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Der Hessel

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28.12.2009
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Der Hessel

Die Gebrüder Reets saßen auf der Bank unter der großen Sommerlinde und rauchten Pfeife, als der Aftervogt mit seiner Droschke vor ihrem Haus erschien. Sie hatten ihn schon von Weitem kommen sehen, wie er das Gespann fluchend über die gewundene Straße lenkte und mit schwerfälligen Bewegungen an den Zügeln riss.
Gehn dir gleich durch, die Gäule, sagte Lennard, der Jüngere der Brüder.
Wenns nur das wär …
Ihr in der Honnschaft fresst wohl, als würds kein Morgen geben. Gert zog an seiner Pfeife und schüttelte den Kopf. Schau se dir nur an, deine Rappen, denen steht der Schaum vorm Maul.
Der Vogt nickte. Ich bin den Pasteten und dem Weißen zugeneigt, so ists nicht. Er beugte sich auf der Droschke nach vorne und stöhnte leise. Aber ich bin nun nicht hergekommen, um übers Fressen zu parlieren.
Die Brüder schwiegen.
Unten im Tal bei Vierheilig, da …
Wir habens gehört, unterbrach ihn Gert. Der Stellmacher hat davon berichtet. Jedes Jahr ists ein Wolf. Sie sterben ja nicht einfach und dann wollense fressen wie du auch.
Die kleine Hedwig, die Tochter vom Liepelt, dem Mehlhändler …
Der Wolf kennt keinen Vater und keine Mutter, sagte Lennard. Der Wolf ist nur Wolf.
Diesmal ist es anders, ich sags euch … Der Vogt sah in den Himmel und atmete tief ein. Verschleppt hatter die kleine Hedwig, bis in den Sumpf hat er sie verschleppt, und da habense se gefunden im Morgengrauen … ich kann euch nicht davon erzähln, obwohl ichs mit eigenen Augen gesehen hab! Dozo es nor d'r Deuvel fähig!
Im Amt Grimburg gabs einmal elf Zendereien, sagte Gert und legte seine Pfeife ab. Dort ging ebenso der Wolf um … der Pfleger vom Hochgericht hat uns rufen lassen, es waren zwei Tagesritte. Hundert Reppa Prämie, wenn wir den Grimm erlegen. Bauscheid war schon Wüstung geworden, die Häuser verlassen, die Feuerstellen kalt. Man sagt, der Wolf habe über dreißig Leut in der Zenderei angefallen, die meisten davon Kinder oder Frauen, die auf den Fronhofen im Tal lebten … am nächsten Morgen hing er an der Angel, das Ungeheuer.
Tollwütig warer, der Rüde. Lennard schnalzte mit der Zunge. Die Hälfte der Leut habense ohne Kopp gefunden.
Ihr wissts ja, bei Mose steht geschrieben: den Zahn der Raubtiere lasse ich auf sie los. Der Aftervogt schluckte. Besser, es is schon morgen vorbei.
Und da habt ihr keine anderen gefunden?
Das ganze Königreich weiß es doch. Dass ihr die besten Jäger seid.
Aber immer noch lebn wir hier im Meiler, der halb verrottet is. Gert schob sich die Pfeife wieder in den Mundwinkel. Jägersleut sind nicht gut gelitten im Land.
Der Aftervogt räusperte sich. Euren Namen haben sie am Hof nicht vergessen, euren Ruf.
Ist der Ruf unseres Vatters, sagte Gert. Nicht mehr unsrer.
Sind alles alte Geschichtchen, aber der Wolf geht ja doch heut um in den Wäldern.
Unser Schuldenberg wird kaum geringer, wenn wir den Grimm für dich erlegen, sagte Lennard. Die Jagd ist gefährliches Handwerk. Für ein paar lausige Reppa beweg ich mich nicht von meiner Scholle. Und falls sich der Grimm hierher verirrt, brenn ich ihm n Loch in den Pelz groß und rund wie ein Gulden.
Der Aftervogt schüttelte den Kopf. Seht her, Schulden bleiben eben Schulden, und dass se ans Blut gebunden sind, das wisst ihr auch.
Fünfhundert Reppa müsster schon geben.
Das is ja genuch für zwanzig Pferde!
Lennard nickte. Gibt noch mehr Blagen wie die Hedwig, die man zerrissen und ohne Kopp in den Siefen finden wird, uns kümmerts ja kaum.
Und bald werden die Pfaffen von den Kanzeln predigen, dass der Herrgott uns noch mehr Zähne und Klauen schicken wird, wenn wir nicht alsbald Buße tun und Abbitte leisten. Gert klopfte die Pfeife an seiner Stiefelsohle aus. Dann habn bald die Pfaffen ganz das Sagen im Tal.
Die Pfaffen, wiederholte der Aftervogt leise. Ja, die Pfaffen.

Am Abend desselben Tages, noch vor der Dämmerung, brachte ein Botschafter der Honnschaft Nachricht vom Aftervogt. Er sei von Amtswegen dazu befugt, zweihundert Reppa Prämie an die Brüder auszuzahlen. Als Nachweis sei der Kadaver des erlegten Wolfs darzubringen.
Diese Hedwig fand man in den Sümpfen, sagte Lennard. Er öffnete die Amphore und goss grünen Wein in seinen Krug. Siegel werdenwa da kaum finden.
Der Grimm kommt aus den fünf Gleichen übers offene Land, der schleicht sich durchs hohe Gras an und holt se sich.
Die fünf Gleichen … Lennard nickte. In dem Bannforst da hat der Vater gejagt.
Gewildert hatter, der Alte. Sonst würdenwer hier nich sitzen im alten Meiler und die feuchten Mauern anstarren, wenn er rechtmässig gejagt hätt.. Gert trank einen Schluck und stocherte im Feuer. Recht ist Recht, sagte er noch.
Recht ist Recht, äffte ihn Lennard nach. Na, dann küss doch gleich die Stiefel vom Porsenna und fall vor ihm in’n Dreck. Da schwätzen se was von der hohen Jagd, die Edelmänner, dabei können se nicht mal ihre Muskete richtig halten … und die Fronleut habn grad nix zu Fressen aufm Tisch. Was willst da machen, Gert? Was machst da?
Der Vatter hats ja nich nur mit Lapuzen und Erpeln gehalten. Das hätt gereicht für n ordentlichen Fraß. Der wollt die richtigen Trumm. Gierig isser geworden. Soviel Salz zum Pökeln hättenwer doch nie gehabt, so viel wie der rumgeschossen hat.
Und hälst den Finger gerade, nur weils dir die Obrigkeit befiehlt? Musst schon wissen, was du willst. Und es ist doch so, Gert … sgibt Männer, die wollen Beute machen und Männer, die schauen sich die Rotröcke lieber an. Ist wie bei den Weibsbildern. Manche packen bei der richtigen Magd zu, andere …
Gert schnaubte. Jetzt isser schon lang unter der Erde, der Alte, aber wer muss immer noch die Groschen zahlen für seine Freud am Schuß? Bist zu grün, Lennard. Davon verstehste noch nix.
Grün wie der Wein, den wir saufen.
Wir schlafen jetzt und morgend holen wir uns frische Innereien vom Henze, und wennwer den Grimm an der Angel habn, dann redn wir weiter.

Der Henze hatte in der Früh ein paar Kälber geschlachtet. Er verzog keine Miene, als Gert ihm für Lebern, Lungen und Nieren nur einen Reppa auf den Tisch in seiner Stube legte. Einen weiteren zahlte er ihm für die aus der Decke geschlagenen Kadaver. Sie packten die Innereien in Tongefäße und luden die Kadaver auf ihr Gespann. Dann ritten sie weiter durch das Tal an den Sümpfen vorbei bis zu den Fünf Gleichen. Ein sanft ansteigender Gebirgswald, begrenzt von fünf schroffen, kalkweißen Klippen.
Sie stiegen am Waldrand ab.
Der reicht von Letzeburg bis zum freien Jülich, sagte Lennard. Und manche sagen, es tät in dem Forst noch Striche geben, wo kein Mensch je einen Fuß hingesetzt hat.
Der Grimm kommt über den Pass. Da ist der Wechsel, es geht von Dunkel nach Hell, dem folgt er wie einer Schnur ins offene Land hinein. Gert zeigte auf eine lange Gasse die von der Waldgrenze ins Tal hinabführte. Er bleibt stets nah an der Flur, denn dort findet er Deckung. Und er ist allein und muss deswegen auf seine Kräfte achten. Er wird kaum mehr laufen als nötig. Gert lachte. Vatter hat den Grimm noch mit Garnen zur Strecke gebracht. In den frühen Jahren hat er sie in der Scheune für den Kurfürst gelagert. Sechshundert Schritt lang warense und hundertfünfzig Mann brauchtense. Er hat bei ner Hatz mal einen Jungwolf erschlagen, der ihm bei Chaltouva ins Garn gesprungen ist, von dem er nachher sagte, dasser so groß wie ein Grauesel gewesen sei.
Vatter und seine Mären …
Keine Mären, sagte Gert. Der wusst schon, was er tat.
Lennard winkte ab. Ich geh und mach Feuer und röst Krähenaugen.

Sie banden die Gäule an den Stamm einer jungen Birke. Der Bestand am Fuße des Hangs war licht und gut passierbar. Lennard sammelte Reisig und trockene Scheite für ein kleines Feuer, das er mit flachen Steinen aus dem nahen Rothenbach bewehrte. Gert nahm Stücke der Innereien aus den Gefäßen, zerteilte sie mit dem Nicker und stach sie auf die spitzen Enden der Angeln. Für den Grimm glänzts ganz sicher wie reinstes Gold, sagte er und rieb ein Stück Leber zwischen den Fingern. Aber der Grimm ist wie der Vatter. Immerzu Beute machen willer.
Musser eben den Preis zahlen. Lennard griff in dem Lederbeutel an seinem Gürtel und legte eine Handvoll münzgroßer Samen auf die Steine neben dem Feuer. Wer gierig wird, gewinnt die Schlacht oder zahlt halt den Preis. Er nahm die gerösteten Samen von den Steinen und schob sie unter die eingeschnittene Silberhaut der Kadaver.

In der Dämmerung schleppten sie das vergiftete Fleisch zwischen die lichten Birken und hängten die Angeln um die Äste der dicksten Eichen im schon dunklen Wald. Dann stiegen sie auf ihre Pferde und ritten zu einem Hügel neben dem Rothenbach, wo sie ihr Lager aufschlugen.
Lennard machte ein kleines Feuer in einer am Ufer gegrabenen Mulde. Der Rauch zog in dünnen Fäden über das Wasser weiter aufs offene Land.
Da tut sich doch nie was auf. Immer werdn wir im Meiler bleiben, unser Lebtag lang.
Das weisst nicht. Das weiß nur der liebe Gott. Kann immer was geschehen. Ein Grimm und noch einer … ein anderer Weg tut sich auf, eine Kiste doppelter Frankfurter oder Hannoverscher Taler landet vor unsrer Tür, ein Geist hat sie dahin getan, ein Geist aus der Tiefe des Waldes, weil er weiß, wir sind gute Leut.
Gute Leut, lacht der Gert. Träumst auch von Schimmeln auf der Weid und vom Land wo Milch und Honig fließt.
Ich träum nich mehr, sagt Lennard. Ich lieg des nachts stumm und schwer da wie n Stein.
Und ich sauf den Wein, bis es mir grün aus den Ohren kommt, Meister Lennard. Mag sein, wir sind Taugenichtse. Beten wir zu Herrgott, daswer wenigstens in Himmel komm!
Die Franzmänner haben uns gerufen, um ihre Grimme zu erlegen, die letzte Bärin der Dänen fiel durch unsere Kugel, jede Kreatur die fleucht und kreucht fürchtet unser Messer …
Wenns Angst haben um ihr Leben und die gedeckten Tische in ihren vermoderten Burgen und um ihre lieblichen Maid, dann kommen se eben zu uns … Lennard ließ sich neben dem Feuer nieder und schob sich den Sattel in den Nacken. Blut an den Fingern sag ich dir, das ist denen ihre Sache nicht.
Dann erklang das langgezogene Geheul des Wolfes in der Nacht.
Hörst das Lennard? Gert richtete sich auf und nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. Ausm Osten. Kommt übern Wechsel und zieht ins Gras. Schnuppert sicher schon an den Ködern.
Zweihundert Reppa sind nicht fünfhundert. Denen sind wir kaum die Hälfte wert. Aber sie wussten, wir nehmens, so oder so.
Noch sinwer keine Kirchmäuse. Betteln müssenwer nich.
Hast Recht, Gert.

Die Nacht wurde sternenklar. Sie ölten die Klingen ihrer Jülicher Messer, schärften sorgfältig die Orte der Piken nach und schmierten die Pulverpfannen ihrer Musketen mit Bohrmilch. Dann ruhten sie mit geschlossenen Augen und hörten, wie das Geheul des Wolfes sich entfernte und schließlich ganz verstummte.
Gert, hast dich mal gefürchtet vor einer Kreatur?
Hab ich, hab ich sehr wohl. Abers war kein Bär und auch kein Grimm. In Winnekastel hab ich mitm Vatter mal Fallen gestellt in der kurfürstlichen Menagerie, und da hattense n Wildhund aus den Steppen, Kopp dick und rund wie ein Schwein und einen grausigen Kiefer, die Zähne spitz wie Fuhrmannsmesser. Ganz ruhig wars, aus dunklen Schlitzen guckts dich an, starrts dich, und immer lauerts. Habense im Käfig gehalten, die Bestie, doch der Dresseur hat erzählt, wie’s in den Steppen die Gesellen zerreißt, es verschlingt n ganzen Mann auf einen Schlag, sagten se. Und so wild, so unbändig, niemand konnt sich dem Tiere nähern, er wollt se alle zerfetzen. Der Kurfürst hats dann mit der Kartätsche erlegen lassen, keiner seiner Leut wollt so nah ran wies für n guten Schuß aus der Muskete nötig gewesen wär.
Vor was hast da Furcht gehabt, wenns im Käfig war.
Ist die Weise, wies dich ansieht … slässt dich nicht aus dem Blick. Das ist das ganz Wilde, was sich nicht fangen und einsperren lässt. Die Bären im Käfig werden kirr, die schlagen ihre Köpp gegen die Streben, und der Grimm frisst seine Brut, aber diese Bestie, nein, mit der wars ganz anders.

Im Morgengrauen stocherten sie das Feuer an, um ihre Glieder und die klammen Joppen zu wärmen. Danach tränkten sie die Pferde am Fluss und reichten ihnen Stroh aus dem Leinenseckel.
Ich reit zu den Kadavern, und du schau nach den Angeln.
Lennard nickte. Pfeif laut, wenn was is.
Der Fuß des Hangs lag noch im Nebel. Tau glitzerte im hohen Weidengras. Sie ritten nebeneinander und teilten sich an der Baumgrenze auf.

Der erste Kadaver lag unberührt zwischen den Birken. Gert zog die Pike aus der Scheide und legte sie flach über den Sattel. Er hatte den Schaft eigenhändig auf zwei Ellen gekürzt und den Griff mit Lederschnüren verknotet.
Weiter, sprach er zum Rappen und strich ihm über den langen Hals. Das Pferd lief auf der Vorhand weiter.
Der Grimm lag unweit des zweiten Kadavers im halbhohen Gras. Die Zunge hing ihm blau angeschwollen aus dem Maul, der weit aufgesperrte Kiefer zeigte die spitzen, gelben Fänge.
Gert zügelte den Rappen und stieg ab. Die Muskete ließ er in der Satteltasche stecken und drehte die Pike in seiner Faust. Er näherte sich dem Grimm auf wenige Schritte, holte aus und stach ihm in einer einzigen Bewegung die Klinge durch die Rippen ins Herz. Zischend entwich die Luft aus dem kalten Leib.
n Wolf bleibt halt nur n Wolf, sagte Gert und wischte das Blatt der Pike am nassen Fell des Grimms ab.
Dann erklang ein Schuß. Der Knall verhallte gedämpft durch das dichte Blattwerk rasch am Hang. Als er danach den hellen Pfiff hörte, sprang er in den Sattel.
Heppa, brüllte Gert, alors alors!
Der Rappe galoppierte durch die Gasse zwischen den Birken bis zum Waldrand hinauf, und Gert umfasste die Zügel fester, hielt dabei den Kopf vor dem Wind gesenkt.
Lennard stand inmitten einer breiten Lichtung, die Muskete noch im Anschlag. Der Geruch von Schwarzpulver lag in der Luft.
Sag, Lennard, hast einen erwischt?
n Koloss wars, ne Bestie. Lauerte da gleich im Dickicht. Ich hab se erwischt.
Gert zügelte den Rappen, band ihn an und stieg ab. Diesmal zog er die Muskete aus der Satteltasche, befüllte die Pulverpfanne mit Zündkraut, schloss den Pfannendeckel und entnahm seiner Bandeliere eine Kugel.
Hier is die Lache, sagte er und rammte die Kugel mit seinem Ladestock in den Lauf. Dunkel wie die Nacht isses Blut. Hast die Leber erwischt, Lennard. Komm, nimm deine Pike und such mit nach der Fährte.
Lennard nickte.
Stumm hielten sie Ausschau nach Schweiß; den frischen Blutstropfen auf dem satten Grün des Waldbodens. Nach und nach schlossen sich die Baumkronen über ihnen, wurde das Licht fahler und die Luft kühl.
Lennard ging vorneweg, die Pike mit erhobener Spitze in festem Griff, den vorderen Arm lang ausgestreckt.
Die Schweißspur endete vor einem Schwarzdorndickicht.
Wart noch, sagte Gert. Wir greifen ihn, wenner rausspringt.
Das Knurren kam aus dem Dunkel zwischen dem Laub. Das Tier lag längst schon im Wundbett. Lennard machte einen Schritt vorwärts und blieb stehen. Er atmete aus und spannte seine Muskeln an. Das Rascheln, eine schnelle Bewegung folgte. Er erwischte den Grimm mitten im Satz, die Pike riss ihm den Balch seitlängs auf, dann fuhr die Kugel aus Gerts Muskete mitten durch sein Auge.
Der Grimm streckte noch im Flug alle Viere von sich und landete flach auf der Erde. Nichts regte sich mehr. Die Klauen leblos, das Maul zitternd, Sabber und dünnes Blut tropfte auf den Grund.
Stich zu, sagte Gert. Stich ihm durchs Herz.

Sie standen vor dem Grimm und entzündeten ihre Pfeifen.
Wasn Trumm.
Isn Rudel, sagte Gert. Da kommen noch mehr. Das ist der Leitwolf.
Der is mehr wie zweihundert Reppa wert.
Jeder Grimm is mehr wert wie der davor.
Gert schlug die Spitze seines Messer in die Kehle des Wolfs und zog ihn aus dem Dickicht. Hast du schon mal so einen gesehen?
Lennard schüttelte den Kopf. Heute lass ich mirs jedenfalls schmecken, sagte er und nahm einen tiefen Zug aus der Pfeife. Und morgen kauf ich mir Schabau aus roten Mirabellen und den guten Tabak aus Walsdaufen.
Der Aftervogt muss ersma zahlen, sagte Gert. Den Leib müssen wir ihm schon anschleppen.
Ich hol den Karren.

Lennard ging pfeifend über die Lichtung, die Pike über die Schulter gelegt. Er schaute den Hang hinunter über die grasbewachsene Ebene. Der Rappen stand mit gesenktem Kopf an eine dünne Birke gebunden. Der Karren im Röhricht des Rothenbach versteckt. Er dachte an den süßen Geschmack des Mirabellenschnapses und den erdigen Geruch des dunklen Tabaks, als er die Gestalt erblickte. Sechs Fuß zwei Ellen groß und mindestens sechzehn galizische Steine schwer. Sein Körper war von einem dichten Haarkleid bedeckt, das auf dem Rücken moosartig grün schimmerte. Er stand vor einer der Eichen und schnupperte an den Innereien, die von den Wolfsangeln herabhingen. Als er eine Klaue ausstreckte, um nach dem Fleisch zu greifen, sah Lennard spitze Krallen aus dem Fell ragen, matt und so braun wie rostiges Eisen. Er beobachtete die Kreatur mit stockendem Atem, wie sie nach und nach die Köder vom Widerhaken zog. Dann spürte er schweres, kaltes Metall auf seiner Schulter lasten und hörte die Stimme von Gert.
Halt still, flüsterte er. ‘s is der Hessel, also halt bloß still, kein Mucks.
Lennard schloss die Augen. Das Schnappen des Abzugs. Der brechende Schuß.

Der Hessel, der Wilde Mann der rheinischen Wälder, der in den als unbewohnbar geltenden Tälern und in den steilsten Siefen lebt, ein heimliches Wesen, das kaum ein Menschenauge je erblickte; die Legenden und alten Geschichten erzählen von Jägern, die in Tümpel gezogen und ersäuft wurden, von erschlagenen Kindern und Hunden und im Stall zerrissenem Vieh in eisig kalten Wintern.

Funken sprühten über das Schutzblech des Schlosses. Der Lauf riss hoch. Dann troff es Rot aus dem Loch am Balch, Blut sickerte über das Fell. Der Hessel drehte sich um, sein Atem weißer Dampf. Er schüttelte sich, fasste sich an die verwundete Flanke und stieß einen lauten Schrei aus.
Nimm die Pike, sagte Gert und schüttete Pulver aus einer Hülse in den Lauf. Riposte, alors alors!
Lennard stach den Schaft der Pike in den feuchten Erdboden.
Gert rammte die Kugel mit dem Ladestock in den Lauf und spannte den Hahn. Und wir wollenen nich töten, nur verletzen …
Doch der Hessel griff nicht an. Er stand schwer atmend da, starrte mit ermatteten Blick in ihre Richtung, das Blut sprudelte nun frisch aus der Kaverne. Dann erhob er seinen mächtigen Kopf, stieß einen einzelnen, kehligen Laut aus und bewegte sich langsam humpelnd über die Lichtung.
Wie ein waidwundes Tier, sagte Lennard. Doch ‘s is kein Tier, Gert. ‘s kann kein Tier sein, wenns wie n Mensch geht.
‘n Bestie isses. Und wir sin Jägersleut. Jäger steigen den Bestien nach, Lennard. Wir erlegen se. Wir erlegen die Bestien.

Sie folgten der Fährte aus Blut und Schnitthaar bis zur vordersten Steilwand der Fünf Gleichen. Dort saß der Hessel unter einer Linde im Schatten, den Kopf erschöpft zur Seite gedreht, die Augen schon geschlossen. Fliegen schwirrten umher, legten ihre Eier in der schartigen Wunde ab.
Warts ab, nich zu nah. Gert hob die Hand. Ein Hieb und du bist entwei.
Der Atem des Hessel rasselte. Er öffnete die Augen und sah die Brüder reglos an.
Die Bestie weiß ja auch, dasse stirbt.
Meinst, der Herrgott holt auch jene?
Gert schüttelte den Kopf. Die fahrn in die Hölle. Solch Deivel ham beim Herrgott nix zu suchen.
Der Vatter hat se mir immer erzählt die Geschichte, dass der Hessel seine Quelle tief im Wald hütet, deren Wasser aus allem Gold macht, was man auch reinlegt.
n Märchen, Lennard. Und mir sind keine kleinen Kinder mehr.
Der Hessel tat einen letzten Atemzug. Danach gefror sein Blick.
Lennard öffnete ihm das Maul mit der Spitze der Pike. Zäng dreimal so groß und so scharf wie a Grimm!
Gert horchte in die Stille des Waldes hinein und legte einen Finger über die Lippen. Sie blickten an der Kalksteinwand entlang zum Himmel. Ein langer, verzerrter Schrei drang aus den Höhen zu ihnen herab.
Da wo eine is, da sind immer andere, sagte Gert leise. Dann entspannte er den Hahn und schulterte seine Muskete. Aber vom Gipfel der Gleichen bis runter is n ganzer Tag. Die riechen die Verderbnis bloß. Er lachte laut und schlug seinem Bruder auf die Schulter. Alors, alors, Lennard! Schaff n dicken Ast und Reisig an, lass rasch n Kreuz bauen um die Bestie dann zum Karren zu ziehen.

Sie erreichten den Waldrand zur Mittagsstunde. Die Sonne brannte ihnen heiß in den Nacken.
Schneid den Grimmen noch die Standarte ab und brech ihnen die Reißer ausm Maul. Das muss dem Aftervogt reichen.
Lennard nickte. Er blickte auf den Hessel, sein dichtes Kleid aus krausen Haaren, in seine noch offen stehenden Augen.
Der Vatter hat doch Recht gehabt mit seinem Märchen, sagte Gert. Nur dass der Hessel keine Quelle tief im Wald hütet.
Versteckt hatter sich. Versteckt vor den Menschen, vor uns.
Mag schon sein, Lennard. Aber sblutet eben, und wenns blutet, dann kanns und wirds gejagt werden. In den Augen da, da glimmts gleiche Wilde wie bei dem Hund in der Menagerie damals. Das kannste nicht bändigen, das bleibt so. Und dann muss mans erlegen. Man muss es töten, sonst tötets dich am End.

Die Stadtbewohner standen Spalier. Sie hielten sich die Hände vor ihre Münder und raunten. Manche murmelten leise Gebete. Andere wendeten rasch den Blick ab. Der Aftervogt setzte sich auf eine mit Samt gepolsterte Bank. Ach herrje, sagte er und trank einen Schluck grünen Wein. Und ich dacht stets, der Hessel sei nur ne Fabel, um Rotzbengel zu verschrecken!!
n Grimm mit solchen Hauern, sagte Gert und warf die herausgebrochenen Eckzähne auf die Tafel. Der muss fressen, und der war nich allein, sein Rudel wird ja nich kleiner. Da wirds knapp mitm Fraß. Sicher haben unsere Köder den Hessel ausm tiefsten Wald gelockt, der hat ja ne Nas fein wie n Hund.
Und da waren noch andere, sagst?
Bald stehense sicher vor den Höfen im Tal. Sieben Fuß hoch und zwanzig galizische Steine schwer.
Der Aftervogt schüttelte den Kopf. Um Gottes Willen!
Zweihundert Reppa für den Grimm, wie wirs abgemacht hatten. Den jungen, den räudigen, den schenk ich dir. Fünfhundert für den Hessel. Und tausend für jeden anderen, den ich dir bring.
Tausend?
Die Leut da draußen ham ihn ja alle gesehen, den Hessel. Wes das Herz voll Angst ist, des geht der Mund über …
Jaja, sagte der Aftervogt und nickte. Die Pfaffen suspizieren sicher schon, dass ich mit dem Teufel im Bunde bin, dass ich des Unheil heraufbeschwöre, ich meine, man schaue sich diese Kreatur ja nur einmal an! Er trank den Krug leer und winkte seinen Diener heran. Geh mir rasch einen Seckel Reppa aus der Stadtkasse herholen!

Lennard kaufte einen Strang türkischen Tabak und einen großen Krug Mirabellenschnaps beim Marketender in Vierheilig, und auf dem Ritt zurück in ihren Meiler machten sie Rast an der Weinerei Pejut, wo ihnen der Winzer umgetraubten Horn, den wild vergorenen Roten der Gegend, in ihre leeren Schafsblasen füllte.
Abends saßen sie vor ihrer Hütte und rauchten und tranken.
Isn guter Wein, sagte Gert und stopfte sich Tabakverse in die Pfeife.
Hast Recht, Gert. Ich mag n ja auch. Was anderes als immer nur der vermaledeite Grüne.
Aber schweigst schon den ganzen Abend …
sliegt mir schwer am Herzen, die Sache mit dem Hessel. Hat uns nix getan, das Wesen. Nich der kleinen Hedwig und sonst keinem. Wollt nur fressen. Und fressen wollenwer all.
Und sgibt Männer, die wollen Beute machen … erinnerst dich? Der Hessel is unsre Quelle, sagte Gert. Den machenwer zu Gold, und dann sindwer bald raus ausm Meiler, dann schauen wer uns die Ingelheimer Kolonien und die schwarze Küste an, so wie wirs immer wollten.
Lennard nickte.

Sie saßen bis in die tiefste Nacht vor der Hütte, tranken den guten Wein und rauchten ihre Pfeifen, und manchmal glaubten sie, da bewegte sich etwas in der Dunkelheit auf sie zu, aber dann schüttelten sie doch ihre Köpfe und lachten über ihre eigene schaurige Fantasie. Sie würden den letzten der Hessel schon bald darauf erlegen, sie würden ihn hetzen und vor sich hertreiben und in einer engen Schlucht nahe der Fünf Gleichen stellen, ihm seinen riesenhaften Leib mit großen Kalibern in Stücke reißen und ihm die Klauen als Beweise abtrennen. Sie würden mit Tausenden von Reppa ihren alten Meiler verlassen und sich bis an die südlichste Spitze der Kolonien durchschlagen, wo sie wilde Steppenhunde mit neuartigen französischen Hinterladern bejagen und dafür vom König üppigen Lohn erhalten. Sie würden in den Kolonien von Ingelheim sämtliche von Gott und Teufel erschaffene Kreaturen zur Strecke bringen, ihr Handwerk verfeinern und ihr Arsenal vergrößern, und jeder Edelmann würde ihre Namen kennen, den der Gebrüder Reets, die ohne Furcht noch den wildesten Bestien nachsteigen. Und doch würden die Brüder nie diese Nacht vor ihrer Hütte vergessen, wo sie eine der Wahrheiten über sich und die Welt erfuhren, dass nur einer die Schlacht gewinnen kann, dass dem einen Untergang dem anderen sein Los.

 

Hallo @jimmysalaryman

ein schöner Text! Ich habe ein paar Anmerkungen. Und auch eine grundsätzliche Frage. Warum kennzeichnest du nicht die wörtliche Rede? Da wirst du dich ja bewusst gegen entschieden haben. So war es für mich teilweise schwer, sofort zu erkennen, wer da jetzt spricht. Tat dem Text aber keinen Abbruch. Ein paar Anmerkungen:

Schau se dir nur an, deine Rappen, denen steht der Schaum vorm Maul.
Der Vogt nickte. Ich bin den Pasteten und dem Weißen zugeneigt, so ists nicht.
Das hat mich ein wenig stutzen lassen. Der Aftervogt steht ja gesellschaftlich höher als die beiden. Klar, er möchte was von denen, aber würde er sich tatsächlich dazu herablassen, auf ihre Provokationen einzugehen. Ist das nicht ein wenig zu viel? Ich bin mir unschlüssig.
Dozo es nor d'r Deuvel fähig!
Hier habe ich nicht ganz verstanden, warum sich plötzlich der Dialekt so sehr ändert. Ähnlich wie hier passiert es vorher und auch nachher ja nicht mehr.
sgibt Männer, die wollen Beute machen und Männer, die schauen sich die Rotröcke lieber an
Rotröcke assoziiere ich mit englischer Infanterie aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Ich denke, dass du aber andere Rotröcke hier meinst. Ich konnte es aber nicht zusammen bringen.
Der reicht von Letzeburg bis zum freien Jülich,
Das freie Jülich. Ich meine mich daran zu erinnern, dass im Stechgroschen auch schon von dieser Gegend die Rede war. Auch von der Sprache ähnelt es sich ja. Finde ich gut, es passt zusammen und wird in meinem Kopf zu einem zusammenhängenden Ganzen. Weiß nicht, ob du das beabsichtigst oder ob es nur mir so geht, aber mir fallen insgesamt ein paar Ähnlichkeiten auf. Dazu unten noch ein wenig mehr.
Die Franzmänner haben uns gerufen, um ihre Grimme zu erlegen, die letzte Bärin der Dänen fiel durch unsere Kugel, jede Kreatur die fleucht und kreucht fürchtet unser Messer …
Die Franzmänner und die Dänen waren Auftraggeber. Die Brüder scheinen ja mächtig herumgekommen zu sein. Oder liegt es daran, dass aus Gründen in der Gegend sowohl Franzosen als auch Dänen stationiert waren? Da fehlt mir der historische und zeitliche Hintergrund deiner Geschichte. Im Stechgroschen war es ja der Dreißigjährige Krieg. Hier auch?
Die Nacht wurde sternenklar. Sie ölten die Klingen ihrer Jülicher Messer, schärften sorgfältig die Orte der Piken nach und schmierten die Pulverpfannen ihrer Musketen mit Bohrmilch.
Ich finde, dass der Text auch vor allem durch die detaillierten Schilderungen lebt. Man merkt, dass du dich auskennst, dass du dich informiert hast. Klar schmieren sie die Pulverpfannen mit Bohrmilch ein. Weiß ich ganz genau, warum? Nein. Aber ich nehme dir ab, dass du es tust und deshalb funktioniert es zumindest für mich.
Die Schweißspur endete vor einem Schwarzdorndickicht.
Ist es hier nicht eine Blutspur? Oder ist Schweißspur ein Fachausdruck der Jagd, den ich nicht kenne?
Sechs Fuß zwei Ellen groß und mindestens sechzehn galizische Steine schwer.
Puh, es passt natürlich zur Sprache. Aber ich kann mir unter sechs Fuß und zwei Ellen schon wenig vorstellen. Sechzehn galizische Steine könnten für mich aber wirklich alles bedeuten. Das muss nicht schlecht sein, aber zumindest für mich ergibt sich daraus kein Bild des Wesens, ohne dass ich nachschaue, welchen Maßstab sechzehn galizische Steine abbilden. Aber, wie gesagt, es passt zum Text und ist somit schlüssig.

Und ich dacht stets, der Hessel sei nur ne Fabel, um Rotzbengel zu verschrecken!!
Einer der Tags ist Märchen. Und ich finde, hier kommt das Märchenhafte für mich am ehesten durch. Die Wesen, der Hessel, sind hier noch zugegen. Aber auch bereits eigentlich nur noch aus Erzählungen und Legenden. Die Geschichten sind noch präsent, aber wirklich eine Rolle spielen sie nicht mehr in dieser Welt. Auch der Aftervogt ist ja wirklich überrascht, dass die beiden tatsächlich einen Hessel anschleppen. Und trotzdem sind diese Wesen (und vielleicht ja auch noch anderes) in deiner Geschichte eine Realität. Aber eine Realität, die alsbald ausgelöscht sein wird. Denn darauf läuft für mich dein Text auch hinaus:
Sie würden den letzten der Hessel schon bald darauf erlegen, sie würden ihn hetzen und vor sich hertreiben und in einer engen Schlucht nahe der Fünf Gleichen stellen, ihm seinen riesenhaften Leib mit großen Kalibern in Stücke reißen und ihm die Klauen als Beweise abtrennen.
Und dadurch, dass die unerklärlichen, unbekannten Wesen und Erzählungen (Brunnen, in dem alles zu Gold wird etc.) bald verschwunden sein werden, wird das Ganze zum Phantastischen und damit zum Märchen. So zumindest in meinem Kopf, als ich den Text gelesen habe. Hat für mich gut funktioniert.

In vielerlei Hinsicht erinnert mich diese Geschichte auch an den Stechgroschen. Und damit meine ich nicht alleine die Sprache oder die zeitliche Verortung. Sondern ich meine damit die, ich finde keine bessere Beschreibung, klar strukturierte Welt der Protagonisten. Hier in Form der beiden Brüder:

Mag schon sein, Lennard. Aber sblutet eben, und wenns blutet, dann kanns und wirds gejagt werden. In den Augen da, da glimmts gleiche Wilde wie bei dem Hund in der Menagerie damals. Das kannste nicht bändigen, das bleibt so. Und dann muss mans erlegen. Man muss es töten, sonst tötets dich am End.
So funktioniert ihre Welt. Und so funktionierte auch die Welt der beiden Söldner aus dem Stechgroschen. Töte oder du wirst getötet. Oder wie du am Ende schreibst: dass dem einen Untergang dem anderen sein Los.
Gepaart mit dem Fokus auf das Handwerkliche ihres Tuns hat sich daraus diese starke Verbindung der beiden Texte ergeben. Vielleicht geht es aber auch nur mir so.

Gerne gelesen!
Grüße
Habentus

 

Warum kennzeichnest du nicht die wörtliche Rede? Da wirst du dich ja bewusst gegen entschieden haben.

Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar, @Habentus

Ja, ich bin zur Zeit in dieser Stechgroschen-Welt unterwegs, das ist irgendwie total krass, da ich mich wirklich nie mit Phantastik oder so beschäftigt habe, auch habe ich immer gesagt, ich kann mit magischem Realismus nix anfangen, aber mittlerweile hat sich das geändert; vor allem finde ich den Aspekt des Fiktiven wirkmächtig, ich kann einfach wirklich etwas erfinden im Sinne einer eigenen Fantasie, ich muss mich dort keinem Regelwerk unterwerfen. Natürlich muss das in sich stimmig sein, aber im Grunde sind diese meine Texte a-historisch, die sind nicht wirklich verbrieft und das meiste total erfunden, aber ich denke mir oft, es ist vollkommen egal, wenn man es gerne liest und der Text funktioniert.

NATÜRLICH ist meine Ausrede, dass ich hier bei Old Cormac abgekupfert habe; ich denke, wenn man den Text so in einem Ganzen liest, können sich auch die Stimmen ruhig vermischen, das erscheint mir nicht so wichtig, sondern dann eher der gesamte Eindruck. Rein logisch denke ich, dass es flüssiger zu lesen ist, eher ein Ganzes ergibt, aber ich kann mich auch irren.

Klar, er möchte was von denen, aber würde er sich tatsächlich dazu herablassen, auf ihre Provokationen einzugehen
Ist ein guter Punkt. Für mich sind diese beiden Brüder irgendwie Solitäre, die über ein Kapital verfügen, was nur sie haben: das Handwerkliche der Jagd. Gesellschaftlich mögen sie vielleicht eine geringe Stellung haben, aber hier, wenn sich der Rest der Gemeinschaft in Not befindet, da darf diese Arroganz schon ein wenig hervorblitzen, es ist ja auch Verachtung und Frust, die hier aus ihnen spricht, sie wollen sich natürlich auch ihrer eigenen Haltung und Stellung versichern. Aber klar, ich weiß, was du meinst und überdenke das noch einmal ganz genau.
Ich denke, dass du aber andere Rotröcke hier meinst. Ich konnte es aber nicht zusammen bringen.
Rotrock = Rehwild. Muss ich anders machen, denn natürlich kann man es so lesen, vor allem vor dem quasi-historischen Hintergrund.

Das freie Jülich. Ich meine mich daran zu erinnern, dass im Stechgroschen auch schon von dieser Gegend die Rede war.
Genau, das ist so meine Form der Worldbuildings, einfach solange erwähnen bis der Leser es glaubt! :D Nein, stimmt schon, es ist eine Idee in meinem Kopf, eine Art Welt, die so sein könnte, es in Wahrheit aber nicht ist. Vielleicht ist es auch so, ich weiß nicht, dass durch diese leicht unterschiedliche, in dem eigentlichen Sinne ja auch inkorrekte Folie der Historie diese rein fiktive Welt tatsächlich echt erscheint. Das macht mir auch eine immense Freude beim Schreiben, einfach Fakten erfinden und sie ohne Erklärung darstellen, weil man sie in dieser Welt eben als Faktum erfasst, da gibt es keine zwei Möglichkeiten.
Oder liegt es daran, dass aus Gründen in der Gegend sowohl Franzosen als auch Dänen stationiert waren? Da fehlt mir der historische und zeitliche Hintergrund deiner Geschichte. Im Stechgroschen war es ja der Dreißigjährige Krieg. Hier auch?
Ja, der Dreißigjährige Krieg war eine Inspiration, aber es war nicht die wirkliche Vorlage. Ich denke, jemand der wirklich recherchiert, der haut mir solche Texte dermaßen um die Ohren, alleine was da an Waffen parallel benutzt werden, Steinschloss, Luntenschloss, Perkussion, um Gottes Willen!, aber ich denke, es ist so eine Zeit, in der das einfach alles passiert, im Kopf habe ich den Flickenteppich um 1800, aber das variiert, um ehrlich zu sein, weil ich da einfach noch kein schlüssiges Konzept habe, ob und wie ich eine solche fiktive Welt bauen soll. Es ist zur Zeit einfach eine Frage der Lust, und hier habe ich großen Spass.

Ist es hier nicht eine Blutspur? Oder ist Schweißspur ein Fachausdruck der Jagd, den ich nicht kenne?
Ganz recht, Blut = Schweiß, es wird auch vorher noch einmal in einem Nebensatz erklärt, meine ich.
Das muss nicht schlecht sein, aber zumindest für mich ergibt sich daraus kein Bild des Wesens, ohne dass ich nachschaue, welchen Maßstab sechzehn galizische Steine abbilden. Aber, wie gesagt, es passt zum Text und ist somit schlüssig.
Auch der galizische Stein ist natürlich frei erfunden, es gibt allerdings ein altes britisches Maß, "stone", was ungefähr sechs Kilo entspricht und auch tatsächlich immer noch als Einheit vor allem für das Körpergewicht genommen wird, also " I lost two stone" oder so, und das habe ich übersetzt ins Deutsche und einfach wahllos etwas drangehangen, es hätte auch der böhmische Stein oder der römische Stein sein können. Ich dachte mir halt so: Stein, schwer, sechzehn, sehr schwer, und dann noch etwas besonders klingendes! :D Wenn du sagst, es klingt schlüssig, ich glaube dir gerne.

Die Geschichten sind noch präsent, aber wirklich eine Rolle spielen sie nicht mehr in dieser Welt. Auch der Aftervogt ist ja wirklich überrascht, dass die beiden tatsächlich einen Hessel anschleppen. Und trotzdem sind diese Wesen (und vielleicht ja auch noch anderes) in deiner Geschichte eine Realität. Aber eine Realität, die alsbald ausgelöscht sein wird. Denn darauf läuft für mich dein Text auch hinaus:
Ja, das ist wohl so. Es ist sehr schön, wenn du das so liest. Ich habe neulich ein Buch über die letzten Büffel in den USA gelesen, und wie die Büffeljagd propagiert wurde und wie methodisch dieses Tier ausgemerzt wurde, da gibt es Beschreibungen von Jägern, die einem wirklich die Haare zu Berge stehen lassen; allerdings haben diese Menschen das natürlich unter vollkommen anderen moralischen Aspekten betrachtet, bzw hat Moral da nicht so eine Rolle gespielt. Hier ist es ja ähnlich, es ist eine im Grunde schon sozialdarwinistische Sicht, die die Jäger haben, ein Wesen, das vielleicht sogar friedlich ist, wird ausgerottet, um einen persönlichen Gewinn rauszuschlagen.
Gepaart mit dem Fokus auf das Handwerkliche ihres Tuns hat sich daraus diese starke Verbindung der beiden Texte ergeben. Vielleicht geht es aber auch nur mir so.
Ist ein guter Punkt. Siehst du, ist mir nicht so aufgefallen. Ist eine recht ähnliche Konstellation, da ich so Zweier-Konstellationen mag, sie sorgen direkt für Interaktion, haben eine gute Dynamik, es geht rasch vorwärts. Aber ja, ich muss unumwunden zugeben, wenn ich es nüchtern objektiv betrachte, geht das schon in die gleiche Richtung. Sollte man also nur einmal pro Jahr machen! :D

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @jimmysalaryman,

ich mag die Geschichte sehr gerne. Ich lese eh gerne historische Romane, in denen fiktive Figuren vorkommen, deshalb war ich direkt Feuer und Flamme. Diese beiden Figuren gefallen mir auch sehr gut, davon würde ich gerne mehr lesen. Ein paar Probleme hatte ich tatsächlich mit der Sprache. An einigen Stellen war mir nicht ganz klar, was gemeint ist. Das Problem hat man, denke ich, bei allen historischen Romanen, aber du setzt noch einen drauf und versuchst dich der Sprechweise aus dieser Zeit anzunähern. In der Art kannte ich das noch von keinem Roman, von daher hat es mich etwas gewundert. Geht es dir dabei um Authentizität? Ich glaube die erkaufst du dir mit einem hohen Preis, weil es mich einige Male etwas irritiert hat. Es führt mich auch dazu über die verwendete Sprache nachzudenken, also wie sich einzelne Wörter so entwickelt haben, etc. Ich finde das durchaus interessant, aber es reißt mich halt dabei kurz aus dem Text.
Auch hätte ich mir einen etwas stärkeren Konflikt während der Jagd gewünscht. Mir kams ein bisschen so vor, als ob die beiden Brüder in den Wald gehen und der Reihe nach alle Tiere wegrattern, weil nur der Leitwolf versucht sich zu wehren. Wobei ich die Symbolik eigentlich ganz cool finde. Der Hessel, eine Sagengestalt, die früher für Angst und Schrecken gesorgt hat, wird einfach umgeballert. Das Ende der mystischen Welt, der Anfang der technologisierten Welt. So oder so ähnlich. :)

Details:

Es gibt in Game of Thrones die Familie Reet, gerade vor diesem historisch angehauchten Hintergrund hat der Name direkt diese Assoziation bei mir geweckt. Nur als Hinweis.

Dozo es nor d'r Deuvel fähig!
Ist so der Höhepunkt der ungewöhnlichen Sprache. Auf der einen Seite denke ich mir, dass das echt gut gemacht ist, weil ich ohne Probleme verstehe, was es heißen soll. Auf der anderen Seite lenkt es den Blick in so eine Wie-ist-der-Text-geschrieben-Metaebene. Ich hoffe du verstehst, was ich meine.

Rotröcke
Edit: Da dachte ich auch an englische Soldaten.

Dann ritten sie weiter durch das Tal an den Sümpfen vorbei bis zu den Fünf Gleichen. Ein sanft ansteigender Gebirgswald, begrenzt von fünf schroffen, kalkweißen Klippen.
Weiß nicht, ob ich die Erklärung nicht vorlagern würde, also zur ersten Erwähnung. Ich musste an die "drei Gleichen" denken, was drei Burgen in Thüringen? sind.

dann schauen wer uns die Ingelheimer Kolonien und die schwarze Küste an, so wie wirs immer wollten.
Stoff für einen Roman? :D Ich würde ihn lesen.

Also wie gesagt, sehr gerne gelesen.

Grüße
Klamm

 

Hallo @jimmysalaryman =)

lese ja solche Gesamteindruckstexte sehr gerne, die weniger eine Story als Atmosphäre einer exotischen Zeit vermitteln. Ja, habe ich sehr gern gelesen. Kein Text, der konzentriert Wort für Wort nachvollzogen wird, sondern einer, der immer wieder durch seine urige Sprache (urig bitte nicht im Sinne vom gemütlicher Knollehütte mit Fichtenausschank verstehen) Lücken lässt, die ich als Leser akzeptieren muss, denn ich lebe weder in der vorindustrialisierten Welt noch habe ich den blassesten Schimmer über die menschen Wahrnehmung in dieser langen, langen Zeit vor der Eisenbahn.

Mich erinnert das ein bisschen ein Ferdinand Raimund (okay, fürs Protokoll: Ich als Pflegefachkraft kenne doch tatsächlich Ferdinand Raimund, danke, bitte setzen), wo auch Figuren wie Rappelkopf und Astrogalus auftauchen und die "Niederen" die Weisheiten der "Oberen" dank Ironie und der Urwaffe der Schlagfertigkeit zersetzen. Aber um letzteres geht es in deiner Story höchstens zu Beginn.

Ich als Leser anno 2022 trenne dank meiner exzellenten, hochrationalen und empirisch hart fundierten deutschwestlichen Schulausbildung die Welt in Wahres und Unwahres. Das Unwahre gehört zum Reich der Magie, Mystik, Psychiatrie, Astrologie, Ufologie und den fernen Randgebieten der hohen Philosophie sowie Neurologie. Aber das war ja nicht immer so. Drachen und Phönix wurden in der zoologischen Taxonomie anfangs unter der Familie der Paradoxa geführt. Für viele Menschen gab es sie, sie waren real und irgendwas, was als Aufklärung bezeichnet wird, führte zur Auslöschung dieser Tierarten in der Realität. In deiner Welt existieren diese magischen Wesen noch. Es gibt keine Magie oder die Magie gibt es und sie ist real. Bevor ich jetzt schwerverständlich weiter rumkrakeele, ein paar Anmerkungen:

Ihr in der Honnschaft fresst wohl, als würds kein Morgen geben. Gert zog an seiner Pfeife und schüttelte den Kopf. Schau se dir nur an, deine Rappen, denen steht der Schaum vorm Maul.
Der Vogt nickte. Ich bin den Pasteten und dem Weißen zugeneigt, so ists nicht. Er beugte sich auf der Droschke nach vorne und stöhnte leise. Aber ich bin nun nicht hergekommen, um übers Fressen zu parlieren.
Hast du mal probiert, die Geschichte im Präsens zu schreiben? Die wörtliche Rede ohne Kennzeichnung schafft ja etwas unmittelbares, etwas "in- die-Situation-eingeflochtenes". Vielleicht stärkt das Präsens diesen Eindruck. Vielleicht wird der Text dadurch szeniger, an der Szene geeicht, die Sprache paust die Situation konturierter ab ... ich stolperte gelegentlich an den Sätzen, die auf die wörtliche Rede folgen, da sie im Präteritum stehen. Ist aber nur eine Idee, das mit dem Präsens.
Der Wolf kennt keinen Vater und keine Mutter, sagte Lennard. Der Wolf ist nur Wolf.
Für mich der stärkste Satz im Text. Hier geht es ja nicht nur um den Wolf; hier betrachten die beiden Jäger ihr eigenen Fähigkeiten. Ihr Talent, einen Wolf zu jagen. Der Wolf ist Wolf, Holz bleibt Holz, der Tag ist ein Tag, es stecken keine großen hyperkomplexen Wahrheiten hinter den Dingen. Es sind Jäger, die tun, was sie tun und das ist das Jagen. Und das ziemlich perfekt. Und das wissen sie. So begegnen sie dem Vogt. Rauchen Pfeifen unterm Baume und der Herr Oberratsadelvogt keucht, schwitzt und bittet.
Lennard nickte. Gibt noch mehr Blagen wie die Hedwig, die man zerrissen und ohne Kopp in den Siefen finden wird, uns kümmerts ja kaum.
Es kümmert sie kaum, also kümmert es sie ein wenig und das Wenige interessiert. Was motiviert also die beiden? Ich nehme es beiden nicht ab, dass es nur das Geld ist. Gut in ihrem Talent zu sein? Es den Oberfürsten zu zeigen, dass ausgerechnet die hohe Aristokratie auf zwei Jäger des Bauernstandes (sind sie das?) angewiesen ist? Oder Jagen sie, weil sie Jagen. So eine "Wolf ist Wolf"-Argumentation. Der Vogt reagiert ja ähnlich, Schulden sind eben Schulden, sie werden über Blut vererbt. Alles eine statische, geordnete Welt. Gert scheint das eher zu akzeptieren als Lennard. Lennard hätte ich auch jünger, zweifelnder, selbstbewusster und ehrgeiziger eingeschätzt als Gert.
Die Pfaffen, wiederholte der Aftervogt leise. Ja, die Pfaffen.
Ich behaupte jetzt mal frei: Das ist ein jimmysalaryman-Abschluss-Satz, es wird etwas leise gesprochen oder leise wiederholt. Behaupte nicht, dass das schlecht ist, aber diese Konstruktion verwendest du (glaube ich!) öfters.
Der Grimm kommt über den Pass. Da ist der Wechsel, es geht von Dunkel nach Hell, dem folgt er wie einer Schnur ins offene Land hinein.
Vielleicht das "der", "es" und "hinein" streichen?
Sie banden die Gäule an den Stamm einer jungen Birke.
Okay, rein subjektiv: Biegen sich nicht junge Birken sehr rasch?
Gert nahm Stücke der Innereien aus den Gefäßen, zerteilte sie mit dem Nicker und stach sie auf die spitzen Enden der Angeln. Für den Grimm glänzts ganz sicher wie reinstes Gold, sagte er und rieb ein Stück Leber zwischen den Fingern. Aber der Grimm ist wie der Vatter. Immerzu Beute machen willer.
Musser eben den Preis zahlen. Lennard griff in dem Lederbeutel an seinem Gürtel und legte eine Handvoll münzgroßer Samen auf die Steine neben dem Feuer. Wer gierig wird, gewinnt die Schlacht oder zahlt halt den Preis. Er nahm die gerösteten Samen von den Steinen und schob sie unter die eingeschnittene Silberhaut der Kadaver.
Finde es sehr stark, wie du mit den Begriffen dieser Zeit umgehst. Was für eine Zeit, keine Ahnung. Neuzeit? Vor Napoleon, 18., 17. Jahrhundert? Du hast mal geschrieben (was ich sehr sympathisch fand), dass du einfach denkst, dass Menschen in dieser Zeit eben so sprechen und dir die Realität egal ist. Vielleicht bist du aber der Realität durch das Ausgedachte besonders nah. Ob Jülich frei war oder nicht, spielt weniger eine Rolle, als der Eindruck, den die Menschen in dieser Zeit hatten. Dieses Grundwahrnehmung, mit dem ein Mensch auf die Welt blickt. Ordnung, Chaos, Statik und Gott, Magisches. Oder noch eher, wie wir uns aus der Gegenwart diese Zeit glauben. Lass Jülich ruhig frei, unfrei, ein Fürstenterritorium, lass Arnika am Rurstein blüh'n und das Kraut die Madenkühe pflücken, es passt einfach. Vor allem diese Weisheiten (Wolf ist Wolf, Schuld ist Schuld), die vielleicht ihr Weltbild kräftiger stabilisieren als die reale Welt selbst.

Es gibt einen Punkt, den ich kritisch sehe: Die Begründung, warum sie den Hessel finden. Sie sind die besten Jäger. Der Hessel ist so stark wie das Talent der Jäger. Je besser die Jäger, und je leichter sich der Hessel fangen lässt, desto dümmer ist er. Dein Text zieht in diese Richtung "Mensch vs. Natur". Wie gut ist die Kreatur? Wie sehr kann sie die Strategien der Jäger wittern?

Warum sind die Jäger gut? Ich erfahre das vor allem durch den Aftervogt. Oder in der Abgestumpftheit (gibt es das Wort) der beiden. Sie haben keine Angst vor dem Wolf. Oder, auch wenn es für uns moderne Menschen schwer nachvollziehbar ist, in der Herkunft der beiden, ihr Vatter war ja ein exzellenter, wenn gleich gieriger und übergieriger Jäger. Der Glaube an Erbe durch Blut in Tat und Handlung. Sie sind gut, also finden sie einen Hessel. Sind die Brüder furchtloser? Lesen sie ein Waldgebiet besser? Ist es realistisch, dass in einer der dichtbesiedelsten Zonen der frühen Neuzeit ein Wald von Luxemburg bis Jülich kaum betreten wurde? Vielleicht macht es Sinn, der Geschichte ein, zwei "magische" Elemente anzufügen. Vielleicht jagen sie nur an Ferdinandstagen oder, wenn die Heidrun dreimal geschlagen, vielleicht haben die Brüder einen Aberglauben an irgendwas, der sie motiviert, der ihnen die Sicherheit gibt, gut zu jagen.

Ich habe eben @Klamm -s Beitrag gelesen und auch ihm stimme ich zu: Die Jäger gehen in den Wald, jagen, rattern das Tier weg und fertig ist, Stadt Jülich freut sich, 1000 Rappa, steuerfrei. Mir scheint es, dass der Text in Stimmung und Tiefe ziehen will (kann man das verstehen?). Nicht in einen spektakulären Plot mit sechshundert Achterbahnschleifen. Trotzdem machst du es den beiden ein bisschen leicht mit dem Hessel. Okay, das als Kritik. Ich habe den Text sehr gern gelesen. Ich schätze deine Sprachgewandheit und irgendwie finde ich es schön, dass du spaßiger und bunter schreibst.

Lg aus Leipzig
kiroly

 

lese ja solche Gesamteindruckstexte sehr gerne, die weniger eine Story als Atmosphäre einer exotischen Zeit vermitteln.

Hallo,

na ja, ist schon eine Geschichte, die von A nach B führt und weniger ein Gesamtmenü. Durch die Details kann das aber ein wenig so wirken, aber Atmosphäre erzeugen ist ja die halbe Miete, wie ich finde.

Kein Text, der konzentriert Wort für Wort nachvollzogen wird, sondern einer, der immer wieder durch seine urige Sprache (urig bitte nicht im Sinne vom gemütlicher Knollehütte mit Fichtenausschank verstehen) Lücken lässt, die ich als Leser akzeptieren muss, denn ich lebe weder in der vorindustrialisierten Welt noch habe ich den blassesten Schimmer über die menschen Wahrnehmung in dieser langen, langen Zeit vor der Eisenbahn.
Ich habe davon auch keine Ahnung, ich erfinde das einfach. Entweder der Leser lässt sich auf diese Immersion ein, oder eben nicht. Ich denke, da gibt es nichts Objektives. Kein Autor der Gegenwart kann genau wissen, wie Menschen vor dreihundert Jahren dachten und fühlten, das bleibt immer nur Spekulation. Deswegen sage ich ja, es ist wenn eine Art a-historischer Text, der von sich aus im Vagen bleibt. Auf der einen Seite ist das natürlich auch etwas manipulativ, weil man diesen zeitlichen Bogen aufzieht mit all seiner Urwüchsigkeit und auch dem Gewicht der Jahrhundert, die Vergangenheit glänzt ja immer anders, aber die Geschichten an sich bleiben relativ unspektakulär meistens.
Für viele Menschen gab es sie, sie waren real und irgendwas, was als Aufklärung bezeichnet wird, führte zur Auslöschung dieser Tierarten in der Realität. In deiner Welt existieren diese magischen Wesen noch. Es gibt keine Magie oder die Magie gibt es und sie ist real.
Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit der Braucherei, also einer Art Volksaberglauben, den deutsche Einwanderer mit in die USA gebracht haben und der vor allem in Pennsylvania sehr aktiv noch ist; das sind die Übrigbleibsel einer Volkskultur, wo sich der frühe christliche Glaube mit den alten heidnischen Praktiken vermengt und der recht okkult daherkommt, und in den USA (in diesen Counties) immer noch sehr wirkmächtig auch im Alltag ist. In Deutschland sehen wir davon nur noch Bruchstücke, weil das als völkisch gilt und deswegen leider etwas in Verdacht geraten ist. Fabelwesen und Hexen und Waldgeister spielen da immer noch eine große Rolle und werden auch als Realität akzeptiert. Das finde ich krass. Es ist auch so, ich bin in Geschichten ein großer Freund davon, wenn Menschen nicht immer alles wissen müssen oder ergründen wollen. Ich muss nicht für alles eine Erklärung haben und auch nicht alles verstehen.
Hast du mal probiert, die Geschichte im Präsens zu schreiben?
Ist eine gute Idee, werde ich mal ausprobieren. Rückt es dann noch näher an den Stechgroschen, der ja auch im Präsens geschrieben ist.
Was motiviert also die beiden? Ich nehme es beiden nicht ab, dass es nur das Geld ist. Gut in ihrem Talent zu sein?
Ich denke, es ist eine Mischung aus beidem. Sie sind auch darauf aus, auf dieses Gefühl, wichtig zu werden, da sie ansonsten recht isoliert zu leben scheinen. Der Pariah wird gebraucht, sozusagen! Vielleicht ist das so eine Sicht des Außenseiters auf die restliche Gemeinschaft, ein wenig Frackigkeit wie man im Rheinischen sagen würde.
Finde es sehr stark, wie du mit den Begriffen dieser Zeit umgehst. Was für eine Zeit, keine Ahnung. Neuzeit? Vor Napoleon, 18., 17. Jahrhundert? Du hast mal geschrieben (was ich sehr sympathisch fand), dass du einfach denkst, dass Menschen in dieser Zeit eben so sprechen und dir die Realität egal ist. Vielleicht bist du aber der Realität durch das Ausgedachte besonders nah.
Ja, ich habe da keine wirkliche Zeit vor Augen, ich empfand einfach den deutschen Flickenteppich als besonders reizvoll, aber noch nicht mal als reale historische Vorlage, sondern als reine Inspiration. Ich habe dann Namen von unbekannten rheinischen Dörfern genommen und daraus Kurfürstentümer gemacht, mit eigener Armee und eigener Währung und eigenen geostrategischen Interessen. Davon ist nichts real, aber es erscheint realistisch genug, vielleicht eben weil es eine pure Fiktion ist. Ich habe bis jetzt immer versucht, so realistisch wie möglich zu schreiben, also auch die Dialoge, die Wahrscheinlichkeit der Handlung, die Wirklichkeit der Emotionen - ist es möglich und wahrscheinlich, dass ein Charakter so reagiert? Hier ist es jetzt natürlich anders im Sinne der Welt, in der die Charaktere stattfinden, die wirkt exotischer und natürlich erfundener, was vollkommen in Ordnung ist. Man muss sich eben darauf einlassen. Ich hatte diesen Versuch bei der ersten Geschichte, der Stechgroschen, um einfach mal zu sehen, wie das so ankommt. Da haben dann viele wirklich gedacht, ich hätte total sorgfältig recherchiert, aber alles war erfunden, und ich finde, das ist doch auch eine Stärke der Literatur, die tatsächlich angewandte Fantasie.
Es gibt einen Punkt, den ich kritisch sehe: Die Begründung, warum sie den Hessel finden. Sie sind die besten Jäger. Der Hessel ist so stark wie das Talent der Jäger. Je besser die Jäger, und je leichter sich der Hessel fangen lässt, desto dümmer ist er. Dein Text zieht in diese Richtung "Mensch vs. Natur". Wie gut ist die Kreatur? Wie sehr kann sie die Strategien der Jäger wittern?
Das ist ein etwas waidwunder Punkt, da muss Salz rein! Stimmt, das ist die Schwachstelle der Geschichte, weil ich sie eigentlich als Parabel angelegen wollte, und mit mehr Spannungsanteilen wird es etwas mehr ein Abenteuertext, aber ich sehe ein, dass ich da mehr investieren sollte, weil es sich lohnt. Mir kommt diese Kreatur auch zu billig weg, das geht mir auch alles viel zu fix, ich sehe es ja ein! Also, da kommt noch was.

Ich schätze deine Sprachgewandheit und irgendwie finde ich es schön, dass du spaßiger und bunter schreibst.
Na ja, spaßiger und bunter vielleicht nicht, aber mit einem wenigstens etwas breiteren Visier.

Danke dir für deinen sehr guten Kommentar und deine Zeit, kiroly.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman,

ich schaffe es im Moment nicht, deinem Text die gebührende Flusenlese zu gönnen, wie Friedrichard sagen würde.

Aber ich wollte zumindest zurück melden, dass mir die Geschichte ausgesprochen gut gefallen hat. Die altertümliche Sprache, dieser leise Anklang von Aberglauben, den Zwiespalt zwischen Pfaffen und Aftervogt, die Schulden durch den wildernden Vatter ... all das bewirkt ein Staunen, eine Verwirrung und dann eine Faszination in mir als Leser, die durch die Jagdszenen und die fast philosophischen Gespräche der Brüder eine schöne, wunderliche Stimmung erzeugen.

Respekt. Sehr gerne gelesen.

Viele Grüße
Gerald

Nachtrag: Ein vermutlicher Fehler ist mir aufgefallen.

Ein Hieb und du bist entwei.
Fehlt da nicht ein "z"?

 

Diese beiden Figuren gefallen mir auch sehr gut, davon würde ich gerne mehr lesen.
@Klamm,

hey sorry, dass ich da die Reihenfolge der Kommentare verwechselt habe, das war respektlos und ich möchte mich dafür entschuldigen, ich hab da die Chronologie abgefuckt einfach.

Ja, danke dir für deinen Kommentar. Ich finde das auch sehr anregend zu schreiben, es macht einfach erstmal Spaß, etwas zu erfinden, oder wenigstens so abzuändern, dass es erfunden klingt! Ich arbeite an einem zweiten Teil vom Stechgroschen und mir schwebt auch ein Roman vor, aber ich weiß nicht, ob man so einen Stil tatsächlich auch 250 Seiten durchhält. Eventuell so was um 150, eher eine Novelle. Da muss man vorsichtig sein, glaube ich, sonst frißt die Form den Inhalt, dann hat man das schnell über. Man muss es gut austarieren, deswegen übe ich an solchen kleinen Texten, wie und was und ob es überhaupt funktioniert.

In der Art kannte ich das noch von keinem Roman, von daher hat es mich etwas gewundert. Geht es dir dabei um Authentizität? Ich glaube die erkaufst du dir mit einem hohen Preis, weil es mich einige Male etwas irritiert hat.
Ich glaube, authentisch kann man so nicht sagen. Ich stelle mir das so vor, in meiner fiktiven Welt reden die so, aber das ist natürlich jeglicher tatsächlich-historischen Quelle enthoben, ich weiß also nicht, wie die wirklich gesprochen haben. Aber ich glaube, um so eine Story wirklich zum laufen zu kriegen, muss alles passen: Details, Sprache, Inventar, und in meinem Kopf setzt sich das so zusammen. Ist immer die Frage, ob man dem so folgt und das so ineinandergreifen findet wie ich selbst, haha.

Auch hätte ich mir einen etwas stärkeren Konflikt während der Jagd gewünscht. Mir kams ein bisschen so vor, als ob die beiden Brüder in den Wald gehen und der Reihe nach alle Tiere wegrattern, weil nur der Leitwolf versucht sich zu wehren. Wobei ich die Symbolik eigentlich ganz cool finde. Der Hessel, eine Sagengestalt, die früher für Angst und Schrecken gesorgt hat, wird einfach umgeballert.
Ja, ist die Schwachstelle, da bessere ich noch nach. Ich denke, ich wollte es so haben, dass der Hessel eigentlich gar nicht wirklich böse ist, sondern eher einfach ein scheues, großes Wesen, dass dann aus persönlicher Profitgier ausgerrottet wird. Stimmt natürlich, da muss noch eine etwas längere Strecke rein, mehr Spannung, mehr Weg.

Es gibt in Game of Thrones die Familie Reet, gerade vor diesem historisch angehauchten Hintergrund hat der Name direkt diese Assoziation bei mir geweckt. Nur als Hinweis.
Ah, wusste ich nicht, ich hab da nie eine Folge von gesehen, danke dafür.

Ist so der Höhepunkt der ungewöhnlichen Sprache.
Haha, das ist hundertprozent rheinisch, klingt aber ganz okay, oder? :D Ich weiß, was du meinst, ich bin da noch unentschlossen, weil es ja nicht den ganzen Text so anhält, sondern nur so schnelle Verzückungsspitzen sind.

Also wie gesagt, sehr gerne gelesen.
Ja, vielen Dank für deine Zeit und deinen Kommentar.

wird fortgesetzt ...

 

Und es ist doch so, Gert … sgibt Männer, die wollen Beute machen[,] und Männer, die schauen sich die Rotröcke lieber an. Ist wie bei den Weibsbildern. Manche packen bei der richtigen Magd zu, andere …

Beten wir zu Herrgott, daswer wenigstens in Himmel komm!

Ja, da wo Lücken sind in der Historik,

lieber jimmy,

eine kleine Anmerkung zur Fantastik vorneweg, denn da greift selbst das Dante Friedchen gelegentlich zu „fantastischen“ Elementen. @Katla hat das mal hinsichtlich meiner Abneigung gegen Horror und Fantasy offengelegt, selbst wenn ich in dem angesprochenen Falle die real existierende Springerpresse - oder allgemeiner, Sensationspresse – plünderte und einen Artikel der an sich seriösen „Welt“ auf meine Weise einfügte -

so weit hinsichtlich der Entdeckung der Fantastik durch Dich.

Nu also nimmt der Liebhaber des Wolfes und seiner Derivate „leibheftig“ an einer Jagd teil, wenn auch geschätzte drei Jahrhundert oder mehr vor seiner Zeit und taucht auch damit in eine uns Heutigen fremde Welt ein.
Was ich nicht beurteilen kann, ob das gesprochene Wort nun einem realen Dialekt (dann eher ein rheinfränkisches Idiom [mit frz. Einsprengseln]) nachgebildet oder Kunstsprache ist [mit frz. Einsprengseln, infolge zunehmenden frz. Kultureinflusses nicht nur am Rhein nach dem Gemetzel des 30jährigen Krieges] ist, und – da kann ich gar nicht anders – als Kind des 18. Jh. (oder früher) hätte ich schon durch Erziehung wie Erfahrung eine wenn schon nicht geradezu angeborene, so doch eine anerzogene Feindschaft und Abneigung gegen Meister Isegrim.

Bissken Flusenlese,

und das bereits hier

Gehn dir gleich durch, die Gäule, sagte Lennard, der Jüngere der Brüder.
Nicht jeder Artikel erzeugt eine Majuskel, der „jüngere“ ist schlicht ein Adjektiv/Attribut eines der Brüder ...

Der Wolf kennt keinen Vater und keine Mutter, sagte Lennard. Der Wolf ist nur Wolf.
Darf man einer literarischen Figur widersprechen? -
Ach, Lennard würd gar nicht lesen können und eher nicht zuhören ...

Man sagt, der Wolf habe über dreißig Leut in der Zenderei angefallen, die meisten davon Kinder oder Frauen, die auf den Fronhofen im Tal lebten … am nächsten Morgen hing er an der Angel, das Ungeheuer.
Ähnlich ergings wohl auch Hexen … und Zauberern ("Hexenmeister")

Da hastu mal ausprobiert ...

Soviel Salz zum Pökeln hättenwer doch nie gehabt, so viel wie der rumgeschossen hat.
Aber beide „so + viel“ sind die unbestimmte Mengenangabe (so...viel) und nicht die Konjunktion (soviel)

Jetzt isser schon lang unter der Erde, der Alte, aber wer muss immer noch die Groschen zahlen für seine Freud am Schuß?
Bis hier ist mir nicht aufgefallen, dass Du die (m. E.) vernunftgleitetste Änderung der Rechtschreibreform durchbrichst, gerade mit einem ß, dem Alleinstellungsmerkmal der deutschen Sprache, das m. E. im 30jährigen Krieg geschaffen wurde und „eigentlich“ schon auf der Streichliste stand – bis den Reformatoren ein – m. E. genialer Einfall zum Nutzen Aller – Leser, Sprecher, Hörer – einfiel:
Doppel-s für Kurze, ß für lange, betonte Silben zu verwenden, wie in Fluss und Fuß

Er hat bei ner Hatz mal einen Jungwolf erschlagen, der ihm bei Chaltouva ins Garn gesprungen ist, von dem er nachher sagte, dasser so groß wie ein Grauesel gewesen sei.
Nix falsch, aber es ginge ohne Konjunktiv und dem Gewese – und wer nach dem sagte nicht merkt, dass es indirekte Rede ist, den kann auch der Konjunktiv nicht retten ...
bezweifelt aber der Sprecher die Rede, könnten diese Zweifel durch Konj. II ausgedrückt werden ... "wäre"

Hier

Das weisst nicht. Das weiß nur der liebe Gott.
warstu wohl einen Hauch lang unsicher ...
Dass Du wissen von weißen (er weißt die Wand) unterscheiden wolltest, wäre ja unglaublich!

Dann erklang ein Schuß. Der Knall verhallte …
Schuss

& nochmals weiter unten

Lennard schloss die Augen. Das Schnappen des Abzugs. Der brechende Schuß.

Sechs FußKOMMA zwei Ellen groß und mindestens ….
Warts ab, nich zu nah. Gert hob die Hand. Ein Hieb und du bist entwei.
wortloz

Sie saßen ..., aber dann schüttelten sie doch ihre Köpfe und lachten über ihre eigeneKOMMA schaurige Fantasie.
(die Gegenprobe – kennstu aus dem Mathematik - mit und widerspricht dem nicht)

Wie dem auch wird,

gern gelesen vom

Friedel

 

all das bewirkt ein Staunen, eine Verwirrung und dann eine Faszination in mir als Leser, die durch die Jagdszenen und die fast philosophischen Gespräche der Brüder eine schöne, wunderliche Stimmung erzeugen.

Hallo @C. Gerald Gerdsen und danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit.

Ja, freut mich sehr, auch wenn ich noch was am Plot basteln werde, aber dein Grundtenor, dass der Text etwas bei dir auslöst beim lesen, das finde ich natürlich sehr schön. Das ist einfach so aus mir herausgekommen, solche Texte, ich habe keine Ahnung, wieso. Gibt keinen Grund, ich habe das nicht geplant. Ich habe über einen Text mit zwei jagenden Brüdern nachgedacht, die ich in einen länger verwickelten Plot einbinden wollte, aber irgendwie hing mir das einfach zum Halse raus und ich dachte mir, versuch es mal so wie in der Stechgrosch, einfach anders. Das ist dann dabei rausgekommen. Ich bin da vollkommen unbedarft ran, und ich bin im Grunde auch gar kein Fantasy-Typ, Märchen schon eher, ich hab einiges von Hauff gelesen und mir die alte BBC Robin Hood Serie aus den 1980ern angesehen, und Die Scharfschützen mit Sean Bean, vielleicht spielte das so im Unterbewußtsein mit. Na ja, wie dem auch sei, ich bastel mal weiter an dem Text und walze ihn noch etwas aus, ich hab so eine ganze Serie an Stoffen, die man in diesem Universum ansiedeln könnte, mal sehen.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

Was ich nicht beurteilen kann, ob das gesprochene Wort nun einem realen Dialekt (dann eher ein rheinfränkisches Idiom [mit frz. Einsprengseln]) nachgebildet oder Kunstsprache ist [mit frz. Einsprengseln, infolge zunehmenden frz. Kultureinflusses nicht nur am Rhein nach dem Gemetzel des 30jährigen Krieges] ist, und – da kann ich gar nicht anders – als Kind des 18. Jh. (oder früher) hätte ich schon durch Erziehung wie Erfahrung eine wenn schon nicht geradezu angeborene, so doch eine anerzogene Feindschaft und Abneigung gegen Meister Isegrim.
Danke dir @Friedrichard für deine Zeit und deinen Kommentar.

Ja, da ist wohl eine absolute Kunstsprache. Ich weiß auch nicht, ich hab viel von und über David Mamet gelesen, und dann habe ich auch in die Theaterstücke von dem reingelesen, Glengarry Ross und so, da die Struktur mir angesehen, weil Mamet ja so für seine Sprache und die Dialoge gelobt wird. Man merkt dann schon, er richtet den Fokus genau darauf, die Dialoge sind super, aber sie klingen manchmal schon sehr gewollt, die klingen nicht realistisch, nur so pseudo-realistisch, also im Grunde wie eine Bühnenversion der Sprache, die komplex angeordnet ist, komplexer als in der Wirklichkeit. Er ist aber auf mehr oder weniger organischem Wege dahingekommen, er hat bei Gespräche im Elternhaus genau zugehört und sich auf Rhythmus und Abkürzungen verlassen, und dabei sind teilweise auch neue Wörter rausgekommen, das fand ich sehr interessant. Eine Art Privatsprache. So ist das wohl auch hier, das ist eine komplett erfundene Sprache, bei einem neuen Text, an dem ich gerade arbeite, treibe ich das noch etwas auf die Spitze, mal sehen.

Gruss, Jimmy

 

Moin @jimmysalaryman,

mir ist aufgefallen, dass deine Texte mich fordern. Das führt dazu, dass ich entschleunige, stärker über die verwendeten Wörter nachdenke und mich anstrenge, um dem Text zu folgen. Manchmal passiert es mir dann, dass ich aussteige und noch einmal neu ansetze. Ich meine da ein Muster erkannt zu haben: Du gehst insofern keinen Kompromiss ein, als dass du deinen eigenen Standard nicht senkst, damit Leser der Geschichte folgen können. Es ist also keine künstliche Vereinfachung, sondern du forderst von mir als Leser etwas. Ich glaube, dass dieser Umstand deine Texte für mich interessant machen. Mir ist auch aufgefallen, dass ich manchmal deinen Stil kopiere, um dann aber zu merken, dass es der falsche Ansatz ist und für mich nicht funktioniert. Die Originalität ergibt sich ja eben genau daraus, dass du deinen eigenen Weg gefunden hast und den konsequent durchziehst. Ich finde das inspirierend.

Bezogen auf diesen Text habe ich etwas gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt hatte, dass es keine Anführungszeichen gibt. Das hat es für mich erschwert, der Geschichte zu folgen, weil ich auch die Dialoge als herausfordernd erlebt habe. Ich habe auch lange darüber nachgedacht, ob es sich beim Grimm um einen Wolf handelt oder nicht, mir ist dabei ständig die Fernsehserie Grimm im Kopf herumgegeistert. Das hat sich dann aber im Mittelteil gelegt und die Jagdgeschichte war spannend zu lesen. Lag besonders an den präzisen Wörtern, bei denen ich auch einige nachgeschlagen habe. Es gibt dem Text Autorität, weil ich dir als Autor vertraue und davon ausgehe, dass du mehr weißt als ich. Hier einige Textpassagen, die ich dafür als zentral erlebt habe:

Gert nahm Stücke der Innereien aus den Gefäßen, zerteilte sie mit dem Nicker und stach sie auf die spitzen Enden der Angeln.
Sie ölten die Klingen ihrer Jülicher Messer, schärften sorgfältig die Orte der Piken nach und schmierten die Pulverpfannen ihrer Musketen mit Bohrmilch.
Im Morgengrauen stocherten sie das Feuer an, um ihre Glieder und die klammen Joppen zu wärmen.
und entnahm seiner Bandeliere eine Kugel.
Er erwischte den Grimm mitten im Satz, die Pike riss ihm den Balch seitlängs auf,
Diese präzise Wortwahl spielt zusätzlich eine Rolle beim Worldbuilding, weil die Details meine Vorstellung beeinflussen (nachdem ich sie nachgeschlagen hatte) und für Glaubwürdigkeit sorgen.

Der Hessel, der Wilde Mann der rheinischen Wälder, der in den als unbewohnbar geltenden Tälern und in den steilsten Siefen lebt, ein heimliches Wesen, das kaum ein Menschenauge je erblickte; die Legenden und alten Geschichten erzählen von Jägern, die in Tümpel gezogen und ersäuft wurden, von erschlagenen Kindern und Hunden und im Stall zerrissenem Vieh in eisig kalten Wintern.
Interessante Figur!

Sie folgten der Fährte aus Blut und Schnitthaar bis zur vordersten Steilwand der Fünf Gleichen.
Was genau ist mit Schnitthaar gemeint? Ich habe das gegoogelt, aber ich glaube nicht, dass du dich hier auf einen Zopf beziehst, oder?

Der Vatter hat doch Recht gehabt mit seinem Märchen, sagte Gert. Nur dass der Hessel keine Quelle tief im Wald hütet.
Und ich dacht stets, der Hessel sei nur ne Fabel, um Rotzbengel zu verschrecken!!
Hier das Gegengewicht zu dem fantastischen Element.

Die Pfaffen suspizieren sicher schon, dass ich mit dem Teufel im Bunde bin, dass ich des Unheil heraufbeschwöre, ich meine, man schaue sich diese Kreatur ja nur einmal an!
Wieder ein neues Wort und der Satz klingt schön, rhythmisch. Soweit ich das beurteilen kann, ist das exzellent geschrieben.

Sie würden in den Kolonien von Ingelheim sämtliche von Gott und Teufel erschaffene Kreaturen zur Strecke bringen, ihr Handwerk verfeinern und ihr Arsenal vergrößern, und jeder Edelmann würde ihre Namen kennen, den der Gebrüder Reets, die ohne Furcht noch den wildesten Bestien nachsteigen.
Hier hatte ich wieder eine Parallele zu der Serie Grimm.

Bin gespannt, was da noch für weitere Geschichten kommen. Insgesamt ein anspruchsvoller Text, der einiges von mir gefordert hat und mir wieder einmal zeigt, wie wichtig eine präzise Wortwahl ist.


Beste Grüße
MRG

 

Du gehst insofern keinen Kompromiss ein, als dass du deinen eigenen Standard nicht senkst, damit Leser der Geschichte folgen können. Es ist also keine künstliche Vereinfachung, sondern du forderst von mir als Leser etwas.
Vielen Dank für deinen Kommentar und deine Zeit, @MRG

Na ja, das klingt schon etwas krass, aber im Grunde hast du Recht. Ich gehe da keinen Kompromiss ein, aber weißt heißt das schon? Der Text muss ja trotzdem irgendwie gut sein, man muss ihn lesen wollten, man muss sich darauf einlassen wollen. Ich merke das selbst oft bei Texten, die formal interessant sind oder sein wollen, es aber da keinen wirklichen Grund für gibt oder ich aber das Konstrukt bemerke, dann ist Intention und Form irgendwie nicht deckungsgleich, das ist schwierig zu beschreiben. Hier ist es ja so, da ist ja alles erfunden, deswegen ist eine irgendwie behauptete Authentizität tatsächlich ja per se eine quasi-Authentizität. Richtig ist, dass es bestimmte stehende Begriffe gibt, die ich aus der Jagd kenne und verwende, andere die ich kennengelernt habe in anderen Bereichen. Das ist aus der Wirklichkeit und nachschlagbar, aber der Kontext, in dem ich diese Begriffe einsetze, ist es eben nicht, das ist ja eine pure Fiktion. Deswegen finde ich es so wichtig, dass man da eine Deckungsgleicheit erzielt. Mir fällt zum Beispiel bei Fantasy oder auch S/F oft auf, dass ich gewisse Dinge einfach von Anfang an nicht kaufe; die Welt erscheint mir zu ideal oder zu düster, die Artefakte zu abgefahren, zu weit weg von der Realität. Immer dann, wenn es jedoch im Rahmen des Möglichen liegt, wird es für mich interessant.

Die Originalität ergibt sich ja eben genau daraus, dass du deinen eigenen Weg gefunden hast und den konsequent durchziehst. Ich finde das inspirierend.
Das ist ein schönes Kompliment, danke dafür. Natürlich ist das alles ein Suchen: man hört ja nie auf, an sich und seinem Schreiben zu arbeiten. Das ist ja das Schöne an so einer Obsession, man wird nie fertig, es gibt keine Perfektion.
Es gibt dem Text Autorität, weil ich dir als Autor vertraue und davon ausgehe, dass du mehr weißt als ich.
Ich vermute, auch du hast The Writing Craft von Olmstead gelesen! Für mich ein tolles Buch. Er sagt ja auch, gewisse Begriffe verleihen dem Text eine gewisse Schwerkraft, man spürt er wurde mit Autorität geschrieben; das empfinde ich genauso. Das ist allerdings eine Gratwanderung, weil ein sehr guter Autor diese Autorität auch faken kann - es ist auch immer die Frage, wie der Rezipient diese bewerten will? Es ist ein subjektives Gefühl - der weiß, wovon er redet - weil man das auch glauben möchte. Ich denke, das ist vielleicht auch die Kunst der guten Literatur, dass der Autor es schafft, eine Erzählerposition zu erschaffen, die der Leser als absolut glaubhaft empfindet. Da spielen die Mittel denke ich nicht so die Rolle, aber wenn das einmal geschenen ist, dann kann der Erzähler einem alles verkaufen. Das ist auch ein gewisses Spiel mit Wahrscheinlichkeiten und Gewissheiten und auch ein wenig das Risiko, sich einfach in die Geschichte fallenzulassen, um sie genießen zu können. Wenn man Autor ist, sieht man das sicher anders, da sieht man eher die Fallstricke und die Effekte, auf die abgezielt wurde, deswegen ist es auch ein schönes Kompliment für den Text, wenn du ihn so liest, wie du ihn gelesen hast.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman,

ich kommentiere diesen Text erst jetzt, weil er sich in meiner Erinnerung regelrecht festgekrallt hat. Das konnte ich nicht unerwähnt lassen. Keine Ahnung, woran es genau liegt, wahrscheinlich am Gesamtbild aus den feinen Details, der mystischen Welt, den kurzen Erwähnungen von grauenhaften Dingen und dem Thema. Hat was, so ein riesiger Wolf. Beruflich habe ich seit kurzem mit einer sogenannten Firma Hessl zu tun, und jedes Mal denke ich dabei an das Wolfsungetüm.
Was ich dazusagen muss, ist, dass ich deine Texte leider nur selten bis zum Schluss lese. Das liegt an meinem oft ungeduldigen Leseverhalten und auch an meinem Geschmack, über den man ja nicht streiten sollte. Hier hat mich aber irgendein Sog gepackt und ich wollte wissen, wie es weitergeht. Da war es oft verlockend, beim Lesen immer schneller zu werden, aber ich blieb diszipliniert. Jeder Satz ist so sorgfältig ausgedrückt, da will man nichts verpassen.

Dass die direkten Reden nicht gekennzeichnet sind, stört mich normalerweise. Aber hier erzeugt das einen interessanten Effekt. Hier zum Beispiel:

Der Grimm kommt über den Pass. Da ist der Wechsel, es geht von Dunkel nach Hell, dem folgt er wie einer Schnur ins offene Land hinein. Gert zeigte auf eine lange Gasse die von der Waldgrenze ins Tal hinabführte. Er bleibt stets nah an der Flur, denn dort findet er Deckung. Und er ist allein und muss deswegen auf seine Kräfte achten. Er wird kaum mehr laufen als nötig. Gert lachte. Vatter hat den Grimm noch mit Garnen zur Strecke gebracht. In den frühen Jahren hat er sie in der Scheune für den Kurfürst gelagert. Sechshundert Schritt lang warense und hundertfünfzig Mann brauchtense. Er hat bei ner Hatz mal einen Jungwolf erschlagen, der ihm bei Chaltouva ins Garn gesprungen ist, von dem er nachher sagte, dasser so groß wie ein Grauesel gewesen sei.
Vatter und seine Mären …
Keine Mären, sagte Gert. Der wusst schon, was er tat.
Lennard winkte ab. Ich geh und mach Feuer und röst Krähenaugen.
Die markierten Stellen fließen ohne Barrieren in die Dialoge über. so wirkt es sehr organisch, trotzdem ist klar, wer gerade redet. Ich könnte das nicht, ohne dass es irgendwo umständlich wird.
Doch ‘s is kein Tier, Gert. ‘s kann kein Tier sein, wenns wie n Mensch geht.
Der Atem des Hessel rasselte. Er öffnete die Augen und sah die Brüder reglos an.
Die Bestie weiß ja auch, dasse stirbt.
Besonders hier spüre ich, wie der Hessel leidet. Ich fand das sehr einfühlsam und wirkungsvoll geschrieben.

Ich weiß nicht, ob der Begriff Kryptozoologie hier angebracht ist. Eher die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten, mit unzureichend definierten und doch bedrohlichen Gefahren. Literarisch bin ich in diesem Bereich oft enttäuscht worden. Aber dieser Text bietet viel mehr. Das "Monster" wird gleichzeitig genug beschrieben, damit ich es mir bildlich vorstellen kann, und es bleibt genug Spielraum für Interpretationen. Und es gibt eine eigene Fantasiewelt, die mehrere Geschichten einnimmt, wenn ich das richtig verstehe. Daran denkt man auch nach dem Lesen noch gerne.

Viele Grüße
Michael

 

Was ich dazusagen muss, ist, dass ich deine Texte leider nur selten bis zum Schluss lese. Das liegt an meinem oft ungeduldigen Leseverhalten und auch an meinem Geschmack, über den man ja nicht streiten sollte

Hallo,

na, aber sicherlich streiten wir über deinen Geschmack! Nein, natürlich kann man da nicht drüber streiten, mich würde nur interessieren, woran das genau liegt: die Themen oder die Sprache oder weil sie zu lang oder stinklangweilig sind? Ist ja immer im Interesse des Autoren, so etwas zu erfahren.

Jeder Satz ist so sorgfältig ausgedrückt, da will man nichts verpassen.
Ja, schönes Kompliment. Ist ja ein relativ kurzer Text, da muss man schon genau hinsehen, finde ich, sonst wird es schnell malad. Komprimieren, Wortwahl, Spannung etc - manchmal macht man es instinktiv richtig ohne viel zu planen, und manchmal klappt es nicht, egal was du auch versuchst.

Ich weiß nicht, ob der Begriff Kryptozoologie hier angebracht ist. Eher die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten, mit unzureichend definierten und doch bedrohlichen Gefahren. Literarisch bin ich in diesem Bereich oft enttäuscht worden.
Ich muss gestehen, da gar nicht so sehr drüber nachgedacht zu haben. Ich mag Märchen und ich mag diese schaurige Version der Wildnis, die natürlich romantisiert ist; jedoch liest man halt sehr oft Versionen anderer Fabelwesen, der Big Foot und so weiter, und ich wollte halt eben eine Art Lore erzählen, die ursprünglich ist, die es tatsächlich so gegeben haben könnte. Ist natürlich alles frei erfunden, aber so war der Plan. Man kann nicht die Narrativen übernehmen, deswegen kann es auch keinen deutschen Western geben, aber wohl schon eine zeitgeschichtliche ähnliche Geschichte mit ähnlichen Charakteren, nur eben nicht platt übertragen, sondern aus eigenständigen Mitteln herausgearbeitet.

Und es gibt eine eigene Fantasiewelt, die mehrere Geschichten einnimmt, wenn ich das richtig verstehe.
Genau, die sind nicht zusammenhängend, ich arbeite an einer kleinen Serie um die Söldner Traugott und Schambatist, aber diese einzelnen Episoden haben mit der großen Handlung nichts tun und das sollen sie auch nicht, das sind so Zwischenstücke, um das Gehirn geschmeidig zu halten.

Danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Jimmy,

erinnert mich ein wenig (ganz wenig!) an meine ersten Lebensjahre. Wir zogen 1956 von Göttingen auf die Insel Reichenau (Bodensee). Erst dachte ich (als kleiner Junge), dass es ein einheitlicher Dialekt sei (war es auch), aber trotzdem hatte jeder alte Bauer, je nach Bildung, seine eigene Ausdrucksweise. Schwer verständlich, der eine immer mit Pfeife im Mund, knarzte seltsame Worte hervor, also den eigentlichen Dialekt nochmals an den Rändern abgeschliffen. So klingt der Dialekt Deiner Leut. Ob es das heute noch gibt? Wohl kaum - oder haben wir vergessen zuzuhören? Aber so las ich Deine Geschichte aus längst vergessenen Tagen, die beiden Brüder tun, was sie vom Vater gelernt haben, ihre hochfliegenden Träume enden schlussendlich doch nur im Tabak und im Wein, einfach von gestern bis zum nächsten Tag, einfach in ihrer Denkweise, einfach einfach. Das hast Du meisterhaft niedergeschrieben und danke für den Genuss. Auch die fehlenden Satzzeichen sehe ich als Erleichterung an - so kann ich wie in Trance die Sätze reinziehen, wie einen roten Faden und die vielen Wörter so fremd und alt, fast poetisch - ob sie jetzt richtig oder falsch, was spielt das für eine Rolle - es klingt wie aus ferner Zeit und das ist für mich als Leser das Wichtigste. Du hast mich entführt in ein Bild, die Ränder verlieren sich im Nebel (in welchem Jahrhundert fand das statt? Ab 1515 gab es Vögte) und der Fokus erhellt detailverliebt die schwammige Grenze zwischen Realität und Märchen. Köstlich. Ich hab es sehr genossen.
Grüße Detlev

 

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