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Der Mord
Eines Tages, ich war ungefähr vier Jahre alt, erklärte mir meine Mutter was der Tod bedeutet. Sie erzählte, dass man begraben wird und dass die Toten in den Himmel kommen. Meine Oma war gestorben und ich wollte einfach nicht das schwarze Kleid anziehen, was ich mir nicht ausgesucht hatte.
Ein paar Tage später, nach der Beerdigung, bekam ich von meiner Tante Hilda meine erste Puppe geschenkt. Ihr Name war Isa. Sie hatte braune, lange Haare und blaue Augen und war einfach wunderschön. Ich spielte nur noch mit ihr und es kam mir vor, als hätte ich eine Schwester, denn sie konnte sogar Pipi machen. Ich zog ihr Kleider an und wieder aus und flocht ihr Zöpfe.
Als ich ihr mal wieder ein neues Kleid anziehen wollte, blieb der Kopf im Kragen stecken. Doch wie ich auch zog und zerrte, der Kopf wollte einfach nicht rauskommen. Plötzlich machte es "knack" und der Kopf fiel mir in den Schoß.
Vor Schreck sprang ich auf, so dass der Kopf von meinem Schoß unter das Bett rollte. Ich traute mich nicht, nach dem Kopf zu schauen und schob schließlich ihren restlichen Körper mit dem Fuß unter mein Bett.
Am Abend, als meine Mama mich ins Bett gebracht hatte, konnte ich lange nicht einschlafen. Ständig hatte ich vor Augen, wie der Kopf von Isa da unten lag und mich vorwurfsvoll durch die Matratze ansah. Zitternd machte ich die Nachttischlampe an, beugte mich langsam über den Rand und schaute unter das Bett. Zwei große Augen starrten mich an und schnell ließ ich mich zurückfallen und versteckte mich unter der Bettdecke.
Stunden später war ich immer noch wach und dachte darüber nach, was ich mit Isa machen sollte. Tränen standen mir in den Augen und meine Fantasie quälte mich, wie Isa ohne Kopf unter dem Bett hervorkam und mich angriff.
Ich sprang aus dem Bett, flitzte schnell zum Schrank und kramte meinen Turnbeutel hervor. Dann bewaffnete ich mich mit meiner roten Plastikschaufel und schlich zum Bett.
Langsam kniete ich mich nieder, schloss ganz fest meine Augen und schob die Schaufel langsam unter mein Bett. Ich fühlte Widerstand und blind schob ich die Körperteile in meinen Beutel. Ich ließ die Schaufel sofort fallen und machte ruck zuck den Beutel zu. Isa sollte nicht die Chance kriegen, herauszukommen.
Endlich wusste ich, was zu tun war.
Tagelang aß ich kaum etwas und erfand immer wieder Ausreden, um draußen nicht zu spielen. Ich wollte meinen Eltern nichts von meiner schlimmen Tat erzählen. Sie hätten mich dann bestimmt ins Gefängnis gesteckt, weil alle bösen Menschen dahin kommen. Das hatte ich im Fernsehen gesehen.
Bald besuchte uns Tante Hilda wieder. Eigentlich freute ich mich immer, wenn sie kam. Aber diesmal nicht, denn ich zitterte vor Angst. Ich wartete auf die Frage, wo Isa sei und ob ich mit ihr auch spielen würde. Nach dem Abendessen kam sie dann auch.
Ich fing zu weinen an und Tante Hilde nahm mich auf ihren Schoß.
"Was ist denn los, Kleine?"
"Ich habe Isa getötet!", heulte ich und vergrub meinen Kopf an ihrer wogenden Brust.
"Getötet? Ja wie denn das?", schmunzelte Hilda und drehte meinen Kopf zu sich.
Ich wollte sie schön machen....und da...da ist ihr der Kopf abgefallen!" schluchzte ich wieder.
"Und wo ist Isa jetzt?", fragte Tante Hilda.
"Ich hab sie begraben - so wie Oma Gertrud!"
"Was denn, auf dem Friedhof?", staunte Hilda.
"Nein im Garten, hier", hickste ich aufgeregt.
Schließlich nahm mich Tante Hilda an die Hand und wir machten uns mit einer großen und einer kleinen Schaufel auf den Weg.
Wir gruben Isa aus und Tante Hilda wusch sie sauber und machte den Kopf wieder drauf. Meine Mutter nähte ein neues Kleid, mit einem größeren Ausschnitt und ich war glücklich.
Und jedes Mal, wenn ein Körperteil meiner Puppen abfiel, wusste ich, Puppen können nicht sterben.