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Der Schuss
Spät ist es geworden, beinahe zu spät. Die Sonne ging schon langsam unter und immer noch hatte er es nicht getan. Er schaute nach links und rechts. Keiner, der ihn beobachtete. Gut so. Unter Druck war er noch nie besonders effektiv. Sein Blick richtete sich wieder nach vorne. „Ruhig atmen“, dachte er, „Schön ruhig. Nicht wackeln. Es wird alles gut gehen!“ Er ging langsam nach vorne. Ein paar Schritte noch, dann war er da. „Nicht nervös werden! Das hat dir das vorige Mal schon alles versaut. Keine Hektik und alles wird gut.“ Sein letztes Mal sollte es jetzt sein. Diesmal wirklich. Keine Ausreden mehr. Einmal noch, dann geht er nach Hause, zu seiner Familie.
Vor ihm lag sein Instrument. Knapp einen Meter lang, fast ein Kilo schwer. Das Gewicht tat gut in seinen Händen. Es beruhigte ihn. Der Geruch, so alt und so vertraut. Er sog ihn ein und konzentrierte sich. Ein letzter Check noch. War das Gewehr geladen? Der Lauf? So gerade wie es nur möglich war. Das letzte Mal hatte ihm eine winzige Krümmung alles versaut. Er war so dicht dran, aber dieser eine Millimeter. „Manchmal sind es nur die Kleinigkeiten“, dachte er. Das passiert ihm heute nicht. Nein. Heute ist er besser vorbereitet.
Sein Ziel ist direkt vor ihm. Ständig in Bewegung. Man muss antizipieren, wo es sich kurz vor dem Schuss aufhalten wird. „Das ist kein Glück, das ist Können“, sagte er zu sich selber. So viel hatte er investiert, um noch einmal hier sein zu können. So viel Geld war nötig gewesen, um diesen Job zu Ende zu bringen. Um noch einmal diese eine, letzte Chance zu haben.
Er atmete ruhig, fuhr seinen Puls herunter. Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn und tropften auf seine Brille. Die Stimme seines Vaters hallte in seinem Kopf. Er war ein Meister seines Faches. Er hatte ihm so viel beigebracht. „Denke an nichts. Leere deinen Geist!“ Er klang jedes Mal ein wenig wie Meister Yoda, wenn er das sagte. „Tu es, oder tu es nicht. Es gibt kein Versuchen!“ Ja, das stimmt. Vor allem in diesen stressigen Situationen half der Gedanke an ihn.
Also dann. Es war soweit. Sein Ziel bewegte sich immer noch. Von links nach rechts. Immer wieder. Noch einmal Zielen, ausatmen und abdrücken. Ein Schuss löste sich. Nur einer, mehr braucht es nicht. Er sah die Kugel fliegen. Er sah sie, wie sie die kurze Strecke überwand und dann das Ziel traf, sich hineinbohrte und auf der anderen Seite wieder austrat. Er hatte es getan. Er hatte es tatsächlich getan! Das Ziel war erledigt. Er konnte es noch gar nicht fassen. „Scheiße! Ich hab es geschafft! Ich hab es geschafft!“, waren seine einzigen Gedanken. Immer wieder. Dann unvermittelt brach Jubel aus. Er schmiss das Gewehr weg, drehte sich um und ballte die Faust.
Zufrieden drehte er sich wieder nach vorne. Das Ziel hing immer noch da. Zerfetzt wie eine Pinata. Dann kam ein großer, schwerer, bärtiger Mann auf ihn zu. „Gut gemacht“, nuschelte der Bär in seinen Bart. „Danke“, sagte der Junge und streckte seine Hand aus. Er nahm den großen Plüschtiger entgegen den er gewonnen hatte und ging zufrieden mit seinem Vater nach Hause.