wilden Stämme unterwarfen und sie entweder in die Knechtschaft zwangen oder sie in ihr eigenes Volk eingliederten.
Die besondere Meisterschaft der griromianischen Architekten ermöglichte es auch, der Stadt ihre legendäre Form zu geben: Statt wie andere Städte in die breite, wuchs Griromia in die Höhe, wie ein blendend weißer Leuchtturm der Zivilisation und bescheidener Tugendhaftigkeit. Denn hieran ist der Erfolg der Stadt vor allem festzumachen: An der besonderen Liebe zur Tugend und zu allem was da gut ist und daran, dass ihre Bürger nie vergaßen, wie ihre alte Heimat durch die Niedrigkeit der Menschen zugrunde ging.
So wuchs der Turm immer höher, neue Gebäude, Plateaus, Türme und Mauern wurde auf alte gesetzt, deren Traglast zuvor berechnet wurde, um sie nötigenfalls zu verstärken oder anzupassen. Die Kammern und Gewölbe im Innern der Turmstadt wurden natürlich verlassen und nur die lichtbeschienene Oberfläche wird zum Wohnen und Leben genutzt.
Heute noch blüht die Stadt und auch wenn sie ihren Zenit erreicht zu haben scheint, so schien dies doch bereits schon vor zweihundert Jahren so und sie könnte wohl weiter blühen, bis in göttliche Ewigkeit, wenn sie nur ihre Tugenden nicht vergisst.
Dann wird es noch in tausend Jahren all dies geben: Die bunten Märkte, die prunkvollen Tempel, die belebten Foren, die weisen Philosophen, die ehrwürdigen Theater, die frommen Priester, die wehrhaften Mauern, die treuen Adligen und die Linie der trefflichen Könige mit Namen Ultharan.

Wieder einmal saß Ultharan noch bis spät in die Nacht da und las, bis er die Bedeutung der Worte nicht mehr voll zu erfassen vermochte und letztlich nur noch auf den, über das gelbliche Papier tanzenden, Kerzenschein schaute.

Wochen vergingen, doch was vermögen Wochen einer Stadt zu tun, die seit mehreren hundert Jahren in voller Blüte steht? Zumindest waren dies bewegte Wochen für Kunst und Kultur Griromias. Denn in dieser Zeit hörte auch der Letzte innerhalb der stolz aufragenden Mauern von dem Gaukler, wobei es schlussendlich gar nicht nötig war, von ihm zu hören: Man sah ihn ja ständig auf den Märkten und den öffentlichen Plätzen, bald sogar in den Häusern der vornehmsten Aristokraten. Eine Vorstellung nach der anderen gab er, dabei alles aufbietend, von kleinen Possen, über schludrige Verse und Zauberkunststücke, bis hin zu Feuerwerk und Tanz. Überall war er gern gesehen, die Menschen brachen schon bei seinem bloßen Anblick in wildes Gelächter aus und beschenkten ihn reich.
Schließlich wurde es unter den Adligen und den Wohlhabenden sogar Mode, den Gaukler zu imitieren, sich von ihm Kunststücke lehren zu lassen, sich bunt und irr zu kleiden, nur noch in schiefen Reimen zu sprechen und zu jeder Zeit zu tanzen und Schabernack zu treiben.
Die prächtigen Theater hingegen, mit ihren schweren dramatischen Stücken, blieben bald fast völlig unbesucht, den Museen und Künstlergalerien erging es nicht anders. Sogar die Priester in den Tempeln hörten nur noch ihre eigenen Schritte in den großen, reich verzierten Anlagen widerhallen – sofern sie nicht selbst bei einer Festivität des Gauklers weilten. Ja, selbst der höchsten alle neun Tage stattfindenden religiösen Andacht, dem Schüren des Heiligen Feuers der Athana durch den König, wurde kaum noch Beachtung geschenkt.
Ultharan selbst konnte dem neuen Lebenswandel in Griromia nur mit Misstrauen und Unverständnis begegnen, sodass er sich schon bald völlig aus der Öffentlichkeit zurückzog, um nun seine gesamte Zeit lesend und schreibend zu verbringen.
Nur mit Amonbell sprach er noch gelegentlich, meistens jedoch, ohne von seinen Büchern aufzuschauen.
„Mein König, Ihr zeigt Euch kaum noch dem Volk, ich mache mir ernsthafte Sorgen um Euch und ich bin sicher, Euren Untertanen geht es nicht anders.“
Ultharan antwortete mit bitterem Hohn: „Bist du das? Ich für meine Person glaube kaum, dass das Volk sich noch für mein Schicksal oder das des Gemeinwesens interessiert. Wollten sie mich sehen, so könnten die Bürger dies ohne Weiteres: Bei der Messe für die Höchste Göttin Athana.“
Für einen Augenblick stand Amonbell stumm da, als ränge er mit sich um die nächsten Worte, dann sprach er: „Ich kenne Euch, mein Herr, nun mein halbes und Euer gesamtes Leben lang und stets habe ich Euch erlebt, als einen pflichtbewussten Mann von unerschütterlicher Treue zur Tradition und strenger Sittsamkeit. Und es war da keiner im Volk, der Euer edles Wesen nicht bewundert hätte. Doch nun muss ich Euch sagen – im Vertrauten darauf, dass Ihr Eurem ergebensten Diener diese Offenheit verzeiht – dass ich fürchte, Ihr habt Euch den Bürgern entfremdet.“
Jetzt war es an Ultharan zu schweigen und seinen Berater mit unergründlichem Gesichtsausdruck anzublicken. Dieser hatte nun offenbar genügend Mut gefasst, in seiner Rede fortzufahren und tat dies, indem er auf das offen vor Ultharan liegende Buch deutete und dabei das Gesicht zu einer angewiderten Fratze verzog: „Weiter fürchte ich, dass eben solch verschrobene Werke an dieser Entfremdung mit schuld sind. Worte und Prophezeiungen Sindees… Ein Werk obskuren Inhalts, von dessen Autor man nicht einmal weiß, ob er noch lebt und im Verborgenen an eben diesem Buche weiterschreibt – ständig pflegen ja, andere Ausgaben zu erscheinen – oder ob er vielleicht schon seit hundert Jahren tot ist. Nicht einmal sein Name ist bekannt, geschweige denn, wer oder was denn dieses Sindee sein soll! Ob es überhaupt sein soll oder nicht gar nur die fiebrige Fantasie eines kranken Geistes ist!
Und weiter muss ich fragen – ohne eure Aufrichtigkeit in Zweifel ziehen zu wollen – kann denn dies ein guter König sein, der solch verworrenem Denken, wie es hier gelehrt wird“, wieder machte er eine heftige Geste in Richtung des Buches, „eher glauben schenkt, als den einfachen Herzen seiner Mitmenschen? Der jenen Mitmenschen, nach annähernd fünfhundert Jahren der Selbstdisziplin und des Sich-im-Zaume-Haltens, immer noch die kleinste ausgelassene Blödelei und das bescheidenste Vergessen verwehren will?
Nein, ich weiß sehr wohl, dass ihr kein schlechter König sein wollt und grundeigentlich sein müsst. Ganz im Gegenteil, Euch zieht es zu Stärke und Edelmut und mehr als in jedem Andern den ich kenne, stecken in Euch die Anlagen, diese hehren Ziele auch zu erreichen. Doch um eins muss ich Euch bitten, dass Ihr wohl noch zu lernen habt: Vergesst vor hohem Ideal den Menschen nicht.“
Je länger Amonbell gesprochen hatte, desto mehr hatte sich die Miene des Königs versteinert. Nun, da er geendet hatte, war darin kein Zucken mehr, nicht die leiseste Bewegung. Amonbell war auf alles gefasst: Der König könnte, so in seiner Ehre angegriffen, entgegen seinem sonst so ruhigen Naturell aufspringen, schreien und wüten, seinen Berater schlimmstenfalls aus seinen Diensten entlassen und ihn wegen Beleidigung der Majestät vors Hohe Gericht bringen – doch nichts davon fürchtete Amonbell, denn manche Dinge sind gemacht dazu, sie auszusprechen.
Doch des Königs tatsächliche Reaktion vermochte ihn dennoch zu erstaunen. Nur leicht wandte Ultharan den Kopf zur Seite und sagte leise wie auch klar verständlich: „Geh. Wenn du und dieses würdelose Menschengeschlecht das Erbe guten Strebens den Tieren in euch zum Fraße geben wollt, so tut dies.“
Und dann, nach einer Pause, noch einmal dieses eine Wort, das Amonbells Seele zittern machte: „Geh.“
Der Alte tat, wie ihm geheißen.
Einsam blieb nur der König; allein mit seiner Würde.

Mit zittriger Hand griff Ultharan nach seiner Feder und begann, noch ehe er sich recht bedacht hatte, zu schreiben.

Seit nunmehr fast fünf Jahrhunderten wissen einzig die Könige Griromias, wie es sich mit den Unterweltlern wirklich verhielt, ist dies doch das einzige Thema, über das zu schreiben unseren Gelehrten streng untersagt ist, von dem nach dem Gesetz nicht einmal gesprochen werden darf. Meine Vorfahren dachten wohl – und wahrscheinlich hatten sie recht damit – dass derartiges Wissen das Gemeinwesen in eine ängstliche Starre versetzen würde.
Doch die Zeiten haben sich geändert, die Stadt wird heute nicht bedroht von den Schatten der Vergangenheit, sondern vom Vergessen der selben, vom Abfall von den Traditionen und den alten Überlieferungen. Ich denke, dass dies nun die rechte Stunde ist, das Volk darüber aufzuklären, wie stark das Band zwischen heute und gestern ist.
Es ist mir nicht wichtig, mich hier über die Gestalt der Unterweltler auszulassen – ihre schuppige Haut, durchbrochen einzig von Büscheln räudigen Fells, ihre reißend scharfen Zähne und ihr deformierter gebeugter Leib waren nicht so furchtbar wie ihre tierischen Seelen schwarz – auch sind es nicht die Einzelheiten jener Schlacht mit unseren Vorfahren, die hier interessieren – es reicht zu wissen, dass sie einunddreißig Stunden andauerte. Wichtiger ist es, endlich zu enthüllen, dass unser damaliger Sieg vielleicht nicht endgültig war. Viele der widerwärtigen Geschöpfe schleppten sich, wenn auch verwundet, zurück in ihre unergründlichen Höhlen am Fuße des Weltengebirges.
Und über eben diesen Höhlen wurde unsere strahlende Stadt errichtet. Zwar sind alle Zugänge zu jenen Kavernen gründlich versiegelt worden mit schweren Schlössern und mächtigen Bannsprüchen. Doch wer weiß schon, ob wirklich tot ist, was ewig liegt, ob nicht mit der Zeit selbst der Tod sterben kann?
Ja, ich denke, ich tue gut daran, dieses Wissen endlich öffentlich zu machen, auf dass das Volk sein gedankenloses Treiben aufgibt und wieder lernt, das Vergangene zu fürchten.

Lange sann Ultharan darüber nach, ob er sein Wissen dem Volk wirklich zumuten sollte. Einerseits erschien es ihm als geeignete Maßnahme, doch dann dachte er an seinen Vater. Dieser hatte ihm eingeschärft, das Volk dürfe nie von diesen Dingen erfahren. Andererseits hatte er ihn aber auch gelehrt, Griromia zu wahren und zu schützen und genau das wollte er doch nur tun.
Er dachte und dachte und kam zu keinem Ergebnis. Hinter dem Wald von Forlornhop versank die glühende Sonne, die Sterne traten ihre Herrschaft an, nur um wieder zu verblassen, das himmlische Schauspiel begann von Neuem, der König aber bemerkte es nicht. Er dachte.
Seine besorgten Diener verscheuchte er und bald kamen sie auch nicht mehr, sich nach ihm zu erkundigen.
Doch nun, endlich, glaubte er die Lösung gefunden zu haben, er würde –
Da öffnete sich mit einem hässlichen Knarren die Tür des Gemachs und seine Gedanken stoben auseinander wie Sternstaub, der sich gleichmäßig im toten Kosmos der Unentschlossenheit verteilt.
Zögernd trat Amonbell ins Zimmer. Kühl ließ er sich vernehmen: „Mein König, nur auf ein kurzes Wort –“
„Ja, was gibt es denn?“
„In sechs Tagen schon jährt sich das bestehen unserer großen Stadt zum fünfhundertsten Mal und Ihr habt immer noch keine konkreten Anweisungen gegeben, wie Ihr die Feierlichkeiten ausgerichtet haben wollt. Oder wer sich darum kümmern soll, so Ihr dies nicht selbst übernehmen wollt.“
„Deshalb störst du mich in meinen wichtigen Überlegungen, wegen eines Festes? Soll sich doch dieser verfluchte Gaukler dort darum kümmern, ich habe anderes im Sinn!“
Aus Amonbells Blick sprach nur noch eine Distanziertheit, die den Keim der Verachtung bereits in sich trug, als er antwortete: „Wie Ihr wollt.“ Schon war er wieder verschwunden.
In die leere des Zimmers hinein sagte nun der König mit leiser Stimme: „Und soll er meinen Thron gleich dazunehmen.“
Was war schon ein großer Geist, wenn er gebunden war an einen schwachen Willen? Dies denkend legte Ultharan sich auf sein Bett, um zur Decke empor zu starren und auf das Ende zu warten.

Nur von Wasser und einigen Bissen Brot nährte sich der König, der keiner mehr war in den nächsten Tagen. Als helle Fanfarenstöße ertönten, glaubte sein fiebriger Geist, dies sei nun das Ende, erst dann Begriff er: Dies war das Fest. Die Stadt wurde fünfhundert Jahre alt.
Bald drang von draußen auch ein Wechselspiel lustiger Melodien herein, vermischt mit ausgelassenem Lachen und lauten Stimmen. Unruhig begann sich Ultharan auf seinem Lager hin und her zu wälzen, erfolglos versuchte er das Lärmen der feiernden Bürger zu ignorieren. Doch nach einigen Stunden überwältigte ihn letztlich die Neugier, außerdem waren ihm die eigenen Gedanken längst zu eng geworden und so schlich er zur Tür seines Gemachs.
Ein vorsichtiger Blick auf den Korridor verriet ihm, dass auch die Wachen bei den Feierlichkeiten sein mussten, denn er fand sie völlig verwaist. Durch die widerhallenden Gänge gelangte er schließlich zu einem seitlich gelegenen Balkon, auf dessen Schwelle er innehielt. Erst jetzt erkannte er das gesamte Ausmaß des bunten Treibens: Wirklich das ganze Volk musste auf den Beinen sein, denn ein wahrliches Meer von in bunte Kleider gehüllten Leibern bedeckte die großen Plätze der Stadt. Überall wurde getanzt, wurden allerhand Späße getrieben und ausgefallenes Schauspiel zelebriert.
Der Gaukler selbst trieb es, zum Entzücken aller, am wildesten. Auf einem eigens errichteten Podest sprang er wie irr auf und nieder, schlug Purzelbäume und führte farbenfrohe Zauberkunststücke vor.
Angewidert verzog Ultharan das Gesicht und wandte sich ab. Für dieses Leben hatte er genug gesehen. Mit von Bitterkeit zerfressenem Herzen legte er sich wiederum auf sein Bett und versuchte nicht mehr zu denken.

Die Traumfetzen wurden beiseite gerissen und mit heftig pochendem Herzen fuhr Ultharan hoch. Lange Schatten leckten bereits über die Decke, ermusste einige Stunden lang geschlafen haben.
Aber was hatte ihn geweckt? Ein Geräusch? Er spitzte die Ohren.
Nein, kein Geräusch, sondern das Fehlen eines solchen. Die plärrende Musik, das aufgeregte Geschnatter und das freudige Rufen von draußen war verstummt. War das Fest etwa schon vorbei?
Nun bemerkte er, dass draußen doch noch Stimmen zu hören waren, aber nunmehr gedämpft und dann der tausendfache Widerhall von Schritten. Eine Art Umzug?
Stöhnend setzte Ultharan sich auf, gemartert von einem starken Kopfschmerz und düsteren Vorahnungen.
Die Schritte der Volksmassen waren nun lauter zu hören, sie schienen sich in eine bestimmte Richtung zu schieben. Ultharan wollte sich selbst davon überzeugen, dass ihn all das nichts mehr anging, dass er morgen schon ins Exil gehen und die Volksversammlung einen neuen König wählen konnte…
Wie hypnotisiert lauschte er weiter. Wohin strebten sie, was konnte ihr Ziel sein?
Letztlich wurde das Geräusch der Schritte wieder leiser, sie mussten sich also entfernen.
Nun hielt Ultharan es nicht länger aus, er sprang auf die Füße. Auf seinem Tisch entdeckte er die Worte und Prophezeiungen Sindees, das Buch war aufgeschlagen. Er trat näher heran und als er den Titel des ihm völlig unbekannten Kapitels bemerkte, wäre ihm fast ein Aufschrei entfahren, denn dieser lautete: Der Untergang Griromias.
Bestürzt wandte Ultharan sich zur Tür, trat auf den Korridor hinaus und wäre beinah mit einem jungen Mann der Wache zusammengestoßen, der den Gang hinunter stürmte.
„Oh, mein König ich bitte vielmals um Vergebung…“
„Ja, ja, schon gut. Aber nun sag mir geschwind, wohin sich das ganze Volk aufmacht.“
„Ja, ähm, um ehrlich zu sein, weiß ich das auch nicht genau. Der Gaukler führt den ganzen Zug und im Moment bewegen sich alle hinein ins Innere der Stadt, in die verlassenen Bereiche, wohl zum Höhepunkt des Festes. Wenn Ihr mich nicht mehr braucht, würde ich mich auch gern aufmachen, ich fürchte sie zu verlieren.“
„Na gut, dann will ich dich nicht…“
Hier war der Bursche schon um die nächste Ecke gerannt.
Ratlos blieb der König stehen. In die verlassenen Bereiche der Stadt? Wozu das? Ultharans dunkle Vorahnungen begannen nun konkreter zu werden, so er auch noch nicht wusste, worauf all dies hinaus laufe würde.
Nur gegen einen heftigen inneren Widerstand machte er sich auf, der Wache schnell und doch möglichst geräuschlos zu folgen.
Bald schon hatten sie den ausufernden Zug nahezu eingeholt. Das Singen und Johlen der Massen scholl weit durch die langen Flure und die großen Säle und sowie Ultharan der herrschenden geistlosen Euphorie richtig gewahr wurde, war es ihm, als gefröre sein Herz zu einem Klumpen Eis.
Nach einer langen Zeit endlich hatten sie die bewohnten Bereiche Griromias hinter sich gelassen und stießen vor in jenes vergessene Reich der bloßen Wände und scheinbar konfus angeordneten Stützsäulen, der Düsternis und der klammen Kühle. Während Ultharan hinter einer bröckelnden Mauer kauerte und vor Furcht und Kälte schauderte, war er einen kurzen Moment lang versucht umzukehren und die verdammte Stadt hinter sich zu lassen. Doch dann sah er den Widerschein der Fackeln und bunten Lampen an den alten Wänden, vernahm in der Ferne das schrille Kichern des Gauklers und begriff, dass dies wohl die letzte Chance in seinem Leben war, sich einmal unnachgiebig und entschlossen zu zeigen, den gewählten Weg zuende zu gehen.
Immer tiefer ging es hinab in die Verlassenheit atmenden Katakomben unter der Stadt, rutschige Wendeltreppen und knarrende Stiegen hinunter. Für einen kurzen Augenblick dachte Ultharan noch daran, dass er heute eigentlich das Heilige Feuer der Athana hätte schüren müssen und hätte fast angefangen hysterisch zu kichern, als er sich vor Augen führte, wie unpassend der Gedanke in dieser Situation war. Ab diesem Zeitpunkt gab er jedes bewusste Nachsinnen auf und fügte sich in sein Schicksal.
Ihr Weg mündete schließlich in einem Raum von geradezu zyklopischen Ausmaßen: Das gesamte Volk vermochte er zu fassen. Obwohl Ultharan ihn nie zuvor gesehen hatte, verrieten ihm der zu einer Seite ansteigende steinige Boden und die Fresken an den titanischen Wänden, wo sie sich nun befanden: Genau im Zentrum der Stadt, ein Stück unter dem; über den Höhlen der Unterweltler.
Und tatsächlich, am anderen Ende der Halle konnte er eine Anzahl großer mit eisernen Türen Portale erkennen, die umsäumt wurden von altehrwürdigen Runen.
Die Angst zerrte nun mit unwiderstehlicher Kraft an des Königs Bewusstsein, wie auch an seinem Verstand. Schon trübte sich sein Blick ein, glaubte er, das es nun um ihn dunkel werden müsse, da hörte er wiederum die krächzende verhasste Stimme des Gauklers. In der Ferne konnte er die abgerissene Gestalt erkennen, wie sie sich auf eine Säule geschwungen hatte und nun verkündete: „Volk von Griromia. Bis hierher seid ihr mir gefolgt. Ich habe euch losgemacht von den Ketten eurer Vergangenheit, habe euch freigemacht von jeder Stetigkeit und aller Moral. Nun empfangt von mir die letzte Stufe der Freiheit, da ihr euch selbst nicht mehr kennen sollt. Lasst die Zeit anbrechen, da die Menschen sich nicht mehr unterscheiden von den wilden Bestien am Anbeginn der Zeit, da sie den Großen Alten gleich werden, da die Vernunft wie auch die Welt verzehrt werden von den wütenden Flammen des ungezügelten Wahnsinns!“
Und als hätten die Menschen von Griromia die dunkle Botschaft falsch verstanden oder als hätte der Irrsinn seine Herrschaft bereits angetreten, brandete dem schwarzen Propheten ein berauschter, unwiderstehlicher Jubel entgegen, der nicht abflauen wollte, sich stetig weiter steigerte und immer mehr in wilde Raserei umschlug.
Da endlich war es Ultharan gelungen, sich durch die tobenden Massen hindurchzukämpfen. Unbemerkt hatte er das Podest erklommen und stand nun, die Arme ausgebreitet neben dem Gaukler. So laut er konnte rief er:
„Volk von Griromia! Mitbürger! Freunde! Seht ihr denn nicht…“
Doch seine Worte verloren sich im anbrandenden Geschrei wie Asche im Wind. Mit unmenschlicher Boshaftigkeit grinste ihn der Gaukler an.
Erneut wollte der König die Stimme erheben, doch da erklang bereits ein ächzendes unheilkündendes Knarren. Ultharan spürte, wie ein beißender, nach Verwesung stinkender Luftzug seine Wange streifte und mit einem Mal waren alle um ihn still.
Entsetzt wandte er sich um und entdeckte, was er in seinen schlimmsten Alpträumen nicht zu befürchten in der Lage gewesen wäre: Die mächtigen Eisentore waren aufgeschwungen und gaben den Blick frei auf ein starrendes Dunkel, das in der Wand klaffte wie eine Wunde im Fleische der göttlichen Vernunft.
Wie vergiftetes Wasser schien diese Finsternis aus den geöffneten Höhlen hervor zu quellen, das Volk, das mittlerweile erwartungsvoll zu raunen begonnen hatte, zu umspülen, doch darauf achtete Ultharan längst nicht mehr. Wie hypnotisiert starrte er auf jene unheiligen Zugänge zum Reich der Unterweltler.
Seine Nerven waren zum zerreißen gespannt, ebenso der dünne Faden, an dem sein Verstand nun noch hing – er würde reißen, sobald das Unaussprechliche und doch erwartete geschähe und ein deformierter Körper sich aus den Schatten schälen würde.
Er starrte und starrte und glaubte schon, die Angst allein würde gleich ausreichen, ihn umzubringen, doch – nichts geschah.
Und da erst begriff er, in dieser schrecklichen Sekunde wurde ihm die Wahrheit offenbar und er schrie bereits, als ihn die knochigen Hände des Gauklers noch gar nicht berührt hatten. Unbarmherzig stieß ihn der diabolische Spaßmacher nun von der Säule hinab, sodass er auf allen Vieren auf der harten Erde aufschlug.
Seines Schicksals war er sich bereits bewusst, er hätte nicht mehr aufzusehen brauchen, doch diesmal beschloss er, seinem Verhängnis ins Angesicht zu blicken – und es blickte zurück, blickte zurück aus den entstellten Mienen der irrsinnigen, böswilligen Geschöpfe, die einmal das Volk von Griromia gebildet hatten. Unförmige Klauen begannen an den Gliedern des panisch schreienden Königs zu reißen und alles, was er noch wahrnahm, war ein widerwärtiger Geruch nach räudigem Fell und blanken Schuppen und irgendwo im Hintergrund das ohrenbetäubende Lachen des Gauklers.
Als von ihrem ehemaligen König nichts mehr übrig war, als einige zertrümmerte Knochen und wenige Flecken Blutes auf dem Boden, begannen die Unterweltler auf ihre neue und alte Heimat zuzuschlurfen und zu hinken – die Höhlen am Fuße des Weltengebirges.

So endeten jäh die ruhmreichen Tage Griromias. Noch in der selben Nacht wurde die entvölkerte Stadt von wütenden Flammen heimgesucht und völlig ausgezehrt. Nicht wenige wollen heute wissen, dass dieser Brand seinen Ursprung im Tempel der Hohen Göttin Athana hatte.
Die steinerne Turmstadt wurde durch das Feuer natürlich nicht zerstört – nur einige wenige Mauern barsten tatsächlich unter der großen Hitze. Vielmehr überzog das rächende Element sie mit Ruß und Qualm, sodass sie ihr reines Weiß verlor und heute schwarz und tot, gleich einem einzelnen abgetrennten Finger, anklagend gen Himmel weist.

– Worte und Prophezeiungen Sindees​

 

Hallo Abdul!

Für so eine lange Geschichte ist die Handlung schon sehr stark in den Hintergrund gerückt. :)
Aber Kompliment: Stilistisch ist sie mMn gelungen. Nur der Inhalt schwächelt an einigen Stellen.
In der Geschichte wird viel über die Geschichte der Stadt erzählt und der König in quasi immerwiederkehrendem Zustand dargestellt. Dies zieht sich schon ein wenig und wird langweilig. Die grundsätzliche Idee und die enthaltende Kritik finde ich eigentlich nicht schlecht, aber ...
Vielleicht sollte der Blickwinkel nicht nur auf dem König liegen oder er sollte "aus Sicht des Königs mehr zeigen".
Naja, mal wieder nicht wirklich konstruktiv.

Beste Grüße

Nothlia

 

Hallo Nothlia,

Es freut mich, dass du meine etwas längere Geschichte gelesen hast. Mit deiner Kritik bezüglich der langatmigen Stellen mit dem König im Fokus hast du genau den Punkt heraus gegriffen, der mich selbst an der Geschichte am meisten stört. Die Ähnlichkeit dieser Szenen, mit dem sich nach außen abschottenden König Ultharan resultieren wohl hauptsächlich aus mangelnder Überlegung meinerseits. Ich hatte einfach so viel an Information, dass meiner Meinung nach rein musste, dass ich dem Leser aber auch nicht mit einem Mal zu Schlucken geben wollte: Die Unterweltler, die Vorgeschichte und Gestalt der Stadt, die Weltanschauung und Religion dort, etc.
Da verfiel ich eben auf die diversen Buchauszüge und damit sie einen Platz in der Geschichte bekamen, musste der König sie lesen und so... :dozey:
Das hätte man geschickter machen können und die Geschichte verdient es eigentlich, gehörig gekürzt zu werden.
Schön, dass dir der Stil zusagte.

Die grundsätzliche Idee und die enthaltende Kritik finde ich eigentlich nicht schlecht

Das freut mich besonders, denn was den Bewohnern Griromias wiederfährt, ist ja eigentlich nichts anderes, als das ultimative Ende der Spaßgesellschaft. Da befürchtete ich schon, hier von einer großen Gruppe verletzter Epikureer niedergemacht zu werden. :lol:


Gruß,
Abdul

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, Abdul,
"die Spaßgesellschaft" konnte ich in Deinem Text nicht finden, im Gegenteil. Bei mir kam folgende Geschichte an: "Das Volk von Dramania musste fliehen, fand einen schönen Ort, von dem aus es wegen des Gebirges nicht weiter fliehen konnte. Also brachten sie die Wesen um, die in Höhlen unter dem Gebirge lebten, ermordeten oder unterwarfen alle Menschen, die da lebten und bauten sich einen Wohnturm. Nach 500 Jahren hatten sie eine Kultur aufgebaut, die darauf beruhte, möglichst ernst, wenig tierisch zu sein. Sie sahen nur "schwere dramatische" Theaterstücke und verachteten Gaukler, die "die Menschen zerstreuten und verdummten, bis sie das Wesentliche aus den Augen verloren". Die Leute waren so ernst und nachdenklich, ihr König so passiv, apathisch und von den Menschen isoliert, dass die Nachkommen der Ureinwohner-Wesen leichtes Spiel hatten: sie schickten einen Gaukler in die Stadt, und die Menschen waren vom ungewohnten Lachen und Feiern so begeistert, dass sie sich unter die Stadt und in die Vernichtung locken ließen."

War das denn auch so gemeint?

Mir stellen sich viele Fragen:
Warum beschließen die Könige, nichts von überlebenden Unterweltwesen zu sagen?
Warum ist der König so passiv?
Warum beschließt er auf einmal, sich den Leuten anzuschließen?
Was sind die vielbeschworenen Tugenden der Leute von Griromia?
Soll der König genauso sein wie sein Volk, oder ist er ein Gegenbild? (Das kommt nicht raus, weil Du in keiner Szene das Leben des Volkes direkt zeigst.)
Warum lässt der König den Gaukler nicht zu sich kommen?
Was hat der Gaukler an sich, dass die Leute ihm verfallen, wenn er doch nur "schludrige Verse und kleine Possen" zu bieten hat?

Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Motive der Personen bei mir nicht ankommen. Dass viel gelesen und wenig gehandelt, wird finde ich an sich nicht schlecht, weil ich kein Action-Fan bin und gerne von gut ausgearbeiteten Welten lese. Aber dann sollte auch begründet werden, warum in dieser Kultur ein König anscheinend nichts zu tun hat, als alle neun Tage eine Flamme zu entzünden, und warum er von einer Gefahr für sein Volk weiß (Unterweltwesen) und überhaupt nichts tut, um sie abzuwenden.

Um von Epikureern gegeißelt zu werden, müßtest Du den Genuss schon ein bisschen überzeugender und direkter darstellen ;-)

Habe ich jetzt die Story falsch verstanden, oder hast Du zu wenig herausgearbeitet, um was es Dir geht?
anzim

 

Hallo anzim,

Danke fürs Lesen und Kritisieren. Es scheinen da ja eine Menge Fragen offen geblieben zu sein. Mal schauen, ob ich sie zufriedenstellend beantworten kann.
Zunächst mal zur "Spaßgesellschaft": Tatsächlich sind die Einwohner Griromias sehr ernste und irgendwie auch erhabene Menschen. Doch unter dem Einfluss des Gauklers bröckelt diese Ernsthaftigkeit schnell, sodass sie zum Zeitpunkt ihres Untergangs eben doch eine recht stumpfsinnige, vergnügungssüchtige Gemeinde sind.

Die Leute waren so ernst und nachdenklich, ihr König so passiv, apathisch und von den Menschen isoliert, dass die Nachkommen der Ureinwohner-Wesen leichtes Spiel hatten: sie schickten einen Gaukler in die Stadt, und die Menschen waren vom ungewohnten Lachen und Feiern so begeistert, dass sie sich unter die Stadt und in die Vernichtung locken ließen.

Hier besteht ein wichtiges Missverständnis: Die Unterweltler haben den Gaukler nicht geschickt. Schließlich sind sie ja keine richtigen Menschen und somit könnte weder einer von ihnen als Gaukler erscheinen, noch einen solchen anwerben. Zumal sie ja unter Griromia ruhen, dass heíßt, nur insofern es sie überhaupt noch gibt, denn: Der König ist sich ja selbst nicht sicher, ob sie noch leben. Er gedenkt sie nur als Drohung zu gebrauchen und am Ende sind es - vielleicht hast du das überlesen oder ich habe es zu undeutlich formuliert - seine eigenen Untertanen, die ihn zerreißen!

Warum beschließen die Könige, nichts von überlebenden Unterweltwesen zu sagen?

Vielleicht weil man an gewissen Dingen nicht rührt, weil auch viele echte Staaten gewisse Themen haben, die dort nicht angeschnitten werden.

Warum ist der König so passiv?

Es entspricht seinem Wesen. Zwar verfügt er über eine ausgeprägte Moral, doch ist er, gefangen in seinen hochtrabenden Überlegungen, auch ein Zauderer.

Warum beschließt er auf einmal, sich den Leuten anzuschließen?

Wahrscheinlich, weil die Zeit des Zauderns vorbei ist, als sein ganzes Volk ins Dunkel rennt und er jenes unheilkündende Kapitel aufgeschlagen sieht.

Was sind die vielbeschworenen Tugenden der Leute von Griromia?

Ich glaube, das habe ich nicht genauer ausgeführt. Ich dachte, Tugendhaftigkeit, sei gewissermaßen ein Begriff für sich, von dem jeder ein ungefähres Bld hat?

Soll der König genauso sein wie sein Volk, oder ist er ein Gegenbild?

Er ist potentiell der Edelste seines Volkes, verfügt jedoch nicht über die Tatkraft, etwas zu unternehmen, bis es zuspät ist.

Warum lässt der König den Gaukler nicht zu sich kommen?

Meinst du damit, nach der Ankunft des Gauklers? Na ja, stimmt, das schiene tatsächlich plausibel...

Was hat der Gaukler an sich, dass die Leute ihm verfallen, wenn er doch nur "schludrige Verse und kleine Possen" zu bieten hat?

Er beherrscht die Kunst der simplen Unterhaltung eben mit einer unnachahmlichen Perfektion und das Volk ist derartiges nicht gewohnt.

Irgendwie scheint das, was ich ausdrücken wollte, dich nicht erreicht zu haben. Mein Text scheint also missverständlich zu sein.

Aber dann sollte auch begründet werden, warum in dieser Kultur ein König anscheinend nichts zu tun hat, als alle neun Tage eine Flamme zu entzünden, und warum er von einer Gefahr für sein Volk weiß (Unterweltwesen) und überhaupt nichts tut, um sie abzuwenden.

Hier eben wieder das alte Missverständnis: Der König weiß keinesfalls von einer akuten Bedrohung. Die Unterweltler leben (wo er sich ja auch nicht sicher ist) bereits fünfhundert Jahre dort unten und bislang ging es gut. Er sieht hier keinen Zusammenhang zu dem Gaukler.

Um von Epikureern gegeißelt zu werden, müßtest Du den Genuss schon ein bisschen überzeugender und direkter darstellen ;-)

Das war ja nicht meine Absicht, sondern bloß meine Befürchtung. ;)

Danke nochmals für die Kritik.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul,
ich habe mich auch gerade durch die Geschichte gerungen. Die Botschaft, die dahintersteht, ist tatsächlich bei mir auch erst nach dem Lesen der Kritiken angekommen...
Du sagst, du möchtest eine edle Hochkultur beschreiben, die den Spaß verlernt hat. Dies ist bei mir nicht wirklich angekommen, zwar habe ich durchaus den König als verwirrten Bücherwurm verstanden, aber seine Entfremdung vom Volk habe ich erst bemerkt, als sein Berater ihn darauf ansprach. Das Ende habe ich auch so verstanden wie mein Vorkritiker, nicht so, dass die Bürger ihren König umbringen - warum sollten sie auch? Was genau hat der Gaukler mit ihnen getan?

Generell muss ich sagen, der Zugang zur Geschichte bleibt mir leider verwehrt...

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo, Abdul,
danke, dass Du meine Fragen so ausführlich beantwortet hast!
Ich muss aber gestehen, dass mir die innere Logik Deiner Geschichte mit den Erklärungen noch weniger einleuchtet als vorher. Wenn die Unterweltwesen den Gaukler nicht geschickt haben, warum kämpft er sich dann durch den undurchdringlichen Wald und lockt die Menschen in die Tiefe der Stadt?
"Tugenden" wurden je nach Zeit und Gesellschaft schon sehr unterschiedlich gesehen. Ich zum Beispiel halte es für tugendhaft, Balance im Leben anzustreben, zwischen Reflektion und Handlung, Ernsthaftigkeit und Lachen ;-) Meine Lieblingsdefinition ist von Thomas von Aquin: "Tugend ist, was es leichter macht, zu leben."
Was sind für Dich "erhabene" Menschen?
Wenn Du die Geschichte noch mal überarbeiten willst, würde ich Dir empfehlen, das Thema und den Handlungsfaden für Dich zu formulieren, um zu überprüfen, ob Du wirklich das schreibst, was Du ausdrücken willst.
Herzliche Grüße von anzim

 

Salam Abdul

Ich muss sagen, dass es mir - von einigen bereits erwähnten Längen - sehr gut gefallen hat. Stilistisch dicht und ideenreich, so muss es sein:thumbsup:.

Was den Plot angeht wäre meine erste Deutung gewesen:

Die Bewohner Griromias sind in Wahrheit verwandelte, zur "Tugend" gelangte Unterweltbewohner und um diesen Fakt geheim zu halten, wurde für die Bücher die Geschichte mit der Vertreibung und der Flucht durch den Wald erfunden. Durch den unheiligen Einfluss des Gauklers kehren die Griromianer dann schließlich zu ihrer tierischen Form zurück

Doch anscheindend ist es ja doch nicht so gemeint:dozey: (obwohl ich's irgendwie cool finde).

Regt auf jeden Fall zum Grübeln an, also bin ich mir auch gar nicht so sicher, ob du da mehr Klarheit schaffen solltest oder nicht.
Sorry für die Unentschlossenheit:shy:.

Liebe Grüße
omno

 

Hallo omnocrat,

Da bin ich natürlich erleichtert, dass die Geschichte doch noch jemandem gefallen hat. Danke fürs Lesen.
Das Hauptproblem der Geschichte ist wohl in der Tat, dass ich zu sehr von meiner Sichtweise und meinen Gedanken ausgegangen bin. Der Leser kann natürlich an vielen Stellen nicht ahnen, was ich meine oder wo der tiefere Sinn einer Szene, beziehungsweise des gesamten Plots, steckt. Deshalb will ich, statt einzeln auf eure Kritiken einzugehen, mal versuchen, noch etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen und eure Fragen dabei zu berücksichtigen.
In diesem Sinne auch noch vielen Dank an vita fürs Lesen und Kritisieren und an anzim für die Rückmeldung.

Das Ende habe ich auch so verstanden wie mein Vorkritiker, nicht so, dass die Bürger ihren König umbringen - warum sollten sie auch? Was genau hat der Gaukler mit ihnen getan?

Die Antwort hierauf gibt eigentlich omnocrat:

Die Bewohner Griromias sind in Wahrheit verwandelte, zur "Tugend" gelangte Unterweltbewohner und um diesen Fakt geheim zu halten, wurde für die Bücher die Geschichte mit der Vertreibung und der Flucht durch den Wald erfunden. Durch den unheiligen Einfluss des Gauklers kehren die Griromianer dann schließlich zu ihrer tierischen Form zurück

Doch anscheindend ist es ja doch nicht so gemeint (obwohl ich's irgendwie cool finde).


Denn so ähnlich ist es gemeint. Zwar sollten die Einwohner Griromias tatsächlich von jeher Menschen sein, doch war meine Idee im Prinzip die gleiche. Dafür muss ich ein wenig ausholen.
Bei der Geschichte ging ich nämlich von gewissen Überlegungen über das Wesen des Menschen und der Zivilisation aus (und es steht jedem fei diese Philosophie für fragwürdig oder einfach plemplem zu befinden :D). Nach diesen sind die Menschen nichts weiter als dies: In ihrem natürlichen Zustand, so wie Gott sie schuf, wilde Tiere von einiger Bosheit, eigentlich völlig zwecklos und nichts Besonderes. Das einzige, was sie von wirklichen Tieren oder gar bloßen biologischen Maschinen unterscheidet ist etwas, dass man als "göttlich" oder im Sinne der Geschichte als "Fähigkeit zur Zivilisation" bezeichnen könnte. Also die Möglichkeit, sich über die eigene Wertlosigkeit zu erheben, Kultur zu schaffen und das, was ich in der Geschichte als Tugenden bezeichne, auszuleben.
So wie diese Gabe ihnen jedoch zu eigen ist, so bleibt auch das tierische Element stets erhalten, der Mensch kann immer in tumbe Barbarei zurückfallen. Und wenn Zivilisation, also etwas, das die Menschen gemeinsam erreichen müssen, das "Göttliche" ist, so ist blanker Egoismus und Eigensinn eben jene animalische Seite. Indem sich die Menschen Griromias von dem Gaukler ablenken lassen, ihre Kulthandlungen und Traditionen vergessen, fallen sie der Barbarei anheim und verfallen zurück in ihren natürlichen, rohen Zustand - hier dargestellt als Unterweltler. Es ist also anzunehmen, dass die Unterweltler, die einst besiegt wurden, auch Menschen waren.
Aber darauf kannn der Leser natürlich so gut wie nicht kommen. (Wie mir nun klar ist.)

Dass Ultharan allerdings von seinen Untertanen ermordet wird, wird im Text meiner Meinung nach ersichtlich, wenn man genau liest.

Seines Schicksals war er sich bereits bewusst, er hätte nicht mehr aufzusehen brauchen, doch diesmal beschloss er, seinem Verhängnis ins Angesicht zu blicken – und es blickte zurück, blickte zurück aus den entstellten Mienen der irrsinnigen, böswilligen Geschöpfe, die einmal das Volk von Griromia gebildet hatten.
Das ist zum Beispiel der deutlichste Hinweis.

Wenn die Unterweltwesen den Gaukler nicht geschickt haben, warum kämpft er sich dann durch den undurchdringlichen Wald und lockt die Menschen in die Tiefe der Stadt?
Der Gaukler an sich ist kein menschliches Wesen. Er könnte wohl ein Dämon, ein böser Geist oder ähnliches sein, doch entscheidend ist, dass er so zu sagen die niederen Wünsche und Eigenheiten der Bewohner Griromias verkörpert. Er ist, wenn man so will, der wandelnde Untergang einer Zivilisation aus sich heraus. Der Wahn der spätrömischen Kaiser, die Dekadenz der altgriechischen Polis, der extreme Nationalismus der Deutschen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg - all das ist der Gaukler, auch wenn er in den genannten Epochen eine andere Gestalt angenommen haben mag. Das tierische Element, das sich Bahn bricht.

Insgesamt kann man die Geschichte auch als Seitenhieb auf unsere heutige amerikanisierte, hyperindividualisierte Egogesellschaft verstehen. Muss man aber nicht.

So, ich hoffe, jetzt sind alle Klarheiten beseitigt. ;) Sollten noch Fragen bestehen oder ich etwas vergessen haben, immer her damit.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul,

vom Schreibstil her hat mir deine Geschichte größtenteil Freude bereitet. Leider hältst du deinen recht antik anmutenden Stil nicht ohne Schwächen durch, aber gefallen hat er mir alles in allem trotzdem.
Die Geschichte selbst... Hm. Anfangen tut sie stark, und ich war beim Lesen wirklich gespannt, worauf das ganze wohl hinausläuft. Vertriebenes Volk, Hiochkultur, dunkles geheimnis, brütender König, unheimlicher Fremder in Gauklergewand... All das sind spannende Elemente.
Leider finde ich dann das Zusammenspiel selbiger ziemlich enttäuschend.
Mir stellten sich ähnliche Fragen wie anzim und weitere.
Das du die Antworten alle außerhalb der Geshcichte bietest, spricht aber leider nicht für die kg. Diese Fragen dürften nicht in dieser Gewalt auftauchen, sondern sich im Text klären. Das tun sie jedoch leider nicht zu genüge.
Es liest sich so, als hättest du selbst nciht so recht gewusst, wie du das ganze zum Ende auflösen solltest.
Das finde ich wirklich schade, denn hier verwirkst du dein Talent.

Weitere kleinlichere Aspekte:
Deine Namen sind etwas zu wirr. Forlornhop klingt überdies ziemlich alber, im Sinne von unfreiwillig komisch. Nicht günstig gewählt.

Einige Dreher sind drin, wie:

sie lebte fort und die Gegenwart war ihr Werk und ihre Inkarnation
müsste andersrum oder "und" weg.
Ja, wie dürfen sie nicht gering achten, was?“, fragte er nun grüblerisch laut.
das ergibt leider einen anderen (un)sinn als du auszudrücken gedachtest ;)

ein heißes Getränk von dunkler Farbe, gewonnen aus der Wurzel des Arzyl-Baumes und von einem Geschmack, an den zu denken allein Amonbell Übelkeit bereitete.
„Nun Amonbell, mit wem haben wir es denn zu tun?“
Und so begann Amonbell seine seltsame Erzählung.
deine Vorliebe für schräge Namen. Kann weg, spielt keine Rolle. Solche Stellen ziehen die kg unnötig in die Länge.
Außerdem Worthäufung

Bald hatten die beiden Reiter eine rechte Mühe damit, etwas an brauchbarer Information aus dem Fremden heraus zu bekommen, denn immer zu antwortete er nur mit kindischen Scherzen, in ungeschickten Reimen oder aber auf höchst sonderbare Art und Weise.
das ist doch schon sonderbar. unnötig gedoppelt

sich seinen Weg durch die Menschenmassen zu erkämpfen
will nicht passen, du bietest ja eher ein Bild, als schwimme er durch die Menge

Dieser verneigte sich noch einmal schnell und schlüpfte dann durch die Tür hinaus.
beide attribute passen nicht zu einem greis

Dieser hatte nun offenbar genügend Mut gefasst, in seiner Rede fortzufahren und tat dies, indem er auf das offen vor Ultharan liegende Buch deutete und dabei das Gesicht zu einer angewiderten Fratze verzog: „Weiter fürchte ich, dass eben solch verschrobene Werke an dieser Entfremdung mit schuld sind. Worte und Prophezeiungen Sindees… Ein Werk obskuren Inhalts, von dessen Autor man nicht einmal weiß, ob er noch lebt und im Verborgenen an eben diesem Buche weiterschreibt – ständig pflegen ja, andere Ausgaben zu erscheinen – oder ob er vielleicht schon seit hundert Jahren tot ist. Nicht einmal sein Name ist bekannt, geschweige denn, wer oder was denn dieses Sindee sein soll! Ob es überhaupt sein soll oder nicht gar nur die fiebrige Fantasie eines kranken Geistes ist!
Und weiter muss ich fragen – ohne eure Aufrichtigkeit in Zweifel ziehen zu wollen – kann denn dies ein guter König sein, der solch verworrenem Denken, wie es hier gelehrt wird“, wieder machte er eine heftige Geste in Richtung des Buches, „eher glauben schenkt, als den einfachen Herzen seiner Mitmenschen? Der jenen Mitmenschen, nach annähernd fünfhundert Jahren der Selbstdisziplin und des Sich-im-Zaume-Haltens, immer noch die kleinste ausgelassene Blödelei und das bescheidenste Vergessen verwehren will?
Nein, ich weiß sehr wohl, dass ihr kein schlechter König sein wollt und grundeigentlich sein müsst. Ganz im Gegenteil, Euch zieht es zu Stärke und Edelmut und mehr als in jedem Andern den ich kenne, stecken in Euch die Anlagen, diese hehren Ziele auch zu erreichen. Doch um eins muss ich Euch bitten, dass Ihr wohl noch zu lernen habt: Vergesst vor hohem Ideal den Menschen nicht.“
diese Passage kommt arg reingehämmert. Das könntest du subtiler einbauen. So wirkt es sehr aufgesetzt. Außerdem kommt das recht spät

so in seiner Ehre angegriffen, entgegen seinem sonst so ruhigen Naturell aufspringen
das erste so könntest du durch solchermaßen ersetzen, klänge schöner

Ein richtiger Bruch kommt für mich stilistisch gesehen (aber auch Inhaltlich) a dem Punkt, als der König erwacht und sich der Prozession anschließt.
Ab da sind die Sätze ungeschliffener und inhaltlich finde ich die Lösung zu beliebig.

Ich hoffe du siehst das nicht als Totalverriss. Dafür würde ich mir nicht eine solche Mühe machen. Ich denke nur, dass du den Text noch mal überarbeiten solltest, ihn klarer machen. Und das Ende umschreiben :D

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer,

Danke für dein Interesse und deine Kritik. Ja, die Geschichte ist so wie sie dasteht wirklich ziemlich undurchschaubar. Mein Fehler war eben, zu vernachlässigen, dass die meisten Leser nicht Gedanken lesen können. Die Antworten auf all die Fragen müssten natürlich im Text stehen.
Aber

Das finde ich wirklich schade, denn hier verwirkst du dein Talent.
immerhin gestehst, du mir ein gewisses Talent zu. :D Danke.

Deine Namen sind etwas zu wirr.
Namen sind auch so eine Schwäche von mir... Selbst wenn ich Protagonisten in Nicht-Fantasy-Geschichten normale Namen geben muss, bin ich schon auf Namenslisten auf Wikipedia angewiesen. Bei Forlornhop kommt es aber glaube ich darauf an, wie man den Namen liest, ob er komisch oder halbwegs erträglich ist. Forlornhop mit "hop" wie bei Hip Hop klingt natürlich beknackt, aber mit einem langen "o" Forlornhoop geht es, oder?

Ein richtiger Bruch kommt für mich stilistisch gesehen (aber auch Inhaltlich) a dem Punkt, als der König erwacht und sich der Prozession anschließt.
Der Bruch ist da, stimmt. Meine Absicht war es, erzählerisch etwas an den König heran zu rücken und ein wenig "Zeigen statt Erzählen" zu betreiben. Simpler sind die folgenden Passagen dann schon, aber wirklich schwach finde ich sie nicht. Vielleicht Geschmackssache?

Auch muss ich sagen, dass ich das Ende nicht schlecht finde, nein, sogar folgerichtig. Zumindest, wenn man meine Erklärungen gelesen hat. ;)

Danke nochmals, der von dir aufgelisteten Fehler werde ich mich annehmen.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul nochmal,

Forlornhop mit "hop" wie bei Hip Hop klingt natürlich beknackt, aber mit einem langen "o" Forlornhoop geht es, oder?
nun ja, vielleicht ein bisschen, dennoch kommen da andere Assoziationen auf, als jene der Art, die du eigentlich im Rahmen einer Fanbtasy_Geshichte heraufbeschwören möchtest, denke ich. Außerdem kannst du nicht voraussetzen, dass die Leser das o lang lesen ;)
Mein Tipp bleibt: Suche dir einen anderen Namen aus.

Vielleicht Geschmackssache?
das ist es wohl immer irgendwo ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo again weltenläufer,

Mein Tipp bleibt: Suche dir einen anderen Namen aus.
Wahrscheinlich ein guter Tip. Mal sehen...

Vielleicht Geschmackssache?

das ist es wohl immer irgendwo
Finde ich nicht... vieles ist auch einfach Mist, weniges einfach gut. ;)


Gruß,
Abdul

 

Hallo, Abdul,
nachdem ich Deine Anmerkung vom 23.5. gelesen habe, muss ich mich doch noch mal melden: mich hat Deine Geschichte sehr wohl gefesselt, ich habe sie gerne gelesen - sonst wären mir ja nicht so viele Fragen dazu eingefallen. Anscheinend habe ich auch nicht rübergebracht, was ich sagen wollte ;-))
Auch wenn ich philosophisch absolut nicht Deiner Meinung bin (kein Tier verhält sich so barbarisch wie Menschen; ich denke, dass Menschen sich erst dann zivilisiert verhalten, wenn ihr "animalischen" Bedürfnisse erfüllt sind), finde ich, dass Deine Geschichte es wert ist, dass Du sie noch mal überarbeitest und das, was Du jetzt in den Anmerkungen geschrieben hast, besser herausarbeitest. Ich würde mich auf eine zweite Version freuen!
anzim

 

Grüß dich anzim,

tatsächlich hatte ich deine Kritik etwas negativer aufgefasst, als sie dann wohl gemeint war. Freut mich, dass ich mich geirrt habe. ;)
Aber die Mängel der Geschichte sind natürlich vorhanden. Eine Überarbeitung der Geschichte heiße hier aber wohl eine Grunderneuerung und wie ich mich kenne wird es ewig brauchen, bis ich mich dazu aufraffen kann. (Wenn überhaupt...) :(
Ich hoffe bloß, dass ihr mir diese Faulheit nicht als Geringschätzung für eure Arbeit an der Geschichte auslegt, denn die Kritiken haben mir wirklich sehr weiter geholfen.


Gruß,
Abdul

 
Zuletzt bearbeitet:

Aloha!

Nun hat es ja eine lange Weile gedauert, bis ich mich dazu aufgerafft habe, auch ein paar Worte über Deine Erzählung zu verlieren und einer der Gründe war sicherlich auch, dass ich die Hoffnung hegte, dass Du vielleicht noch ein Mal nachlegst und die Zeit für Glättungen und Fehlerkorrektur findest. Da ich dazu aber auch schon mal ewiglich brauche, ist das keine Kritik, sondern lediglich der Wink mit dem Brückenpfeiler. ;) Außerdem fand ich es angemessen, die komplexe Erzählung mehrfach zu lesen.

Denn: Sowohl die grundsätzliche Idee, als auch das Szenario gefallen mir sehr gut. Leider gibt es – die bereits aufgeführten logischen Fehler – in Gestalt des Gauklers, der den Unterweltlern zuarbeitet, ohne dass ein eindeutiger Zusammenhang besteht bzw. beabsichtigt gewesen wäre. Da in der Gestalt des Gauklers aber einer der Dreh- und Angelpunkte der Erzählung besteht, ist es auf eine gewisse Weise unbefriedigend, denn es entsteht ja gerade der ungewollte! Eindruck, dass der Gaukler quasi im Auftrag der Unterweltler handeln würde. Das Zaudern des Königs, die hintergründige Melancholie finde ich schon recht gelungen – mit der Abschottung käme aber das persönliche Zwiegespräch natürlich auch noch in Frage und würde die innere Zerrissenheit verdeutlichen. Entgegen vorigen Kommentaren sehe ich nicht, dass die Abschottung und Entfremdung vom Volk nicht rüberkommt – dass hat sich mir ausreichend erschlossen. Kommt der König nicht ein Mal auf die Idee, die Göttin Athana in ihrem Tempel um Rat zu ersuchen? Passender Ort für ein Zwiegespräch …

Das Amoralische einer Gesellschaft am Spaß festzumachen – zumindest oberflächlich, in der Erzählung geht es ja deutlich weiter – kritisiere ich grundsätzlich inhaltlich, aber es ist deine Geschichte. ;)

Ich habe wirklich lange dran gesessen und überlegt, ob mir der Gaukler als Inkarnation der Oberflächlichkeit nicht zu kurz kommt, kam aber zu dem Ergebnis, dass es so, wie es da steht absolut ausriechend ist. Gefallen haben mir die Auswirkungen, die sein treiben auf die Gesellschaft haben – bedauerlicherweise erfahren wir nichts darüber, welche negativen Auswirkungen dies wirklich hat. Das kann ich mir zwar ausmalen, aber es fällt nicht ein Wort in der Sache … Wenn sie nur noch mit Faxen und Festivitäten beschäftigt sind, werden sie wohl kaum noch Zeit für andere Dinge aufbringen. Das sie Kunst und Kultur vernachlässigen mag ja sein, aber ob dies wirklich der Untergang des griromischen Turms bedeutet?

Da es sich um keine Action-lastige Erzählung handelt, finde ich den grundsätzlichen Stil gelungen – an einigen wenigen Stellen (Die wurden so weit bereits genannt, wenn ich das richtig sehe …) wird es holprig und Du verlässt den ‚altmodischen’ Stil, den ich persönlich sehr mag. Es sind noch immer eine Reihe von Fehlern, die ein Korrekturprogramm aufdecken würde in der Erzählung und die bereits herausgearbeiteten Stolperchen könntest Du in dem Zusammenhang dann auch schon mal mit bereinigen, denn sowohl inhaltlich wie stilistisch hat die Geschichte großes Potenzial und es wäre wirklich schade, wenn Du Dich nicht noch einmal dransetzen würdest.

Ach ja ... bei der Durchnummerierung der Könige hat ein ejder im Schnitt nur 16 Jahre regiert. :p

shade & sweet water
x

 

Hallo xadhoom,

Zunächst mal, danke für dein Interesse an meiner Geschichte.
Bis ich hier noch mal nachlege werden wohl wirklich Äonen vergehen, denn die Sache ist, dass ich mich zum Geschichten(um)schreiben nicht zwingen kann - dabei käme nur Mist heraus. Und bislang hatte ich von mir aus einfach noch keine Lust, die Geschichte von Grund auf zu sanieren. Obwohl sie es nötig hätte.

Es ist aber auch eine verteufelte Geschichte. Eine nämlich, die schlicht sehr schwer zu schreiben ist - ich jedenfalls habe das wohl nicht zufriedenstellend geschafft. Bei jeder neuen Kritik merke ich, dass es mir nicht einmal gelungen ist, meine Grundideen zu vermitteln. Zum Beispiel schreibst du:

Leider gibt es – die bereits aufgeführten logischen Fehler – in Gestalt des Gauklers, der den Unterweltlern zuarbeitet, ohne dass ein eindeutiger Zusammenhang besteht bzw. beabsichtigt gewesen wäre.
Ich hatte mir durchaus einen Zusammenhang zwischen Gaukler und Unterweltlern gedacht. Dass die Unterweltler nämlich selbst nur die degenerierten Überbleibsel eines älteren Volkes sind (am Ende wird das Volk von Griromia schließlich auch zu Unterweltlern - was aber auch nur jeder zweite Leser erkennen kann ;) ) und der Gaukler nicht aus Fleisch und Blut ist, sondern gewissermaßen die personifizierte Dekadenz. Eine Art Mephisto für dieses sittsame Volk.

Das Amoralische einer Gesellschaft am Spaß festzumachen – zumindest oberflächlich, in der Erzählung geht es ja deutlich weiter – kritisiere ich grundsätzlich inhaltlich, aber es ist deine Geschichte.
Schließlich sollte das Amoralische der Geschichte auch nicht der Spaß an sich sein, sondern die ungezügelte Vergnügungssucht, die über allem anderen steht. Hat auch niemand so heraus gelesen. :Pfeif:

Ach ja ... bei der Durchnummerierung der Könige hat ein ejder im Schnitt nur 16 Jahre regiert.
Ich habe gewusst, dass da noch jemand nachrechnen wird! Als ich das festlegte hielt ich 16 Jahre für gar nicht so verkehrt. Aber jetzt habe ich mal die durchschnittliche Regentschaftszeit eines preußischen Königs überschlagen und die liegt wohl auch über 20 - trotz Drei-Kaiser-Jahr und Abdankung von Willy Zwo. Muss ich also anpassen.

Kommt der König nicht ein Mal auf die Idee, die Göttin Athana in ihrem Tempel um Rat zu ersuchen? Passender Ort für ein Zwiegespräch …
Das ist wirklich eine sehr gute Idee, würde Abwechslung rein bringen. Ist notiert...

Danke noch mal für die hilfreiche Kritik!


Gruß,
Abdul

 

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