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Der gute Vitri

Monster-WG
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04.03.2018
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Der gute Vitri

An einem Sommermorgen verschwand mein kleiner linker Zeh. Es war nicht so, dass er sich infolge einer Verletzung oder eines anderen schmerzhaften Prozesses verabschiedet hätte. Vielmehr bemerkte ich sein Fehlen zufällig beim Duschen. Ich sah das schrumpelige graue Ding noch im Strudel über dem Abfluss kreiseln, dann war es weg. Die Haut an der Stelle, wo er fehlte, war nicht einmal gerötet, sie war glatt. Als ich mit dem Finger darüberstrich, spürte ich ein feines Prickeln, eine ungewohnte Irritation, die gut auszuhalten war.
Die Einschränkung hielt sich zunächst in Grenzen. Das Fehlen des Zehs behinderte mich nicht beim Gehen, dazu kam es erst später, als die anderen Zehen ebenfalls verschwanden. Von einem schleichenden Prozess zu sprechen, mag angesichts der deutlichen Vorfälle unpassend erscheinen. Dennoch geschah die Ablösung weiterhin schmerzfrei und das beiläufige Auffinden der Mehrheit von ihnen an unerwarteten Plätzen erweckte den Eindruck, die Zehen würden sich der Reihe nach wegschleichen. Nachdem sich der letzte davongemacht hatte, erwartete ich, die Flucht der Körperteile hätte ein Ende gefunden. Und so verspürte ich trotz der Malaise eine gewisse Erleichterung – wenngleich es mir ab dem Zeitpunkt nicht mehr gelang, die Veränderungen zu kaschieren.
Das mag an meiner merkwürdigen Art zu gehen gelegen haben oder an den Krücken, ohne deren Hilfe ich nicht mehr von der Stelle kam. Herr Nachbar meinte jedenfalls, ein orthopädischer Schuhmacher könne da helfen, die wären solche Fälle gewohnt. Ich dürfe mich nicht so hängenlassen und müsse ein wenig Übung in die Arme investieren. Bestimmt sei da noch Einiges zu holen.
Bevor es dazu kam, fielen die Füße ab und ich tauschte die Krücken gegen einen Rollstuhl. Ich kann nicht sagen, dass ich ausschließlich traurig war, denn das Humpeln war zuletzt doch sehr schmerzhaft gewesen.
Den Gebrauch der Räder hatte ich schnell erlernt und fand manch Freude an der neuen Art der Fortbewegung, doch blieb es insgesamt eine kräftezehrende Angelegenheit. Auf mein Inserat in der lokalen Zeitung hin meldete sich Vitri, der das fortan stundenweise für mich übernahm. Wir kamen richtig gut miteinander aus, was wohl auch der Grund dafür war, warum der Vitri meinen abgestorbenen Unterschenkel ohne Murren aus dem Bett entfernte. Ehrlich gesagt roch der schon ein wenig, was dem Vitri nichts auszumachen schien.
Fortan legten wir eine Decke über die Beine, sobald wir das Haus verließen, was dazu führte, dass wir den zweiten Unterschenkel beinahe unbemerkt im Park verloren. Ohne das Holpern, als der Reifen darüberfuhr, wäre uns das durchgegangen. Dem Vitri übergab ich am Ende des Tages einen Bonus, weil er das stinkende Etwas ohne Zögern in die Büsche geworfen hatte.
Die Oberschenkel ließen noch einige Wochen auf sich warten. Nach einem heißen Bad im späten Herbst lagen sie friedlich nebeneinander im knisternden Badeschaum, der zurückblieb, nachdem ich das Wasser abgelassen hatte.
Den letzten Rest der Beine zu verlieren, war nicht weiter tragisch. Dem wohnte etwas Befreiendes inne, als würde Ballast von mir genommen. Der Vitri erfand sogar eine Methode, mich im Rollstuhl zu polstern und den Oberkörper zu fixieren, damit ich ohne Beine aufrecht sitzen konnte. Herr Nachbar meinte dazu, das wäre lösungsorientiert und bewundernswert, er hätte uns diesen Erfindungsreichtum nicht zugetraut. Zur Bestätigung nickte ich und verwies bescheiden auf Vitri, dem das die Röte in die Wangen trieb.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der gute Vitri seine Einsätze von stundenweise auf ganztägig aufgestockt, was in seinem Fall acht Stunden bedeutete. Natürlich kamen Amt und Kasse zur Hilfe und übernahmen nicht nur sein Salär, sondern ebenfalls das seiner Kollegen für Nächte und Wochenenden. Doch ehrlich gesagt versorgte mich niemand von ihnen so gekonnt wie der Vitri. Selbstverständlich musste er sich erholen können, das mit mir anzusehen, war schon schwer für ihn. So bin ich mir sicher, das Abfallen der ersten Hand hat ihn ärger getroffen als mich, zumal der Hund vom Herrn Nachbar sofort zuschnappte und geräuschvoll die Knochen zermalmte. Durch beharrliches Zureden meinerseits hatte der gute Vitri seine Nerven nach einer Weile so weit im Griff, dass er weiterarbeiten konnte.
Ohne Hand geriet das Schieben des Rollstuhls zur Unmöglichkeit und da nun meine Schreibhand fehlte, konnte ich mit der anderen nur noch kritzeln, was mir auf Dauer als unbefriedigend aufstieß. Richtig anstrengend wurde es dazu nach dem Abfallen der mittleren drei Finger der zweiten Hand. Das Halten des Stiftes wurde zur regelrechten Tortur. Somit war ich nicht sonderlich betroffen, als der kleine Finger zuletzt vor dem Bett lag. Eine Weile noch konnte ich dem guten Vitri Daumen hoch signalisieren, dann hatte sich auch das erledigt.
Eines Nachts habe ich davon geträumt, mit einer Hand einen Fuß kratzen zu müssen und bin schweißgebadet aufgewacht. Ich fand es regelrecht erhebend, das im wachen Zustand ausschließen zu können.
Das Prickeln in den Stümpfen wurde erträglicher, als mir beide Arme den Laufpass gaben. Diesmal war der Hund des Herrn Nachbar nicht anwesend, was für Vitris Nerven ein regelrechter Glücksfall war. Seitdem ist der gute Vitri mit Schieben, Versorgen und den Diktaten rund um die Uhr ausgelastet, wenn nicht gar überlastet. Nie beklagt er sich, allein seine Augenringe zeigen, dass er nachts keine Ruhe findet. Doch auch in dieser Hinsicht ist ein Ende absehbar, denn jetzt warte ich darauf, dass der Kopf abfällt, weil er längst überfällig ist. Um den Torso soll er kein großes Gewese veranstalten, habe ich dem guten Vitri gesagt, um ihn wegen seiner Tränen zu trösten. Und er solle bloß den Kopf nicht hängen lassen. Vorsorglich diktiere ich ihm gerade ein herzliches Adieu, denn die Erfahrung zeigt: Das Ziehen im Nacken sollte ich ernst nehmen.

 
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Hallo @linktofink ,

:lol: wie cool ist das denn, so am frühen Morgen zum ersten Kaffee? :D

Hehehe, ich hab mich köstlich amüsiert, das ist einfach fluffig und leichtläufig geschrieben, aber eben absolut nicht flach.

Das mag an meiner merkwürdigen Art zu gehen gelegen haben oder an den Krücken, ohne deren Hilfe ich nicht mehr von der Stelle kam.
Ich dürfe mich nicht so hängenlassen und müsse ein wenig Übung in die Arme investieren. Bestimmt wäre da noch Einiges machbar.
Fortan legten wir eine Decke über die Beine, sobald wir das Haus verließen, was dazu führte, dass wir den zweiten Unterschenkel beinahe unbemerkt im Park verloren. Ohne das Holpern, als der Reifen darüberfuhr, wäre uns das durchgegangen.
Moa ... *umarm-smiley*
Der Herr Nachbar meinte dazu, das wäre lösungsorientiert und bewundernswert, er hätte uns diesen Erfindungsreichtum nicht zugetraut. Zur Bestätigung nickte ich und verwies bescheiden auf Vitri, dem das die Röte in die Wangen trieb.
So süß! Muarharhar.

Und er solle bloß den Kopf nicht hängen lassen.
:lol: That's the spirit!

Nur zwei Kleinigkeiten / Vorschläge:

nachdem ich das Wasser abließ.
abgelassen hatte
An einem Morgen im Sommer verschwand mein kleiner linker Zeh.
Schöner Einstieg, es ginge sogar noch flotter, ohne irgendwas zu verlieren: An einem Sommermorgen verschwand ...

Hübsche Geschichte, habs sehr gern gelesen, weil ich so einen trockenen, fake-naiven Humor sehr gerne lese (Paasilinna machte das auch gern), das sind so meine Ausnahmetexte in dieser Sparte. Ist auch genau die richtige Länge, weil ja schnell klar ist, worauf es hinausläuft - und eben hier sind die speziellen Formulierungen toll, die das mehr als ausgleichen.

Sonnige Grüße,
Katla

 

wie cool ist das denn, so am frühen Morgen zum ersten Kaffee?
Hab ich mich auch gefragt, liebe @Katla, als ich deinen schnellen Komm. las. Danke dafür, für die Lieblingsstellen, die Zusprache und überhaupt.
Erste Stelle hatte ich schon rausgefischt, den Sommermorgen baue ich noch ein, merci.

Peace, keep the spirit :naughty:

 

Hey @linktofink,

ich hab's zum Einschlafen gelesen, und wie's scheint ebensoviel Spaß gehabt wie Katla. Der lakonische ton, die bizarre Geschichte - und mittendrin die drei völlig hinreichend skizzierten Figuren positiv denkender Erzähler, gestrenger Herr Nachbar und der wirklich ganz besonders gute Vitri.
Dankeschön!
Eine Stelle hat mich allerdings etwas herumgewirbelt und aus dem Lesefluss geworfen, nach:

Von einem schleichenden Prozess zu sprechen, wäre angesichts der deutlichen Ereignisse unpassend, dennoch fühlte es sich an, als würden die Zehen der Reihe nach davonschleichen.
... das muss ich kurz einschieben, fand ich sehr lustig. Bin allerdings auch ein gut abgehangener Muppet-Show-Fan...
also DANACH:
Nachdem der letzte abgefallen war, erwartete ich, die Flucht der Körperteile habe ein Ende gefunden.
Ich bin mir nicht sicher, dass dieser Konjunktiv so funktioniert. Leider bin ich so gar kein Grammtiktier!
Zunächst ist es m.E. ungewöhnlich, zu erwarten, dass etwas bereits geschehen ist. Ich erwarte, er habe etwas getan: geht vielleicht noch gerade. Aber in der Vergangenheit? Ich erwartete, er hätte es getan. Mein Vorschlag: Friedrichard:D fragen oder eine einfache Lösung, à la: ich ging davon aus, ich nahm an, dass; ich war sicher: die Flucht der Körperteile hatte ein Ende gefunden o.ä.
In die Trauer über den Verlust mengte sich trotz der Folgen eine gewisse Erleichterung, die sich ebenfalls schnell verflüchtigen sollte.
Da war ich kurz verwirrt, denn von den Folgen wusste ich ja noch nichts. Also vielleicht erst das Krumgehen erwähnen, mit dem positiven Aspekt, dass immerhin der lästige Abwurf von Körperteilen nun ein Ende hat etc.

Aber das ist Krimskrams im Vergleich zum gehabten Spaß.
Viele Grüße zur Nacht
La Placidus

 

Hallo @linktofink

lustige Idee, die mich ein wenig an "Insel der verlorenen Erinnerung" von Yōko Ogawa erinnert hat, dieses einfache Verschwinden, dieses Hinnehmen.
Nur eines ist mir ins Augen gefallen:

Das Schieben der Räder hatte ich schnell raus und fand manch Freude an der neuen Art der Fortbewegung, doch bleib es insgesamt eine kräftezehrende Angelegenheit.
Müsste hier blieb heißen oder?
Ansonsten danke für diese schöne Morgenlektüre. Hat mir sehr gut gefallen :)

Gruß

Mary

 
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Hallo @linktofink,

über diese Geschichte musste ich ein wenig nachdenken. Ein Mensch, der auseinanderfällt – was soll mir das sagen? Erst hat mich das irgendwie an die möglichen Folgen des Rauchens oder von Diabetes erinnert. An meinen Opa, dem ein Ringfinger fehlte. Aber eine Amputation ist dann doch etwas ganz anderes ...
Es ist ein skurriler Text, der jedoch nicht ins Humorvolle geht. Horror ist es auch nicht. Seltsam trifft es ganz gut. Die Charaktere bleiben fern und schemenhaft. Das finde ich interessant, weil bereits der Titel einen Fokus auf Vitri legt. Ich sehe das weder als Vor- oder Nachteil, es ist mir einfach aufgefallen.
Ich befürchte, dass der Text seine Wirkung bei mir nicht ganz entfalten konnte. Es ist anscheinend nur mir so gegangen, also muss es an meinem Lesegeschmack und Erwartungen an Geschichten liegen.
Ich will mich gar nicht zu viel einmischen, denn du hast schon alles im Griff, wählst die Wörter mit Rücksicht und Bedacht.

Hier ist mein einziger Änderungswunsch:

Das graue Ding lag wie eine abgetrennte Nabelschnur im Siphon.
Es liegt noch nicht im Siphon, sondern im Ablauf. Sonst würde man es nicht mehr sehen.

Viele Grüße
Michael

 
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Hallola @Placidus und vielen Dank für deinen Komm.

Nachdem der letzte abgefallen war, erwartete ich, die Flucht der Körperteile habe ein Ende gefunden.
Ich bin mir nicht sicher, dass dieser Konjunktiv so funktioniert. Leider bin ich so gar kein Grammtiktier!
Habe ich tatsächlich geändert, zuerst hatte ich da ein hätte stehen und fand dann das habe besser, so rein aus dem Sprachgefühl heraus. Aber je mehr ich darauf rumknödel, desto sicherer bin ich, das hätte wäre doch richtig gewesen. Wird zurückgetauscht, es sei denn Friedel hat was dagegen. :lol:
Da war ich kurz verwirrt, denn von den Folgen wusste ich ja noch nichts. Also vielleicht erst das Krumgehen erwähnen, mit dem positiven Aspekt, dass immerhin der lästige Abwurf von Körperteilen nun ein Ende hat etc.
Das war genau die Holperstelle beim Schreiben, das sollte zum nächsten Absatz überleiten, tut es nicht wirklich smooth und die Chrono stimmt noch nicht ganz. Da werde ich nach schauen, wenn ich weniger müde bin als gerade, danke auf jeden Fall für die Rückmeldung und die netten anfänglichen Worte. Freut mich, dass Du beim Lesen Spaß hattest, bizarr und lakonisch gefällt mir, unterschreib ich.

Gruß an Kermit und Miss Piggy, peace, l2f

------------------

Hallo @Marys_Bücherwald,

die Insel der verlorenen Erinnerung kenne ich leider nicht, aber genau dieses Hinnehmen, was Du schreibst, hat mich gereizt. Die klaglose Akzeptanz des eigenen Weniger-werdens bei gleichzeitig großer (Für-) Sorge um den Vitri, das ist für mich der Kern des Ganzen.

Mit dem blieb liegst Du natürlich richtig, habe ich schon geändert, danke für den Hinweis.
Freut mich, dass es Dir gefallen hat.

Peace und gute Nacht, l2f

 

Hey @Michael Weikerstorfer,

an Krankheiten wie Diabetes oder Rauchen habe ich gar nicht gedacht, für mich geht es um das Hinnehmen des eigenen Verfalls durch den Ich-Erzähler, der sich nur um seinen Pfleger sorgt und dem sein eigener Körper egal zu sein scheint. Da steckt neben blindem Zweckoptimismus auch eine gehörige Portion Fatalismus drin.

Es ist ein skurriler Text, der jedoch nicht ins Humorvolle geht. Horror ist es auch nicht. Seltsam trifft es ganz gut.
Ich befürchte, dass der Text seine Wirkung bei mir nicht ganz entfalten konnte. Es ist anscheinend nur mir so gegangen, also muss es an meinem Lesegeschmack und Erwartungen an Geschichten liegen.
Danke für deinen ehrlichen Leseeindruck, ich schätze das. Skurril denke ich passt, Horror eher nicht, obwohl es schon stellenweise makaber ist. Dafür geht der Text für mich ins Schwarzhumorige, was nicht jedermanns Sache ist und auch nicht sein muss. Jede/-r lacht über was anderes, damit bleibt Humor ein schwieriges Geschäft und eine Frage des persönlichen Geschmacks. Wenn diese Form des Humors bei dir nicht funktioniert, ist das so. Punkt. NP ^^

Peace, l2f

 

Hallo @linktofink ,

dieser Text hat mir sehr gut gefallen. So ein wenig Grusel, ein bisschen Kafka und viel menschliches, bzw. gesellschaftskritisches wie @AWM als Vorredner schon angemerkt hat. Oder eben nicht wirklich kritisch, nur den Spiegel vorhaltend.

Dennoch habe ich, wie @Friedrichard zu sagen pflegt, ein paar Fluskes, auch wenn meine nicht aus vergleichbar tiefer grammatikalischer Fundierung sprudeln. Was ich anmerke it also eher einem "Bauchgefühl" geschuldet.

An einem Sommermorgen verschwand mein kleiner linker Zeh.
Der Satz ist schön, schön packend. Aber eigentlich falsch. Er verschwand ja nicht, sondern lag im Abfluss. Wäre es u.U. sinnvoll zu schreiben: ... löste sich mein kleiner linker Zeh. Oder irgend etwas anderes, das ähnlich packend ist, aber vom Erzählfluss korrekt.

Vielmehr bemerkte ich sein Fehlen zufällig beim Duschen. Das graue Ding lag wie eine abgetrennte Nabelschnur im Abfluss. Die Haut an der Stelle, wo er fehlte, war nicht blutig, nicht einmal gerötet, sie war glatt. Als ich mit dem Finger darüberstrich, spürte ich ein feines Prickeln, welches gut auszuhalten war.
Der erste Satz ist gut. Nur über die Nabelschnur bin ich auch gestolpert.
Gut daran: Nabelschnüre fallen durchaus ab, wenn man lange genug wartet. Passt also zur Geschichte.
Negativ: Völlig anderes Thema "Geburt". Mit ist keine passendere Metapher eingefallen, aber vielleicht gibt es ja eine. :cool:

"Die Haut an der Stelle, wo er fehlte, war nicht einmal gerötet, sie war glatt." Hier würde es auch funktionieren, das Blut gleich weg zu lassen.

... spürte ich ein feines Prickeln, nicht einmal unangenehm.
Wäre das nicht knackiger? (Ich bin kein Freund von "welches", in welcher Deklination auch immer.

Von einem schleichenden Prozess zu sprechen, wäre angesichts der deutlichen Ereignisse unpassend, dennoch fühlte es sich an, als würden die Zehen der Reihe nach davonschleichen.
Wie wäre es wenn du statt "deutlichen" von "disketen" Ereignissen sprichst? Der Absatz holpert ein wenig, dennoch finde ich dieses ganz abstrakte Nachdenken über die Einordnung des Unerklärten wundervoll.

Ich dürfe mich nicht so hängenlassen und
Großartig. Die Nachbarn (oder facebook-Kommentare).

Wir kamen richtig gut miteinander aus, was wohl auch der Grund dafür war, warum der Vitri meinen abgestorbenen Unterschenkel aus dem Bett entfernte, ohne zu murren. Ehrlich gesagt roch der schon ein wenig, was dem Vitri nichts auszumachen schien.
Hier würde ich @AWM zustimmen. Lieber noch einmal kürzen. Der Absatz verliert dadurch nichts, glaube ich.

Dem Vitri übergab ich am Ende des Tages ein gutes Trinkgeld, weil er ohne Zögern das stinkende Ding in die Büsche geworfen hatte.
Müsste "das stinkende Ding" nicht vor dem Zögern im Satz auftauchen?

Parallel finde ich "der Vitri", "dem Vitri" und ähnliche Formulierung in diesem Text sehr pasend.

Das mit dem letzten Rest der Beine war nicht weiter tragisch, es hatte eher etwas Befreiendes, als würde Ballast von mir genommen.
"Das mit dem letzten Rest ..." klingt nach literarischer Faulheit. Das kannst du besser, oder?

Eines nachts habe ich davon geträumt, mit einer Hand einen Fuß kratzen zu müssen und bin schweißgebadet aufgewacht. Ich fand es regelrecht erhebend, das im wachen Zustand ausschließen zu können.
Oh, großartig. Die Erleichterung, wieder in der gewohnten Katastrophe zu erwachsen.
Das ist mein persönliches Higlight in dieser Geschichte.

Und er solle bloß den Kopf nicht hängen lassen.
Wieder diese schöne Doppeldeutigkeit. :thumbsup:

Vorsorglich diktiere ich ihm gerade ein herzliches Adieu, denn die Erfahrung zeigt: Das Ziehen im Nacken sollte ich ernst nehmen.
Und ein toller Schluss.

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße,
Gerald

 

Hey @AWM,

schön, mal wieder von Dir zu lesen.

Der Zerfall ist linear aufgebaut, das geht schön der Reihe nach mit absehbarem Ende ohne Bruch. Insofern gibt es keinen Effekt und keine Pointe, dadurch entsteht Platz für die leise Wirkung des Absurden.

Ist eh schon ungewöhnlich genug die Situation und die Nabelschnur lenkt mich da etwas ab und verrückt den Fokus.
Ja, rausgeflogen. Jetzt: "Das schrumpelige graue Ding kreiselte im Strudel über dem Abfluss."
Die Begründung, warum es kein schleichender Prozess ist, finde ich nicht ganz stichhaltig. Es gibt gerade einen Masken-Text, in dem es unter anderem um einen schmelzenden Gletscher geht. Deshalb komme ich drauf. Das Schmelzen der Gletscher kann man auch als einen schleichenden Prozess bezeichnen, obwohl die Ereignisse deutlich sind.
Sehe den Punkt, die Stelle ist so zu unscharf. Habe das umgeschrieben und finde es besser so: "Von einem schleichenden Prozess zu sprechen, mag angesichts der deutlichen Vorfälle unpassend erscheinen. Dennoch geschah die Ablösung weiterhin schmerzfrei und das beiläufige Auffinden der Mehrheit von ihnen an unerwarteten Plätzen erweckte den Eindruck, die Zehen würden der Reihe nach von mir wegschleichen." Plausibler?
zweiten Satz könntest du streichen. Das steckt für mich schon drin, weil er es ohne zu murren macht.
Das Murren sagt doch wenig darüber aus, wie schlimm das Bein ausschaut oder riecht?
abgelassen
merci.
Nicht so schön der Satz mit 3x war
Ja, danke für den Hinweis. ich habe alle drei rausgeschrieben:
"Ohne Hand geriet das Schieben des Rollstuhls zur Unmöglichkeit und da nun meine Schreibhand fehlte, konnte ich mit der anderen nur noch kritzeln, was mir auf Dauer als unbefriedigend aufstieß."
Ich habe den Namen Vitri gegoogelt und nicht viel bzw. Widersprüchliches gefunden.
Hab ich auch getan und nix gefunden, was ich gerade gut fand, denn es geht nicht um seine Herkunft, bei Vitali oder Vittorio würde direkt ein Bild mitflimmern.
Im Grunde geht es ja um jemanden, der seine Handlungsfähigkeit verliert, dem das aber nichts ausmacht. Der sich einer schleichenden Dekadenz hin- und sich dann einem „Dienstleister“ übergibt. Wenn man deinen Text als Analogie liest, dann kann man das auf Makroebene auf Gesellschaften übertragen, die überaltern und nur mehr durch Dienstleister aus dem Ausland funktionieren. Die es sich darin bequem gemacht haben und von denen nichts mehr zu erwarten ist.
Der Text ließe sich als Allegorie auf alles Mögliche verstehen, ich finde Deine Deutung sehr interessant, da ploppte bei mir Wall-E auf, diese selbstgewählte Komplettversorgung der Spaßgesellschaft durch Roboter. Wie dem auch sei, der Text funktioniert für Dich auch ohne weitere Erklärung, wie Du schreibst, und das ist gut zu lesen.

Peace, l2f

 

Moin @C. Gerald Gerdsen,

vielen Dank für Deinen Kommentar, hat mich gefreut.

So ein wenig Grusel, ein bisschen Kafka und viel menschliches, bzw. gesellschaftskritisches wie @AWM als Vorredner schon angemerkt hat. Oder eben nicht wirklich kritisch, nur den Spiegel vorhaltend.
Finde ich gut zusammengefasst, eine Prise schwarzen Humor würde ich noch dazutun.
Der Satz ist schön, schön packend. Aber eigentlich falsch. Er verschwand ja nicht, sondern lag im Abfluss. Wäre es u.U. sinnvoll zu schreiben: ... löste sich mein kleiner linker Zeh. Oder irgend etwas anderes, das ähnlich packend ist, aber vom Erzählfluss korrekt.
Recht Du hast, da ich den ersten Satz nicht umschreiben möchte, habe ich hintenraus geändert: "Ich sah das schrumpelige graue Ding noch im Strudel über dem Abfluss kreiseln, dann war er weg." Das ist zwar nicht 100% sauber, denn wenn er verschwindet, dürfte er ihn auch nicht sehen, aber besser.
Der erste Satz ist gut. Nur über die Nabelschnur bin ich auch gestolpert.
Gut daran: Nabelschnüre fallen durchaus ab, wenn man lange genug wartet. Passt also zur Geschichte.
Negativ: Völlig anderes Thema "Geburt". Mit ist keine passendere Metapher eingefallen, aber vielleicht gibt es ja eine. :cool:
Oh nee, Geburt soll schön fernbleiben, die Nabelschnur und alles, was da dranhängt, ist gestrichen.
"Die Haut an der Stelle, wo er fehlte, war nicht einmal gerötet, sie war glatt." Hier würde es auch funktionieren, das Blut gleich weg zu lassen.
Hab ich so genommen, hat einen meiner Stolpersteine aus dem Weg getreten, merci.
... spürte ich ein feines Prickeln, nicht einmal unangenehm.
Wäre das nicht knackiger? (Ich bin kein Freund von "welches", in welcher Deklination auch immer.
geht mir auch so, vermeide ich idR, hab es jetzt so: "Als ich mit dem Finger darüberstrich, spürte ich ein feines Prickeln, eine ungewohnte Irritation, die gut auszuhalten war."
Wie wäre es wenn du statt "deutlichen" von "disketen" Ereignissen sprichst? Der Absatz holpert ein wenig, dennoch finde ich dieses ganz abstrakte Nachdenken über die Einordnung des Unerklärten wundervoll.
Ich hoffe, das Wundervolle ist geblieben bei reduziertem Holpern, denn den Absatz habe ich gründlich umgestrickt.
Wir kamen richtig gut miteinander aus, was wohl auch der Grund dafür war, warum der Vitri meinen abgestorbenen Unterschenkel aus dem Bett entfernte, ohne zu murren. Ehrlich gesagt roch der schon ein wenig, was dem Vitri nichts auszumachen schien.
Hier würde ich @AWM zustimmen. Lieber noch einmal kürzen. Der Absatz verliert dadurch nichts, glaube ich.
Sehe den Punkt, muss ich drüber brüten, aber ich fürchte, es bleibt bei dem Schlenker, weil mir das Makabre daran gefällt.
Müsste "das stinkende Ding" nicht vor dem Zögern im Satz auftauchen?
done.
Parallel finde ich "der Vitri", "dem Vitri" und ähnliche Formulierung in diesem Text sehr pasend.
Obwohl der Vitri wichtig ist (Titel), bleibt da dieses Draufschauen von oben. Ich erfahre auch nichts Persönliches von ihm, es geht nur um seine normalmenschlichen Reaktionen als Echo. Insofern passt diese letztlich distanzierte Betrachtung für mich auch gut.
Das mit dem letzten Rest der Beine war nicht weiter tragisch, es hatte eher etwas Befreiendes, als würde Ballast von mir genommen.
"Das mit dem letzten Rest ..." klingt nach literarischer Faulheit. Das kannst du besser, oder?
Bekenne mich der literarischen Faulheit schuldig :lol:, hab es umgeschrieben: "Den letzten Rest der Beine zu verlieren, war nicht weiter tragisch."
Eines nachts habe ich davon geträumt, mit einer Hand einen Fuß kratzen zu müssen und bin schweißgebadet aufgewacht. Ich fand es regelrecht erhebend, das im wachen Zustand ausschließen zu können.
Oh, großartig. Die Erleichterung, wieder in der gewohnten Katastrophe zu erwachsen.
Das ist mein persönliches Higlight in dieser Geschichte.
Danke, für mich auch der Klimax, das ist Schicksalshörigkeit auf die Spitze getrieben.
Und er solle bloß den Kopf nicht hängen lassen.
Wieder diese schöne Doppeldeutigkeit. :thumbsup:
Auch ganz schön böse, aber ich mag das so.
Vorsorglich diktiere ich ihm gerade ein herzliches Adieu, denn die Erfahrung zeigt: Das Ziehen im Nacken sollte ich ernst nehmen.
Und ein toller Schluss.
Vielen Dank für Deinen Kommentar, er hat geholfen, den Text ein Stück weit besser zu machen.
Peace und schönes WE, l2f

 

Hallo @linktofink ,

ja,der Anfang ist jetzt besser. Und auch sonst bin nicht mehr gestolpert.

Finde ich gut zusammengefasst, eine Prise schwarzen Humor würde ich noch dazutun.
?? "Sie haben ihr Ziel erreicht."

Was mir beim dritten und vierten Lesen aufgefallen ist: Neben dem Fatalismus und der Versorgungsmentalität beschreibt der Text auch die Fragmentierung und Vereinsamung der Gesellschaft.


Recht Du hast, da ich den ersten Satz nicht umschreiben möchte, habe ich hintenraus geändert: "Ich sah das schrumpelige graue Ding noch im Strudel über dem Abfluss kreiseln, dann war er weg." Das ist zwar nicht 100% sauber, denn wenn er verschwindet, dürfte er ihn auch nicht sehen, aber besser.
So gefällt es mir richtig gut.


Bekenne mich der literarischen Faulheit schuldig :lol:,
?

Sehe den Punkt, muss ich drüber brüten, aber ich fürchte, es bleibt bei dem Schlenker, weil mir das Makabre daran gefällt.
You have a point here, my friend.

Ich hoffe, das Wundervolle ist geblieben bei reduziertem Holpern, denn den Absatz habe ich gründlich umgestrickt.
Ja, das wundervoll Wundersame ist geblieben.

Insgesamt hat die Überarbeitung dem Text gut getan und ich bin nirgends mehr gestolpert. Er fließt sehr schön in seiner Absurdität dahin.

Eine sprachliche Anmerkung habe ich noch zum Schluss:

... beinahe unbemerkt im Park verloren. Ohne das Holpern, als der Reifen darüberfuhr, wäre uns das durchgegangen.
Wäre uns das durchgegangen klingt für mein Ohr eher regional (bayerisch oder österreichisch), was durchaus einen Charme hat.
Kennst Du den Unterschied zwischen einem Berliner und einem Wiener?
Der Berliner sagt: "Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos."
Der Wieder sogt: "Die Lage ist hoffnungslos, aber net ernst."
(Bitte mit Schmäh lesen.)

Liebe Grüße,
Gerald

 

Moinmoin linktofink

Dein Text erinnert mich total an Kafka und das meine ich als Kompliment, denn ich bin ein großer Kafka-Fan ;)
Diese lakonische Art, mit der du etwas derart Skurriles beschreibst, bringt mich zum Schmunzeln und gleichzeitig zum Nachdenken, zurück bleibt ein unbestimmtes Gefühl, das ich noch nicht in Worte fassen kann. Deine Worte hallen auf jeden Fall nach. Viele haben bereits etwas zu deinem Protagonisten oder Vitri gesagt. Am ehesten ist mit der Umgang des Nachbarn mit der Situation aufgefallen. Wie es ihn einfach nur pragmatisch zu interessieren scheint - deshalb kam in mir wohl auch die Assoziation zu Kafka auf (Die Verwandlung).

Ich bin auf jeden Fall gespannt darauf, mehr von dir zu lesen :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Halli Hallo

Kafka? Nein - dafür ist es stilistisch zu anders, und der ganze Kafka zappelt an seinem Stil. Ich lese hier eher etwas Philosophisches, dass vielleicht nicht einmal intendiert, durch den lakonischen Humor aber fantastisch dargestellt ist - das Verhalten des klichee - aber nicht pseudo - Weisen. Also dem Typus Mensch, der so abgekapselt von der Wirklichkeit lebt, dass nichts mehr an seine Unbedarftheit rühren kann. Hey - mir fällt wohl bald der Kopf ab - wen rüttelts! Was ich an dem Text aber eigentlich anziehend finde, ist doch nichts weiter, als sein Ton - dieses urkomische, trockene Reden (eigentlich hauptsächlich in Phrasen) macht es mir unmöglich herauszufinden, wenn ich nur den Text lese, ob du den beschriebenen Charakter veralberst, oder seine Weiseheit lobst. Ich mag das! Es bleibt in der Schwebe.

Was die Umsetzung angeht, habe ich erstmal nichts zu meckern, da bin ich auch nicht so gut drin, aber ich werde mir den Text morgen noch einmal durchlesen und wenn ich irgendwo stolpere, werde ich das einwerfen.


LG dir
Patrick

PS; auf jeden Fall, werde ich noch mehr von dir lesen.

 

Lieber linkto,

ein sehr sehr schöner, schwarzhumoriger Text. Trockener, lapidarer und selbstironischer Stil. Ob er eine Botschft hat, der Text? Keine Ahnung, ist mir aber auch grad mal wurscht. Ich finde ihn gut so so, wie er ist in seiner Selbstabgebrühtheit.
Interessant fand ich die Wahl des Titels. Nichts, was sich auf das Schicksal des Erzählers bezieht, sondern Vitri ist Titelfigur. Er übernimmt quasi die Rolle der Gefühle, die man eigentlich von dem Icherzähler erwarten würde, Mitleid, Abscheu, Widerwillen. Ob damit eine Aussage verknüpft ist, so etwas zum Beispiel wie die, dass man sich von seinen Gefühlen "abschneidet" und eher andere bemerken, was da alles verloren geht, ich weiß es nicht. Man kann wohl vieles in deinen Text hineindeuten, eine psychologische Erklärung sicherlich auch. Es ist gleichgültig, was genau es ist, oder der Leser erkennen mag, der Text lebt, und das ist die Hauptsache, er lebt durch seinen nonchlanten und makabren Tonfall.

Sehr gelungen

An einem Sommermorgen verschwand mein kleiner linker Zeh. Es war nicht so, dass er sich infolge einer Verletzung oder eines anderen schmerzhaften Prozesses verabschiedete.
Warum nicht "verabschiedet hatte"?

Ich sah das schrumpelige graue Ding noch im Strudel über dem Abfluss kreiseln, dann war er weg.
dann war es weg.
Bezieht sich ja auf "Ding".

Als ich mit dem Finger darüberstrich, spürte ich ein feines Prickeln, eine ungewohnte Irritation, die gut auszuhalten war.
Dass es gar nicht weh tut, finde ich eine tolle, und sehr passende Idee.

Von einem schleichenden Prozess zu sprechen, mag angesichts der deutlichen Vorfälle unpassend erscheinen.
Gut
Wir kamen richtig gut miteinander aus, was wohl auch der Grund dafür war, warum der Vitri meinen abgestorbenen Unterschenkel ohne Murren aus dem Bett entfernte. Ehrlich gesagt roch der schon ein wenig, was dem Vitri nichts auszumachen schien.
:sconf: :) Sehr gut
Fortan legten wir eine Decke über die Beine, sobald wir das Haus verließen, was dazu führte, dass wir den zweiten Unterschenkel beinahe unbemerkt im Park verloren.
Alles passiert so nebenbei. Toll.
Ohne das Holpern, als der Reifen darüberfuhr, wäre uns das durchgegangen.
Auch toll.

Den letzten Rest der Beine zu verlieren, war nicht weiter tragisch. Dem wohnte etwas Befreiendes inne, als würde Ballast von mir genommen.
:( :)
Ich habe es befürchtet.
Selbstverständlich musste er sich erholen können, das mit mir anzusehen, war schon schwer für ihn. So bin ich mir sicher, das Abfallen der ersten Hand hat ihn ärger getroffen als mich,
Ich sags ja, die Gefühle sind veräußerlicht.

zumal der Hund vom Herrn Nachbar sofort zuschnappte und geräuschvoll die Knochen zermalmte.
Und das gefällt mir natürlich besonders gut.
Eines nachts habe ich davon geträumt, mit einer Hand einen Fuß kratzen zu müssen und bin schweißgebadet aufgewacht.
Eines Nachts

Muss leider Schluss machen jetzt, bin auf Reisen, aber ich sag nochmal mein Fazit: Absolut gelungen und wie im Buche, das ich kaufen würde.
Viele Grüße von Novak

 

Nabend @C. Gerald Gerdsen,

sehr nett von Dir, dass Du Dich ein zweites Mal des Textes annimmst.

Neben dem Fatalismus und der Versorgungsmentalität beschreibt der Text auch die Fragmentierung und Vereinsamung der Gesellschaft.
Eine weitere Lesart, die ich weder ausschließen noch auf die Fahne schreiben will, denn es soll jede und jeder aus dem Text das mitnehmen, was er*sie herausliest.
Insgesamt hat die Überarbeitung dem Text gut getan und ich bin nirgends mehr gestolpert. Er fließt sehr schön in seiner Absurdität dahin.
Ja, durch die vielen Hinweise von euch hab ich mich der Stolperstellen annehmen können und hab sie durch Draufhauen mit der flachen Hand geplättet.
Wäre uns das durchgegangen klingt für mein Ohr eher regional (bayerisch oder österreichisch), was durchaus einen Charme hat.
Kennst Du den Unterschied zwischen einem Berliner und einem Wiener?
Der Berliner sagt: "Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos."
Der Wieder sogt: "Die Lage ist hoffnungslos, aber net ernst."
sehr kauzig und sehr gut, merke ich mir. Der Wiener kriegt Sympathiepunkte, der Berliner meine Zustimmung.

Guts Nächtle und Danke nochmal, l2f.

 

vorweg, die Formatierung (wie etwa die Leiste oberhalb meiner Schreibe) klappt nicht (k. A. warum), dass ich Zitate durch Gänsefüßchen (") anzeige.


"Und er solle bloß den Kopf nicht hängen lassen."

»An einem Sommermorgen
da nimm den Wanderstab
es fallen deine Sorgen
wie Nebel von dir ab.
Tra-la-la-la-la-la-la-la-la
…« 1
rät ein „Traditional“,

lieber link,

und wer weiß denn schon außer dem Icherzähler, wie nahe die Weisheit des Liedes der Wirklichkeit kommt – selbst am Fuße, und wie realistisch Erwartungen sind, die doch allzu oft enttäuscht werden. Da wüsst ich jetzt nicht, was ich lieber hätte, Fußpilz oder Zehabfall.
Aber was musstu für einen offenen, „unsiebsamen“ Schlund von Abfluss haben, dass neben Schuppe und Haar gar einer der kleinen Zehen abhanden kommt und in der Kanalisation verschwindet.

Beim Konjunktiv gibt es noch ein wenig Unsicherheit –
"Nachdem sich der letzte davongemacht hatte, erwartete ich, die Flucht der Körperteile habe ein Ende gefunden. …"

wobei der Icherzähler ja schon aufgrund der gewählten Erzählzeit weiß, dass seine Erwartung nicht erfüllt wurde …

Hier nun
"Herr Nachbar meinte jedenfalls, ein orthopädischer Schuhmacher könne da helfen, die wären solche Fälle gewohnt. Ich dürfe mich nicht so hängenlassen und müsse ein wenig Übung in die Arme investieren. Bestimmt wäre da noch Einiges zu holen."

Versteh ich nicht den plötzlichen Zweifel, der im Konj. II „wäre“ aufleuchtet in einem Meer von Konj. I, wiewohl die Modalverben können, dürfen, müssen eh nur zweiwertig sind – entweder man kann, darf oder muss oder eben nicht.

Wie dem auch wird,

gern gelesen vom

Friedel,
der noch einen sturmfreien Sonntag wünscht!

 

Dein Text erinnert mich total an Kafka und das meine ich als Kompliment, denn ich bin ein großer Kafka-Fan
Oh, Kafka ist lange her, @Melethil, beim Schloss habe ich aufgegeben, die Verwandlung hab ich noch ein wenig auf dem Schirm, ein kleines wenig.
Willkommen übrigens. ;)
Diese lakonische Art, mit der du etwas derart Skurriles beschreibst, bringt mich zum Schmunzeln und gleichzeitig zum Nachdenken, zurück bleibt ein unbestimmtes Gefühl, das ich noch nicht in Worte fassen kann.
Freut mich wirklich, das zu lesen. Jeder Schreiberling wünscht sich ja einen gewissen Nachhall, dass ihre/seine Texte nicht abgehakt werden.
Am ehesten ist mit der Umgang des Nachbarn mit der Situation aufgefallen. Wie es ihn einfach nur pragmatisch zu interessieren scheint - deshalb kam in mir wohl auch die Assoziation zu Kafka auf (Die Verwandlung).
Ja, den Nachbarn interessieren nur praktische Lösungen und nichts Menschliches. Vllt. da die Parallele zur Familie Samsa, die den Gregor in seinem Zimmer isoliert und nur noch mit Essen versorgt.
Ich bin auf jeden Fall gespannt darauf, mehr von dir zu lesen
Werde Dich nicht abhalten. Peace, l2f

 

Hey @Nadir, Dir zuvörderst ein herzlich Willkommen und vielen Dank für Deinen Kommentar.

Ich lese hier eher etwas Philosophisches, dass vielleicht nicht einmal intendiert, durch den lakonischen Humor aber fantastisch dargestellt ist - das Verhalten des klichee - aber nicht pseudo - Weisen. Also dem Typus Mensch, der so abgekapselt von der Wirklichkeit lebt, dass nichts mehr an seine Unbedarftheit rühren kann. Hey - mir fällt wohl bald der Kopf ab - wen rüttelts!
Der Text begründet nicht, liefert keine Antworten auf ein warum, weder auf das warum sein Körper zerfällt, noch warum er das so gelassen hinnimmt. Er setzt eine absurde Wirklichkeit als gegeben voraus und lässt die Figuren darauf reagieren und darin interagieren. Die Deutung des Verhaltens bleibt dem Leser überlassen.
Was ich an dem Text aber eigentlich anziehend finde, ist doch nichts weiter, als sein Ton - dieses urkomische, trockene Reden (eigentlich hauptsächlich in Phrasen) macht es mir unmöglich herauszufinden, wenn ich nur den Text lese, ob du den beschriebenen Charakter veralberst, oder seine Weiseheit lobst. Ich mag das! Es bleibt in der Schwebe.
Eigentlich ist der Fakt, dass ein Mensch nach und nach all seine Extremitäten und letztlich sein Leben verliert ganz ungeheuerlich. Was tut dieser Text? Er behauptet, es sei kein Problem, das gelassen hinzunehmen und reicht die Fragestellung an den Leser weiter. Was würdest du tun, würdest du kämpfen oder akzeptieren, was du vermeintlich nicht ändern kannst?

Peace, l2f

 

Hallo liebe @Novak,

ein sehr sehr schöner, schwarzhumoriger Text. Trockener, lapidarer und selbstironischer Stil. Ob er eine Botschft hat, der Text? Keine Ahnung, ist mir aber auch grad mal wurscht.
Was soll ich sagen? Danke! Eine Botschaft war mir nicht wichtig, ich würde sagen, der Text hat keine und braucht keine. Ist mir also auch wurscht ^^.
Interessant fand ich die Wahl des Titels. Nichts, was sich auf das Schicksal des Erzählers bezieht, sondern Vitri ist Titelfigur. Er übernimmt quasi die Rolle der Gefühle, die man eigentlich von dem Icherzähler erwarten würde, Mitleid, Abscheu, Widerwillen.
Sehe ich auch so, die Gefühle werden auf Vitri übertragen, er ist quasi der Spiegel für das Leid, bzw. derjenige, bei dem es sich äußert.
Es ist gleichgültig, was genau es ist, oder der Leser erkennen mag, der Text lebt, und das ist die Hauptsache, er lebt durch seinen nonchlanten und makabren Tonfall.
Nonchalant und makaber gefällt mir, kaufe ich beides und werde es versuchen zu pflegen.
Warum nicht "verabschiedet hatte"?
hab das hätte genommen.
dann war es weg.
Bezieht sich ja auf "Ding".
Ja.
Muss leider Schluss machen jetzt, bin auf Reisen, aber ich sag nochmal mein Fazit: Absolut gelungen und wie im Buche, das ich kaufen würde.
Wünsche Dir eine schöne Reise, liebe Novak, falls Du noch unterwegs sein solltest, (ich brauche ja in der Woche meist lang für eine Antwort) ansonsten wünsche ich gehabt zu haben.
Du wärst jedenfalls die Erste, der ich mein Belegexemplar schenken würde. Peace, l2f

 

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