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Der Mühlenedgar

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25.05.2018
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Der Mühlenedgar

Da wohnt einer in der Mühle, den man den Mühlenedgar nennt. Die Mühle ist alt und verfallen, und eigentlich ist es ein Wunder, dass es sie und den Edgar noch gibt, denn vor einigen Jahren stand hier alles in Flammen, und mittendrin stand der Edgar. Seine Haut platzte auf und schmolz und seitdem sieht er komisch aus, sagen die Leute. Der kleine Ruben aus der Nachbargemeinde findet, Edgar ist ein Futzi-Fatz. Was das ist, weiß er aber selber nicht, der Ruben.
Eigentlich wohnt der Mühlenedgar nirgendwo. In die Mühle kommt er nämlich nur, um zu schlafen, und das auch nur manchmal, viel lieber schläft er unter freiem Himmel. Da liegt er dann mit hinterm Kopf verschränkten Armen im Gras und beobachtet die Sterne, bis ihm die Augen zufallen.
Manchmal liegt er auch im Wald und schaut zu den Blättern hinauf, die im Wind hin- und herwiegen, und er freut sich, weil sie niemand sonst sieht. Nur die Ameisen und der Specht, tock-tock-tock. Und die Eule. Aber sonst nur der Mühlenedgar, der dann aufsteht und durch den Wald streift, ziellos, auf der Suche nach nichts.


Edgar kommt vom Weg ab, weg von den Kutschradspuren, die sich in die feuchte Erde gegraben haben, weg von den Menschen. Wenn ich einen Gürtel hätte, würde ich mich jetzt erhängen, denkt er sich, und wenn ich einen Freund hätte, dann nicht. Aber er hat keinen Freund und keinen Gürtel, er hat sich die Hose mit einem Seil zugeschnürt, das er aus dem Sack in der Mühle gefädelt hat, und das Seil ist dünn und spröde und taugt nicht zum Erhängen, es taugt ja nicht mal als Gürtel, die Hose rutscht und Edgar muss sie festhalten, während er tiefer und tiefer im Wald verschwindet.
Tock-tock-tock. Schu-hu. Tock-tock.
Da vorne plätschert was, ein Bach. Edgar taucht die Hände ein und wäscht sein Gesicht, das vernarbte Gesicht, das nicht seines ist, und er weint und rennt los, strauchelt, stolpert, über Steine, über Wurzeln, rennt weiter und hält die Hose fest, tritt Ameisen platt und rennt, bis die Lunge zerreißt, schreit, bis er Blut spuckt, und als man ihn findet, weiß keiner, wer er ist, nicht mal er selbst.

So wird er in die Stadt gefahren, und so wie seine Hose keinen Gürtel hat, hat seine Jacke keine Ärmel. Und am Wegesrand sitzt der Ruben, zeigt mit dem Finger auf ihn und nennt ihn Futzi-Fatz.

 

Ach @Lani ,

in der Hitze des Tages habe ich dem Mühlenedgar zugesehen - ein Bild des Jammers - und weiß jetzt vor Mitgefühl nicht mehr ein, noch aus. Ich will sein Freund sein.

seine Haut platzte auf und zerlief wie der Schnee, wenn der Frühling kommt.

Das Bild mag mir nicht so richtig vorkommen. Zum einen ist schmelzender Schnee herrlich, weil seinen Aggregatzustand wunderbar verändert, zum anderen, ist er nicht ... so wie Haut und Fleisch und Blut und ... :(

Seitdem sieht er komisch aus, sagen die Leute.

Ich würd das sicher nicht sagen. Er sieht sicher gruselig und armselig aus, bemitleidenswert und traurig und ... ja, so. Was wohnen denn da für Leute, herrje?

Manchmal liegt er auch im Wald und schaut zu den Blättern hinauf, die im Wind hin- und herwiegen, und er freut sich, weil sie niemand sonst sieht.

Achja, die Freude. So ein Edgar. Dabei wird er sicher mal vermögend und mutig gewesen sein, wenn ich seinem Namen trauen kann.

Aber sonst nur der Mühlenedgar, der dann aufsteht und durch den Wald streift, ziellos, auf der Suche nach nichts.

Du reihst für ihn sehr schöne Sätze aneinander und es ist, als kennte ich ihn.

Wenn ich einen Gürtel hätte, würde ich mich jetzt erhängen, denkt er sich, und wenn ich einen Freund hätte, dann nicht. Aber er hat keinen Freund und keinen Gürtel, er hat sich die Hose mit einem Seil zugeschnürt, das er aus dem Sack in der Mühle gefädelt hat. Und das Seil ist dünn und spröde und taugt nicht zum Erhängen, es taugt ja nicht mal als Gürtel, die Hose rutscht noch immer und Edgar muss sie festhalten, während er tiefer und tiefer im Wald verschwindet.

Das ist so reizend und ich weiß, warum der Ruben ihn so nennt, Futzi-Fatz. Edgar wirkt wie ein Kind.

Da vorne plätschert was, ein Bach.

Es könnte auch einfach nur ein Bach plätschern. Aber so sehe ich Edgar wundern.

und als man ihn findet, weiß keiner, wer er ist, nicht mal er selbst.

Doch Ruben weiß es. Und ich.

Lieber Gruß, Kanji

 

Hallo @Lani

Wie ein Märchen liest sich das. Ein Märchen, das in einem Dorf erzählt wird über den komischen Kauz, den jeder kennt. Über den alle sich das Maul zerreißen, aber vermutlich keiner davon wirklich weiß, welche Geschichte er hat, was hinter seinem Verhalten und seinem Aussehen steckt. Ich musste bei deiner Erzählweise an MOMO denken. Da wird etwas, das schwer wiegt, leicht erzählt. Und das hat mir gefallen.

seine Haut platzte auf und zerlief wie der Schnee, wenn der Frühling kommt
Ich bin ein Freund von bildhaften Vergleichen, aber dieser hier - verzeih mir - passt gar nicht. Durch Hitze aufplatzende und zerlaufende Haut ist brutal, blutig, rau. Also ganz und gar nicht so, wie Schnee, der langsam und behutsam dahinschmiltzt, wenn der Frühling kommt. Ich würde den Vergleich entweder komplett streichen oder aber nach einem Bild suchen, das passt.

Aber sonst nur der Mühlenedgar, der dann aufsteht und durch den Wald streift, ziellos, auf der Suche nach nichts.
"ziellos" und "auf der Suche nach nichts" ist doppelt gemoppelt. Eins von beiden würde ich streichen.

Wenn ich einen Gürtel hätte, würde ich mich jetzt erhängen, denkt er sich, und wenn ich einen Freund hätte, dann nicht. Aber er hat keinen Freund und keinen Gürtel, er hat sich die Hose mit einem Seil zugeschnürt, das er aus dem Sack in der Mühle gefädelt hat. Und das Seil ist dünn und spröde und taugt nicht zum Erhängen, es taugt ja nicht mal als Gürtel, die Hose rutscht noch immer und Edgar muss sie festhalten, während er tiefer und tiefer im Wald verschwindet.
Das berührt mich. Das ist sehr traurig - und gut gemacht.

Und er weint los und rennt los
Ein "los" würde ich streichen, am besten das erste.

Ich kann noch gar nicht so ganz in Worte fassen, was der Text mit mir macht. Aber er gefällt mir. Da schwebt was zwischen den Zeilen, das mich berührt hat.

Gerne gelesen.
RinaWu

 

Hallo @Lani,

da hast du ja wieder eine feine, kleine, traurige Geschichte fabriziert. Das liegt dir offenbar Blut, über solche bedauernswerten Gestalten zu schreiben. Auch mir gefällt deine ruhige Erzählweise ausgesprochen gut.
Den Vergleich mit der aufgeplatzten Haut mag ich auch irgendwie nicht, sonst habe ich auf die Schnelle nicht sehr viel anzumerken.

Der kleine Ruben aus der Nachbargemeinde findet, Edgar sei ein Futzi-Fatz.
Das sei ist sicher grammatikalisch richtig, passt für mich aber irgendwie nicht zur sonstigen Sprache, vor allem nicht zum kleinen Ruben. Vielleicht ist?

Tock-tock-tock. Schu-hu. Tock-tock.
Das finde ich auch sehr stimmungsvoll, und schön gemacht, dass die Eule, die vorher ja noch nicht mit "wörtlicher Rede" aufgetaucht ist, hier jetzt auch was zu sagen hat (Oh, Hilfe, die Hitze …)

So wird er in die Stadt gefahren Komma und so wie seine Hose keinen Gürtel hat, hat seine Jacke keine Ärmel, und am Wegesrand sitzt der Ruben und zeigt mit dem Finger auf ihn und nennt ihn Futzi-Fatz.
Ich würde es schön finden und berührender, wenn du hier aufhörst und den letzten Satz weglässt. Der zieht es so ein bisschen ins Lächerliche, was schade ist. (Außerdem erinnert er mich irgendwie an: Und die Mutter blicket stumm / Auf dem ganzen Tisch herum.)

Liebe Grüße von Raindog

 

Hey @Kanji,

na du warst aber fix :) Und hast mir gleich mal die Angst genommen, dass das hier vollauf missglückt ist, dafür danke ich dir vielmals.

Das Bild mag mir nicht so richtig vorkommen. Zum einen ist schmelzender Schnee herrlich, weil seinen Aggregatzustand wunderbar verändert, zum anderen, ist er nicht ... so wie Haut und Fleisch und Blut und ... :(

Ja, da hast du recht, das dachte ich mir auch und habe den Gedanken dann, warum auch immer, wieder verdrängt. Ich habe ihn jetzt mal rausgenommen, den Schnee.

Ich würd das sicher nicht sagen. Er sieht sicher gruselig und armselig aus, bemitleidenswert und traurig und ... ja, so. Was wohnen denn da für Leute, herrje?

Leute-Leute wohl. Anders ist komisch.

Achja, die Freude. So ein Edgar. Dabei wird er sicher mal vermögend und mutig gewesen sein, wenn ich seinem Namen trauen kann.

Zum Glück gibt es das Internet, sonst hätte ich wohl noch eine Weile überlegt, was du damit meinst :D Ein vermögender Speerträger also, soso ... Na, der Edgar hier ist jedenfalls nie wirklich reich gewesen, glaube ich, und einen Speer hatte er auch nicht.

Vielen Dank für deine Rückmeldung, dass die Geschichte vom Edgar bei dir trotz ihrer Kürze Mitgefühl wecken konnte, freut mich sehr.

Vielen Dank auch schon mal an die anderen für die Kommentare, ich melde mich, sobald ich selbst nicht mehr schmelze. :sicko:

 

Liebe @Lani,

diese Abteilung mit den kleinen Geschichten fasziniert mich ja schon, irgendwie. Die Geschichten sind so kurz, die kann man immer lesen, das tut nicht weh. Aber ich bin mir noch nicht sicher, was ich davon halten soll. Mit welchen Kriterien soll ich hier bewerten? Finde ich noch schwierig. Ist Flash Fiction einfach eine sehr kurze Geschichte, oder steckt da mehr dahinter? Für mich besteht der Reiz darin jedes Wort zu prüfen, jedes Wort muss eine Bedeutung haben, sonst kommt es weg. Wie viel kann man mit wenigen Worten sagen?

Tja, mit diesem Kriterium komme ich bei deiner Geschichte nicht sehr weit, denn du fabulierst ja schon um den Egdar herum. Du schaffst es mit den wenigen Worten eine Stimmung zu erzeugen, einen Charakter zu erschaffen. Das machst du sehr gut, aber es macht einen Großteil des Textes aus, diese Stimmung zu erschaffen. Und die Handlung ist dann eigentlich nur das hier:

Edgar taucht die Hände ein und wäscht sein Gesicht, das vernarbte Gesicht, das nicht seines ist. Und er weint und rennt los, strauchelt, stolpert, über Steine, über Wurzeln, rennt weiter und hält die Hose fest, tritt Ameisen platt und rennt, bis die Lunge zerreißt, schreit, bis er Blut spuckt, und als man ihn findet, weiß keiner, wer er ist, nicht mal er selbst.
Aber eine Geschichte ist das nicht wirklich, oder?

Der Text ist gut geschrieben, keine Frage, ich will hier auch gar nicht auf Einzelheiten eingehen. Ich grübel nur laut vor mich her, was ich davon halten soll. Ich komme zu dem Schluss, dass es mir zu wenig ist. Ich habe nicht das Gefühl, dass dies wirklich die ganze Geschichte vom Mühlenedgar ist. Und ich glaube, wenn es ein paar Grad kühler wäre, hättest du uns noch viel mehr erzählt und dann wäre eine richtige Geschichte draus geworden. Die passt dann vielleicht nicht mehr in diesen Bereich, aber das ist ja nicht so schlimm. ;)


Liebe Grüße,
NGK

 

Hallo @Manlio,

Komisch, obwohl der Satz vollkommen sinnvoll ist, möchte ich die ganze Zeit lesen: "und wenn ich einen Freund hätte, dann auch." So eine tragische Figur ist der Edgar!

Das ist gut beschrieben, aber mir geht's zu schnell, ich fühle mich bedrängt durch das Drama, kann nicht abschließen mit dem Edgar, möchte mit ihm verweilen. Noch ein wenig.

Eine zweischneidige Angelegenheit, wie's aussieht - einerseits bist du ganz bei Edgar, leidest mit, andererseits geht's dir zu schnell. Gut nachvollziehbar, dass man bei der Kürze des Textes noch ein wenig länger verweilen möchte.

Ich wollte die Rubrik hier einfach mal nutzen, um zu schauen, was geht. Manchmal liest man ganze Romane und schafft es nicht so richtig, sich in den Protagonisten einzufühlen, ich finde deine Rückmeldung also schon in der Hinsicht spannend, dass Edgar für dich trotz begrenztem Entwicklungsraum "funktioniert", du ihn vor dir siehst, er dich bewegt. Daher vielen Dank für den Kommentar!

Hey @RinaWu,

Das berührt mich.

Wie eben schon erwähnt ist das für mich wohl die spannendste Rückmeldung, und auch dir danke ich dafür :) Schön auch, dass bei dir ein "Märchenvibe" aufgekommen ist, das gefällt mir.

Der olle Schnee ist mittlerweile Geschichte :shy:

Hallo @Raindog,

Das sei ist sicher grammatikalisch richtig, passt für mich aber irgendwie nicht zur sonstigen Sprache, vor allem nicht zum kleinen Ruben. Vielleicht ist?

Oh, ja, daran bin ich auch ein wenig hängengeblieben, hab ich jetzt geändert. Und auch hier:

Ich würde es schön finden und berührender, wenn du hier aufhörst und den letzten Satz weglässt.

Habe ich deinen Vorschlag übernommen, das war tatsächlich eher unpassend, danke fürs Augenöffnen und deinen Kommentar :thumbsup:

Hey @Nichtgeburtstagskind,

Ich kann deinen Einwand gut verstehen, ich habe den Bereich hier auch sehr kritisch beäugt bzw. tue es immer noch. Was kann man auf so wenig Raum groß erzählen? Schwierig, den Leser da auf Handlungsebene nicht zu enttäuschen.

Aber trotzdem gibt es viele Möglichkeiten, sich selbst auszutesten: Schaffe ich es, kurz und eindringlich einen (oder mehrere) Menschen zu "erschaffen", der den Leser auf welche Art auch immer mitnimmt, möglicherweise eine Entwicklung aufzeigen; kann ich ein Setting heraufbeschwören, das der Leser mir abkauft; kann ich sprachlich überzeugen, vielleicht einen gewissen Stil erkennen lassen; usw.

Ich finde es in Büchern immer spannend, wenn das Geschehen ohne Vorwarnung gesprengt, in eine komplett andere Richtung gerissen wird. Wenn man vielleicht zwanzig Seiten lang mit dem Protagonisten gemütlich auf einer Sommerwiese sitzt und dann bumm, Sack übern Kopf, Sack ab, und er ist ganz woanders, neue Menschen umgeben ihn, die Stimmung ist eine andere, und all das passiert auf möglichst wenig Raum, man hat kaum eine Möglichkeit, sich zurechtzufinden, man muss es einfach akzeptieren. Dafür war das hier eine gute Übung, glaube ich, mehr wollte ich erst mal gar nicht.

Ich habe nicht das Gefühl, dass dies wirklich die ganze Geschichte vom Mühlenedgar ist. Und ich glaube, wenn es ein paar Grad kühler wäre, hättest du uns noch viel mehr erzählt und dann wäre eine richtige Geschichte draus geworden. Die passt dann vielleicht nicht mehr in diesen Bereich, aber das ist ja nicht so schlimm.

Erwischt :shy: Gut möglich, dass er an anderer Stelle noch mal auftaucht.

Vielen Dank für deine Rückmeldung und liebe Grüße,

Lani

 
Zuletzt bearbeitet:

Anfangs meint der liebe Friedel, der Mühlenedgar sei ein Bruder des Taugenichts – aber trotz der Mühle liegt Eichendorff sehr weit weg, dass man meinen könnte, Mühlenedgar wäre ein Tunichtgut – aber ein Tuschlecht ist er erst recht nicht, dann doch eher, wie der Rotzbengel von Ruben es als „ Futzi-Fatz“ benamst, denn nach dem Wunsche des Herrn J lassen wir die Kindlein zu sich (oder doch besser: ihm, was den Kindern dann nur am Rande etwas nützt, wenn sie glauben) kommen- wodurch wir nun inmitten eines Problems der Niederschrift stecken,

liebe Lani,

wenn‘s heißt

Wenn ich einen Gürtel hätte, würde ich mich jetzt erhängen, denkt er sich, und wenn ich einen Freund hätte, dann nicht
wobei es allein um das Reflexionspronomen im Zusammenhang mit dem Denken geht, denn wenn der Filosof denkt, „ich denke mich“, dann denkt er SICH SELBST, was er selbstgewiss als „ich bin“ in die Welt ruft.

Aber wenn er an einen andern – meintwegen einen Freund oder eine Frau ob real oder erwünscht denkt, dann denkt er vielleicht zugleich aus Eigennutz „an sich“, aber in der Regel schlicht ohne Reflexion. Mühlenedgar dürfte dergleichen gedankliche Haken fremd sein. Er denkt schlicht an die Wahl, to be or not, tun oder lassen, erhängen oder nicht – wobei er Bedingungen formuliert – naja, eher schweigend. Und wenn denn das Wasser statt seiner reflektiert, erkennt er sich nicht

und wäscht sein Gesicht, das vernarbte Gesicht, das nicht seines ist,

Da ist der Mühlenedgar sich selbst entfremdet und der arme Bruder des glückliche Zwetschge.

So, genug für heute vom

Friedel

 

Hallo treuer @Friedrichard,

vielen Dank für deine Rückmeldung, denk ich mich, und danke für den Hinweis bezüglich des Reflexivpronomens, denn jetzt weiß ich Bescheid und kann den Fehler erst so richtig genießen, zum einen wegen des - zugegebenermaßen holprigen - Minireimes, vor allem aber natürlich wegen der kleistschen Formel, was derlei Brüche betrifft.

Und weil du den Eichendorff erwähnt hast, dessen Taugenichts schon eine Weile darauf wartet, von mir gelesen zu werden - das Lesezeichen steckt schon drin -, habe ich zum Frühstück seine Gedichte aufgeschlagen, und weil's so gut passt, lasse ich dir noch schnell "Die Einsame" da, was zwar auf eine Dame hindeutet, genauso gut könnte es aber auch der Edgar sein, der da liegt.

Wär's dunkel, ich läg im Walde,
im Walde rauscht's so sacht,
Mit ihrem Sternenmantel,
bedeckt mich da die Nacht,
Da kommen die Bächlein gegangen:
Ob ich schon schlafen tu'?
Ich schlaf' nicht, ich hör' noch lange
Den Nachtigallen zu
Wenn die Wipfel über mir schwanken,
Es klinget die ganze Nacht,
Das sind im Herzen die Gedanken,
Die singen, wenn niemand wacht.

Liebe Grüße,

Lani

 

Hallo!

Stilistisches:

Die Mühle ist alt und verfallen
Seine Haut platzte auf und schmolz und seitdem sieht er komisch aus, sagen die Leute.
Ich fände es schön, wenn die (markanten) Dinge in deinem Text, die (zu guter Recht) von deinem Erzähler beschrieben werden, detaillierter beschrieben wären. So sind deine Beschreibungen zwar da, aber sehr oberflächlich. "Alt". "Verfallen". Da stellt sich jeder Leser eigentlich etwas anderes vor, und es ist auch auf eine Art mühselig, sich etwas unter diesen Generalbegriffen vorzustellen, weil das eigentlich - meine Meinung - die Aufgabe des Autors wäre, treffende Bilder mit gut dosiertem Detailreichtum zu generieren. Wie schaut die Mühle genau aus? Fehlen da Dachziegel? Sieht man Ruß an den Fenstern, vom vorangegangenen Feuer? Sind die Fensterscheiben gebrochen? Hat dein Prot Narben von Brandblasen von Kinn bis Wangen, oder nur an der einen Gesichtshälfte? Solche Details meine ich - das würde deinen Text noch mehr beleben. Meiner Meinung nach :-)


Das war's von mir. Das tolle an Flash Fiction ist, dass man sich beim Feedback auch auf wenige Stellschrauben beschränken kann, einfach, wegen der Kürze des Materials. Ich habe deine Story ganz gerne gelesen und stelle sie mir mit mehr Details noch eingängiger vor.


Beste Grüße
zigga

 

Hey @zigga,

... Die Aufgabe des Autors wäre, treffende Bilder mit gut dosiertem Detailreichtum zu generieren.

sagst du, und ja, da bin ich ganz bei dir. Nur habe ich aktuell das Problem, dass ich keine Lücke im Text entdecke, wo ich etwas einschieben könnte, ohne dass die "Taktung" dadurch aufbrechen würde. Als ich deinen Kommentar gelesen habe, dachte ich anfangs noch, na klar, da schiebe ich fix was ein, aber daraus wurde dann vorerst doch nichts. Mal sehen, ob ich das mit etwas Abstand noch gebacken bekomme, danke jedenfalls für den Hinweis.

Das tolle an Flash Fiction ist, dass man sich beim Feedback auch auf wenige Stellschrauben beschränken kann, einfach, wegen der Kürze des Materials.

Und langsam ahne ich, das die Schwierigkeit vor allem darin besteht, diese Stellschrauben richtig auszurichten, denn dadurch, dass hier alles so ... winzig ist, braucht es passendes Werkzeug und eine besonders ruhige Hand.

Danke fürs Vorbeischauen und liebe Grüße,

Lani

 

Hey Lani,


schön, ein neuer Text von dir!

Ein Mensch, der seine Mühle - die nun verfallen ist, die nicht mehr zu funktionieren scheint -, und dadurch seinen Beruf, seine Berufung (?) verloren hat. Das, was seine Identität ausgemacht hat. Er wird vom Mühlenedgar zum Fuzzi, einen "nicht ganz ernst zu nehmenden Menschen". Das alleine reicht schon, um ausgegrenzt zu werden, aber er ist ferner körperlich gezeichnet, dein Edgar, hat offenbar kein (funktionierendes) soziales, familiäres Netzwerk (mehr), ist ein Außenseiter. Kein Land in Sicht. Kein Rückhalt (mehr). Kein Selbstvertrauen (mehr). Verwundert nicht, dass er depressive Züge annimmt, an Selbstmord denkt.
Deine Geschichte animiert dazu, mir Gedanken über Identität zu machen. Was macht uns aus, was definiert uns, was wenn Teile, die uns als selbstverständlich erscheinen, wegbrechen? Was bleibt übrig? Was bedeutet das für die Selbst- und Fremdwahrnehmung?
Das mal meine Lesart, das mal, was dein Text mit mir gemacht hat.

Ja, eine tragische Figur, wieder einmal, Lani, sie erinnert mich ein wenig an deinen Zwetschge.

Der Text hat mir insgesamt gefallen.

Textkram:

Da wohnt einer in der Mühle, den man den Mühlenedgar nennt. Die Mühle ist alt und verfallen, und eigentlich ist es ein Wunder, dass es sie und den Edgar noch gibt, denn vor einigen Jahren stand hier alles in Flammen, und mittendrin stand der Edgar. Seine Haut platzte auf und schmolz und seitdem sieht er komisch aus, sagen die Leute. Der kleine Ruben aus der Nachbargemeinde findet, Edgar ist ein Futzi-Fatz. Was das ist, weiß er aber selber nicht, der Ruben.
Für mich haust der eher dort - wohnen tut er ja eigentlich gar nicht in der Mühle -, fände ich irgendwie treffender. Eigentlich hast du später wieder, die WW wäre vermeidbar. Ach, zum Veranschaulichen, worauf ich hinaus will, folgender Vorschlag:
Da haust einer, den man den Mühlenedgar nennt – in der verfallenen, alten Mühle. Ein Wunder, dass es sie und den Edgar überhaupt noch gibt, denn vor einigen Jahren stand hier alles in Flammen, und mittendrin der Edgar. Seine Haut platzte auf und schmolz. Der kleine Ruben aus der Nachbargemeinde sagt, der Edgar ist ein Futzi-Fatz. Der Ruben weiß aber selber nicht so genau, was das sein soll.

Eigentlich wohnt der Mühlenedgar nirgendwo. In die Mühle kommt er nämlich nur, um zu schlafen, und das auch nur manchmal, viel lieber schläft er unter freiem Himmel. Da liegt er dann mit hinterm Kopf verschränkten Armen im Gras und beobachtet die Sterne, bis ihm die Augen zufallen.
Könntest du eindampfen.
Vorschlag: Eigentlich wohnt der Mühlenedgar nirgendwo. In der Mühle schläft er nur. Viel lieber liegt er aber ohnehin im Gras und beobachtet die Sterne unter freiem Himmel.

Manchmal liegt er auch im Wald und schaut zu den Blättern hinauf, die im Wind hin- und herwiegen, und er freut sich, weil sie niemand sonst sieht. Nur die Ameisen und der Specht, tock-tock-tock. Und die Eule. Aber sonst nur der Mühlenedgar, der dann aufsteht und durch den Wald streift, ziellos, auf der Suche nach nichts.
Könntest du auch eindampfen.
Vielleicht: Manchmal, im Wald, schaut er zu den Blättern, die im Wind hin- und herwiegen, und er freut sich, weil niemand sonst sie sieht. Nur die Eule. Und der Specht, tock-tock-tock. Und der Mühlenedgar, der ziellos durch den Wald streift.

Edgar kommt vom Weg ab, weg von den Kutschradspuren, die sich in die feuchte Erde gegraben haben, weg von den Menschen.
Weg und weg, hm, ich würde versuchen, das zu umschiffen. Keine Ahnung, vom Kurs abkommen? Fort von Menschen und Kutschradspuren?

Wenn ich einen Gürtel hätte, würde ich mich jetzt erhängen, denkt er sich, und wenn ich einen Freund hätte, dann nicht.
Ich würde wohl in der 3. Person bleiben.

Edgar taucht die Hände ein und wäscht sein Gesicht, das vernarbte Gesicht, das nicht seines ist, und er weint und rennt los, strauchelt, stolpert, über Steine, über Wurzeln, rennt weiter und hält die Hose fest, tritt Ameisen platt und rennt, bis die Lunge zerreißt, schreit, bis er Blut spuckt, und als man ihn findet, weiß keiner, wer er ist, nicht mal er selbst.
Die Wiederholungen und Co. sind Stilmittel, ich weiß, erlaube mir dennoch einen weitern Vorschlag, Lani. Du weißt schon, nur zum Verdeutlichen, worauf ich hinauswill:
Edgar taucht die Hände ein und wäscht das Gesicht, das vernarbte, das nicht seines ist und er jagt davon, stolpert, über Steine, über Wurzeln, hält sich die Hose fest, rennt weiter und weiter, bis die Lunge brennt wie die Mühle, in der er schlief, und er schreit, bis er Blut schmeckt, und als man ihn findet, weiß keiner, wer er ist, nicht mal er selbst.


So viel mal von mir, Lani. Textkram soll nur zum Überdenken dienen, nimm dir, was dir sinnvoll erscheint, den Rest ... du weißt schon.


Vielen Dank fürs Hochladen!


hell

 

Nu aber, liebe @Lani,
hier gibt's ja soviel Neues im Forum, dass ich schnell den Überblick verlier...
Der Edgar erinnert mich ein wenig an eine Mischung aus Zwetschge und Freddy Krüger. Schön plastisch hast du ihn gemacht, ich bekomme auf die Kürze ein klares Bild.

Aber was etwas gegen die Kürze spricht, ist, dass kein richtiger Konflikt aufkommt. Ja, er liegt im Konflikt mit sich und seiner Umwelt, weil er ein Ausgestoßener ist, aber irgendwie hätte zwischen dem Zwischenstop am Fluss und seinem Transport zurück in die Stadt noch was passieren können, denke ich.
Ansonsten ist mir das zu schnell zu Ende, ohne, dass wirklich etwas passiert ist.

Ich weiß, das ist eine Kürzestgeschichte, also schwierig, da jetzt noch allzu viel Neues hinzuzufügen.

Ich hätte mich ja gefreut, wenn es irgendeine Verbindung zwischen Futzefatz und Ruben gegeben hätte, wenn die beiden mehr - und sicher zwangsläufig - miteinander zu tun gehabt hätten.

So wie es jetzt ist, liest es sich zwar gut, weil ich deine Art zu erzählen mag, den Witz und die Charakterisierung. Aber mir hat am Schluss noch ein kleiner Aha-Effekt gefehlt, um das Ganze wirklich rund zu machen.

Trotz Meckerei aber gerne gelesen.

Liebe Grüße von Chai

 

Hey @Lani,

mittlerweile habe ich mich ziemlich viel belesen, was Küezestgeschichten angeht und im Grunde ist das was darüber geschrieben wird immer gleich, es ist das Gleiche wie eine Kurzgeschichte, soll auch die gleichen Kriterien erfüllen, nur mit wenig Worten. Bei deiner Geschichte sehe ich das erfüllt, den Konflikt hat er klar auch mit sich selbst, doch ich betrachte hier als den ausschlaggebenden Konflikt, er verläuft sich, denn dafür präsentierst du die Lösung, er wird gefunden.
Für den mit sich selbst, tja ... ist die Frage ob es da zum Guten kommt oder nicht. :(
Armer Kerl.

"Da wohnt einer in der Mühle ...
Der erste Satz gefällt mir nicht, ich schätze ich mag dieses "da" am Anfang nicht.

Futzi Fatz ... :thumbsup:
Wie süß ...

Ziellos auf der Suche nach nichts ...
Love it ... :)

Wenn ich einen Gürtel hätte würde ich mich ...
Das mag ich total!

Aber er hat keinen Freund und keinen Gürtel.
Hier würde ich nach Gürtel einen Punkt machen und einen Absatz, mit dem Rest des Satzes dann den neuen beginnen.

Ich weiß nicht was genau passiert ist, warum er plötzlich Blut spuckt.
Hat sich vielleicht erschreckt, vor sich selbst, bzw. seiner Spiegelung im Bach?

Gern gelesen ...

Liebe Grüße
Charly

 

Hallo,

ich habe die anderen Kommentare nicht gelesen, falls sich was überschneidet.

Da wohnt einer in der Mühle, den man den Mühlenedgar nennt. Würde ich streichen, da es mit dem Titel korrespondiert. Wird dem Leser klar.

und mittendrin stand der Edgar. Auch klar, kann raus, weil du es vorher schon erklärt hast. Außerdem habe ich in diesem kurzen Text schon gefühlt zehnmal Edgar gelesen.

Seine Haut platzte auf und schmolz und seitdem sieht er komisch aus, sagen die Leute.

Nicht beschreiben, wie er aussieht! Das soll der Leser sich selbst erdenken. Einfach: Seitdem sieht er komisch aus, sagen die Leute.

Der kleine Ruben aus der Nachbargemeinde findet, Edgar ist ein Futzi-Fatz. Was das ist, weiß er aber selber nicht, der Ruben.

Das ist gut. Unschuldige Kinderaugen sehen das Monster. Aber: Futzi-Fatz. Das passt nicht. Es muss etwas sein, dass phonetisch mit der vernarbten, verbrannten Haut korrespondiert. Krusti-Kratz, keine Ahnung. Futzi-Fatz klingt eher wie ein kleiner Softie, der allem aus dem Weg geht, aber das tut dieser Edgar nicht. Da würde ich mir etwas passenderes einfallen lassen.

Eigentlich wohnt der Mühlenedgar nirgendwo. In die Mühle kommt er nämlich nur, um zu schlafen, und das auch nur manchmal, viel lieber schläft er unter freiem Himmel.

Sehr verwirrend. Eigentlich wohnt er nirgendwo, schläft aber manchmal in der Mühle, aber viel lieber draußen? Das wirkt, als ob sich der Autor nicht recht entschließen kann. Warum wird er denn Mühlenedgar genannt, wenn er viel lieber draussen schläft?

Manchmal liegt er auch im Wald und schaut zu den Blättern hinauf, die im Wind hin- und herwiegen, und er freut sich, weil sie niemand sonst sieht.

Moment, warum kann der Erzähler diese Blätter denn sehen, und woher weiß er, dass der Mühleneddie auch weiß, dass die sonst niemand sieht?
Wenn ich einen Gürtel hätte, würde ich mich jetzt erhängen, denkt er sich, und wenn ich einen Freund hätte, dann nicht.

Das ist die einfachste Lösung: Man vs Society. Der einsame Geächtete gegen das ignorante Pack. Kann man machen. Du hast hier aber schon Ruben, das unschuldige Kind. Warum nicht einen Satz einbauen, das sich die beiden angefreundet haben, die Eltern diesen Kontakt aber verboten haben, weil Eddie so monstermäßig aussieht? Dann ist es nicht so schwarz/weiß.

Der zweite Absatz klingt vom sound her völlig anders als der erste. Mir fällt das extrem auf. Da wo die du Action reinbringst, der ganze Absatz, der erscheint mir etwas unmotiviert. Warum macht er das? Warum gerade jetzt? Was ist der Grund? Du bringst auch keine zeitliche Verortung da mit rein, er könnte da ein paar Tage, aber auch ein paar Jahre gelebt haben. Da frage ich mich: Warum jetzt? Da musst du mir wenigstens eine vage Lösung, eine Ahnung anbieten, wo ich sage, okay. Ruben hat ihm die Freundschaft gekündigt, jemand hat die Mühle gekauft und baut da was neues hin, eine Kirche, oder anderes.

Nah dran an einer tollen Geschichte, aber an die Stellschrauben würde ich mich noch einmal drangeben. Was ich auch überlegt habe: Ich glaube, deiner Geschichte würde ein kurz eingeführter Erzählrahmen gut stehen, so wie Umberto Eco das auch immer macht. Wer erzählt die Geschichte? Ruhig den Erzähler einführen. Damals, 1845, da lebte ich hinter Dresden, ich war Stellmacher, und während ich die Kutschen mit den Pferden einritt, fuhr ich an dieser Mühle vorbei ... nur eine Idee, aber du weißt, was ich meine. So sortierst du vieles direkt besser ein, der Leser bekommt da mehr Zugriff, mehr Grip.

Gruss, Jimmy

 

Hey @zigga, @hell, @Chai, @Charly1406 und @jimmysalaryman,

bitte verzeiht, dass ich so lange nichts von mir hab hören lassen, leider ist in meinem Kopf aktuell nur wenig Platz frei für Edgar, Ruben und wie sie alle heißen - weshalb auch meine Antwort vorerst nicht mehr als diese Entschuldigung beinhaltet. Aber bevor ich wieder abtauche, möchte ich zumindest noch ein großes Dankeschön dalassen für die Zeit und die Mühe, die ihr in eure Kommentare investiert habt, habe mich sehr darüber gefreut! Und sobald ich mich wieder ein wenig freigeschaufelt habe, werde ich mich dranmachen, eure wertvollen Vorschläge umzusetzen.

Bis dahin liebe Grüße und bis hoffentlich bald,

Lani

 

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