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Der rasende Rudi und der Froschkönig
„Der Frosch war’s!“, behauptete die Witwe des Opfers und deutete auf ein Tierchen, das in einem Terrarium zwischen exotischen Grünpflanzen hockte.
Kriminaloberkommissar Wolfgang Nehrlinger, alias „der rasende Rudi“, trat an den gläsernen Behälter heran. Mit einem „Aha“ begutachtete er die Abdeckung. Sie bestand aus einem eloxierten Metallrahmen mit Aluminiumgaze, der lückenlos auf den Glaskanten lag. „Der Beschuldigte konnte schlecht von selbst entschlüpfen“, stellte Rudi fest. „Also klären Sie mich kurz auf, Frau Engelhard.“
„Nun, so war es auch nicht“, setzte sie an, während Rudi seine Nasenspitze an der Scheibe plattdrückte und dem Mordgesellen in die unschuldig dreinblickenden Froschaugen schaute.
„Jahn wollte die Pflanzen lichten.“
Tatsächlich lagen neben dem Glasbehälter einige Pflanzenbüschel.
„Er fasste wohl mit bloßen Händen ins Terrarium. Ich weiß nicht, wieso er die Gummihandschuhe vergessen hatte. Und da muss es passiert sein.“
Rudi zuckte hoch und drehte sich um. „Haben Sie es nicht gesehen?“
„Nein, nicht direkt. Ich hörte vom Esszimmer aus seinen fürchterlichen Schrei.“
„Warten Sie, Frau Engelhard, ich möchte Ihnen ein paar informatorische Fragen stellen und gleich mitschreiben.“ Mit flinker Hand zog er Stift und Notizblock aus der Innentasche.
„Soll ich noch mal …“
„Nein, fahren Sie bitte fort“, sagte Rudi und kritzelte drauf los.
„Er schrie auf und fluchte irgendwas.“
„Sie haben es nicht verstanden?“
„Vielleicht: ´Verdammte Scheiße´. Das sagte er oft, wenn …“ Susanne Engelhard schluchzte, zerrte ein Taschentuch aus ihrer Jeans und tupfte die Augenwinkel.
Rudi wurde ungeduldig. Der Fall war klar: Ein tödlicher Unfall, herbeigeführt durch Leichtsinn oder Vergesslichkeit. „Warten Sie bitte einen Moment, Frau Engelhard.“
Draußen im Flur erledigte Rudi rasch die nötigen Anrufe. Danach ließ er den Leichnam, der von einem Polizisten bewacht im Schlafzimmer lag, in die Gerichtsmedizin bringen. Die Todesursache musste auf jeden Fall belegt werden. Dann eilte er zu der jungen Frau zurück. Er hatte es eilig. Im Präsidium wartete Kollegin Sabine, die langbeinige Sabine. Er hatte gestern endlich den Mut gefasst, sie zum Essen einzuladen. Es galt herauszufinden, ob sich ihre unverhohlene Bewunderung ihm gegenüber nur auf das Berufliche erstreckte. Ein riskantes Unterfangen, aber Sabine war ihm jedes Risiko wert.
„So, Frau Engelhard. Sie dürfen sich kurzfassen. Wo waren wir? Ah ja, Sie hörten ihren Mann fluchen.“ Rudis Stift schwebte ungeduldig über dem Notizblock.
„Er muss dieses Vieh berührt haben. Er hatte wohl die Schnittwunde an seinem Finger nicht bedacht.“
„Aha. Die Handschuhe vergessen, die Wunde nicht beachtet. Ist das mit der Wunde wichtig?“
„Jahn erwähnte mal, dass das Gift des Pfeilgiftfrosches nur wirkt, wenn es direkt in die Blutbahn gerät.“
„Er wusste also davon. Wie lange besaß Ihr Gatte diesen Frosch schon?“
„Vielleicht ein knappes Jahr, so ungefähr.“
„Hmm, können Sie mir zeigen, wo er die Handschuhe aufbewahrte?“
Sie schaute sich ratlos um. „Also, ich weiß nicht.“ Sie schluchzte wieder und tupfte. „Ich weiß es wirklich nicht.“
„Was ist in dem Schränkchen unter dem Terrarium? Das wäre doch ein sinnvoller Ort für die Handschuhe. Darf ich mal reinschauen?“
„Also, ich weiß nicht.“
„Was wissen Sie nicht?“
„Ich meine, warum sind Sie so auf die Handschuhe aus? Er hat sie doch nicht getragen.“
„Es waren bestimmt Latexhandschuhe, die man kartonweise in Apotheken kaufen kann, richtig?“
Susanne zuckte mit den Schultern. „Ich denke, ja.“
„Darf ich dann nachsehen oder nicht?“, fragte Rudi ein wenig schroff. In einer guten Stunde war der Tisch bei Luigi bestellt, und Sabine hatte sich bestimmt was Reizendes angezogen.
Der Fall hier war klar. Rudi zweifelte nicht daran, dass die Blutuntersuchung das Gift des Frosches nachweisen würde. Er wollte nur ein paar Zeilen auf seinen Zettel bekommen, damit seine Arbeit einen nicht gar so dürftigen Eindruck machte.
„Bitte, wenn es sein muss.“
Im Schrank stand ein Plastikbehälter mit Lebendfutter, irgendwelche Insekten. Daneben lagen ein Büchlein über Amphibien und eine Dreiersteckdose für Heizung und Licht des Terrariums.
„Sehen Sie mal. Hier lag nie eine Packung Handschuhe. Der leichte Staub ist nur im Bereich der Futterdose verwischt.“
„Wie gesagt, ich weiß nicht, wo er sie hingelegt hat. Wollen Sie vielleicht auch noch in der Sockenschublade herumwühlen? Sehen Sie nicht, dass ich trauere?“
„Nein. Äh, ich meine, ja.“ Nun, vielleicht lagen die Handschuhe tatsächlich woanders, an einem Ort, wo man sie ebenfalls gebrauchen kann, in der Küche. Aber musste dann die Haufrau nicht davon wissen? Und warum blieb ihr Taschentuch trocken, mit dem sie sich ständig die Augen tupfte? Fragen über Fragen, die er nicht stellen durfte, ohne zuvor Susanne Engelhard über ihre Rechte als Zeugin zu informieren oder sie gar offiziell als Beschuldigte einzustufen.
„Entschuldigen Sie vielmals. Ich werde jetzt gehen,“ murmelte er.
An der Tür drehte sich Rudi um. Eine Frage musste noch gestellt werden. „Woher hatte ihr Gatte diesen gefährlichen Frosch?“
Susanne erblasste. „Das … das weiß ich doch nicht!“, antwortete sie nach einer Schrecksekunde und knallte die Tür zu.
Rudi hastete zu seinem Dienstwagen und brauste mit Blaulicht durch den Feierabendverkehr. Er musste sich im Präsidium noch umziehen. Schließlich wollte er Sabine auf der ganzen Linie beeindrucken. Das erste Date ist ausschlaggebend, so wie die erste Befragung eines Verdächtigen. Womit er gedanklich wieder bei Frau Engelhard angelangt war. Angenommen, sie hat den Tod ihres Mannes eingefädelt, wie hat sie das angestellt? Ihm den Frosch ins Gesicht geschmissen? Dem Tier das Gift irgendwie entnommen? Das müsste möglich sein, immerhin heißen die Viecher Pfeilgiftfrösche. Nur wird man das nie beweisen können. Rudi seufzte entnervt. Hat Frau Engelhard den perfekten Mord begangen? Wenn Frösche nur reden könnten.
Im Laufschritt hastete er die drei Etagen zu seinem Büro hoch und riss die Tür auf. „Wow! Was für ein Anblick!“, rief er aus.
„In der Tat“, stellte Sabine fest, „du solltest deinen Schreibtisch mal wieder von den Aktenbergen befreien.“
„Unsinn, ich meine dich!“ Sabines Kleid war verdammt rot und verflucht kurz, aber der Ausschnitt hoch geschlossen. Also nicht nuttig, sondern elegant sexy. Demnach hatte sie ein gutes Gefühl für Stil.
„Ach so, danke!“ Sie zerrte etwas verlegen am Saum herum. „Aber ist das nicht zu kurz?“
„Fragst du mich das im Ernst?“
Nachdem ihr glockenhelles Lachen verklungen war, reichte er ihr seine Notizen. „Ich habe bei diesem Fall ein unbehagliches Gefühl.“
„Ist es denn ein Fall?“
„Ich weiß nicht. Tipp doch den Kram bitte ab, während ich mich in der Umkleide ausgehwürdig mache. Vielleicht fällt dir was auf.“
Als Rudi wieder sein Büro betrat, rief Sabine: „Wow! Was für ein Anblick!“
„Ja, verdammt, ich habe dem Hausmeister schon vor Wochen gesagt, er solle die Tür neu streichen!“
„Quatsch, ich meine dich!“
„Ach du liebes Bisschen, aber danke.“
„Ein nagelneuer Armani, hmm?“
„Tja, also …“
„Wirklich schade, dass du den wieder ausziehen musst.“
„Du, das habe ich … also, wenn du denkst, dass, äh …“
„Nu verhaspele dich bloß nicht. Wir haben einen Mordfall aufzuklären. Also husch-husch zurück in die alten Klamotten, oder willst du die Festnahme im Armani vornehmen?“
„Du willst die Engelhard festsetzen?“
„Nicht sofort. Zunächst werden wir den Frosch hopsnehmen, sozusagen, und ihn zum Reden bringen. Er ist unser wichtigster Zeuge. Dann in die Stadtmitte fahren und den Froschkönig in die Mangel nehmen. Spätestens morgen Vormittag haben wir alle Beweise für den gemeinschaftlichen Mord an Jahn Engelhard beisammen. Und dann werden wir sie verhaften.“
„Alle drei? Und was für einen Froschkönig? Du sprichst in Rätseln!“
„Froschkönig ist der Spitzname von Harald Kielmann. Er betreibt Amphibienzucht und -handel. Sein Laden, übrigens der einzige dieser Art weit und breit, gehörte mal zu meinem Revier als Streifenpolizistin. Und der Typ, dieser Harald, vögelt alles, was einen Rock träg und kein Schotte ist. Man munkelt, er nehme die Frauen aus, um seinen Laden über Wasser zu halten. Aber nie große Summen. Eine Anzeige hat es nie gegeben. Ist die Engelhard vermögend?“
„Das Haus samt Grundstück und Einrichtung schätze ich auf zwei Millionen. Selbst wenn sie noch am Abzahlen ist, muss ordentlich Geld reinkommen.“
„Hmm, wer bekam den Kredit, die Frau oder das Opfer?“
„Gute Frage. Sie ist und er war selbständiger Makler. Finanziell kann das alles Mögliche bedeuten. Das müssten wir noch aufdröseln.“
„Das hat Zeit. Erst mal greifen wir uns den Frosch, und zwar eiligst, ehe der verschwindet“, sagte Sabine und zog das Protokoll aus dem Drucker. „Oh, entschuldige bitte, dass ich so vorpresche, du bist der Boss, also was …“
„Nein, nein, schon gut, zeig mir mal, was du drauf hast.“
„Ach, das sagst du doch nur, weil ich noch dieses Kleid anhabe.“
„Das kannst du mir nie im Leben nachweisen!“
„Okay, ich schlage vor, wir ziehen uns um und treffen uns am Wagen. Du sackst bitte noch den Staatsanwalt ein. Während der Fahrt erkläre ich euch alles Weitere“, sagte sie und eilte zur Tür hinaus.
Verflixt, dachte Rudi, grade frischgebackene Kriminalobermeisterin und schon schneller als ich. Bald wird man uns den lahmen Rudi und die rasende Sabine nennen.
Frage:
Wie will Kriminalobermeisterin Sabine den Mord beweisen?
Die fehlenden Gummihandschuhe sind ein erster Hinweis.
Weiterhin sollte man sich fragen, was Sabine glaubt von dem Frosch zu erfahren.