Der letzte Gang
O’Flaherty sah durch das Gangfenster der Raumstation auf das Schiff.
Sein Spiegelbild überlagerte das Heck der Poseidon wie eine kahle Totenmaske.
„Nicht mehr lange“, dachte er und fixierte das Sprungtor in der Ferne.
Es sah wie ein gigantischer Bilderrahmen aus dem goldenen Zeitalter des Barock aus.
Das glänzende Tor zu einer anderen, bedrohlicheren Welt.
Langsam kehrte er in die Realität zurück.
Um ihn herum wurde gedrängt, geschoben und geschrieen.
Das Deck ging fast über.
Händler, Reisende, Gestrandete aller Art vermischten sich in einem Gewirr von Formen und Farben.
O’Flaherty schob sich durch das Getümmel und zwängte sich in eine Bar.
Irgendwie gelang es ihm in ein kostenpflichtiges Separee mit ein paar Tischen zu kommen.
In einer Nische rechts von ihm saßen drei Figuren im Halbdunkel und quasselten vor sich hin.
Er setzte sich, rammte seine Kreditkarte in den Tischslot und bestellte ein Glas Whiskey.
Genüsslich trank er den ersten Schluck seit Ende des Krieges.
„Verdammte Fischärsche! Seit einem halben Jahr müssen wir diese Demütigungen ertragen!“, polterte einer der drei Betrunkenen neben ihm. Das Bierglas in seiner Hand sah aus als hätte man es in ein Stück rohes Fleisch gesteckt. Schmatzend trank er und leckte sich die wulstigen Lippen.
Sein Gegenüber stierte an die Wand, während er mit Spinnenfingern im Staccato auf der Tischplatte herum klopfte.
Der Dritte im Bund hatte keine Augen. Wahrscheinlich doch, aber zwei pralle Keulenlider verdeckten sie.
Beide brummten zustimmend.
„Ich meine, seht mich an! Ich hab den Krieg nicht verloren, ich nicht!“, die dicke Lippe wurde lauter.
Beschwichtigend hielt ihn der Spinnenfinger an der Schulter: „Komm fon, beruhig dich.“
Irgendwo dürfte er im Kampf für das Vaterland seine Schneidezähne eingebüßt haben.
O’ Flaherty bestellte ein neues Glas Whiskey und lauschte.
„Als ich `63 bis `65 auf der guten, alten Poseidon als Chefmechaniker diente, da waren wir voller Energie und siegessicher. Der Captain, ein Bär von einem Mann, ihr wisst noch, `Veilchen` haben sie ihn immer genannt wegen seiner stahlblauen Augen. Aber der war kein Veilchen, oh nein, der war ein Tier. Die Schlacht um das Kalandra System, wisst ihr noch? Schwere Treffer Mitschiffs, der gesamte Maschinenraum brannte, ich alleine mitten drin. Da ruft das Veilchen: He, Maschinenraum, wir brauchen Energie, hier warten noch zwanzig Kreuzer und achtzig Abfangjäger auf ihren Marschbefehl zu Gott!
Mit dieser Hand…“, er hielt den Fleischklumpen seiner Rechten in die Mitte des Tisches, „hab ich die Maschinen kurzgeschlossen!“
O’Flaherty kicherte.
„Na, da bift du ja ein Held. Waf hat Veilchen gefagt?“, lispelte der Spinnenfinger.
Die Lippe wischte sich eine Träne aus den Augen und sagte: „Er kam zu mir auf die Krankenstation und verband meine Hand.“ Seine Kumpanen klopften ihm auf die Schulter und nickten.
„Aber, mein Freund, daf ift gar nichtf. Fekfundfechfig war ich bei der Flacht um die abtrünnigen Fyfteme dabei alf Richtfütze. Die Pofeidon war alleine. Faft alle tot. Nur ich und der Captain ftanden noch eifern auf der Brücke. Ich fage euch, waf für ein Kampf. Vierhunderfiebfig Flachtkreutfer, hunderttwölf Abfangjäger und von den Dronen spreche ich gar nicht. Ich fof fo lange bif alle hin waren und die Gefechtfftation in Fetfen ging. Koftete mich twei Tähne. Und Veilchen kam nach dem Fieg tu mir und fagte: Ef wäre mir eine Ehre wenn du meinen Namen tragen würdeft. Daf tat ich dann auch.“
Voller Stolz kippte er seinen Schnaps ex hinunter und seine Kumpanen klopften ihm wohlwollend auf die Schulter.
O’Flaherty verschluckte sich fast und musste husten, als das hörte.
Der scheinbar Blinde räusperte sich und ließ seinen Bass durch den Raum rollen: „Tja meine Freunde, ich achte euren Mut. Es ist ja wirklich ein Wunder, nicht wahr, dass wir nie die Ehre hatten gemeinsam zu dienen. Was ich euch jetzt sage, muss unter allen Umständen geheim bleiben…“ er sah sich um.
O’Flaherty schloss die Augen und stellte sich schlafend.
„… ich bin zurzeit sein erster Offizier.“
Die Lippe und der Spinnenfinger fuhren mit Schreck geweiteten Gesichtern in die Polsterung zurück.
„Nein!“ und „Oh!“ hauchend lehnten sie sich vor um näher an so eines berühmten Mannes Worte zu kommen.
„Wenn ich euch sage, dass schon bald etwas Gewaltiges passieren wird, nun, kann ich mich auf den Eid der Poseidon verlassen?“, er pupillierte seine Zechbrüder. Beide nickten heftig, schlugen sich mit der Faust auf die Augen und sagten: „Mögen unsere Augen heller sehn, wir zu unserem Veilchen stehn!“.
Das Keulenlid wies mit einem Finger auf sein Gesicht: „Über 2000 mal habe ich diesen Eid geleistet. Das sind die Narben… die ich mit Stolz trage. Hört, der Captain und ich haben eine Bombe. Eine Bombe die nicht nur die Heimatwelt des Feindes, sondern seine ganze Art vernichten wird. Biologisch. Reagiert mit den Schuppen auf ihre, na, ihr wisst schon…“
Genüsslich trank er sein Glas leer und ließ sich auf die Schulter klopfen.
O’Flaherty erwachte aus seinem vermeintlichen Schlaf und stapfte aus der Bar.
Nun musste er handeln.
Zielstrebig schob er sich an den Sicherheitskräften vorbei und eilte auf sein Schiff.
Sein erster Offizier begrüßte ihn.
„Na, Skipper, haben wir die Erlaubnis zu springen?“.
O’Flaherty nickte in Gedanken versunken.
„Was is’ los?“, bohrte seine Nummer Eins nach.
Der Captain griff nach dem Intercom: „Leute, kommt mal alle auf die Brücke.“
Zwei Minuten später waren seine zwölf Getreuen angetreten.
„Ich hatte gerade ein seltsames Erlebnis. In einer der Bars hörte ich drei Typen zu. Der eine war mein Chefmechaniker, der andere mein Richtschütze und der dritte mein erster Offizier während des Krieges.“
Die Mannschaft sah sich unschlüssig an. Es herrschte ernsthafte Stille.
„… und was hab ich dann die letzten zehn Jahre auf diesem Schiff gemacht?“, fragte O’Flahertys Richtschütze.
Alle grinsten und kicherten.
Der Captain kratzte sich am Kopf und sagte: „Nun, keine Ahnung, Unfug wahrscheinlich!“ und grinste seine Nummer Zwei an.
„Mir war klar, dass es Lügner sind, aber das Witzigste war,… ihr werdet lachen,… Sie wissen von unserem Plan.“
Alles schwieg.
„Äh, Skip, sollen wir abbrechen? Was wenn sie Spione sind, dich erkannt haben und zu einem Fehler provozieren wollen?“, fragte der erste Offizier.
Das Veilchen schaute in die Runde und sah keine Wimper zucken.
„Nun, in diesem Fall: Alles auf Gefechtsstation!, würde ich meinen.“, sagte er im Plauderton.
Ein eiskalter Blick flog über die Konsolen, auf denen die Erlaubnis für den Sprung blinkte.
Langsam steuerte er die Poseidon in das unendlich finstere Bild der Zukunft.
„Na dann, let's go fishin'!“