Der Herr der Welt
Der Herr der Welt
"Ich kann euch hier nicht vorbeilassen, Meister!" Breitbeinig stand Pavel vor dem Ausgang der Höhlenkathedrale und war zu allem entschlossen. In seinen Händen hielt er trotzig den langen Stock, den er bei den Kampfübungen hunderte Male benutzt hatte. Viel würde ihm diese Waffe nicht helfen, das wusste er. Nicht einmal ein Schwert aus dem härtesten Stahl dieser Welt hätte als Waffe irgendeinen Wert, nicht gegen seinen Meister.
Pavel hob langsam den Kopf und blickte seinen Meister an. Was er sah, schien wenig Furcht erregend zu sein. Ein kleines Männchen mit einem hohen schwarzen Hut, viel zu weit geschnittenen schwarzen Hosen und einem ebenfalls schwarzen, verknitterten Frack, der knapp bis über die Knie ging. Das einzig Besondere war der viel zu lange, mit Diamanten besetzte Gehstock, auf den sich das Männchen stützte.
"Du kannst noch nicht einmal meine wahre Gestalt sehen, Pavel, wie willst du mich da aufhalten? Aber dein Mut spricht für dich! Tritt zur Seite und ich werde dir vergeben."
Pavel wusste, dass jedes weitere Wort sinnlos war. Entweder trat er zur Seite, oder sein Meister würde die ganze Macht ausspielen, ihn aus dem Weg zu räumen und nach oben gehen. Auf keinen Fall durfte er ihn dorthin lassen. Pavel breitete seine Flügel ein wenig aus, griff den Stock noch fester und wartete auf den ersten Angriff.
"Warum stellt sich ausgerechnet mein Lieblingsschüler gegen mich?" Das kleine Männchen schüttelte den Kopf und sah zu Boden. "Aber eigentlich hätte ich das vorausahnen müssen. Im tiefsten Inneren bist du ein Rebell, Pavel, genau wie ich. Deshalb mochte ich dich immer mehr als alle meine anderen Schüler. Schade, dass es so enden muss. Willst du es dir nicht noch einmal überlegen?"
Warum griff sein Meister nicht an? Pavel verstand das nicht, aber vielleicht kannte er ihn doch nicht so gut, wie er immer geglaubt hatte. Das Männchen schien unsicher zu sein, oder war es nur traurig? "Nein, Meister. Ihr wollt alles zerstören. Alles was je eine Bedeutung hatte und alles was je eine Bedeutung haben wird. Wenn ihr das tut, werden auch wir nicht mehr existieren. Ich bitte euch, ich flehe euch an, kehrt um!"
Das kleine Männchen sah Pavel mit großen Augen an. Es schien wirklich traurig zu sein. "Sieh dich doch um, Pavel. Sieh dir die Welt doch an: Nur Schmerz und Kummer. Die Menschen führen Kriege, plündern, rauben und töten aus reiner Habsucht. Wenn alles stirbt, gibt es auch keinen Schmerz mehr und kein Leid. Ich erlöse die Menschen und bringe ihnen Frieden, den sie im tiefsten Herzen so verzweifelt suchen. Warum willst du sie weiter leiden lassen?"
"Leid ist der beste Lehrer, Meister. Es hebt die Menschen hinaus über ihr Selbst und über alle Dinge, die nicht von Bedeutung sind. Die Menschen brauchen Leid, um sich zu entwickeln und wir, wir bringen es ihnen. Das habt ihr mich gelehrt, Meister. Warum wollt ihr jetzt alles beenden?"
"Weil ich genau das satt habe, Pavel. Ich bin schuld an all dem Unglück, weil ich es war, der die göttliche Ordnung zu Fall brachte. Meine Rebellion erschütterte die göttliche Harmonie und ließ sie zerbrechen. Sie barst in einer gigantischen Explosion und das Universum war geboren. Es ist meine Welt, aber ich bin es leid, sie zu regieren. All diese Nichtigkeiten ... Ich werde das Universum zerstören und die göttliche Ordnung wieder herstellen. Dann werde auch ich wieder ein Teil der großen Harmonie sein. Genau wie du, Pavel. Tritt zur Seite!"
"Nein, Meister!" Pavel schloss die Augen. Es gab kein Zurück. Dann fing er an zu weinen.
Manches ist so ungewöhnlich, dass es selbst den Herren der Welt überrascht. Und ein weinender Dämon ist so etwas. Das kleine Männchen zögerte einen Augenblick, einen Wimpernschlag nur, dann schlug es zu, mit aller Macht. Pavel zerfiel zu Staub und seine Seele löste sich im Nichts auf.
Pavels Opfer war vergeblich, denn das Universum lebte nur einen Wimpernschlag länger. Doch manchmal ist ein Augenblick mehr wert als 10.000 Jahre.