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Der Künstler

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01.07.2001
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Der Künstler

Auf einem Gebirgskamm sitzt ein Künstler und schaut ins grosse, weite Tal. Die glühende Abendsonne schickt die letzten Strahlen zwischen den Nadelbäumen hindurch und zeichnet feurige Bilder an die Bergflanken, die von Minute zu Minute die Farbe ändern und wie Schnee dahinschmelzen. Dann versinkt das Tal in der Dämmerung. Die Landschaft wirkt jetzt fast noch schöner als zuvor, mit den dunklen Grau-, Blau- und Grüntönen. Die Sinne des Künstlers laben sich an dieser köstlichen Schönheit und er vergisst vor Entzückung die Welt um sich herum.
Doch plötzlich beginnen sich die Bäume im Tal zu bewegen, neigen sich mal auf diese mal auf jene Seite, anfangs kaum merkbar, aber mit der Zeit immer stärker. Die Bäume bewegen sich jedoch nicht miteinander, sondern jeder für sich, als würde bei jedem Baum ein eigener Sturm toben, der den Baum immer mehr mit sich reisst. Dann beginnen sich die Bäume von der Stelle zu bewegen und gehen langsam umher, wie grosse, kräftige Gestalten.
Doch plötzlich sieht der Künstler klarer und er stellt erschrocken fest, dass diese Gestalten Räuber sind und gar keine Bäume. Das Tal ist übersät von Räubern, die zuvor offenbar ganz regungslos dagestanden sind und so wie Bäume ausgesehen haben. Sie gehen immer noch im Tal umher, beschleunigen mit jeder Minute ihren Schritt und werden immer hektischer. Es scheint als ob die wilde Räuberhorde etwas ganz Bestimmtes suche und immer nervöser werde, je länger die Suche ergebnislos andauert. Doch ganz plötzlich bleiben alle Räuber stehen, rühren sich nicht mehr und sehen fast wieder wie Bäume aus.
Aber nur einen Augenblick später, der Künstler will gerade tief durchatmen, setzen sich die Räuber wieder in Bewegung, jedoch nicht mehr ungeordnet und hektisch, sondern ruhig und geradewegs auf den Künstler zu. Dieser steht erschrocken auf und stellt zu seinem grossen Erstaunen fest, dass der Gebirgskamm, auf den er sich gesetzt hat, verschwunden ist und er nunmehr auf einem kleinen, kargen Hügel steht. Von allen Richtungen schreiten gemächlich, aber festen Schrittes die Räuber heran, die jetzt mehr wie Riesen ohne Köpfe aussehen. Der Künstler bleibt reglos stehen und wagt nicht zu atmen. Tausende Gedanken und Einfälle, auf die er sein ganzen Leben lang gewartet hat, schiessen ihm durch den Kopf. Die Räuber kommen immer näher, berühren ihn schon, drücken ihn. Der Künstler schnappt nach Luft, doch die Räuber drücken immer fester und ihre Gestalten verschmelzen immer mehr zu einer einzigen Masse, die den Künstler bald vollständig umschliesst.
Der Künstler glaubt die Sinnlosigkeit seines Kampfes zu erkennen und erstickt.

 

Metapherman schlägt wieder zu!
Hast du das mal geträumt? Liest sich wie ein Traum.
Oh ja, die Räuber sind auf vielerlei Weise zu interpretieren...

 

Danke für deine Kritik!
Nein, ich habe das nie geträumt. Ich habe diese Geschichte im militärischen Dienst geschrieben, als ich drei Wochen lang nichts zu tun hatte.
Freut mich, dass du viele Interpretationsansätze in meiner Geschichte findest. Ich habe diese Geschichte nicht in Hinblick auf eine bestimmte Interpretation geschrieben und wollte damit erreichen, dass jeder in dieser Geschichte seine eigene Interpretation finden kann.

 

Hallo Pirscher,

mit großem Interesse habe ich deine Geschichte gelesen, die kurz und griffig ist und bei der man sehr schnell das Wesentliche begreift.
In einer alptraumartigen Vision wird der Künstler von kopflosen Gestalten, die er zuvor als Bäume angesehen hat, überrumpelt und erdrückt. Typisch für das Traumhafte des Geschehens ist seine eigene Unfähigkeit, sich vom Platze zu regen und zu fliehen.

Die Handlung hat vermutlich einen symbolischen Aussagewert. Wenn der Leser dieser symbolischen Aussage nun nachspüren will, wird ihm ihm aber auch das Problematische dieser Handlung schnell bewusst. Wenn es ein wirklicher Künstler sein soll, dann ist er ganz schön arrogant, wenn er die anderen um sich herum nur als kopflose Wesen betrachtet.

Vielleicht liegt darin der Sinn der Geschichte, dass dieser Künstler vom hohen Bergkamm heruntergeholt wird auf einen kleinen, kargen Hügel.

Es wäre aber auch denkbar, dass der Künstler im ironischen Sinne verstanden werden muss. Das könnte dann auch den sehr gehobenen Stil des Einleitungsabschnittes, der mich in seiner Wortwahl ("glühende Abendsonne", "laben", "Entzückung") an deutschen Edelkitsch erinnert, in gewisser Weise rechtfertigen. Vielleicht ist deshalb auch sein Kampf sinnlos, und der Leser müsste es daher begrüßen, dass ein solcher "Künstler" am Ende erstickt.

Wenn der Künstler nun aber echt sein soll, also verehrungswürdig, dann ist die Handlung der Geschichte, Vereinzelung des Genies, Konflikt mit der unsensiblen Masse, ein pures Klischee und schwer erträglich.

Anzumerken wäre noch: ein gehobener Erzählstil verträgt sich nicht mit sprachlichen Unsauberkeiten. ("Es scheint als ob die wilde Räuberhorde etwas ganz Bestimmtes sucht und immer nervöser wird.." Bei dieser Konstruktion müsste nach deutschem Sprachempfinden unbedingt ein Konjunktiv stehen) Und auch das Verb "übersäht" würde ich lieber ohne h schreiben.

Auf jeden Fall handelt es sich um einen Text, der zum Nachdenken anregt und von daher seine Berechtigung hat.

Mit freundlichen Grüßen,

Hans Werner

 

Vielen Dank für deine ausführliche Kritik.
Besonders getroffen hat mich die grammatikalische und orthographische Kritik, da ich sehr grossen Wert auf korrekte Sprache lege (im Unterschied zu vielen anderen kurzgeschichten.de-Mitgliedern :) ). Ich sollte wohl meine Geschichten vorher noch etwas genauer durchlesen.

Frage an Ben: Darf ich diese Fehler korrigieren, wenn ich das in einem Beitrag auch anmerke?

 

Wenns nur Rechtschreibfehler sind, dann kannst du die sofort korrigieren. Nur Textpassagen, zu denen es schon eine den Inhalt betreffende Kritik gibt, sollte man inhaltlich nicht mehr ändern.

 

So, ich habe jetzt die von Hans Werner völlig zu Recht kritisierten Rechtschreibefehler korrigiert.

 

Deine Geschichte hat mich sofort an Shakespeare’s Macbeth erinnert, bei dem jeder Soldat im Englischen Heer auch einen Ast vor sich hertragen soll, um somit Macbeth zu überraschen. Besonders die Art wie dies in Kurusawa’s film adaption Das Schloss im Spinnenwebwald dargestellt wurde, ist fast genauso wie Deine Geschichte. Ist sie vielleicht in Anlehnung an den Film geschrieben?

Die Geschichte an sich fand ich nicht so gut wie z. B. Die Alge der Gerechtigkeit. Sie ist zwar ziemlich spannend, aber irgendwie war mir der Künstler egal. Ausserdem fand ich Deinen Sprachstil hier zu inkonsequent (wurde glaub ich schon erwähnt).

 

He, Kurosawa! Spitzenregisseur. Jetzt, wo du's sagst, erinnert mich das auch ein bisschen daran. Aber ich denke nicht, dass Pirscher sich daran orientiert hat.

Kennt einer "Rashomon" oder "Die sieben Samurai"?

 

Na klar kenn ich Rashomon und Die Sieben Samurai!!!
Ich hab schon so um die zwanzig seiner Filme gesehen. Mein Favorit ist glaub ich Ran, aber schwer zu sagen, denn viele seiner Filme sind ausgezeichnet. Er hat aber auch ein paar schlechte gemacht.

 

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