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Der Tote am Turm

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10.10.2010
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Der Tote am Turm

Andreas verabschiedete sich von seiner Vermieterin und verließ das Haus. Es war Montag Mittag und er machte seinen üblichen Mittagsspaziergang, um den Kopf wieder frei zu kriegen. Er war Software-Entwickler und arbeitete vier Tage in der Woche zu Hause im Home-Office. Nach jedem Frühstück und Mittagessen ging er diese kleine Runde.

Seit fünf Monaten hatte er diese kleine Wohnung im beschaulichen Witzhelden im Bergischen Land, und da seine Vermieterin eine alleinstehende ältere Dame war, hatten sie vereinbart, daß er mittags bei ihr essen durfte. Für ihn war das sehr praktisch, und seine Vermieterin freute sich über die Gesellschaft.

Es war Anfang Oktober und die Sonne ließ die Farbvielfalt der Herbstbäume erstrahlen. Er hörte Geschrei von spielenden Kindern und ein paar Hundebesitzer machten ihre Runde. Der Motorgleitschirmflieger, den er im Sommer schon ab und zu gesehen hatte, nutzte das schöne Wetter und drehte ein paar Runden.

Andreas hielt hier und da einen kurzen Schwatz. Ihn wunderte, wie sehr er sich an das Leben hier gewöhnt hatte. Er ist in Solingen groß geworden und dort war alles viel anonymer. Hier grüßen sich alle, auch wenn man sich nicht kennt, und er fand das angenehm.

Er ging eigentlich immer dieselbe Strecke: Von seiner Wohnung nach links den Scharweg hinauf bis zum Sportplatz, hinter dem Sportplatz die Straße Flamerscheid entlang bis zur Hauptstraße und von dort aus wieder in den Scharweg hinein bis zu seiner Wohnung.

Obwohl er jeden Tag den selben Weg ging, schaute er sich immer die Häuser an, die auf seinem Weg lagen, und entdeckte immer wieder neue Details. Hin und wieder nahm er sich ein paar Minuten, den Tennisspielern zuzuschauen, die manchmal schon mittags auf dem Tennisplatz waren.

Und er betrachtete auch immer wieder den riesigen Fernmeldeturm, der wie ein großes Ufo auf einem gigantischen Betonpfeiler aussah. Dieser Turm erinnerte ihn an den Film „Men in Black“ und er malte sich hin und wieder aus, wie das wohl aussehen würde, wenn dieses „Ufo“ starten würde. Er wußte gar nicht so richtig, was dieser Turm für eine Funktion hatte, aber Andreas glaubte gehört zu haben, daß er etwas mit der Telekom zu tun hätte. Darum nannte er ihn „Telefonturm“.

Immer, wenn Andreas von der Hauptstraße wieder in den Scharweg einbog, sah er dort den Schaukasten eines Massage-Studios. Oft dachte er daran, ob sich einmal massieren zu lassen, weil er manchmal Rückenschmerzen hatte. Aber er konnte sich bisher nie dazu aufraffen.

'Ich bin jetzt 28 und bin schon ein ziemliches Gewohnheitstier.', dachte er und fühlte sich unwohl bei diesem Gedanken. 'Vielleicht sollte ich einmal etwas Neues ausprobieren.'

Aber dann kam er wieder an seiner Wohnung und seiner Arbeit an und vergaß diesen Gedanken.

Andreas entwickelte an einem Software-Paket für Versicherungen mit und war für verschiedene Berechnungsmodule verantwortlich. Da der Kunde einige Fehler gemeldet hatte, schrieb er noch weitere Testprogramme, um den Fehler reproduzieren zu können. Nach langem Suchen und Probieren fand er kurz vor 17:00 Uhr den Fehler und korrigierte ihn. Er überspielte seine Änderungen verschlüsselt über das Internet auf den Firmenrechner. Feierabend. Er war sehr zufrieden.

Da klopfte seine Vermieterin an und bat ihn um seine Hilfe, einige ihrer Einkäufe in die Wohnung zu tragen. Erst wollte er sie an seiner Begeisterung über seinen Erfolg teilhaben lassen. Aber als er nach ein paar Worten in ihrem Gesicht wieder das verständnislose Lächeln sah, das sie immer zeigte, wenn er ihr von seiner Arbeit erzählte, ließ er es.

'Es ist schon doof', dachte er, 'daß ich außer meinen Kollegen kaum einen an meiner Arbeit teilhaben lassen kann. Ich habe heute durch zusätzliche Unit-Tests einen tückischen StackOverFlow-Error finden und fixen können und habe außerdem heute morgen ein sinnvolles Refactoring der Persistenzschicht durchgeführt.'

Er mußte lächeln, als er sich das Gesicht seiner Vermieterin vorstellte, wenn er ihr das so erklärt hätte.

„Es hat sich ganz schön abgekühlt“, sagte seine Vermieterin. „Es wird ja sogar diesig.“

Andreas ging kurz nach draußen. 'Tatsächlich', dachte er. 'Da hat sich der Wetterbericht aber ganz schön geirrt. Es sollte doch noch ein paar Tage warm und sonnig bleiben.'

Es zog ziemlich schnell dichter Nebel auf. Andreas wunderte sich, weil er das so in diesem Tempo noch nie gesehen hatte. Er schaute nach oben und sah einen Heißluftballon hinter dem Fernmeldeturm im Nebel verschwinden.

'Den hat der Nebel bestimmt auch überrascht. Hoffentlich kommt der heil herunter', dachte er.

Andreas konnte noch nicht einmal mehr bis zum Ende des Scharwegs sehe, so dicht wurde der Nebel. Außerdem dämmerte es schon.

Er ging wieder in seine Wohnung. Irgendwie hatte er bei dem Wetter keine Lust wegzugehen, und da er mit niemandem verabredet war, surfte er noch etwas im Internet. Dieser spontane Nebel interessierte ihn und er fand etwas darüber. So ein Phänomen ist selten, aber es kann auftreten, wenn nach einem warmen Tag sich die Luft ganz plötzlich abkühlt.

'Da wird jetzt auf den Straßen einiges los sein und es sicherlich wieder knallen', dachte er. 'Da mache ich mir heute abend lieber einen Ruhigen.'

Er surfte noch ein bißchen im Internet, aß Abendbrot und las dann seinen Krimi weiter, bis er ins Bett ging.

Am nächsten Morgen begann sein Tag wie immer und er machte sich nach dem Frühstück auf seinen üblichen Morgenspaziergang. Es war immer noch ein bißchen diesig, aber es war kein Nebel mehr.

Außer ihm schien niemand unterwegs zu sein. Kurz bevor er den Sportplatz erreichte, mußte er auf einmal pinkeln. Gegenüber vom Sportplatz, auf der anderen Seite der Straße, liegt ein kleines Wäldchen. Dahinter fängt das umzäunte Gelände des Fernmeldeturms an, welches größtenteils von Bäumen umgeben ist.

Andreas überlegte kurz: 'Was soll ich mir Druck machen? Es ist eh keiner hier.' Und dann ging er hinter das Wäldchen und erleichterte sich.

Er drehte sich zum Turm um und sah auf dem Gelände irgendetwas zwischen den Bäumen liegen. Sollte er über die hohe nasse Wiese zum Zaun gehen und nachsehen? Seine Neugier siegte.

Während er ging, sah er, daß es ein Mensch war, der zwischen den Bäumen lag. Andreas rief: „Hallo“, doch der Mann rührte sich nicht.

„Hallo, brauchen sie Hilfe? Ist alles in Ordnung?“

Als er am Zaun ankam, konnte er die Person genauer sehen. Es war ein Mann, der auf dem Bauch lag. Das Gesicht war abgewandt und es war Blut am Hinterkopf. Außerdem wirkten ein Arm und ein Bein verdreht.

„Hallo, hören sie mich“, aber es blieb still.

Andreas wurde es schwindelig und hielt sich am Zaun fest. 'Er ist tot!', dachte er.

Mit zitternden Händen holte er sein Handy heraus und wählte den Polizeinotruf. „Hier ist ein Toter am Telefonturm in Witzhelden“. Stotternd machte er noch weitere Angaben und legte dann auf.

Wie im Traum starrte er lange auf den Toten. Er hatte sein Handy noch in der Hand und machte dann, ohne nachzudenken, einige Fotos von der Leiche.

Nach zehn Minuten sah Andreas einen Polizeiwagen den Scharweg heraufkommen. Er lief zurück zur Straße und winkte heftig.

Die beiden Polizisten stiegen aus. Er führte sie zum Zaun und zeigte ihnen den Toten.

Der eine Polizist meldete den Vorfall der Zentrale und der andere Polizist führte Andreas vom Gelände weg zum Polizeiwagen und befragte ihn. Andreas erzählte ihm von seinem Morgenspaziergang, daß er hinter dem Wäldchen pinkeln war und daß er durch Zufall den Toten entdeckt hatte. Er gab dem Polizisten seine Adresse und er konnte nach Hause gehen.

Er setzte sich in seine Büroecke, fuhr seinen Rechner hoch und startete die Programme, die er für seine Arbeit brauchte. Aber er war völlig fertig, ihm ging der Tote nicht aus dem Kopf.

Dann nahm er sein Handy und spielte die Fotos von dem Toten auf seinen Rechner. 'Darf ich das überhaupt?' dachte er. 'Solche Bilder sind doch bestimmt verboten.' Aber er konnte sich nicht dazu entschließen, sie zu löschen.

Durchs Fenster sah er weitere Polizeiwagen den Scharweg entlang in Richtung Fernmeldeturm fahren. Kurz entschlossen zog er sich wieder seine Schuhe an und ging erneut zum Turm.

Der komplette Bereich vom Turmgelände bis zur Straße - in dem auch das Eingangstor war - war abgesperrt worden und diverse Polizeibeamte suchten nach Spuren.

Es waren auch schon ein paar Nachbarn da und einige von ihnen machten mehr oder weniger heimlich Fotos von den Polizisten. Aber den Toten konnte man nur vom abgesperrten Bereich aus sehen und daher wußte keiner so recht, was hier eigentlich los war. Es war auch schon ein Reporter da, der fleißig fotografierte. Andreas ließ davon anstecken und machte noch ein paar Bilder mit seinem Handy. Ein Polizist begann, die Anwesenden zu befragen.

Einer der Polizisten erkannte Andreas wieder und nahm ihn beseite.

Andreas erklärte ihm: „Ich bin immer noch etwas durcheinander und kann im Augenblick sowieso nicht arbeiten. Weiß man schon, wer der Tote ist?“

Der Polizist verneinte die Frage.

Da kam ein schwarzer Leichenwagen den Scharweg hinaufgefahren und es ging ein Raunen durch die Menge der Schaulustigen. Daraufhin liefen einige entsetzt nach Hause. Andere nahmen ihr Handy und telefonierten. Wieder andere begannen lebhafte Diskussionen darüber, wer die Leiche ist und wo sie gelegen hat.

Inzwischen waren auch einige Polizisten oben auf den Antennenplattformen gewesen und hatten dort nach Spuren gesucht.

Als Andreas den Leichenwagen wieder wegfahren sah, ging er wieder nach Hause und setzte sich an den Computer. Er versuchte, zu arbeiten, aber seine Gedanken kehrten immer wieder zum Toten zurück. Auch seine Vermieterin war schockiert, als er es ihr beim Mittagessen erzählte.

Nach dem Mittag ging Andreas wieder zum Turm, aber das Gelände war noch abgesperrt. Es stand dort als Wache noch ein Polizeiwagen mit zwei Polizisten. Grübelnd machte er seine übliche Runde, aber er hatte diesmal keinen Blick für die Häuser und die Tennisspieler. Er quälte sich den Rest des Nachmittags durch seines Arbeit.

Dienstags Abend ging Andreas üblicherweise in seinen Schachclub. Ihm war zwar heute nicht nach Schachspielen zumute, aber er mußte unbedingt raus, woanders hin. Und außerdem war am Wochenende ein Spiel.

Nach den üblichen Trainingsspielen beriet seine Mannschaft die Aufstellung für das Spiel am Samstag. Der übliche Spieler von Brett 2, Olaf Ginska, war nicht gekommen. Das sorgte für Unmut unter den Mitspielern, weil das schon öfters vorgekommen war.

„Der Ginska hat anscheinend wieder etwas besseres vor“, ärgerte sich einer.

„Was denkt er sich eigentlich?“ sagte auch Andreas.

Er mochte Ginska nicht besonders, weil Ginska immer heraushängen ließ, daß er etwas erfolgreicher als Andreas spielte. Sie einigten sich darauf, Ginska für das nächste Spiel aus der Mannschaft zu entfernen. Andreas rückte auf Brett 2 vor, und auf Brett 3 wurde ein Reservespieler gesetzt.

Danach spielten sie noch ein internes Blitzschachturnier, wie sie es häufig machten und Andreas dachte kaum noch an sein Erlebnis vom Morgen.

Am nächsten Morgen fuhr Andreas nach dem Frühstück erst einmal in die Dorfmitte zum Kiosk und holte sich alle regionalen Tageszeitungen, die er finden konnte. Neugierig durchsuchte er die Lokalteile nach Meldungen über den Toten.

Im einer Zeitung fand er den Artikel.

Am gestrigen Morgen wurde die Leiche des Autoverkäufers Olaf Ginska nahe des Fernmeldeturms am Witzheldener Sportplatz aufgefunden.

Vermutlich ist Ginska Montagabend gegen ca 19:00 durch Sturz vom Fernmeldeturm zu Tode gekommen.

Weitere Umstände seines Todes sind noch ungeklärt.

Die Polizei bittet um sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung.

Andreas war schockiert. 'Dann war Ginska der Tote!' dachte er. Er durchsuchte noch die restlichen Zeitungen, fand dort aber keine weiteren Informationen.

'Und wir haben im Club noch über ihn gemotzt, daß er nicht da war'. Andreas fühlte sich schlecht.

Nach ein paar Minuten setzte er sich an seinen Rechner und startete die Programme für seine Arbeit. Dann zögerte er und schaute sich noch einmal seine Handy-Bilder von dem Toten an. Darauf war nicht zu erkennen, daß es Ginska war.

Ratlos grübelte er. Dann riß er sich zusammen und fing an zu arbeiten.

Gegen 10 Uhr klingelte es. Ein Polizist wollte ihn noch einmal befragen. Andreas bat ihn herein und der Polizist begann: „Wir befragen noch einmal alle Anwohner, ob jemand etwas bemerkt hat. Wir haben ja Ihre Aussage schon, aber vielleicht ist Ihnen noch etwas eingefallen.“

Andreas wiederholte, wie er am Dienstagmorgen die Leiche entdeckt hatte. Mehr war ihm leider nicht aufgefallen.

Der Polizist setzte fort: „Wir wissen jetzt ungefähr, wann der Tod von Herrn Ginska eingetreten ist. Er starb Montagabend ungefähr um 19:00.“

„Zu der Zeit war es doch schon sehr nebelig, so daß man hier kaum noch etwas sehen konnte“, entgegnete Andreas.

„Das stimmt, aber vielleicht haben Sie ja trotzdem etwas gesehen oder gehört.“

„Hm, eigentlich nicht. Aber warten Sie mal: Ungefähr zu der Zeit habe ich einen Heißluftballon vom Telefonturm in Richtung Solingen wegfliegen sehen, bevor er ganz vom Nebel verschluckt wurde. Wahrscheinlich wurde er vom Nebel überrascht. Der muß so gerade eben über den Turm hinweg geflogen sein. Weiß man eigentlich schon, ob Ginska wirklich vom Turm gefallen ist?“

„Dazu darf ich noch nichts zu sagen“, antwortete der Polizist. „Können Sie noch etwas mehr zu dem Ballon sagen?“

„Er war grau, aber mehr konnte ich aufgrund des Nebels nicht sehen.“

„Und er flog über den Turm?“

„Ja, ungefähr in Richtung Nordosten nach Solingen.“

„War das alles, was Sie so gegen 19:00 bemerkt haben?“

„Na ja, aufgrund des Nebels war niemand mehr draußen - zumindest konnte ich niemanden sehen -, aber da fällt mir noch etwas ein. Gegen Mittag war auch ein Motorgleitschirm in der Luft, aber ich weiß nicht, ob der abends hier auch noch herum geflogen ist. Ich weiß auch nicht, welcher Flieger das war, aber einige Nachbarn weiter vorne in der Straße sind mit einem Gleitschirmflieger hier in der Nachbarortschaft befreundet. Vielleicht war er ja zu dem Zeitpunkt noch in der Nähe in der Luft, weil er vielleicht auch vom Nebel überrascht wurde. Motorengeräusch habe ich allerdings nicht gehört.“

„Mittags haben Sie ihn gesehen, sagen Sie?“

Andreas nickte.

„Ich glaube nicht, daß ein Motorgleitschirm so lange in der Luft sein kann, aber das werden wir überprüfen. Können Sie uns sonst noch etwas sagen?“

Andreas fiel nichts mehr ein und schüttelte den Kopf.

„Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an“, sagte der Polizist und gab ihm eine Visitenkarte, verabschiedete sich und ging.

Andreas grübelte noch etwas herum. 'Ist er nun wirklich vom Turm gefallen? So verdreht wie seine Gliedmaßen waren, muß das wohl so sein. Oder kann er tatsächlich aus einem Ballonkorb gefallen sein? Hätte ich dem Polizisten sagen müssen, daß ich Ginska kannte?'

Nach ein paar Minuten fing er an, zu arbeiten.

Am Nachmittag ließ ihm der Tod Ginskas keine Ruhe mehr. Olaf Ginska hatte vor ein paar Wochen im Schachclub damit angegeben, daß er demnächst mit einem Freund aus Langenfeld eine Ballonfahrt machen wollte. Andreas fand im Internet die Telefonnummer eines Ballon-Vereins in Langenfeld.

Nach kurzem Überlegen rief er dort an und behauptete, daß er einen Bekannten im Ballon am Montag abend gesehen hätte und fragte, ob ein Ballon von den Club an dem Abend geflogen wäre. Überraschenderweise bekam er die Auskunft, daß an dem Nachmittag bis zum Abend ein Herr Scholz den Ballon mit ein paar Freunden gefahren war.

Andreas war wie elektrisiert. Scholz hieß der Freund, von dem Olaf Ginska erzählt hatte! Er schaute in einem Online-Telefonbuch nach, aber es gab über 20 Scholz' in Langenfeld.

'Das ist wohl eine Sackgasse. Die kann ich wohl kaum alle anrufen', dachte er.

Aber es ließ ihn nicht los und er gab „Scholz Heißluftballon Langenfeld“ in eine Suchmaschine ein und fand tatsächlich einen Forenbeitrag von einem Willi Scholz aus Langenfeld. Dieser Willi Scholz war bei den 20 Scholzes dabei.

Er wollte gerade wählen und zögerte dann: 'Wenn das wirklich ein Mörder ist, dann ist es doch sehr riskant, ihm meinen richtigen Namen zu sagen.', dachte er.

Er nahm sein Handy, damit seine Festnetznummer nicht übertragen werden konnte und entschloss sich, unter falschem Namen anzurufen.

„Scholz“

„Guten Tag, mein Name ist äh Heinrich Schmidt. Ich habe folgendes Anliegen. Ich bin mit Olaf Ginska befreundet, aber er hat in letzter Zeit sehr angegeben und er hat mir eine skurrile Geschichte erzählt, daß er zusammen mit Ihnen letzten Montag durch dichten Nebel mit dem Ballon gefahren wäre. Das konnte ich irgendwie nicht glauben.“

Am anderen Ende war es still.

Andreas fragte nach: „Hallo, sind Sie noch dran.“

„Wie war ihr Name?“

„Äh, Heinrich Schmidt.“

„Also ich weiß nicht, was das jetzt soll und wer Sie sind. Ginska ist Montagnachmittag nicht aufgetaucht und war auch nicht erreichbar. Wir sind dann ohne ihn gefahren. Auf Wiederhören.“

Damit war die Verbindung unterbrochen.

'Da ist doch etwas faul', dachte Andreas. 'Aber vielleicht sollte ich nicht Detektiv spielen und das der Polizei überlassen. Was mache ich denn jetzt? Soll ich den Polizisten informieren? Oder bekomme ich dann Ärger, weil ich mich in Ermittlungen eingemischt habe? Vielleicht gibt es ja auch gar nichts zu ermitteln und Ginska hat Selbstmord begangen. Aber woher hatte er den Schlüssel von dem Turm? Wenn er aus dem Ballon gesprungen wäre, hätte Scholz bestimmt die Polizei informiert.'

Andreas versuchte, sich zusammenzureißen und arbeitete noch etwas, obwohl er nicht mehr bei der Sache war.

Gegen 17:00 beendete er seine Arbeit und rief spontan Klaus Hartberg an, einen Clubkameraden aus seinem Schachclub.

„Hallo, hier Andreas. Hast Du das mit Ginska schon gehört?“

„Ja, das ist hart. Die Polizei war schon hier und wollte alles über ihn wissen.“

„Bei mir war sie auch. Du kanntest ihn doch recht gut, ihr wart ja sogar Nachbarn. Hast Du eine Idee, wie das passiert sein kann?“

Hartberg zögerte: „Ich denke, ich kann es Dir sagen, weil es morgen sowieso in der Zeitung steht. Die Polizei geht mittlerweile von einem Verbrechen aus. Sie denkt, daß Olaf ermordet wurde. Bloß wie, das wissen sie noch nicht oder wollten es nicht sagen.“

„Aber wer sollte ihn ermordet haben? OK, er war ein bißchen schwierig und nicht sehr beliebt, aber ermorden?“

„Ich tippe ja auf diverse eifersüchtige Ehemänner, denn Olaf hatte dauernd irgendwelche Affären. Er war doch wohl ein Frauentyp. Und einmal habe ich auch miterlebt, wie er fast eine auf die Fresse bekommen hat. Das war haarscharf.“

„Na, die wird ja dann die Polizei wohl alle abklappern. Sag mal, kennst Du einen Willi Scholz?“

„Hm, neh nie gehört. Wer soll das sein?“

„Das war ein Bekannter von Olaf aus Langenfeld, den ich durch Zufall heute gesprochen habe. Er wußte noch gar nicht, daß Olaf tot ist. Na ja, dann bis zum Wochenende zum Spiel. Ciao.“

„Joo, bis dann.“

'So so, Olaf war also ein Frauenheld.', dachte an Andreas.

Dann machte er sich Abendessen und versuchte vorm Fernseher abzuschalten.

Am nächsten Tag mußte Andreas in die Firma, denn das Team traf sich einmal in der Woche, um Konzepte zu besprechen und weiter zu planen. Weil dieser Tag immer so voll gestopft war und immer sehr lange dauerte, dachte er fast gar nicht an den Mord.

Auf dem Heimweg holte er sich noch ein Tageszeitung. Darin war noch einmal ein kurzer Artikel über Ginskas Tod und es wurde erwähnt, daß die Polizei jetzt von einem Mord ausging. Weitere Einzelheiten standen dort nicht, aber es wurde wieder um „sachdienliche Hinweise“ gebeten.

Freitags versuchte er wieder, wie gewöhnlich zu arbeiten, aber seine Gedanken kreisten immer wieder um den Mord an Olaf Ginska.

'War es nun dieser Scholz aus Langenfeld? Aber warum? Oder war es ein eifersüchtiger Ehemann? Und wie ist er überhaupt auf den Turm gekommen? Wer hat überhaupt den Schlüssel von dem Turm?'

Andreas grübelte weiter herum und suchte dann im Internet nach Informationen über den Turm. Viel fand er nicht: Der Turm ist 133,9 m hoch, es gibt einen Fahrstuhl bis zu der Plattform und eine Treppe im Turm. Zum Funken wird er gar nicht mehr verwendet und er gehört der Deutschen Funkturm GmbH, welches (noch) eine Tochterfirma der deutschen Telekom ist.

Ein Bekannter von Andreas mit Namen André, mit dem er manchmal Doppelkopf spielte, arbeitete als Techniker bei der Telekom. Da Andreas noch nichts anderes vorhatte, versuchte er, sich mit André zum Doppelkopf zu verabreden und der hatte tatsächlich Zeit und Lust. Andreas telefonierte noch weiter herum und fand noch zwei weitere Mitspieler: Klaus Hartberg und Stefan Burgland.

Am Abend trafen sie sich bei Stefan, der in Hilgen, in einem Nachbarort von Witzhelden, wohnte. Nach ein paar Runden kam das Gespräch auf den Tod von Olaf Ginska.

Andreas fragte André: „Sag mal, du bist doch Techniker bei der Telekom. Warst Du schon einmal auf dem Turm?“

André antwortete: „Allerdings, ich habe sogar einen Schlüssel, denn für manche Wartungsaufgaben und Reparaturen bin ich zuständig.“

„Wie ist Olaf Ginska auf den Turm gekommen?“

„Vielleicht hatte er oder der Mörder einen Schlüssel. Einige Techniker haben einen Schlüssel und in der Verwaltungsstelle gibt es auch ein oder zwei Schlüssel. Es sind zwar Sicherheitsschlüssel, aber sicherlich kann man mit dem nötigen Knowhow auch davon Kopien machen.“

„Die Polizei glaubt ja, daß Olaf ermordet wurde.“, hakte Andreas nach.

„Das mag sein, aber ich war es nicht, denn ich kannte den Mann gar nicht.“, entgegnete André trocken. „Aber was man so hört, muß das ja ein ziemlich mieser Typ gewesen sein. Ein Kollege von mir, Herbert Mahler, der übrigens auch einen Schlüssel für den Turm hat, kannte ihn und wohnt in seiner Nachbarschaft. Er meinte, daß Ginska alle paar Wochen eine neue hatte und das waren nicht alles Single-Frauen. Allerdings: Der Kollege kann es auch nicht gewesen sein, denn er kommt erst am Sonntag aus dem Urlaub von Korsika zurück.“

„Olaf sah halt Dandy-like aus und hatte ein schickes Cabrio. Darauf stehen die Frauen anscheinend.“, setzte Andreas fort. „Und arm war er auch nicht, da er anscheinend ein recht erfolgreicher Autoverkäufer war.“

„Ja, Olaf und die Frauen“, schaltete Klaus sich ein. „Einmal habe ich es miterlebt, wie ein erboster Ehemann ihn vor seiner Tür abgepaßt hat und ihm einen mitgeben wollte. So schnell habe ich Olaf noch nie laufen sehen.“

Alle lachten.

„Wie konnte das nur sein, daß so viele Frauen auf so einen Typen hereinfallen?“, nahm André das Thema wieder auf. „Frauen sind manchmal echt seltsam.“

„Tja, und die Männer merken nichts. 'Da hat sie Lust und läßt ihn dran und gar nichts merkt der Ehemann.'“, antwortete Klaus.

Andreas prustet los: „Ist das mies! Wo hast Du das denn her?“. Dann blieb ihm das Lachen im Halse stecken, als er Stefans finsteren Gesichtsausdruck sah.

„Laß die blöden Sprüche! Du weißt ganz genau, daß auch meine Frau vor einem halben Jahr mal eine Affäre mit Olaf hatte.“, sagte Stefan wütend.

„Das tut mir leid, daran hatte ich nicht gedacht.“, entschuldigte sich Klaus.

Stefan wurde wieder ruhiger: „Es ist seit ein paar Monaten vorbei und wir haben uns wieder ausgesöhnt, aber die Erinnerung daran regt mich doch immer mal wieder auf. Aber ich war es nicht.“

„Was warst Du nicht?“, fragte André irritiert.

„Ich habe ihn nicht vom Turm gestoßen.“, antwortete Stefan. „Vor ein paar Monaten hätte ich das sicherlich gekonnt, aber ich habe mit der Affäre abgeschlossen. Außerdem habe ich auch gar keinen Schlüssel. Das muß einer meiner Nachfolger gewesen sein.“

Da sagte André: „Ach so. Also wenn Stefan und ich es nicht waren, dann bleiben ja nur noch Klaus und Andreas. Wer von euch hat ein Motiv?“

Klaus antwortete: „Andreas war es. Durch Olafs Tod kann er im Schachclub in der Mannschaft jetzt an Brett 2 anstatt an Brett 3 spielen. Wenn das kein Motiv ist!“

„Du spinnst wohl. Aber vielleicht ist Olaf gar nicht vom Turm gestürzt. Ich habe an dem Abend, als der Nebel aufkam, einen Heißluftballon so nahe am Turm gesehen, daß er quasi über den Turm geflogen sein muß. Vielleicht wurde Ginska ja auch aus dem Ballonkorb geworfen. Ich habe sogar ein bißchen Detektiv gespielt und herausgefunden, daß der Ballonfahrer dieser Fahrt 'Scholz' hieß und daß das genau der war, den Olaf kannte und mit dem er eine Ballonfahrt machen wollte. Ich habe ihn angerufen, aber Scholz behauptete, daß Olaf zum Treffpunkt der Tour nicht gekommen war und auch nicht erreichbar gewesen war. Sie haben dann angeblich jemand anders mitgenommen. Ich fand das seltsam, so wie er am Telefon redete.“

André tat so, als wäre er beeindruckt: „Wow. Andreas Holmes arbeitet also an dem Fall. Was machst Du denn, wenn das wirklich der Mörder ist und er Dir zu Hause auflauert?“

„Selbstverständlich habe ich mit einem Handy unter falschem Namen angerufen.“, antwortete Andreas gelassen.

Stefan sagte: „Ich glaube nicht, daß man einfach so jemanden aus einem Ballon werfen kann. Aber eigentlich möchte ich jetzt gar nicht mehr über Ginska reden. Mit dem mußte ich mich schon genug beschäftigen. Können wir jetzt endlich weiterspielen?“.

Und sie spielten weiter und sprachen nicht mehr über den Mord.

Als sie kurz vor Mitternacht aufhörten, nahm Andreas André beiseite und fragte ihn: „Wäre es möglich, daß ich mit Dir einmal auf den Turm rauf könnte? Ganz unabhängig, von dem was passiert ist, würde ich gerne einmal von oben gucken und ein paar Bilder machen. Das muß doch toll aussehen.“

„Prinzipiell geht das schon.“, antwortete André. „Die Polizei will morgen vormittag die Absperrung aufheben und ich muß sowieso ein paar Dinge im Turm kontrollieren. Laß uns morgen Mittag telefonieren und dann machen wir einen Termin für den frühen Nachmittag.“

„Prima“, entgegnete Andreas. „Ich kann sowieso erst am Nachmittag, weil wir vormittags noch ein Mannschaftsspiel vom Schachclub haben.“

Am nächsten Morgen fuhr Andreas zum Spielort. Es war ein Heimspiel im Clubhaus seines Schachclubs. Andreas dachte zwar öfters daran, daß er auf Olaf Ginskas Position spielte, aber er hatte trotzdem Erfolg und gewann sein Spiel. Klaus Hartberg war dagegen völlig von der Rolle und verlor haushoch.

„Was ist los?“, fragte Andreas. „Du hast doch gestern gar nicht so viel getrunken.“

„Ich bin heute nicht in Form“, antwortete Klaus. „Wahrscheinlich war das gestern einfach zu spät für mich.“

Nach kurzer Abschlußbesprechung und Fachsimpelei fuhr Andreas gegen Mittag nach Hause. Er war etwas nervös, weil er auf Andrés Anruf wartete.

Gegen eins kam der Anruf: „Die Polizei hat die Absperrung komplett aufgehoben, aber ich kann erst gegen vier“, sagte André.

„Kein Problem“, antwortete Andreas. „Ich bin dann um vier am Turm.“

Er überlegte, was er bis dahin machen sollte. Er hatte Hunger und für die Wochenendtage hatte er mit seiner Vermieterin vereinbart, auswärts zu essen. Ihm fiel ein, daß in Langenfeld eine Art Stadtfest war. Er hatte noch knappe drei Stunden Zeit und deshalb fuhr er hin. Er hoffte insgeheim, daß der Ballonfahrerclub einen Stand auf dem Fest hatte.

Er fand einen Parkplatz in einer Nebenstraße und holte sich dann an einer Pommes-Bude eine Bratwurst. Dann ging er die Hauptstraße erst in Richtung B8 und dann wieder zurück in Richtung Fußgängerzone. In der Fußgängerzone sah er dann tatsächlich einen Stand vom „Ballon-Sport-Team Langenfeld“. Andreas zögerte kurz und ging dann zum Stand.

„Guten Tag“, sagte ein freundlicher, älterer Herr. „Interessieren Sie sich für das Ballonfahren?“

„Eigentlich würde ich das gerne mal machen“, antwortete Andreas, „aber es war mir bisher - ehrlich gesagt - immer zu teuer.“

„Billig ist es nicht“, gab der Herr zu. „Aber wir verdienen nichts an so einer Fahrt, sondern decken nur die Kosten.“

Andreas schaute in einen Prospekt. „Kann es sein, daß Sie am vergangenen Montagabend, wo so plötzlich der Nebel aufkam, über Witzhelden geflogen sind?“

„Wir fliegen nicht, wir fahren.“, korrigierte ihn lächelnd der Herr. „Aber Sie haben recht, das war eine spannende Sache. Der Wetterbericht lag absolut falsch, der Nebel wurde überhaupt nicht vorhergesagt. Wir sind in Solingen auf einer Wiese ziemlich schnell gelandet und es ist - Gott sei dank - nichts passiert. Glücklicherweise sind solche Abenteuer äußerst selten.

Ach verzeihen Sie, ich habe mich gar nicht vorgestellt.“, unterbrach sich der Herr. „Mein Name ist Scholz.“.

Auch Andreas stellte sich vor. Er überlegte, ob der Mann wohl ein Mörder sein könnte. 'Kann man das überhaupt sehen?', dachte er. 'Dieser ältere Herr wäre doch mit Olaf nie fertig geworden. Was mache ich hier überhaupt? Ich bin doch kein Polizist. Wie mache ich jetzt weiter?'

Andreas begann langsam: „Fast genau zu der Zeit, als ich Ihren Ballon über unserer Siedlung sah, ist ein Mann am Fernmeldeturm umgekommen.“

Scholz sah ihn irritiert und mißtrauisch an: „Ein Mann umgekommen? Was soll denn das jetzt? Sind Sie von der Polizei?“. Seine Freundlichkeit war verschwunden.

„Nein, nein...es ist nur so, ich habe am nächsten Tag durch Zufall den Toten gefunden.“

Scholz schaute jetzt schockiert: „Sie haben den Toten gefunden?“.

„Ja, aber ich konnte nicht sehen, wer es war, weil er auf dem Bauch innerhalb des Geländes um den Fernmeldeturm lag. Am nächsten Tag habe ich in der Zeitung gelesen, daß es sich um meinen Bekannten Olaf Ginska handelte. Und Olaf hatte mir ein paar Tage zuvor erzählt, daß er demnächst eine Ballonfahrt mit einem Herrn Scholz machen möchte.“, erklärte Andreas.

Scholz sagte erst einmal nichts. Dann fragte er: „Dann haben Sie am Dienstag bei mir angerufen“.

Andreas gab sich nach kurzem Überlegen einen Ruck: „Ja, das war ich. Bitte verzeihen Sie dieses Theaterspiel. Ich sah halt den Ballon am Turm und am nächsten Tag lag Olaf Ginska ungefähr an einer Stelle, über die der Ballon geflogen ist.“

Scholz war so fassungslos, daß er Andreas gar nicht mehr korrigierte. „Haben Sie das der Polizei erzählt?“

„Ich habe der Polizei erzählt, daß ich einen grauen Ballon über den Turm habe fliegen sehen. Mir ist erst später eingefallen, daß Ginska mir davon erzählt hat, daß er einen Bekannten namens Scholz aus Langenfeld hat, mit dem er demnächst eine Ballonfahrt machen wollte.“

„Und Sie denken, ich hätte Ginska aus dem Ballon geworfen?“. Scholz war immer noch fassungslos.

„Nein, ich ... ich weiß nicht, was ich denken soll. Es tut mir leid, ich hätte sie nicht verdächtigen dürfen. Ich hätte direkt alles der Polizei sagen sollen und mich heraushalten sollen.“ Andreas war zerknirscht.

Scholz lachte kurz auf: „Also mordverdächtig war ich ja noch nie.“ Er setzte fort: „Hören Sie, junger Mann. Sie haben mir gerade einen Haufen Unverschämtheiten an den Kopf geworfen, aber ich will 'mal drüber wegsehen, weil das sicherlich nicht leicht für Sie war, Ginskas Leiche gefunden zu haben. Zu Ihrer Beruhigung: Ginska ist gar nicht mitgefahren, was ich Ihnen ja auch am Telefon schon gesagt hatte. Er war einfach nicht am Treffpunkt und war auch telefonisch nicht zu erreichen. Und wenn ich nicht spontan einen anderen vierten Mitfahrer bekommen hätte, dann hätte ich Ginska den Fahrpreis auch in Rechnung gestellt, zumindest hätte ich es versucht. Denn das war eigentlich typisch für Ginska. Er hat oft Verabredungen einfach nicht eingehalten, wenn er glaubte, etwas besseres unternehmen zu können. Man soll zwar nichts schlechtes über einen Toten sagen, aber Ginska war ein ziemlicher Egoist. Und wie gesagt: Es waren noch zwei weitere Mitfahrer mit dabei, die bezeugen können, daß Ginska nicht mit gefahren ist.“

Andreas war froh, daß Scholz' Erklärungen plausibel waren. Er überlegte kurz. „Vielleicht sollten Sie und Ihre Mitfahrer trotzdem mit der Polizei sprechen, da Ginska vielleicht zur selben Zeit umgekommen ist, wo Ihr Ballon über dem Turm war. Vielleicht hat jemand von Ihnen etwas gesehen oder gehört, wie Ginska vom Turm gefallen ist.“

Scholz schaute ihn überrascht an: „Sie haben recht, das könnte echt sein. Ich muß aber gestehen, daß ich von dem plötzlichen Nebel so gefangen war, daß ich nicht mehr darauf geachtet habe, was unter mir vorging. Ich glaube, wir sind auch nicht direkt oberhalb des Turms gefahren, aber das weiß ich nicht mehr so genau.“

Andreas schaute auf die Uhr. Es war kurz nach drei. „Ich muß jetzt leider weg. Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht völlig den Tag verdorben.“

Er reichte Scholz die Hand und der ergriff sie.

Scholz sagte: „Das war schon ein ziemlicher Hammer. Aber wenn Sie mich nicht mehr verdächtigen, dann ist das ja schon ein Fortschritt. Und wenn Sie nach dieser Geschichte trotzdem einmal eine Ballonfahrt mitmachen wollen, dann rufen Sie mich an, meine Nummer haben Sie ja.“

Andreas lachte und verabschiedete sich.

Er ging zu seinem Auto und fuhr nach Hause. Von dort ging er direkt zum Turm. Es war kurz vor vier. Da kam auch schon André und sie betraten das Gelände. Andreas zeigte André, wo Ginska genau gelegen hatte. Dann betraten sie den Turm.

„Laß uns lieber die Treppe nehmen“, sagte André. „Der Fahrstuhl funktioniert zwar, aber wenn er jetzt steckenbleiben würde, wäre das nicht so gut.“

„Wie sieht denn das da oben aus?“, fragte Andreas.

„Der Turm hat zwei Hauptantennenplattformen, zwischen denen eine zweigeschossige Kanzel mit den technischen Einrichtungen ist. Diese Kanzelräume sind nicht so interessant. Wir können einmal kurz reinschauen, wenn Du möchtest. Wir gehen dann auf die obere Hauptantennenplattform und von dort aus kannst Du dann richtig weit gucken.“

„Wie hoch ist denn das?“, fragte Andreas.

„Die obere Hauptantennenplattform ist 83 Meter hoch.“

„Und ist das irgendwie gefährlich?“, fragte Andreas.

„Nein, da es heute ziemlich windstill ist. Die obere Hauptantennenplattform hat einen Radius von ungefähr 10 Metern und du brauchst ja nicht bis zu Rand zu gehen.“, antwortete André.

Sie kamen oben in der Kanzel an und André führte ihn durch einige Technikräume. In einem Raum hingen an der Wand ein paar Cartoons und einige lustige Sprüche.

Auch ein zweideutiges Gedicht war dabei:

Ist die Frau zu unversorgt, dann wird sie manchmal ausgeborgt.
Von einem, der es richtig macht und so, daß ihr die Sonne lacht.
Da hat sie Lust und läßt ihn dran und gar nichts merkt der Ehemann.

Andreas zuckte zusammen: „Guck mal dieses Gedicht. Klaus hat doch gestern eine Zeile davon vorgebracht. Warst Du mit ihm auch schon einmal hier oben?“, fragte Andreas.

„Nein, bisher noch nicht“, antwortete André etwas ratlos. „Das ist ja seltsam. Mein Kollege Herbert war, glaube ich, auch noch nicht mit ihm hier oben.“

Dann gingen sie die Treppe hoch bis zur oberen Plattform. Als sie die Außentür zur Plattform öffneten, hörten sie auf einmal, wie der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte. Sie schauten sich fragend an. Wer könnte das sein?

„Bleib mal hier“, sagte André, „ich gucke mal, wer das ist. Wenn das ein Kollege ist, dann ist das eigentlich kein Problem, daß du hier bist. Es könnte allerdings einer von der Verwaltung mit einem Kunden sein, der einen Antennenplatz mieten möchte, und dann wäre dein Hiersein vielleicht nicht so gut. Allerdings kündigen sie sich normalerweise immer an und Samstagnachmittag ist eigentlich auch eine ungewöhnliche Zeit für so einen Besuch. Geh aber bitte nicht zu nahe an den Rand.“

Er ließ Andreas zurück und ging zur Fahrstuhltür.

Andächtig schaute Andreas sich um. Er war von der Aussicht beeindruckt und hatte aber auch ein bißchen Angst, weil er solche Höhen nicht gewohnt war. Er holte seinen Fotoapparat heraus und begann Fotos zu machen. Er ging dabei auch etwas umher, ließ aber zwei Meter Sicherheitsabstand zum Rand.

'Schade, daß ich keine Spiegelreflexkamera mit Riesenteleobjektiv habe.', dachte Andreas bedauernd, während er weiter fotografierte.

Langsam wunderte sich Andreas, daß André nicht wiederkam. Da ging die Tür auf und Klaus Hartberg stand mit einen Baseball-Schläger in der Hand in der Tür, mit wildem Blick.

„Hallo Klaus“, sagte Andreas, „wo kommst Du denn her und wo ist André? Und was soll der Baseball-Schläger?“

„André ist nur bewußtlos.“, antwortete Klaus. „Ich wollte doch nur das blöde Gedicht holen. Heute mittag ist mir eingefallen, woher ich den Spruch hatte. Und wenn jemand das hier oben liest, dann merkt er doch, daß ich hier oben war. Ich laß mir doch von Ginska nicht mein Leben zerstören.“

Er kam langsam auf Andreas zu. Andreas ging im selben Tempo rückwärts parallel zum Rand, mit zwei Metern Abstand zum Rand und mit einigen Metern Abstand zu Hartberg.

„Was hast Du denn vor?“, fragte Andreas nervös, während er weiter rückwärts ging.

„Ich laß mir mein Leben nicht zerstören. Nur Du und André wissen, daß ich hier oben war. Sonst kann mich keiner mit dem Tod Ginskas in Verbindung bringen“, zischte Hartberg, während er weiter ging.

„Willst Du uns jetzt umbringen, so wie Du Olaf ermordet hast? Außerdem: André hat das Gedicht gar nicht gesehen.“

„Du lügst doch. Wenn es dir aufgefallen ist, dann hast du sicherlich auch André darauf hingewiesen.“ Klaus blieb stehen.

Auch Andreas blieb stehen: „Du spinnst doch. Du kannst uns doch nicht einfach vom Turm werfen. Du bist doch kein Mörder.“

„Es war kein Mord. Wir hatten einen Streit, als wir auf der unteren Plattform waren. Er wollte mein Leben ruinieren. Dann habe ich ihn im Zorn geschubst.“ Klaus' Stimme bekam einen weinerlichen Klang.

„Aber wie konnte er dich ruinieren?“, hakte Andreas nach. 'Solange er redet, versucht er nicht, mich zu ermorden', dachte Andreas.

Klaus guckte verzweifelt: „Ich hatte mir von ihm 50000 Euro geliehen, ganz altmodisch mit einem Wechsel. Ich brauchte das Geld für mein Geschäft. Nun lief es anfangs nicht so gut, ich hätte noch ungefähr drei Monate gebraucht. Das konnte ich ihm auch aufgrund meiner Verkaufszahlen nachweisen. Aber der Wechsel war in einer Woche fällig und er verlangte von mir, daß ich mein Haus verkaufe und in eine Wohnung ziehe, um den Wechsel abzulösen. Meine Frau hätte mir das nie verziehen, aber Olaf ließ nicht mit sich reden. Er drohte mir mit einer Klage und hatte sogar die Frechheit, mir einen guten Preis für mein Haus anzubieten, mein Haus, daß ich mit eigenen Händen aufgebaut habe.“

„Und wie seid ihr hier auf den Turm gekommen?“

„Ach, ich habe doch auf die Wohnung von meinem Nachbarn Herbert Mahler aufgepaßt, weil er in Urlaub war, und da habe ich den Schlüssel gefunden. Ich habe Olaf angeboten, daß ich ihm den Turm zeige, wenn er mir noch drei Monate gibt. Und der Mistkerl sagte allen Ernstes: 'Mal sehen, daß hängt davon ab, wie toll das da oben ist.' Nun war Montag aber Nebel und wir haben kaum etwas gesehen. Wir waren auf der Plattform und ich habe ihn gebeten, ja angefleht, aber er war stur und kam dann mit so Sprüchen, daß ja eine Wohnung nicht so viel Arbeit wie ein Haus wäre. Ich habe irgendwann rot gesehen und ihn gestoßen und dann stolperte und fiel er.“ Klaus schlug die Hände vor die Augen.

Andreas guckte zur Tür und überlegte, ob er mit einem Sprint zur Tür entkommen konnte.

Klaus durchschaute Andreas' Absicht und sein Blick wurde wieder drohend. „Du wirst es keinem erzählen können. Ich lasse mir mein Leben nicht zerstören. Ich lasse mir mein Haus nicht wegnehmen und gehe nicht ins Gefängnis.“

Er machte einen Satz auf Andreas zu und Andreas zuckte zurück, kam dabei nah an den Rand und fiel fast hin. Er rannte ein paar Schritte und Klaus rannte hinter ihm her.

Klaus blieb bei der Tür stehen. „Du kannst mir nicht entkommen. Ich, ich hab' ja nichts gegen dich, aber ich kann nicht zulassen, daß du der Polizei erzählst, was du weißt. Ich kann dich nicht gehen lassen.“

Auch Andreas blieb stehen und er spürte den Schweiß auf seiner Stirn. 'Ich muß weiter mit ihm reden, um Zeit zu gewinnen', dachte er, und er fing wieder an: „Das war doch kein Mord, sondern ein Unfall. Da bekommst du doch mildernde Umstände. Und wenn du mich jetzt gehen läßt, dann ist ja hier auch gar nichts passiert. Aber wenn du mich jetzt hier runter schubst, dann ist das ein ganz klarer Mord und du bekommst lebenslänglich. Es haben dich bestimmt Nachbarn gesehen, daß du hierhin gekommen bist. Du kommst aus der Nummer nicht raus.“

Klaus sagte nichts und schaute ihn grimmig und entschlossen an.

„Was sagst Du dazu?“, hakte Andreas nach.

Klaus schwieg weiter und kam dann wieder langsam auf Andreas zu. Andreas wich wieder zurück.

Da wurde es Andreas auf einmal klar, daß dieses Gespräch gar keinen Sinn mehr hatte: „Es war gar kein Unfall. Du hast mir selber am Telefon gesagt, daß die Polizei von einem Mord ausgehen würde und es stand auch in der Zeitung. Das bedeutet, daß du ihn gezielt hier hoch gelockt hast, um ihn zu ermorden. Hast du ihn auch mit diesem Baseball-Schläger bewußtlos geschlagen und ihn dann eigenhändig hinuntergeworfen?“

Zornig lief Klaus wieder auf Andreas zu und schlug in Richtung Andreas. Andreas wandte sich schnell um und rannte ein paar Meter, bis wieder einige Meter zwischen ihm und Hartberg waren. 'Puh, das war knapp', dachte Andreas, denn er hatte den Luftzug des Schlägers deutlich gespürt.

„Er war ein Schwein. Er hat es nicht anders verdient. Er hat die Leute beschissen, alle möglichen Ehefrauen flachgelegt und er kam immer damit durch. Ich habe der Menschheit einen Gefallen getan.“, schrie Klaus und blieb wieder stehen.

„Und ich? Ich habe dir nichts getan und André auch nicht. Und trotzdem gehst du mit dem Schläger auf mich los“, schrie Andreas zurück.

„Hättest du dich nicht eingemischt, dann wäre das jetzt nicht nötig.“

„Du hast dich doch selber verraten, durch deinen blöden Spruch.“

Klaus wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Er umfaßte den Schläger fester und ging wieder langsam auf Andreas zu, der ebenso langsam zurückwich.

Plötzlich hörten Sie entfernt von unten ein Megaphon: „Hartberg, hier spricht die Polizei. Wir wissen Bescheid. Lassen Sie Ihre Geisel gehen und kommen Sie mit erhobenen Händen herunter.“ Dann hörten sie, wie sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung setzte.

Klaus sprach hektisch: „Das muß André gewesen sein. Ich hätte ihm sein Handy wegnehmen sollen.“

Andreas versuchte, ruhig zu sprechen: „Es ist vorbei. Sie wissen, daß du hier oben bist. Und André wird ihnen das vom Gedicht erzählt haben.“

Klaus wurde wieder zornig: „Ich wußte, daß du gelogen hast.“

„Entschuldige bitte, ich hatte Angst und wollte zumindest Andrés Leben retten.“

Klaus ging zum Rand und schaute hinunter. Dort standen vier Polizeiwagen am Gelände. Er sah André unten aus der Tür kommen, zum Tor gehen und es öffnen. André zeigte nach oben und vier Polizisten liefen zum Turm und begannen, die Treppe hoch zu laufen.

Klaus sprach deprimiert: „Jetzt ist es vorbei. Mein Haus ist futsch, wenn die Erben von Ginska den Wechsel im Nachlaß finden und ich muß ins Gefängnis, wahrscheinlich lebenslänglich. Meine Frau wird mir das nie verzeihen. Was bleibt mir noch? Am besten, ich springe direkt.“ Er setzte sich an den Rand, ließ die Beine herunter baumeln.

Andreas hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen: „Spring nicht.“, sagte er und kam sich irgendwie blöd dabei vor. 'Was sagt man in so einer Situation?', fragte er sich. „Ich werde keine Anzeige erstatten“, sagte er kurz entschlossen.

Klaus schaute ihn spöttisch an: „Als käme es darauf noch an!“ Er starrte etwas vor sich hin: „Ich bin jetzt 34 und habe noch keine Kinder. Wir wollten eigentlich dieses oder nächstes Jahr mit Kindern beginnen. Wenn ich wieder rauskomme, dann bin ich 50 und es ist zu spät für Kinder. Dabei wollte ich doch so gerne eigene Kinder haben. Und meine Frau? Ich kann doch nicht erwarten, daß meine Frau fünfzehn Jahre auf mich wartet. Nein, mein Leben ist vorbei. Wenn ich jetzt springe, dann ist meine Frau frei und kann wieder glücklich werden.“

Er begann sich mit seinen Händen nach vorne zu schieben.

„Warte!“, rief Andreas.

„Was denn noch?“, fragte Klaus resigniert.

Da ging die Tür am Turm auf und zwei Polizisten betraten unsicher die Plattform, mit gezogenen Pistolen. „Legen Sie den Schläger beiseite!“, rief einer von ihnen zu Klaus.

Klaus schaute verwundert auf den Schläger, den er noch in der Hand hielt und warf ihn beiseite.

Andreas sprach hastig: „Ich weiß nicht viel vom Leben. Aber ich weiß, daß deine Frau dich liebt und bestimmt zu dir hält. Und vielleicht mußt du nicht 15 Jahre ins Gefängnis, sondern kommst früher wieder raus, und außerdem kannst du mit 50 auch noch Kinder haben. Wirf dein Leben doch nicht einfach weg.“

Klaus schaute Andreas an, blickte auf die Polizisten und dann wieder auf Andreas. Er gab sich einen Ruck und stand auf und ging langsam auf die Polizisten zu. Er blieb vor Andreas kurz stehen:

„Erzähl ruhig alles. Ich werde sowieso reinen Tisch machen. Es tut mir leid, was passiert ist.“

Er ging weiter, drehte sich dann aber noch einmal um: „Jetzt kannst du an Brett Eins spielen.“

Dann ging er mit den Polizisten in den Fahrstuhl und sie fuhren hinunter.

Andreas verharrte noch kurz alleine auf der Plattform, aber dann kam die Angst wieder hoch, die er vorhin durchlebt hatte und ging schnell die Treppe hinunter. Unten traf er André, der mit einem Kopfverband in einem Polizeibus saß.

„Ich wollte noch sehen, daß Du wieder lebend herunter kommst, bevor ich ins Krankenhaus fahre.“, sagte André.

„Ist mit Deinem Kopf alles OK?“, fragte Andreas.

„Ja, ja, das geht schon. Es wird wohl noch ein paar Tage weh tun.“, erwiderte er.

„Wie ist denn das eigentlich passiert?“

„Ich dachte ja, daß vielleicht jemand aus der Verwaltung mit einem Kunden kommt und habe noch einmal schnell ein paar Räume kontrolliert, ob sie aufgeräumt sind. Als ich die Fahrstuhltür sich öffnen hörte, ging ich hin und habe dann einen Schlag abbekommen. Ich kam auf dem Boden liegend zu mir und habe erstmal gar nichts gesehen. Im Halbdelirium habe ich dann gehört, was Klaus zu dir sagte und habe seine Stimme erkannt. Dann war ich wohl noch ein paar Minuten weg und als ich dann wieder zu mir kam, habe ich mit dem Handy die Polizei gerufen und erzählt, daß dich Klaus ermorden will. Ich habe noch eine Zeitlang gebraucht, bis ich mich aufrichten konnte und bin dann in den Fahrstuhl gestiegen und hinuntergefahren. Den Rest weißt du ja. Und, was hast du erlebt?“

Andreas schilderte André, was auf der Plattform passiert war.

Der Polizeiwagen, in dem Klaus Hartberg hinten saß, fuhr nun los und sie warfen sich einen letzten Blick zu.

Danach kam endlich der Notarztwagen und brachte André ins Krankenhaus.

Ein Polizist kam zu Andreas und fragte wie es ihm ginge und ob er jetzt ein paar Angaben machen könnte.

Andreas erzählte in groben Zügen, was auf der Plattform passiert war, aber er stellte Klaus' Verhalten positiver dar, indem er die Angriffe mit dem Baseballschläger nicht erwähnte.

Nach alldem fühlte er sich müde und bat darum, nach Hause gehen zu dürfen. Dort machte er sich einen Film an, um sich abzulenken, aber er hielt das Alleinsein nicht aus. Er rief verschiedenen Freunde an, aber leider hatte alle an diesem Samstag schon Verabredungen. Dann rief er einen Bekannten an, der Pastor einer Freikirche war und der hatte Zeit.

Er fuhr hin und erzählte ihm alles. Es tat Andreas gut, daß ihm jemand zuhörte.

In der Nacht schlief er schlecht und er träumte immer wieder, daß er auf der Plattform wäre und beinahe herunterfallen würde. Er hatte immer wieder seinen möglichen Tod vor Augen und kam damit nicht gut klar.

Am nächsten Morgen fuhr er ausnahmsweise, sein Erlebnis noch vor Augen, in den Gottesdienst, wo sein Bekannter Pastor war. Zum Mittag fuhr er dann, wie an den meisten Sonntagen, zu seinen Eltern. Aber seine Gedanken kreisten immer wieder um das Erlebnis und um Klaus Hartberg.

Am Montag danach wollte er diesmal keinen Spaziergang machen. Er ging nur kurz vor die Tür und setzte sich dann an seinen Rechner und schaute sich die Fotos an, die er vom Turm aus gemacht hatte. Die Angst kam in seiner Erinnerung wieder.

Gegen 11 Uhr kam ein Polizist zu ihm, der noch ein paar Fragen hatte. Er teilte Andreas mit, daß Klaus Hartberg alles gestanden hatte und daß er auch den Mordversuch auf der Plattform zugegeben hatte. Andreas bestätigte Hartbergs Angaben.

Nach dem Mittagessen überwand sich Andreas und ging seine übliche Runde. Er ging dabei auch zum Turmgelände und schaute noch einmal auf die Stelle, wo Olaf vergangenen Montag gelegen hatte.

Als Andreas wieder in den Scharweg einbog und den Schaukasten des Massagestudios sah, zögerte er. 'Vielleicht brauche ich so etwas jetzt nach dieser Woche', dachte er. Er wich von seinen Gewohnheiten ab und bog in den Weg zum Studio ein und ließ sich einen Termin zur Massage für den Abend geben.

 

Hallo,
der Krimi spielt in meinem Heimatdorf Witzhelden (vielleicht schaffe ich es ja bei Google mit "Krimi Witzhelden" einmal auf die erste Seite ;-)).

Außer der Hauptperson sind alle Personen dieser Geschichte völlig frei erfunden. Ähnlichkeiten sind rein zufällig. Die Hauptperson ist zwar auch erfunden, aber einige ihrer Erfahrungen habe ich selbst erlebt.
Die Orte und Vereine dieser Geschichte gibt es wirklich und ich habe mich bemüht, alle diese Orte und Vereine wahrheitsgemäß zu beschreiben.

Viel Spaß beim Lesen.

Ciao
Chapeau

 

Hallo Chapeau!

Erstmal ein paar allgemeine Hinweise, die du auf alle deine Texte beziehen kannst.
=> Zahlen schreibt man in literarischen Texten immer aus (solange es nicht unübersichtlich wird, z.B.: 26482368).
=> "sicherlich wieder knallen.', dachte er." => Der Punkt muss da weg, egal ob du die alte oder die neue RS nutzt.
=> Du, dir und dich schreibt man in literarischen Texten immer klein, auch nach alter RS.
=> Ich empfehle, alle "war" und "hatte" zu markieren und zu versuchen, andere Formulierungen zu finden.
=> Außerdem empfehle ich ein paar Leerzeilen zur Auflockerung des Textes, wenn der Text z.B. an einer (räumlich) anderen Stelle weitergeht. (Er konnte nach Hause gehen - Leerzeile - Er setzte sich.)
=> "etwas besseres" => Etwas "Etwas" oder nichts "Etwas" immer groß.
=> "Gegen 10:00 klingelte" => Nein, es klingelte um 10 Uhr, nicht um 10 Doppelpunkt 00. Ein klein wenig literarischer, bitte.


Okay, dann speziell zu deinem Regionalkrimi. Leider stellst du das "Regional" in den Vordergrund, achtest aber gar nicht auf den Spannungsaufbau. Der Krimi geht erst los, als der Protagonist den Toten findet. Bis dahin musste sich der Leser aber bereits durch fast 1.000 Wörter langweiliger Beschreibungen kämpfen! Wollte ich keinen Komm schreiben, wäre ich schon längst ausgestiegen.
=> Allgemein solltest du darauf achten, nur das niederzuschreiben, was für die Geschichte wichtig ist. Da lässt sich einiges streichen.

Detailkram:

"Doch als er am Zaun ankam, merkte er, daß der Mann tot war.
Er lag auf dem Bauch und hatte die Glieder verdreht und war am Kopf blutig."
=> Woran merkt er, dass der Mann tot ist? Er könnte auch nur schwer verletzt sein.
=> Auch keiner der Polizisten überzeugt sich davon, dass der Mann wirklich tot ist. Das ist unglaubwürdig.

"Die Leiche war inzwischen in einem Transporter weggebracht worden." => Allgemein empfehle ich, auch wenn viel zum Streichen da ist, mehr Detailfreude. Erstmal werden Leichen in Leichenwagen transportiert, und dann, warum zeigst du diesen nicht im Detail? Schwarz, klar, dann noch was Besonderes. Vielleicht Glückswürfel, die am Spiegel baumeln.
Das macht den Text für Leser so viel lesenswerter! (=> Allgemein gilt: "Show, don't tell!)
=> Und ein Dritter zu dem Thema: Schreib um Himmels Willen nicht jedes im Dialog gesagte Wort wortwörtlich nieder. Da wird dann zehnfach der Schlüssel zum Turm erwähnt, total langweilig und ermüdend für die Leser. Manche Dialoge kann man weglassen und stattdessen eine spannende Zusammenfassung von dem niederschreiben, was der Protagonist herausgefunden hat. => Ich denke, aus den Dialogen könntest du zwei Drittel rauskürzen, ohne dass etwas verloren geht. (Und der Lesegenuss gewönne!)

"Andreas war schockiert. 'Dann war Ginska der Tote!'" => Ich finde es unglaubwürdig, dass er den Toten nicht erkannt hat. Das kann auch daran liegen, dass du die Auffindesituation eben zu wenig bzw. zu schwammig beschrieben hast.

"Kein Wunder, daß er nicht beim Schach war!" => Sorry, aber hier musste ich laut lachen. Der Gedanke wäre nur denkenswert gewesen, wenn er, trotzdessen er tot ist, zum Schach gekommen wäre.

"Ungefähr zu der Zeit habe ich einen Heißluftballon" => Ah, die Tausend-Wort-Beschreibung am Anfang war dazu da, den zu verstecken, was? Aber bitte, eine Geschichte soll kein Suchbild sein, "Finde die im Wortwust verstecken Hinweise".
Und dann noch der Motorgleitschirm. Soll sich der Leser wie bei 1, 2 oder 3 fragen, wo der Olaf denn nun runtergefallen ist? Ist doch uninteressant. Interessant wäre die Frage, ob er ermordet worden ist und wenn ja, von wem. (Ich hätte auch noch eine vierte Möglichkeit: Er wurde aus einem Flugzeug geschubst, dass so hoch flog, dass Andreas es nicht hat hören können.)

"Und was soll der Baseball-Schläger" => In Sachen: "Blöde Fragen formulieren" ist dein Protagonist einsame Spitze. Vom Plot her ist mir das viel zu erzwungen zufällig. Kommt der Typ ausgerechnet zu diesem, für ihn schlechtesten Zeitpunkt, aber er hat 'ne Waffe dabei.

Und dann kommt auch noch der letzte Spannungstöter: Lange Erklärung des Mordmotivs vom Täter (er überführt sich also selbst, bescheuerter geht's nicht).

Fazit, sorry: Platte Charaktere stolpern durch lange, unspannende Geschichte. Da solltest du dringend dran arbeiten! Etwa vier Fünftel kannst du rauskürzen (da der Plot nicht mehr hergibt). Dann hast du genug Platz für Lebendigkeit, Spannungsaufbau, interessante Details ...

Zum Thema Spannungsaufbau und Sympathieerweckung bei den Charakteren gebe ich dir eine Leseempfehlung: Dean R. Koontz, alles was er geschrieben hat.

Grüße
Chris

 

Hallo,

erst einmal vielen Dank für Deine ausführlichen Anmerkungen, die mir Stoff zum
Nachdenken gaben.

Hallo Chapeau!

Erstmal ein paar allgemeine Hinweise, die du auf alle deine Texte beziehen kannst.
=> Zahlen schreibt man in literarischen Texten immer aus (solange es nicht unübersichtlich wird, z.B.: 26482368).
=> "sicherlich wieder knallen.', dachte er." => Der Punkt muss da weg, egal ob du die alte oder die neue RS nutzt.
=> Du, dir und dich schreibt man in literarischen Texten immer klein, auch nach alter RS.

Das habe ich gefixt. An die .", - Regel konnte ich mich noch erinnern, aber ich fand sie immer unlogisch und habe sie wohl deswegen ignoriert.

=> Ich empfehle, alle "war" und "hatte" zu markieren und zu versuchen, andere Formulierungen zu finden.

Das habe ich an einigen Stellen gemacht, aber das fand ich sehr schwer, weil es ja doch häufige Wort sind. Wenn man Plusquamperfekt braucht, dann hat man diese Worte.

=> Außerdem empfehle ich ein paar Leerzeilen zur Auflockerung des Textes, wenn der Text z.B. an einer (räumlich) anderen Stelle weitergeht. (Er konnte nach Hause gehen - Leerzeile - Er setzte sich.)

Also mit der Formatierung ist das hier sowieso schwierig.
Ich schreibe meine Text mit Latex und die erzeugten PDF's wie auch die HTML's für meine Homepage (mittels CSS) haben einen eingerückten Absatzanfang.
Vielleicht schreibe ich mir irgendwann ein Programm, womit ich den Text passend für dieses Portal so formatieren kann.

=> "etwas besseres" => Etwas "Etwas" oder nichts "Etwas" immer groß.

=> "Gegen 10:00 klingelte" => Nein, es klingelte um 10 Uhr, nicht um 10 Doppelpunkt 00. Ein klein wenig literarischer, bitte.


Habe ich auch gefixt.

Okay, dann speziell zu deinem Regionalkrimi. Leider stellst du das "Regional" in den Vordergrund, achtest aber gar nicht auf den Spannungsaufbau. Der Krimi geht erst los, als der Protagonist den Toten findet. Bis dahin musste sich der Leser aber bereits durch fast 1.000 Wörter langweiliger Beschreibungen kämpfen! Wollte ich keinen Komm schreiben, wäre ich schon längst ausgestiegen.
=> Allgemein solltest du darauf achten, nur das niederzuschreiben, was für die Geschichte wichtig ist. Da lässt sich einiges streichen.

Die Anfangsbeschreibung soll natürlich den Spagat machen, daß Leute, die diese Gegen kennen, beim Lesen sagen, "Toll, die Gegend kenne ich" und andererseits andere trotzdem nicht abschrecken. Die Beschreibung des Weges, den er geht, ist für die Handlung nicht wichtig, aber ich möchte sie trotzdem drinnen haben.

Ich habe gemerkt, daß ich recht langweilig den Anfang beschrieben habe. Das "Show, don't tell" hatte ich vernachlässigt. Ich habe versucht, daß zu verbessern, aber so richtig zufrieden bin ich damit noch nicht.

Detailkram:

"Doch als er am Zaun ankam, merkte er, daß der Mann tot war.
Er lag auf dem Bauch und hatte die Glieder verdreht und war am Kopf blutig."
=> Woran merkt er, dass der Mann tot ist? Er könnte auch nur schwer verletzt sein.
=> Auch keiner der Polizisten überzeugt sich davon, dass der Mann wirklich tot ist. Das ist unglaubwürdig.


Da hast Du sicherlich recht. Das habe ich verbessert und hoffentlich interessanter und glaubwürdiger beschrieben.

"Die Leiche war inzwischen in einem Transporter weggebracht worden." => Allgemein empfehle ich, auch wenn viel zum Streichen da ist, mehr Detailfreude. Erstmal werden Leichen in Leichenwagen transportiert, und dann, warum zeigst du diesen nicht im Detail? Schwarz, klar, dann noch was Besonderes. Vielleicht Glückswürfel, die am Spiegel baumeln.
Das macht den Text für Leser so viel lesenswerter! (=> Allgemein gilt: "Show, don't tell!)

Der Leichenwagen bot zusätzliche Möglichkeiten, die ich noch genutzt habe.

=> Und ein Dritter zu dem Thema: Schreib um Himmels Willen nicht jedes im Dialog gesagte Wort wortwörtlich nieder. Da wird dann zehnfach der Schlüssel zum Turm erwähnt, total langweilig und ermüdend für die Leser. Manche Dialoge kann man weglassen und stattdessen eine spannende Zusammenfassung von dem niederschreiben, was der Protagonist herausgefunden hat. => Ich denke, aus den Dialogen könntest du zwei Drittel rauskürzen, ohne dass etwas verloren geht. (Und der Lesegenuss gewönne!)

Ich mag Dialoge und hier teile ich nicht Deine Meinung. Aber ich werde ich dazu noch weitere Statements zu holen.

"Andreas war schockiert. 'Dann war Ginska der Tote!'" => Ich finde es unglaubwürdig, dass er den Toten nicht erkannt hat. Das kann auch daran liegen, dass du die Auffindesituation eben zu wenig bzw. zu schwammig beschrieben hast.

Siehe oben.

"Kein Wunder, daß er nicht beim Schach war!" => Sorry, aber hier musste ich laut lachen. Der Gedanke wäre nur denkenswert gewesen, wenn er, trotzdessen er tot ist, zum Schach gekommen wäre.

Diesen Gedanken hätte ich wohl gehabt, wenn ich Andreas gewesen wäre.
Aber er könnte auch dümmlich rüberkommen, von daher hast Du wohl recht.

"Ungefähr zu der Zeit habe ich einen Heißluftballon" => Ah, die Tausend-Wort-Beschreibung am Anfang war dazu da, den zu verstecken, was? Aber bitte, eine Geschichte soll kein Suchbild sein, "Finde die im Wortwust verstecken Hinweise".
Und dann noch der Motorgleitschirm. Soll sich der Leser wie bei 1, 2 oder 3 fragen, wo der Olaf denn nun runtergefallen ist? Ist doch uninteressant. Interessant wäre die Frage, ob er ermordet worden ist und wenn ja, von wem. (Ich hätte auch noch eine vierte Möglichkeit: Er wurde aus einem Flugzeug geschubst, dass so hoch flog, dass Andreas es nicht hat hören können.)

Also grundsätzlich finde ich versteckte Hinweise nicht schlimm. Ich mag allerdings auch Sherlock Holmes ;-)
Aber die Hauptperson greift diese Hinweise ja selber auf und von daher muß der Leser sie nicht suchen.

"Und was soll der Baseball-Schläger" => In Sachen: "Blöde Fragen formulieren" ist dein Protagonist einsame Spitze. Vom Plot her ist mir das viel zu erzwungen zufällig. Kommt der Typ ausgerechnet zu diesem, für ihn schlechtesten Zeitpunkt, aber er hat 'ne Waffe dabei.

Und dann kommt auch noch der letzte Spannungstöter: Lange Erklärung des Mordmotivs vom Täter (er überführt sich also selbst, bescheuerter geht's nicht).


Das mag zwar wie eine abgegriffende Idee wirken, aber ich halte das Szenario auf dem Turm durchaus für realistisch. Der Mörder blockiert die Tür und er ist kein kaltblütiger Mörder, sondern ein von den Umständen getriebener. Dabei kann sicherlich so ein Gespräch entstehen.

Fazit, sorry: Platte Charaktere stolpern durch lange, unspannende Geschichte. Da solltest du dringend dran arbeiten! Etwa vier Fünftel kannst du rauskürzen (da der Plot nicht mehr hergibt). Dann hast du genug Platz für Lebendigkeit, Spannungsaufbau, interessante Details ...

Zum Thema Spannungsaufbau und Sympathieerweckung bei den Charakteren gebe ich dir eine Leseempfehlung: Dean R. Koontz, alles was er geschrieben hat.


Ein hartes Urteil, aber das gehört dazu, wenn man seine Geschichten veröffentlicht. Man muß seine Ideen vor sich selbst und vor der Kritik anderer verteidigen können oder man muß sie ändern. Aber das macht das Schreiben und Veröffentlichen ja so spannend.

Noch einmal vielen Dank für Deine Zeit.

Ciao
Peter Schütt

P.S. Ist die Geschichte eigentlich zu lang für dieses Portal?

 

P.S. Ist die Geschichte eigentlich zu lang für dieses Portal?

Hallo Peter!

Nein, der Text ist nicht zu lang. Es gibt da keine Beschränkung. Der Text muss nur im Stil einer KG verfasst sein, also nicht wie eine Novelle, z.B.

Gruß

Asterix

 

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