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Die Ankunft der Göttin

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28.12.2009
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Die Ankunft der Göttin

Tasso besorgte die Zigaretten, er stahl sie seinem Vater, der mittags von der Schicht kam und meistens nach dem Essen auf dem Sofa im Wohnzimmer einschlief. Drei Stück, eine für jeden von uns, und eine in Reserve. Ich öffnete immer das Fenstergitter, weil ich einen halben Kopf größer war als Tasso, während er sich schon die erste Zigarette anzündete. Er hielt sie zwischen Zeige- und Mittelfinger, der Filter schloss nahtlos an die Lippen an. Natürlich pafften wir, gaben es aber voreinander nicht zu. Durch die schmale Einfassung sahen wir auf die Jägerstraße hinaus, eine lange Gerade, die das gesamte Viertel durchquerte und an der Chemiefabrik vorbei zum EDEKA-Markt führte. Wir rauchten und warteten auf die Göttin. Wir warteten seit einer Woche.

Wir hatten sie erst einmal gesehen. Sie war aus einem Auto gestiegen, das vor dem Fabrikeingang hielt und dann weitergefahren war. Tasso hatte sie zuerst gesehen. Überhaupt war das Ganze Tassos Idee gewesen, das mit den Zigaretten und dem Rauchen im Keller. Wir sahen von ihr am Anfang nur die Beine, lang und schlank und die Haut schimmerte bronzefarben in der Sonne. Ihr Rock war kurz, und ich meine kurz, nicht italienische Länge. Dann das scharfe Klicken ihrer Absätze auf dem Asphalt; eine fremdländische Melodie, ein bestimmender Rhythmus, fast wie ein Tanz.

Sie hatte nach etwas in ihrer Handtasche gesucht und war auf dem Bürgersteig vor dem Fenster stehengeblieben. Es ist eine seltsame Sache: Menschen, die nicht das Gefühl haben, beobachtet zu werden, verhalten sich so natürlich, so echt, dass man ein klein wenig mehr ihrer Seele sieht. Sie fand die Schachtel Marlboro, zündete sich eine Zigarette an, und erst jetzt, als sie sich nach vorne beugte, um das Feuerzeug mit ihrer Hand abzuschirmen, sahen wir ihr Gesicht. Die raucht auf Lunge, sagte Tasso leise.

Sie trug einen goldenen Armring, der sich eng um ihr Handgelenk schmiegte, und ihr Haar war dunkel, dunkel und lang. Wir starrten auf den dreieckigen Schatten zwischen ihren Schenkeln, und als sie schließlich am Fenster vorbeigegangen und aus unserer Sicht verschwunden war, atmeten wir aus, fast gleichzeitig, und wir sagten es nicht, aber wir mussten sie wiedersehen, das wussten wir beide.

Ich träumte von ihr. Ich träumte von diesem Schatten zwischen ihren Beinen und welches Geheimnis dieser Schatten verbarg. Meine Fingeer strichen langsam über ihr warmes, festes Fleisch, ich spürte den Widerstand der Haut, wie sie sich zuerst dehnt und dann nachgibt, die feinen Härchen, diese helle, glatte Nacktheit, und ihr Duft, wie sie wohl duftete, wie duftet ein Frau, eine wirkliche, echte Frau?

Wir warteten seit einer Woche. Wir trafen uns nach der Schule im Keller, pafften die beiden Zigaretten, teilten uns die dritte und warteten. Am zweiten Tag stahl Tasso vier Zigaretten, gegen Ende der Woche die ganze Schachtel. Es war Hochsommer, Mitte Juni, und gegen Nachmittag gab es eine gute halbe Stunde, in der wir nicht aus dem Fenster gucken konnten, weil uns die Sonne so sehr blendete. Dann gingen wir in den langen, kühlen Gang vor den Kellerräumen und hockten uns in eine Ecke, mit dem Rücken gegen die Wand. Einmal lösten wir ganz vorsichtig eine Dachlatte an einem der Verhaue und stahlen eine Flasche Malzbier aus einem Kasten; es schäumte wild in unseren Mündern und war so süß wie flüssiger Zucker, das Beste überhaupt. Auf dem Schloss stand in schwarzen Lettern UG2, aber wir wussten nicht, welchem Nachbarn dieser Keller gehörte. In diesen Stunden wirkte das Haus leer und wie ausgestorben; nur das Gluckern aus den Rohren oder das Abpumpen der Waschmaschinen, die stundenlang liefen. Wenn sich doch jemand in den Keller verirrte, schlichen wir in den hintersten Winkel des Stauraums, duckten uns in den Schatten der Schräge und warteten, bis die Sicherheitstür wieder zugezogen wurde.

Wir sahen eine Menge: einen Autounfall, eine Schlägerei zwischen zwei Betrunkenen, auf die Straße pissende Hunde. Nur von der Göttin keine Spur.
Sie kommt nie wieder, meinte Tasso. Vielleicht war sie doch nur ein Traum.
Sie war kein Traum, meinte ich.
Woher willst du das wissen?
Ich sah ihn an und zuckte mit der Schulter.
Wir wussten es beide nicht.

An diesem Tag regnete es, das erste Mal seit Wochen. Draußen vermengte sich der Staub auf den Straßen zu einem feinen Schlick, der den Asphalt benetzte, und aus der Kanalisation drang der typische, organische Gestank der “Dicken”, in den Rohren festgebackenen Klumpen aus altem Fett, Haaren und Scheiße. Doch danach klarte es wieder auf, die Luft erholte sich, der Himmel ohne eine einzige Wolke. Die modrige Kälte aus den Kellerräumen kroch uns allmählich die Beine hinauf, aber es machte uns nichts. Wir warteten.

Im ersten Stock wohnte eine alte, alleinstehende Frau mit einem kompliziert klingenden slawischen Nachnamen. Wir sahen sie mehrmals unter der Woche, wie sie zuerst ganz vorsichtig die Straßenseite wechselte, dann im EDEKA einkaufte und nach einer halben Stunde mit vollen Tüten wieder zurückkehrte. Wir hatten ihr nie Aufmerksamkeit geschenkt, weil alle unsere Sinne sich auf die Ankunft der Göttin konzentrierten, und deswegen fiel sie uns auch an diesem Tag nicht weiter auf. Wir hörten nur, wie draußen etwas zu Boden fiel und kurz darauf einen lauten Fluch, dann sahen wir die Konservenbüchse, die langsam auf das offene Fenster zurollte.

Sie war keine Göttin. Sie war eine schwere Frau, die sich auch so bewegte, ächzend und mit mühsamen, schleppenden Schritten. Ihr Körper verdunkelte die ganze Sonne, so schien es, ein großer Schatten legte sich vor den Ausschnitt des Fensters, und als sie sich bückte, konnten wir das Sauerkraut in ihrem Atem riechen. Sie stützte sich mit einer Hand auf dem Asphalt ab und griff mit der anderen nach der Dose.
Sie sah mir genau in die Augen.
Is da wer, fragte sie. Da unten? Ja is da wer?
Wir bewegten uns nicht, wir standen nur still da und hielten den Atem an.
Sie hustete und wollte die Dose vom Boden aufheben, machte dafür einen kleinen Schritt zur Seite, eine schmale Sichel Sonnenlicht umspielte ihre gebeugte Hüfte. Dann seufzte sie, ein langer, tiefer Ton, und für einen Moment dachten wir, das es jetzt vorbei, das alles nur eine lästige Störung gewesen wäre.

Im nächsten Moment sackte sie zusammen und fiel gegen die Hauswand, Knochen und Fleisch auf Rauputz, ein Geräusch als zerreiße jemand Papier, ein Stöhnen, leise und erstickt, sie war ganz nah, nur die Mauer trennte uns von ihr, und da war immer noch die Konservenbüchse, glitzernd und kompakt im Sonnenlicht, wie etwas, das fehl am Platz ist, das dort nicht hingehört. Sie glitt ganz langsam zu Boden, griff sich dabei unter die Brust, ihr Oberteil aus Wolle rutschte nach oben, und wir blickten auf die frei liegende weiße Haut, die matt schimmerte und durchsetzt war mit dünnen blauen Adern. Autos fuhren vorbei, beschleunigten am Ende der Kreuzung, Stimmen, eine Waschmaschine ging in den Schleudergang, vibrierte auf dem unebenen Plateau, und der Puls in meiner Kehle, so hart, dass er mir die Luft zum Atmen nahm, Atmen, Atmen, Atem. Sie zuckte, ihr Arm schnellte nach oben, der Rumpf drehte sich wie von selbst in in einer einzigen, langen Bewegung, und dann lag ihr Kopf vor dem Fenster, dieser große, mächtige Kopf mit den grauen Haaren, die immer noch zu einem strengen Dutt gebunden waren, so eng anliegend, als seien sie nass. In ihren Augen ein suchender Blick, der nichts fand, der nichts finden konnte, der Mund halb geöffnet, ihre trockene Zunge schabte gegen die Zähne, flopp flopp, flopp, und aus ihrer Kehle drang ein Pfeifen, kaum wahrnehmbar und unregelmäßig, Luft die aus einem Ventil entweicht, dann nichts mehr, Stille.

Tasso fasste mich an der Schulter, seine Finger eiskalt, und ich drehte mich um, trat die Zigarette aus und wollte gehen, wollte wegrennen, blieb aber doch stehen, um ihr noch einmal in die Augen zu sehen, in die starren, geweiteten Pupillen, und dann streckte ich meine Hand aus, berührte sie an der Wange, nur ganz kurz, ihre Haut dort weich und noch warm von der Sonne, warm wie das Leben.

Wir schlichen durch die Waschküche davon, nahmen den Hinterausgang, die Treppen hoch, sprangen über das Geländer und verschwanden im Labyrinth der Genossenschaftshäuser am Kiefernweg, wo Kinder Ball spielten und Männer grillten, wir bekamen nichts mit von der Aufregung, die schließlich die ganze Straße ergriff, die Jägerstraße, unsere Straße, wir bekamen nichts mit vom Blaulicht und dem Krankenwagen, und niemand fragte uns, niemand hat uns jemals gefragt. Wir haben danach kein einziges Wort mehr über die Sache verloren. Wir haben uns gezwungen, nicht darüber zu sprechen und uns selbst weisgemacht, es wäre nicht passiert, der Tag, eine Auslassung, eine Lücke im Gedächtnis.

Ich war nie wieder dort, in dem fast leeren Stauraum unter der Treppe. Nein, das stimmt nicht, ich war noch einmal da, ein paar Wochen später, und da lagen zwei platt getretene Kippenstummel auf dem Boden und das Fenster stand immer noch offen. Ich habe die Kippen aufgehoben und bevor ich das Fenster schloss … aber natürlich kam sie nicht, sie kam nie, wir haben vergeblich auf die Ankunft der Göttin gewartet.

 

Hallo @jimmysalaryman

Der Titel hat mich neugierig gemacht und ich dachte schon fast, Du haust jetzt irgendwas Fantasy-mässiges raus :D Kam dann aber doch ganz anders mit der Göttin, hehe. Gefällt mir grundsätzlich gut, was Du hier erzählst, bin gerne mit den beiden Jungs unten beim Kellerfenster abgehangen und habe Zigaretten geraucht und die Jägerstrasse beobachtet. Habe mit ihnen zusammen die wahre Göttin gesehen, an diesem einen schicksalhaften Tag, an dem sie ihnen erschienen ist und habe mit ihnen gewartet, ob sie jemals wieder auftaucht, aber stattdessen nur eine alte, schwere Frau mit slawischem Namen sterben sehen.

Dabei kann einem der Erzähler auf der einen Seite echt leid tun, sein Kumpel Tasso (der Name gefällt mir) findet schlussendlich eine andere Göttin, nur er scheint leer aus zu gehen, hängt nach Jahren immer noch dieser Erinnerung nach, hat wohl in seinem bisherigen Leben nicht viele oder gar keine Erfahrungen mit den Frauen gemacht, er ist irgendwie stehengeblieben, dort im Viertel, schon damals, als er die Göttin zum ersten und einzigen Mal gesehen hat und heute sitzt er einsam in seiner Wohnung. Auf der anderen Seite redet er aber auch recht abschätzig über andere, die 'Dicken', sieht die schwere Eva sterben, ein eigentlich einschneidendes Erlebnis, aber es wird vergessen oder irgendwo hingschoben, wo man nicht dran denken muss, Verdrängung, und am Ende ist alles was bleibt doch nur der traurige Gedanke an seine vermeintliche Göttin. Habe das echt gerne gelesen und finde es gut erzählt.

Ich habe aber auch ein paar klitzekleine Kleinigkeiten/Unstimmigkeiten entdeckt:

Aber kann man nicht auch von Engeln träumen?, fragte er.
Wir wussten es nicht.
Hier stutzte ich, denn der Erzähler kennt die Antwort doch, zumindest nach meiner Lesart, und da Tasso ein guter Kumpel, wenn nicht sogar sein einziger und somit bester Kumpel ist, hätte er ihm vielleicht davon erzählt. Denn einige Sätze zuvor steht dort:
Ich träumte von ihr.
Klar, da wird der Begriff 'Engel' noch nicht verwendet, aber Göttin, Engel, im Endeffekt ist das ja dasselbe. Das wird dann noch ein wenig umschrieben mit dem Schatten zwischen ihren Beinen und der Frage danach, wie sie wohl duftet, aber für mich müsste er die Antwort bejahen können. Er muss das ja nicht machen, könntest den Satz mit 'Wir wussten es nicht' auch einfach weglassen und Tassos Frage im Raum stehen lassen, das fände ich jedenfalls eleganter.

Im ersten Stock wohnte eine alte, alleinstehende Frau mit einem komplizierten klingenden slawischen Nachnamen.
Später kommt dann:
Ihr Name war Eva Wisniewska.
Das hat mich irritiert, denn ich habe den erstzitierten Satz so gelesen, dass er den Namen nicht genau kennt, kurze Zeit später kann er ihn dann aber sehr genau wiedergeben. Ich finde, den Namen hier an dieser Stelle zu bringen auch nicht so ganz geschickt, unten habe ich noch etwas mehr zu diesem Eindruck aufgeschrieben.

Das ist Jahrzehnte her, Tasso ist jetzt verheiratet und hat Kinder, seine Frau ist schlank und schön und hat dunkle Haare, er hat seine eigene Göttin, sie sind nach Köln gezogen.
Ja, ganz schön hart, Tasso hat 'ihn im Stich gelassen' und ist nach Köln abgehauen. Dass seine Frau aber direkte Ähnlichkeit mit der wahren Göttin hat (so habe ich das zumindest rausgelesen), fand ich etwas dick aufgetragen bzw. da schimmert mir die Konstruktion zu stark durch, weil mich das Gefühl beschlich, damit soll nur zusätzliches Mitleid gegenüber dem Erzähler aufgebaut werden. Die Stelle würde ich nochmal überdenken, vielleicht direkt streichen, dass seine Frau schlank und schön ist und dunkle Haare hat.

Weitere Anmerkungen:

Die raucht auf Lunge, sagte Tasso leise.
Da musste ich echt grinsen, das ist toll :thumbsup:

Es ist eine seltsame Sache: Menschen, die nicht das Gefühl haben, beobachtet zu werden, verhalten sich so natürlich, so echt, dass man ein Stück ihrer Seele sieht, ein klein wenig mehr jener Wahrheit erfährt, die sie sich sonst nur selbst erzählen.
Klingt jetzt vielleicht als wäre ich selbst auch voyeuristisch veranlagt, aber wer hat nicht schon mal jemand anders bei etwas beobachtet, der sich unbeachtet fühlte (muss ja nicht direkt das unter-den-Rock-glotzen sein!), also das ist so wahr, denke ich, in diesem Moment ist der Mensch einfach nur er oder sie selbst, muss niemandem irgendwas beweisen oder sich verstellen, um ein bestimmtes Bild nach aussen zu transportieren, eine feine Beobachtung! Klingt schon beinahe poetisch und die Stelle hat mir sehr gut gefallen.

An diesem Tag regnete es, das erste Mal seit Wochen. Draußen vermengte sich der Staub auf den Straßen zu einem feinen Schlick, der den Asphalt benetzte,
Ich würde da für den Schlick was anderes wählen als 'benetzen' oder das komplett streichen, klingt für mich auch seltsam, 'der Schlick benetzte den Asphalt' ... Das mit der Feuchtigkeit bzw. das es eben nass ist ergibt sich doch schon durch den ersten Satz.

Sie hustete und wollte die Dose vom Boden aufheben, machte dafür einen kleinen Schritt zur Seite, eine schmale Sichel Sonnenlicht umspielte ihre gebeugte Hüfte. Dann seufzte sie, ein langer, tiefer Ton, und für einen Moment dachten wir, das es jetzt vorbei, das alles nur eine lästige Störung gewesen wäre. Immerhin warteten wir auf die Ankunft der Göttin.

Ihr Name war Eva Wisniewska. Im nächsten Moment sackte sie zusammen und fiel gegen die Hauswand, Knochen und Fleisch auf Rauputz, ein Geräusch als zerreiße jemand Papier, ein Stöhnen, leise und erstickt, sie war ganz nah, nur die Mauer trennte uns von ihr, und da war immer noch die Konservenbüchse, glitzernd und kompakt im Sonnenlicht, wie etwas Fremdes, wie etwas, das fehl am Platz ist, das dort nicht hingehört, ein Fehler.

Seltsam anmutende Absatztrennung, die Lücke steht da so mitten im Geschehen rum, finde ich. Eva stirbt gerade (dass das kommen würde, erahnte ich bereits beim 'Sie hustete') und ich werd da so mittendrin unterbrochen, ich würde da nahtlos weitermachen und auch die oben gestrichenen Sätze rausnehmen, der erste wirkt so zwischengeschoben und den braucht's mMn nicht, der zweite: Ist ihr Name wichtig? Mir hätte es ausgereicht, wäre es beim kompliziert klingenden slawischen Nachnamen geblieben oder wenn, hätte ich ihren Namen an anderer Stelle eingeführt, aber nicht hier, mitten in der Action, weil das sonst ziemlich ausbremst.

und dann streckte ich meine Hand aus, berührte sie an der Wange, nur ganz kurz, ihre Haut dort weich und noch warm von der Sonne, warm wie das Leben.
Wieso tut er das, was bringt ihn dazu? Vorher sagt er 'sie ist keine Göttin', 'eine schwere Frau, die sich mit mühsamen, ächzenden Schritten bewegt' etc., also ich lese das eher abwertend, aber trotzdem zollt er ihr hier zumindest eine Art von Respekt, vielleicht ist es eine Entschuldigung für seine Denkweise, sein Umgang mit dem Tod, in diesem Moment, aber es hat mich kurz etwas rausgerissen, weil ich das so von ihm nicht erwartet hätte, diese intime Geste.

Ja, sind ungefähr meine 5 Cent.

So long,
d-m

 

Hey @jimmysalaryman ,

hat viel Spaß gemacht, zu lesen. Eine bündige Kurzgeschichte, Alltag – Jugend – Erinnerungen. Genau mein Ding. Ich habe mal ein bisschen genauer gelesen, weil der Text ja noch frisch und ungesichtet ist. Also auch Kleinkram im Gepäck. Richtiges Fazit/Einordnung gibts dann im Anschluss.

er stahl sie seinem Vater, der mittags von der Schicht kam und meistens gleich nach dem Essen auf dem Sofa im Wohnzimmer einschlief.

Finde ich an sich ein schönes Bild. Das würde bei drei Zigaretten dann aber irgendwann schon auffallen, weil es auch so klingt, als würde er das öfters tun. Und wenn es nicht auffällt hätte ich irgendwie gerne noch einen Grund geliefert bekommen. Ich denke, hier könnte man auch noch mit ganz wenig Text viel Charakterisierung reinbringen. Ist ja so eine Stelle.

... er stahl sie seinem Vater, der mittags von der Schicht kam und meistens gleich nach dem Essen auf dem Sofa im Wohnzimmer einschlief. Tasso glaubte, dass er es wusste – warum er es ignorierte, darauf konnte Tasso sich keinen Reim machen.

Unter der Treppe befand sich noch ein großer Stauraum, der bis auf ein paar alte Kartons und Kisten leer war.

Warum wird mir das erzählt? Wenn der Stauraum bis zum Rand mit passigen Kartons vollgestopft wäre, hätte ich das eher verstehen können. Ich finde, das könnte etwas mehr charakterisieren.

die das gesamte Viertel durchquerte

vielleicht gibt es hier einen lyrischeren Begriff – durchschnitt zum Beispiel

sie erst einmal gesehen

ein Mal in diesem Fall, würde ich meinen.

Tasso hat sie zuerst gesehen.

hatte

und ich meine kurz, nicht italienische Länge

das ist eine von zwei Stellen, wo ich mich frage, woher dein Protagonist das weiß bzw. warum und wofür ich keine Erklärung im Text finde und was mich dann auf den Autor verweist. An sich ja eine spannendes Detail, dass er das weiß.

Hier eine Anmerkung an passender Stelle: Der Text hatte für mich etwas aus einer anderen Zeit. Ich schätze mal, dass er autofiktional angehaucht ist und deshalb so in den Achtzigern verortet(?). In dieser Vor-Internet-Zeit ist so ein spezieller Wissenshappen für mich zwar denkbarer als heute, braucht aber auch eine Provinienz. Da sehe ich leider gerade gar keine gute Möglichkeit, die im Text zu integrieren (z. B. über das Berufsbild der Eltern). Würde ich umschreiben, auch wenn es ein Darling sein sollte. Kill it.

Dann das scharfe Klick ihrer Absätze auf dem Asphalt; eine fremdländische Melodie, ein bestimmender Rhythmus, der Klang der Verführung.

fand ich sehr schön.

Es ist eine seltsame Sache: Menschen, die nicht das Gefühl haben, beobachtet zu werden, verhalten sich so natürlich, so echt, dass man ein Stück ihrer Seele sieht, ein klein wenig mehr jener Wahrheit erfährt, die sie sich sonst nur selbst erzählen.

fand ich auch toll. Allerdings einen Ticken zu lang. Würde es folgendermaßen ändern und etwas Pathos rausnehmen:

Es ist eine seltsame Sache: Menschen, die nicht das Gefühl haben, beobachtet zu werden, verhalten sich so natürlich, so echt, dass man ein Stück ihrer Seele sieht, ein klein wenig mehr jener Wahrheit erfährt, die sie sich sonst nur selbst erzählen. etwas über sie erfährt, dass sie sonst vielleicht keinem erzählen.

und erst jetzt, als sie sich nach vorne beugte, um das Feuerzeug mit ihrer Hand abzuschirmen, sahen wir ihr Gesicht

schönes Bild. Muss ich instinktiv an die Bildführung in Hitchcock-Filmen denken. Andeutung aus Licht und Schatten.

Die raucht auf Lunge, sagte Tasso leise.

hehe, schön.

Hochsommer

Ich liebe dieses Wort, woimmer ich es lese!

eine Flasche Malzbier

Ich habe den Geschmack und das Prickeln im Rachen. Lecker! Die Folgesätze (das wilde Schäumen) kommt mir etwas dick vor, allerdings auch schön bildhaft und wahrscheinlich Geschmackssache (im wahrsten Sinn).

Wir wussten es nicht.

Schön, dieser Wechsel ins kollektivierende Wir

drang der typische, organische Gestank der “Dicken”, in den Rohren festgebackenen Klumpen aus altem Fett, Haaren und Scheiße

Das ist die zweite Stelle, an der ich als Leser das Wissen des Prots infrage Stelle. Das ist etwas, das wahrscheinlich nur Autoren oder Kanalarbeiter wissen und so nennen. Würde ich rausnehmen ...

Zweite Anmerkung an passender Stelle: ... es sei denn, du baust dich selbst als Autorenfigur noch in den Erzählrahmen ein.

konnten wir das Sauerkraut in ihrem Atem riechen

Stark

das es jetzt vorbei

dass

das alles nur eine lästige Störung gewesen wäre

dass

wie etwas Fremdes, wie etwas, das fehl am Platz ist, das dort nicht hingehört, ein Fehler.

würde eines rausnehmen bzw. den Satz noch mal etwas umschreiben – aber am Crescendo festhalten.

Sie glitt ganz langsam zu Boden, griff sich dabei unter die Brust, ihr Oberteil aus Wolle rutschte nach oben, und wir blickten auf die frei liegende weiße Haut, die matt schimmerte und durchsetzt war mit dünnen blauen Adern. Autos fuhren vorbei, beschleunigten am Ende der Kreuzung, Stimmen, eine Waschmaschine ging in den Schleudergang, vibrierte auf dem unebenen Plateau, und der Puls in meiner Kehle, so hart, dass er mir die Luft zum Atmen nahm, Atmen, Atmen, Atem. Sie zuckte, ihr Arm schnellte nach oben, der Rumpf drehte sich wie von selbst in in einer einzigen, langen Bewegung, und dann lag ihr Kopf vor dem Fenster, dieser große, mächtige Kopf mit den grauen Haaren, die immer noch zu einem strengen Dutt gebunden waren, so eng anliegend, als seien sie nass. In ihren Augen ein suchender Blick, der nichts fand, der nichts finden konnte, der Mund halb geöffnet, ihre trockene Zunge schabte gegen die Zähne, flopp flopp, flopp, und aus ihrer Kehle drang ein Pfeifen, kaum wahrnehmbar und unregelmäßig, Luft die aus einem Ventil entweicht, dann nichts mehr, Stille.

für mich der stärkste Absatz in deinem Text und wirklich stark gemacht. Hat mir gut gefallen. Das ist unerwartet und durch die präzise und akkurate Beschreibung – ohne zu nennen, um was es sich handelt – gut gelöst. Ich muss mir nämlich selbst an dem Bild, was sich mir da einstellt, beantworten, was hier eigentlich gerade passiert. Das schafft auch Spannung an der Stelle.

wir haben gesehen, wie das Leben Eva Wisniewska verließ, während wir auf die Ankunft der Göttin warteten

Das würde ich aus mehreren Gründen streichen. Erstens, weil es das nicht braucht und das ein bisschen den tollen Absatz von weiter oben torpediert. Zweitens, weil es mir sagt, wie ich den Text lesen soll, obwohl der Text aus sich heraus schon alles tut, um mir genau das zu erzählen (mit anderen Worten: unnötig, das zu erwähnen). Drittens, finde ich es auch ein bisschen pathetisch. So ein schmaler, kurzer Text lebt für mich immer auch aus der Verblüffung heraus, warum etwas scheinbar so gewöhnliches wie eine Erinnerung doch so viel Nachklang in einem erzeugt.

schloss … aber

Gut gesetzte Auslassungszeichen.

Hat, wie gesagt, Spaß gemacht. Schöne Kurzgeschichte (finde den Begriff hier irgendwie so passend).
Viele Grüße
Carlo

 

Habe mit ihnen zusammen die wahre Göttin gesehen, an diesem einen schicksalhaften Tag, an dem sie ihnen erschienen ist und habe mit ihnen gewartet, ob sie jemals wieder auftaucht, aber stattdessen nur eine alte, schwere Frau mit slawischem Namen sterben sehen.

Danke für deine Zeit und deinen Kommentar,

ja, das fasst es zusammen, sehr gut sogar. Ist ja wirklich eher so ein ganz kurzes, komprimiertes Ding, wo wenig passiert. Auch vielleicht zeitlich verortet, ich hatte beim Schreiben so ein Vintage-Feel.

Dabei kann einem der Erzähler auf der einen Seite echt leid tun, sein Kumpel Tasso (der Name gefällt mir) findet schlussendlich eine andere Göttin, nur er scheint leer aus zu gehen, hängt nach Jahren immer noch dieser Erinnerung nach, hat wohl in seinem bisherigen Leben nicht viele oder gar keine Erfahrungen mit den Frauen gemacht, er ist irgendwie stehengeblieben, dort im Viertel, schon damals, als er die Göttin zum ersten und einzigen Mal gesehen hat und heute sitzt er einsam in seiner Wohnung.
Das ist interessant, weil das ja gar nicht erzählt wird, aber man denkt es als Leser mit. Das ist schon seltsam, weil ich das auch oft mache, wenn ich lese, man spinnt die Geschichte weiter, gibt ihr auch mehr Tiefe, als eigentlich die Oberfläche hergibt. So was nimmt man immer gerne mit, ist eine gute und wichtige Info, wo man welche Stellschrauben drehen könnte.
Hier stutzte ich, denn der Erzähler kennt die Antwort doch, zumindest nach meiner Lesart, und da Tasso ein guter Kumpel, wenn nicht sogar sein einziger und somit bester Kumpel ist, hätte er ihm vielleicht davon erzählt.
Naja, das verstehe ich, wie du das meinst, aber das ist ja auch ein wenig dieser Erzählsound, der ja ein rückblickender ist. Da changiert ja auch die Erfahrungswelt der Protagonisten ein wenig, jetzt weiß er es, damals vielleicht noch nicht.
Das hat mich irritiert, denn ich habe den erstzitierten Satz so gelesen, dass er den Namen nicht genau kennt, kurze Zeit später kann er ihn dann aber sehr genau wiedergeben.
Da bin ich auch noch am überlegen. Es ist ja so, ich lese den Text selbst als eine Art Reminisenz, also es ist Zeit vergangen, und mittlerweile hat er natürlich den Namen ausfindig gemacht. Das impliziert ja die Nennung, dass sie eben keine Unbekannte geblieben ist, aber das sie es mal gewesen ist; jetzt nicht mehr. Das lingert ja auch im Hintergrund, zeigt auf, dass es ihn beschäftigt hat oder noch tut.

Die Stelle würde ich nochmal überdenken, vielleicht direkt streichen, dass seine Frau schlank und schön ist und dunkle Haare hat.
Interessant, denn ich lese das gar nicht als Gegenentwurf zum Erzähler, sondern eher als etwas, das so ist, als einen Fakt. Natürlich, klar kann man sagen, ah das ist ja konstruiert, dass sie jetzt genauso dunkle lange Haare hat, aber es könnte auch nur Zufall sein. Oder? Ich weiß, was du meinst. Ich überlege.
Mir hätte es ausgereicht, wäre es beim kompliziert klingenden slawischen Nachnamen geblieben oder wenn, hätte ich ihren Namen an anderer Stelle eingeführt, aber nicht hier, mitten in der Action, weil das sonst ziemlich ausbremst.
Überlege ich auch, wie ich das anders lösen konnte.

Wieso tut er das, was bringt ihn dazu?
Ich glaube, das ist so eine Art Zirkelschluss in meinen Augen, die Wärme, die Sonne, die Schönheit, aber eben auch die letzte Wärme dieser toten Frau; macht das irgendwie Sinn? Ich weiß, es klingt irgendwie ein wenig absurd, aber ich denke, so ungefähr sollte das hinkommen.

Sind gute 5 Cent.

Gruss, Jimmy

 

hat viel Spaß gemacht, zu lesen. Eine bündige Kurzgeschichte, Alltag – Jugend – Erinnerungen.

Danke dir für Zeit und Kommentar.

Jau, ist kurz und bündig, und ich mag solche Texte ja auch.

Das würde bei drei Zigaretten dann aber irgendwann schon auffallen, weil es auch so klingt, als würde er das öfters tun.
Im Grunde tun sie das ja genau diese eine Woche lang. Das muss ich vielleicht noch deutlicher herausarbeiten, oder anders formulieren, so dass es nicht so wichtig wird, also allgemeiner halten das Ganze.

Warum wird mir das erzählt? Wenn der Stauraum bis zum Rand mit passigen Kartons vollgestopft wäre, hätte ich das eher verstehen können. Ich finde, das könnte etwas mehr charakterisieren.
Nun, es ist so: Deswegen stehen sie dort, weil der Raum eben leer und nicht voll ist. Wenn der voll wäre, könnten sie da nicht so stehen, außerdem würden wahrscheinlich eher mehr Mieter dort nach ihren abgelegten Sachen suchen. Man kann das Argument also auch genau umdrehen und sagen, gerade weil er so leer ist, sollte es erwähnt werden.
das ist eine von zwei Stellen, wo ich mich frage, woher dein Protagonist das weiß bzw. warum und wofür ich keine Erklärung im Text finde und was mich dann auf den Autor verweist. An sich ja eine spannendes Detail, dass er das weiß.
Also, das ist ja nicht Präsens, sondern die Distanz ist schon länger. Er wusste es vielleicht damals nicht, aber jetzt weiß er es. Das kann man, finde ich, nicht vergleichen, weil diese Erzählung doch auch von der Haltung ganz klar rückwärtig gemeint ist, da fließt natürlich auch Wissen ein, was der Erzähler damals nicht hatte. Nicht an vielen Stellen, aber an einigen. Außerdem: italienische Länge? Das war damals so die Regel bei uns in der Schule, Mädchen durften maximal italienische Länge tragen, keinesfalls kürzer.

Das ist die zweite Stelle, an der ich als Leser das Wissen des Prots infrage Stelle. Das ist etwas, das wahrscheinlich nur Autoren oder Kanalarbeiter wissen und so nennen. Würde ich rausnehmen ..
Nee, finde ich nicht. Die Dicke kennt man doch? Also wenn es damals aus der Kanalisation gestunken hat, hat man das so genannt; auch wenn es lange nicht geregnet hat. Finde ich jetzt nicht so außergewöhnlich, dass man dieses Wort oder den Begriff irgendwo herleiten muss, oder?

Hab mal einiges umgestellt sprachlich und auch den Namen konkret rausgenommen, es etwas subtiler gemacht, wie ich finde. Liest sich zügiger, weniger offensichtlich.

Ist so eine kleine Fingerübung, um nicht rauszukommen. Arbeite an einigen längeren Texten, noch wild durcheinander und gucke erstmal, was da geht, und manchmal habe ich eine Idee, die sich festsetzt und ich dann lange Zeit nicht weiß, wie ich die umsetzen soll, oft werden es dann so luftige Skizzen die sich immer weiter komprimieren lassen, bis sie zu so einer kleinen, kurzen Geschichte werden. Freut mich, wenn es dir gefällt.

Gruss, Jimmy

 

Nun, es ist so: Deswegen stehen sie dort, weil der Raum eben leer und nicht voll ist. Wenn der voll wäre, könnten sie da nicht so stehen

Das ergibt Sinn heheh. Ich habe irgendwie überlesen, dass sie sich genau dort aufhalten. Ich dachte, das wäre auf dem Weg in ihr Versteck. Liegt wahrscheinlich aber an mir.

weil diese Erzählung doch auch von der Haltung ganz klar rückwärtig gemeint ist, da fließt natürlich auch Wissen ein, was der Erzähler damals nicht hatte.

Das ist ja richtig, aber es ist schon ein spezielles Wissen. Aber das hat sich jetzt gerade noch mal anders für mich herausgestellt; du hast die Stellen ja noch mal angesprochen. Gleich dazu

Außerdem: italienische Länge? Das war damals so die Regel bei uns in der Schule, Mädchen durften maximal italienische Länge tragen, keinesfalls kürzer.

Das hier zum Beispiel. Ich bin ja Nachwendekind und tatsächlich kannte ich diesen Begriff nicht, höre ihn jetzt vielleicht zum ersten oder zweiten Mal. Daran merkt man die Zeitgebundenheit. Aber dann stimmt es ja, wenn das zur Zeit, in der das angesetzt ist, passt.

Nee, finde ich nicht. Die Dicke kennt man doch? Also wenn es damals aus der Kanalisation gestunken hat, hat man das so genannt

Das scheint was Regionales zu sein(?). Den Begriff kenne ich nämlich auch nicht und denke auch nicht, dass den jemand kennt, den ich kenne :D
Aber auch hier ist es dann wahrscheinlich okay/realistisch, dass der Text eben genau wie bei der Zeit eben auch über einen natürlichen Ort verfügt. Jetzt nur gesetzt, es ist was Regionales.

Ist so eine kleine Fingerübung, um nicht rauszukommen.

Eine schöne Übung :)

Arbeite an einigen längeren Texten, noch wild durcheinander und gucke erstmal, was da geht

Klingt gut.

Viele Grüße und bis dahin

 

Hallo @jimmysalaryman,

das ist wirklich eine verdichtete Erfahrung, die du hier beschreibst. Mich hat sie beeindruckt.

Drei Stück, eine für jeden von uns, und eine in Reserve.
Cool, das sind so Details, die das Erlebnis greifbar machen und mich mit hinein ziehen, in die Geschichte. Mich hat es auch nicht gestört, ob Tassos Vater merkt, wenn Zigaretten fehlen.

Ihr Rock war kurz, und ich meine kurz, nicht italienische Länge. Dann das scharfe Klick ihrer Absätze auf dem Asphalt; eine fremdländische Melodie, ein bestimmender Rhythmus, der Klang der Verführung.
Klingt gut. Nur das Wort "bestimmend" hat mich gestört.

Sie trug einen goldenen Armring, der sich eng um ihr Handgelenk schmiegte, und ihr Haar war dunkel, dunkel und lang. Wir starrten auf den dreieckigen Schatten zwischen ihren Schenkeln, und als sie schließlich am Fenster vorbeigegangen und aus unserer Sicht verschwunden war, atmeten wir aus, fast gleichzeitig, und wir sagten es nicht, aber wir mussten sie wiedersehen, das wussten wir beide.
:thumbsup:

Ich träumte von ihr. Ich träumte von diesem Schatten zwischen ihren Beinen und welches Geheimnis dieser Schatten verbarg. Meine Zunge strich langsam über ihr warmes, festes Fleisch, ich spürte den Widerstand der Haut, wie sie sich zuerst dehnt und dann nachgibt, die feinen Härchen, diese helle, glatte Nacktheit, und ihr Duft, wie sie wohl duftete, wie duftet ein Frau, eine wirkliche, echte Frau?
Kann ein Teenager so etwas träumen? Mir gefällt die Beschreibung, aber ich fragte mich, ob das geht.

Auf dem Schloss stand in schwarzen Lettern UG2, aber wir wussten nicht, welchem Nachbarn dieser Keller gehörte. In diesen Stunden wirkte das Haus leer und wie ausgestorben; nur das Gluckern aus den Rohren oder das Abpumpen der Waschmaschinen, die stundenlang liefen. Wenn sich doch jemand in den Keller verirrte, schlichen wir in den hintersten Winkel des Stauraums, duckten uns in den langen Schatten der Schräge und warteten, bis die Sicherheitstür wieder zugezogen wurde.
Lokalkolorit. Sehr schön.

Aber kann man nicht auch von Engeln träumen?, fragte er.
Oh, klasse. Fast schon vielosofisch.

Ihr Name war Eva Wisniewska. Im nächsten Moment sackte sie zusammen und fiel gegen die Hauswand, Knochen und Fleisch auf Rauputz, ein Geräusch als zerreiße jemand Papier, ein Stöhnen, leise und erstickt, sie war ganz nah, nur die Mauer trennte uns von ihr, und da war immer noch die Konservenbüchse, glitzernd und kompakt im Sonnenlicht, wie etwas Fremdes, wie etwas, das fehl am Platz ist, das dort nicht hingehört, ein Fehler.
Die Konservendose als "Fehler" und damit so sehr symbolisch. Ich bin beeindruckt von diesem Absatz. Mir gefällt auch, dass jetzt im Text ihr Name auftaucht. Dadurch wird es persönlicher, direkter.
Im ersten Stock wohnte eine alte, alleinstehende Frau mit einem komplizierten klingenden slawischen Nachnamen.
Aber auch mir ist aufgefallen, dass der Name vorher nur kompliziert klingend war. (ohne "en).


ein Geräusch als zerreiße jemand Papier, ein Stöhnen, leise und erstickt, sie war ganz nah,
und
Sie glitt ganz langsam zu Boden, griff sich dabei unter die Brust, ihr Oberteil aus Wolle rutschte nach oben, und wir blickten auf die frei liegende weiße Haut, die matt schimmerte und durchsetzt war mit dünnen blauen Adern. Autos fuhren vorbei, beschleunigten am Ende der Kreuzung, Stimmen, eine Waschmaschine ging in den Schleudergang, vibrierte auf dem unebenen Plateau, und der Puls in meiner Kehle, so hart, dass er mir die Luft zum Atmen nahm, Atmen, Atmen, Atem. Sie zuckte, ihr Arm schnellte nach oben, der Rumpf drehte sich wie von selbst in in einer einzigen, langen Bewegung, und dann lag ihr Kopf vor dem Fenster, dieser große, mächtige Kopf mit den grauen Haaren, die immer noch zu einem strengen Dutt gebunden waren, so eng anliegend, als seien sie nass. In ihren Augen ein suchender Blick, der nichts fand, der nichts finden konnte, der Mund halb geöffnet, ihre trockene Zunge schabte gegen die Zähne, flopp flopp, flopp, und aus ihrer Kehle drang ein Pfeifen, kaum wahrnehmbar und unregelmäßig, Luft die aus einem Ventil entweicht, dann nichts mehr, Stille.
Beeindruckend.
Nur die Wolle wäre eventuell ein Streichkandidat.

Wir haben danach kein einziges Wort mehr über die Sache verloren, wir haben uns gezwungen, nicht darüber zu sprechen und uns selbst weisgemacht, es wäre nicht passiert, der Tag, eine Auslassung, eine Lücke im Gedächtnis.
:thumbsup:

Ich bin im Viertel geblieben, ich gehe jeden Tag über die gleichen Straßen, es hat sich viel verändert, doch manches bleibt so, wie es immer schon gewesen ist. Manchmal sitze ich da in meiner Wohnung und denke darüber nach, ihn anzurufen und ihn zu fragen, ob er sich noch an diesen Tag erinnert, an die rollende Konservenbüchse und die strahlende Sonne und dieses Gesicht, das vor uns seinen letzten Atemzug nahm, an diese Augen und an die echte, die wahre Göttin.
Drei Nornen unter dem Weltenbaum. Die eine legt die Zahl unserer Atemzüge fest, die zweite zählt sie und die dritte schneidet den Lebensfaden, wenn unsere Zeit gekommen ist. So ähnlich erzählen es die Germanen.

Ich finde, dein Protagonist hat etwas vom Schicksal und von der Würde des Sterbens verstanden. Zumindest hast du es beeindruckend eingefangen.

Respekt.

Liebe Grüße
Gerald

 

Hallo @jimmysalaryman,


Menschen, die nicht das Gefühl haben, beobachtet zu werden, verhalten sich so natürlich, so echt, dass man ein Stück ihrer Seele sieht,
Ich hab mal in einem Ferienjob in einer nicht mehr so frequentierten Produktionshalle rumgehampelt und auf einmal saß da aber doch einer so im Halbdunkel und wir hatten Augenkontakt und sein Blick so Alter …

Sie war kein Traum, meinte ich. Sie war ein Engel.
Aber kann man nicht auch von Engeln träumen?, fragte er.
Wir wussten es nicht.
Ohne „Wir wussten es nicht“ hat dieser Part für mein Empfinden den schöneren, offeneren Schlusspunkt. Wo man hier natürlich ein bisschen springen muss, was man akzeptieren muss: Ich sage dir, sie ist ein Engel. Pubertierende Jungs, die paffen und Frauen entdecken? Es mag solche und solche geben, aber wenn ich so zurückdenke, mir gehen da ein paar geradezu absurd vulgäre Einlassungen durch den Kopf …

komplizierten klingenden
kompliziert

ihre Haut dort weich und noch warm von der Sonne, warm wie das Leben.
Cooler Kontrast, der Tod so warm wie das Leben.

wir haben vergeblich auf die Ankunft der Göttin gewartet.
Das ist Jahrzehnte her, Tasso ist jetzt verheiratet und hat Kinder,
Das ist auf einer höheren Ebene so ähnlich wie „Wir wussten es nicht“. Ohne diesen rückblickenden Erwachsenen knallt es für mich mehr, es wird weniger auserzählt. Coming of Age, alles ist Spaß und verbotene Früchte (hier natürlich eingetrübt durch so einen melancholischen Grundton von Anfang bis Ende), aber je länger es dauert, desto mühsamer wird es und am Ende ist … also es gibt ein Ende, in dem Alter ist das ja noch so weit weg, dass es dir nicht real vorkommt, und da lernen sie hier, nein, irgendwann bist du tot.

an diese Augen und an die echte, die wahre Göttin.
So würde ich auch diesen letzten Satz interpretieren, der Tod ist die einzig wahre Göttin, weil sich ihr alles und jeder beugt. Trotzdem hadere ich mit diesem Rückblick, das nimmt dem auch ein bisschen die Magie, wenn da am Ende ein Erwachsener drauf guckt, der das dann mit seinen Erwachsenenaugen einordnet. Das könnte man dem Leser überlassen.

Ich lese sowas immer gerne, die prägendsten Momente hast du einfach in Kindheit und Adoleszenz. Oder sagen wir das Gros dieser Momente. Wahrscheinlich, weil dir all diese Sachen, die das Leben so ausmachen, zum ersten Mal begegnen und entsprechend graben die sich am tiefsten ein. Die Beschreibungen sind topp, die Gerüche und Geräusche, die Straße bis zum Supermarkt, alles in gewohnt rauem Stil mit den richtigen Details wie „das Gluckern aus den Rohren oder das Abpumpen der Waschmaschinen, die stundenlang liefen“ und „Draußen vermengte sich der Staub auf den Straßen zu einem feinen Schlick“. Beim Lesen war das auch geradezu hypnotisierend, ich hab das alles geglaubt, erst hinterher hatte ich dann dieses: Moment. Vierzehnjährige, die „Frau gucken“? Da geht’s nicht so literarisch zu. Aber Literatur machst du ja. Schwierige Entscheidung. Ich würd „Guck dir die Titten an“ auf jeden Fall eher glauben als „Sie ist ein/e Engel/Göttin“, aber potenziell könnte das natürlich auf Kosten des Sounds gehen. Irgendwie würd’s ja auch den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte nehmen, die titelgebende Göttin. Wobei ich „Voll die Göttin“ sogar hören kann, den „Engel“ noch, wenn die beiden danach anfangen zu kichern. Aber vielleicht muss ich mich auch an dieser Stelle bei allen vierzehnjährigen Jungen entschuldigen für das Bild, das ich von ihnen habe.


Gern gelesen!

Grüße
JC

 

Das ergibt Sinn heheh. Ich habe irgendwie überlesen, dass sie sich genau dort aufhalten. Ich dachte, das wäre auf dem Weg in ihr Versteck. Liegt wahrscheinlich aber an mir.
Ja, ich verstehe. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir so tief in unseren eigenen erzählten Welten stecken? Kann man schwer sagen, manchmal erscheinen einem die Dinge im Text selbst so logisch, und dann ... ein fremder Leser muss ja verstehen, muss sich einfühlen können, und ab und an gelingt es eben ganz nahtlos
Danke dir für deine Rückmeldung

das ist wirklich eine verdichtete Erfahrung, die du hier beschreibst. Mich hat sie beeindruckt.
Hallo und danke für deine Zeit und deinen Kommentar.

Ist verdichtet, ja. Ich mag so was, auch wenn man Texte geschrieben hat, die länger sind, dass man einfach seinen Kopf wieder etwas auf scharf stellt, fokussiert.

Die Konservendose als "Fehler" und damit so sehr symbolisch. Ich bin beeindruckt von diesem Absatz. Mir gefällt auch, dass jetzt im Text ihr Name auftaucht. Dadurch wird es persönlicher, direkter.
Ja, ich weiß, es liest sich gut, also dass die Büchse eben als Symbol aufgefasst wird, aber das hoffentlich nicht allzu offensichtlich ist. Ich habe den Namen in der neuen Version mal rausgenommen, weil es mit dem nächsten Absatz nicht ganz so gepasst hat; jetzt hast du natürlich auch einen Punkt, den ich im Grunde genau so sehe, mit den Namen wird es persönlicher und invididueller. Ich bin ratlos erstmal.

ch finde, dein Protagonist hat etwas vom Schicksal und von der Würde des Sterbens verstanden. Zumindest hast du es beeindruckend eingefangen.
Ist schön, wenn du es so liest. Ist glaube ich immer schwer, mit wirklich kurzen Texten Leser abzuholen, weil es eben oft Hit & Miss ist, und meistens muss alles passen. Ich würde jetzt schon sagen, Proof erwähnt es auch in seinem nächsten Kommentar, dass das schon auch ein wenig Effekt ist, so das Vintage-Feel retrospektiv, da wird schon eine Art Weichzeichner eingeschaltet, und am Ende mündet es eben in die Sicht des Erwachsenen ... ja, ich denke, um das zu verdeutlichen, was Sterben und Tod bedeutet, muss die Sicht des Erzählers auch tatsächlich gegenwärtig sein und werden, es muss klar sein, dass es da eine Art Prozess gegeben hat, sonst hängt da der Faden einfach in der Luft. Ich denke über den Text nach und werde ihn sicher noch verändern in den nächsten Tagen. Sehr guter Input, danke dafür.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

Hallo Jimmy,
woher kennst du unseren Keller??
Die Geschichte hatte mich sofort, weil es bei uns im Keller genau so aussah. Bretterverschläge, einen für die Kohlen, die vom Bürgersteig durch ein kleines Fenster reingeschippt wurden, einen für Kartoffeln, Konserven und Eingemachtes. Die Schräge unter der Treppe, ja, ja, da waren bei und die Wasseruhren.
Wie alle deine Geschichten ist auch diese flüssig und anschaulich, mit Verständnis und Sympathie für die Protagonisten.
Mit Freude und Erinnerungsseufzer gelesen, vielen Dank.
Gruß,
Jutta

 

Ich hab mal in einem Ferienjob in einer nicht mehr so frequentierten Produktionshalle rumgehampelt und auf einmal saß da aber doch einer so im Halbdunkel und wir hatten Augenkontakt und sein Blick so Alter …
Hallo Proof und danke für deinen Kommentar,

ich verstehe. Das sind so Momente, wo man tief in sich ruht, denke ich, da wird man auch ertappt, Mimik und so, das kann man schlecht faken. Manchmal ist das derbe erschreckend und auch verstörend, weil man eben wirklich erahnen kann, was Menschen in diesem Moment denken. Man will es nicht so genau wissen.

Ohne „Wir wussten es nicht“ hat dieser Part für mein Empfinden den schöneren, offeneren Schlusspunkt. Wo man hier natürlich ein bisschen springen muss, was man akzeptieren muss: Ich sage dir, sie ist ein Engel. Pubertierende Jungs, die paffen und Frauen entdecken? Es mag solche und solche geben, aber wenn ich so zurückdenke, mir gehen da ein paar geradezu absurd vulgäre Einlassungen durch den Kopf …
Ist natürlich ein guter Punkt. Vielleicht habe ich auch ein wenig viel Stuart Dybek gelesen, der erzählt auch viel über Kindheit und Jugend, aber seine Prots sind nie so derbe drauf, die werden nie so ordinär, wie man es vielleicht selbst war oder in Erinnerung behalten hat. Ist mir jetzt eben erst aufgefallen, dass man da auch kritisieren könnte und sagt, na ja, tatsächlich würden die sich vielleicht anders verhalten. Auf der anderen Seite kann man auch genau gegenteilig argumentieren und sagen, man nimmt mal zwei Jungs, die nicht direkt an Titten und Ärsche denken und das auch so sagen und meinen ... ich weiß nicht, es liegt ja auch so ein Schleier auf der Geschichte, auf dem Erzählten, ich habe mir das beim Schreiben wie so eine Traumsequenz vorgestellt, und da würde vielleicht eine härtere, gröbere Sprache einfach herausfallen, obwohl sie natürlich realistischer wäre.

Dieser Rückgriff, den habe ich da ganz bewusst platziert, um auch die vergangene Zeit zu symbolisieren, es ist ja eine Retrospektive, und mir ist das selbst schon öfters aufgefallen, auch wenn ich selber Texte lese, dass ich mich frage, in welcher Zeit spielt das eigentlich, also wie ist da die Distanz des Erzählers zum Erzählten, da gibt es Marker für, und ich habe es gerne, wenn ich das weiß, wenn ich sehe und erkenne, wieviel Lebenserfahrung dazugekommen ist, durch welche Linse und mit welchem Fokus das nun genau betrachtet wird.

Das ist auf einer höheren Ebene so ähnlich wie „Wir wussten es nicht“.
Das ist ja ungefährlich eine ähnliche Sache. Ich habe mir vorgenommen, Geschichten öfters so enden zu lassen, mit so einer Art Epilog, die das Vorangestellte einordnet, gar nicht so sehr, wie der Leser das lesen und/oder verstehen sollte, sondern eher für mich selbst, als eine Art Effekt, ein Trick, der sich noch einmal um die Fallhöhe kümmert - und wo sind sie jetzt?, das ist ja so der Kern dieser Sache, man richtet noch einmal neu aus, wenn man weiß, wo der Erzähler oder Beteiligte sich jetzt, gegenwärtig befinden, das ist so meine eigene Empirie beim lesen.

Ich lese sowas immer gerne, die prägendsten Momente hast du einfach in Kindheit und Adoleszenz. Oder sagen wir das Gros dieser Momente. Wahrscheinlich, weil dir all diese Sachen, die das Leben so ausmachen, zum ersten Mal begegnen und entsprechend graben die sich am tiefsten ein.
Ja, ich auch. Ich habe beim Schreiben auch immer so ein Stephen King vibe gehabt, einfach weil Stand by me natürlich prägend für mich war, das war genau diese Zeit, in der ich Kind war, und das ist eben auch so der Sound, der sich für immer in meinem Hirn eingebrannt hat, und es sind glaube ich, universelle und ewige Themen, die mit diesem intensiven Gefühl zu tun haben, etwas das erste Mal zu machen; das bleibt.
Die Beschreibungen sind topp, die Gerüche und Geräusche, die Straße bis zum Supermarkt, alles in gewohnt rauem Stil mit den richtigen Details wie „das Gluckern aus den Rohren oder das Abpumpen der Waschmaschinen, die stundenlang liefen“ und „Draußen vermengte sich der Staub auf den Straßen zu einem feinen Schlick“.
Mann, danke dir. Manchmal übertreibe ich es mit den senorischen Eindrücken etwas, dann weiß ich nie, was ist zu viel und was zu wenig, denn ich denke, das ist es, was den Leser an enen Text klebt, die Sensorik, wenn ich einem Charaktere, der plastisch und tief ist, und der durch die Vermittlung von Sinneseindrücken plastisch und tief wurde, wenn du dem folgst, einfach weil es dich interessiert, wie sein nächster Schritt aussieht, ohne großen Plot oder Wendungen. Schön, wenn es für dich funktioniert.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

Wie alle deine Geschichten ist auch diese flüssig und anschaulich, mit Verständnis und Sympathie für die Protagonisten.
Mit Freude und Erinnerungsseufzer gelesen, vielen Dank.

Vielen Dank @Jutta Ouwens für deine Zeit und deinen Kommentar. Ja, den Keller gab es natürlich, der ist echt, und wir haben da auch geraucht als Kinder, aber glücklicherweise haben wir keine Leiche gesehen. Leider auch keine Göttin, aber was nicht ist, kann noch werden.

"ACHTUNG: LITERATUR!" -
Hallo Henry,

scheint mir in einem dezidierten Literaturforum nicht der schlechteste Gedanke zu sein.

Überhaupt nehme ich praktisch nie den Atem von Leuten wahr. In Geschichten liest man aber häufig, wie der Atem von Leuten angeblich riecht. Das scheint so ein literarisches Ding zu sein, um einen sensorischen Eindruck mehr unterzubringen und um Figuren "subtil" zu zeichnen.
Dann arbeitest du aber nicht mit Menschen oder nicht nah an Menschen. Ich arbeite ja sehr nah am Menschen und rieche da alles, ob ein Mensch sich nicht mehr wäscht oder ob er After Shave benutzt und ob er Suppe gegessen hat, und ich hab in fast 30 Jahren Berufsleben auch herausgefunden, wie die Haut von Menschen riecht, bevor sie in ein paar Monaten sterben werden. Du setzt subtil so in Anführungszeichen, als ob du das irgendwie ironisch belächelst oder das eigentlich gar nicht so sei und diese Praktik deiner Meinung nach das genaue Gegenteil bewirke. So, als ob du über den Dingen stehst und so von oben herab schaust und süffisant lächelst und denkst, jaja, so wollen die ihre Figuren subtil gestalten, diese kleinen Trottel, aber das funktioniert halt nicht. Das ist erstmal eine unsympathische, weil überhebliche und arrogante Position, aber du machst dir ja auch nicht die Mühe, das zu verstecken, deswegen mache ich mir die auch nicht, wenn ich das mal so ganz schroff anmerke. Sensorik ist ja ein Tool, was recht viele durchaus arrivierte Autoren verwenden und auch sehr bewusst einsetzen: Robert Olmstead, Rick Bass, Palahniuk, etc - alles irgendwie Faker, Literati, die eigentlich nichts drauf haben, weil ... ? Wenn man den Mund schon so weit aufreißt: Welches andere "literarische Ding" schlägst du dann vor, um Charaktere plastisch und subtil zu gestalten, ohne jetzt in eine mäandernde Meta-Diskussion um Literatur und/oder was sind arrivierte Autoren zu verfallen?

Auch andere Aspekte lese ich aus der Sicht von jemandem, der selbst mal ein Junge in diesem Alter war. Bei allem Reiz, den "richtige" Frauen da auf einen ausüben, bezweifle ich, dass man für einen sekundenlangen Anblick von einem Schatten seine Freizeit wirklich in ein Kellerloch verlegen würde.
Du bezweifelst das, andere nicht. Du sprichst ja dem gesamten Text mehr oder weniger seine Berechtigung ab, was ja vollkommen in Ordnung ist. Nur sollte man eben nicht von sich selbst auf andere schließen, jeder hat seine eigene Empirie. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es sensible Gemüter in diesem Alter gibt, die mehr in diese paar Sekunden interpretieren und für die das tatsächlich ein Geheimnis ist; Literatur ist immer eine Konstruktion, immer eine Erfindung, immer eine Gratwanderung. Ich jedenfalls möchte keine Bedienungsanleitungen schreiben oder "Autofiktion", sondern Texte, die von einem poetischen Realismus gespeist sind und einen Resonanzraum anbieten.

Das ist eine Begeisterung für Malzbier, die für mich nach dem Eindruck eines Kindergartenkindes klingt - nicht nach Jungs, die sich schon für Frauen interessieren beginnen.
Ich glaube auch, dass du den Text nicht richtig gelesen oder verstanden hast. Die Position des Erzählers ist doch eine rückwärtsgewandte, er erinnert sich, und die Imagination und Erinnerung funktioniert doch nicht linear, man erinnert sich doch an Dinge ganz anders; hier ist es ja so eine untergründige Wunderwelt im Bauch eines Gebäudes, in dem die Kinder leben, und so setzt sich auch dieser Text zusammen - aus Fragmenten einer Erinnerung, die sich gegenwärtig, nüchtern und realistisch anders anfühlen, aber eben in der nostaglischen Erinnerung zu etwas anderem werden, zu einem vielleicht verzerrten, langsameren, aufgeladenen Bild, in dem Dinge überhöht sind und alles leuchtender, farbiger, intensiver und anders ist. Das ist wie eine einfache Geschichte aus der Jugend, an die sich aber drei Leute anders erinnern und die dann immer mehr zu einer Legende wird, weil jeder noch ein explosives Detail hinzufügt, von dem man nachher nicht mehr weiß, ob sie wirklich so gewesen ist und das die Sache dann aber größer und wichtiger werden lässt, als sie eigentlich war. Erinnerung funktioniert für mich wie ein Traum, eher eine Mischung aus physischer und virtueller Welt, und wo man sich nie ganz sicher sein kann, was Wirklichkeit war.

Es wäre in meinen Augen realistischer, wenn sie "die Göttin" erst mal so beobachten, von der Strasse oder vom Fenster aus, und irgendwann feststellen, dass sie immer ungefähr zur selben Zeit erscheint. Das bringt sie dann auf die Idee, sie das nächste Mal vom Keller aus zu beobachten. Und als sie das zweite Mal unten warten, kommt sie dann nicht mehr.
Nein, du hast das falsch verstanden. Die rauchen dort zuerst in aller Heimlichkeit und sehen die Göttin aus purem Zufall. Hier in dem Text geht es ja im Grunde "eigentlich" um den Zufall; wie er das Leben verändern kann. Und das sind eben zwei Zufälle: einmal sehen sie diese Göttin, während sie rauchen, und dann passiert diese andere Sache mit der sterbenden Frau. Natürlich kann man sich jetzt hinstellen und sagen: DAS glaube ich nicht! Zwei Zufälle, nein! Nun, dann würde ich sagen, könnte man nach dem Lesen jeden ersten Satzes jeder Geschichte sagen: DAS glaube ich nicht, DAS muss mir bewiesen werden, DAS ist nicht wirklich passiert! Dann musst du eben nur noch Autobiografien lesen oder autofiktionale Texte und DANN kaufen, dass sich diese ganzen drogenverseuchten Gehirne wirklich GENAU an alles erinnern, wie es gewesen ist. Vielleicht ist es wirklich so, dass wir einfach sehr unterschiedliche Ansichten darüber haben, was Literatur ist und sein sollte.
Dass sie immer drei Zigaretten stibitzen, passt für mich auch nicht ins Setting, denn die halten dann vielleicht ne Viertelstunde - mit ner Wartepause dazwischen. So, wie sich die Story liest, verbringen sie aber Stunden da unten.
Nein, sie halten sich erst Stunden dort auf, nachdem sie die Göttin gesehen haben. Deswegen heißt der Text auch: Die Ankunft der Göttin. Denn das ist, worauf sie warten.

Sagen wir so: Ich denke, wir reden aneinander vorbei. Das ist wie mit deinem letzten Text, diesem Dammleck-Berlin-Ding, da ging es mir ähnlich, das ist für mich weder eine wirkliche Geschichte, noch hat das irgendetwas mit Literatur zu tun. Ich denke, das willst du auch gar nicht, du willst dich irgendwoanders einsortieren und du kannst das auch sicher mit hunderttausend Namen belegen, aber vielleicht begehen wir hier beide einen Fehler, indem wir die eigenen Erwartungen an die jeweiligen Texte des anderen anlegen. Das kann, fürchte ich, nicht zu einem fruchtbaren Dialog werden, weil wir nicht von unseren Positionen und Überzeugungen abrücken werden und deswegen die Kommunikation immer eine destruktive bleiben wird. Manchmal muss man das eben einfach akzeptieren. Die Frage ist, wann das Ganze redundant und energieraubend wird.

Gruss, Jimmy

 

Habe dich schon mal gefragt: Willst du Fans oder ein Meinungsspektrum?

Ist ein netter Versuch der Retourkutsche und schlägt im Grunde in die gleiche Kerbe, aber wenn du mal aufmerksam die Kommentare unter meinen Texten liest, wirst du sehen, wieviel Spektrum es da gibt, nämlich reichlich und von allem.
Auf jeden Hinweis reagierst du mit deiner Autorintention, deinen Überlegungen, mit anderen Autoren, mit Genres, mit anderen Lesern und whatever - so, als hättest du "it all figured out" und man darf hier nur noch ganz leise auf Wortklaubungsebene an deine Texte herantreten - und nicht mit einem eigenen Blick.
Ich glaube, du verwechselt da jemanden oder betreibst intensiv Projektion. In meinem Kommentar an dich habe ich grundsätzlich versucht zu erklären, wie ich einen (diesen!) Text schreibe und mit welcher Intention - wenn in einer Diskussion um einen Text nicht der Autor mit seiner Intention reagiert und sie versucht, darzulegen, wer und wann denn dann? Natürlich kann man sagen, wenn ein Text einmal verfasst ist, dann ist er frei und jeder interpretiert ihn, wie er möchte. Dagegen kann ich nichts sagen. Aber in einem Forum wo es um Textarbeit geht, darf ich doch noch darlegen, wie ich persönlich den Text sehe und wie und warum ich den verfasst habe, mit welchen Mitteln, Gedanken und in welcher Stimmung? Das sei mir doch erlaubt, oder nicht? Du scheinst einfach nur persönlich beleidigt zu sein, dass ich dir nicht sofort und unumwunden Recht gebe und das ich meinen Text insofern verteidige, dass ich die grundsätzlichen Parameter zu erklären versuche, die Genese, die Findung der Schaffung, das Leben und die Seele im Text. Du möchtest aber im Grunde eine Diskussion vom Zaun brechen, was Literatur wirklich ist und wie sie wirklich funktioniert, deiner Meinung nach. Du hast ja keinen gar eigenen Blick auf den Text, du entwickelst den auch gar nicht erst, du versuchst nicht den Text als solches zu verstehen, sondern du möchtest dem Text einfach deine Sicht überstülpen. Das ist für mich keine Textarbeit, sondern eine Grundsatzdiskussion, und daran habe ich, wie ich bereits mehrfach erwähnt habe, keinerlei Interesse. Es gibt da einfach kaum Schnittmenge zwischen uns, was ja auch vollkommen okay ist.
Ich weiss auch nicht, warum du immer Überheblichkeit witterst.
Weil es das meiner Meinung nach ist. Sieh es mir nach, aber ich nehme mir das gleiche Recht heraus wie du, ich interpretiere deinen Kommentar ganz einfach so. Du bringst jede Diskussion auf eine Meta-Ebene wo es dann nicht mehr konkret um etwas, sondern um ein diffuses Großes geht, um das Ganze: nein, DAS kann man machen, DAS kann man aber nicht machen, ist DAS Literatur? Du kritisierst ganz allgemein die Verwendung sensorischer Eindrücke in einem Text, weil diese deiner Meinung nach Marker für eben solche, eben literarische Texte sind, oder: anscheinend literarische Texte, weil das irgendwie doch nur eine Krücke ist, das sind dann deiner Meinung nach allenfalls Surrogate für Literatur, aber was ist dann die echte? Du hast auf meine ganz konkrete Frage, was du als Alternative vorschlägst, nicht geantwortet.

Sieh mal, ich bin am Text geblieben und habe dir am Text geantwortet. Ich habe dir Fragen gestellt und versucht, die Grundlagen dieser kleinen, kurzen Geschichte zu erläutern: Du reagierst mit einem persönlichen Angriff, der mit dem Text nichts mehr zu tun hat. Ich kann verstehen, wenn du ein persönliches Problem mit mir und meiner Art hast, das haben viele, aber es hat eben nichts mehr mit dem Text zu tun. Ich bin schon von ganz anderen Autoren wirklich auseinandergenommen worden, siehe Quinn etc, und das werde ich auch heute noch regelmässig, und es macht mir nichts aus, ich begrüße das sehr, weil eine konstruktive Kritik wirklich immer lohnend ist - aber eine konstruktive Kritik richtet sich meiner Meinung nach am Text aus, sie versucht zu verstehen, was der Text sein will, sie lässt sich auf die Persönlichkeit des Textes ein und versucht dann, das vermeintlich fehlende Element zu ergänzen, sie zu einem Ganzen zu machen. Bei dir habe ich das Gefühl, du möchtest jedoch andere von deiner Sicht überzeugen, bzw andere Autoren vorwerfen, was sie da tun, wäre im Grunde falsch - siehe Sensorik - ohne aber eine echte Alternative anzubieten, ohne einen Vorschlag zu machen. "Mir ist das zuviel Sensorik, weil ich dann immer denke, igitt, Literatur" - das sagst du, und das sind bei mir: Ich, ich, ich, ich oder Me, me, me, was da ankommt. Man kann hingehen und sagen: Ich sehe, du arbeitest sehr viel mit sensorischen Element. Vielleicht wäre es bei dieser Kürze besser, du würdest das reduzieren. Was meinst du? Wo willst du mit diesem Text eigentlich hin, was will er sein, was willst du, dass er ist.

Ich kann, wie ich nochmals gerne wiederhole, gut mit Dissens leben und umgehen. Nur habe ich keinerlei Lust und Interesse, bei jedem Kommentar von dir die gleiche Diskussion zu führen, das empfinde ich einfach als sinnlos und zeitraubend. Sieh es mir nach. Wenn du persönlichen Klärungsbedarf hast, dann gerne per PM, weil zum Text wirst du wahrscheinlich nicht mehr viel zu sagen haben, oder?

Gruss, Jimmy

 

Toleranz für andere Meinungen sieht für mich anders aus.
Ich toleriere jede Meinung. Ob ich die für mich allerdings auch akzeptieren muss, steht auf einem anderen Blatt. Ich habe dir ausführlich in den obigen Kommentaren dargelegt, warum ich in einigen Dingen eine andere habe als du. Das heißt nicht, richtig oder falsch, ich habe lediglich erläutert, warum ich zu welchen Schlussfolgerungen gekommen bin und wie diese im Text gelandet sind, warum dieser Text so geworden ist, wie er ist. Das ist eine eigene Empirie: MEINE Erfahrung lehrt mich, dass Gerüche sehr wohl vorhanden sind und diese in der Literatur auch wichtig sind, um einen Charakter zu erschaffen. Du siehst das anders. Okay. Ich habe dir lang und ausführlich dargelegt, wie ich diesen Text sehe und unter welchen Voraussetzungen ich den schreiben wollte, mit einer gewissen träumerischen Qualität. Darauf hast du überhaupt nicht reagiert. Du kannst den Text natürlich auch rundheraus ablehnen und nicht kaufen, das ist ja deine Sache. Und ich interpretiere auch nicht deine Persönlichkeit, sondern sage dir einfach, wie deine Kommentare bei mir ankommen. Es scheint mir da viel eher um dich selbst zu gehen als um einen anderen Text. Auch das ist vollkommen in Ordnung, nur musst du eben damit leben, dass es dir dann jemand sagt. Und auf meine konkreten Fragen bezüglich des Textes warte ich immer noch. Ich glaube, mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung und Kommunikation kannst du mir nicht vorwerfen.

 

Weil der Autor sich von Schemata löst und mich überrascht, mir etwas gibt, was ich noch nie gesehen oder gehört oder gedacht habe.
Wie gesagt, vielleicht suchen wir einfach etwas anderes. Ich suche in Literatur, die ich lese, nach einer Resonanz, das bedeutet, etwas von mir ist in diesem Text auch enthalten, sonst gibt es da keine Verbindung. Also suche ich ganz im Gegenteil eben nach mir bereits bekannten Emotionen, und wenn die Qualitiät dieser gut und überzeugend dargestellt ist, berührt mich der Text auch sehr wahrscheinlich, da gibt es eine Konnektivität. Ich habe noch nie verstanden, warum man zwanghaft nach etwas Neuem sucht, oder nach einer Überraschung, nach neuen Erkenntnissen - in erzählender Prosa. Dann lese ich vielleicht eher ein Sachbuch.
Da ist alles verbrannt, was es schon gab, da muss man Neues bringen, oder man zählt nicht.
Man zählt nicht. Ich glaube, wenn man das alles nach so einer kapitalistischen Logik begreift, in einer Konkkurrentsituation, dann ist das wohl so. Dann betrachten wir Literatur oder Kunst aus anderen Blickwinkeln.

So etwas langweilt mich.
Dann frage ich mich, warum du überhaupt kommentierst? Weil du eigentlich nur sagen möchtest, wie abgeschmackt und unoriginell du das hier alles findest? Wie lahm und altbacken? Wie wenig einmalig wir hier alle sind mit unseren vielleicht gut gemachten Texten die aber im Grunde alle nur Variationen ohne Aussage sind?
Soll jeder lesen und schreiben, was er will.
Nein, eigentlich sollen alle so schreiben wie du es willst.

Ja, Henry, ganz ehrlich: Du klingst in meinen Ohren wie ein Halbwüchsiger, der zuviel Ayn Rand gelesen hat. HEY, SORRY, nur meine Meinung!

Und ja, du hast Recht: Auf einen solchen Austausch habe auch ich keinen Bock. So long!

 

Ich denke daher, dass es ihnen und ihrer Kunst gut tut, sie zu provozieren und aus dieser Comfort Zone zu bringen. Noch kein herausragendes Werk wurde durch Lob und Zuspruch geschaffen.
Das siehst du also als deine Aufgabe hier? Ich lass das einfach mal so stehen, weil es an anmaßender Selbstherrlichkeit kaum zu überbieten ist. Im Grunde tust du mir mit einer solchen Selbstsicht aber wirklich leid. Sei's drum.

Ich würde vorschlagen, dass wir am Text bleiben. Alles andere ist offtopic.

 

Ich glaube, du überschätzt deine Wirkung gewaltig. In Rage bringst du hier sicherlich niemanden. Aber du verhinderst wertvolle Diskussionen, die sich nicht um genialische Texte sondern um das Erlernen von Handwerk drehen.

 

Hallo @jimmysalaryman

nach anfänglicher Sorge, dass da jetzt nicht viel mehr kommt als jugendlicher Voyeurismus verpackt in Nostalgie, hat mir deine Geschichte letztendlich gut gefallen. Angenehm zu lesende Sprache mit ein paar schönen und effektiven Bildern. Die psychologische bzw. durch das Universum induzierte "Bestrafung" (bzw. Entzauberung) der jugendlichen Begierde lässt natürlich an Sigmund und seine Schemata denken, aber gleichzeitig merkt man der Geschichte die persönliche, spezifische Ebene an. Der Bogen von Verzauberung hin zur Desillusionierung ist dir gut gelungen; die Entwicklung wirkt organisch, dem echten Leben nah in seiner Zufälligkeit und seinen scheinbar willkürlichen Kontrastierungen, die manchmal zu perfekt scheinen, um wahr zu sein, es aber dann doch oft sind.

Im Folgenden gehe ich auf ein paar spezifische Stellen ein, die für mich entweder nicht ganz funktioniert haben, oder die mir besonders gut gefallen haben.

der Klang der Verführung.
das finde ich hier zu deutlich ausformuliert. Show, don't tell, heißt es hier in diesem Forum ja so gerne.

Es ist eine seltsame Sache: Menschen, die nicht das Gefühl haben, beobachtet zu werden, verhalten sich so natürlich, so echt, dass man ein Stück ihrer Seele sieht, ein klein wenig mehr jener Wahrheit erfährt, die sie sich sonst nur selbst erzählen.

Mit dieser Beschreibung macht sich der Ich-Erzähler (wenn auch jung, bzw. auf die Jugend zurückblickend) in Sachen Konstitution des Menschen zu leicht, finde ich. Gibt es denn nur die eine Wahrheit, die wir uns erzählen? Wie viel kann man wirklich in einem solchen flüchtigen Moment von der anderen Person erkennen? Was bedeutet "echt"? (Später mit der "echten Frau" passt das Wort echt m.M.n deutlich besser als hier.) Das mit der Seele passt vielleicht zur romantisierenden Brille des Rückblicks, aber ist hier m.M.n. auch ein wenig dick aufgetragen.

Selbst wenn man diese Verallgemeinerungen/Simplifikationen der Erzählperspektive zuschreibt, funktioniert das nicht ganz, gerade weil ja in diesem Satz grammatikalisch wie inhaltlich deutlich der erwachsene, rückblickende Erzähler in Präsenz tritt, nicht sein vergangenes, naiveres Ich, an das er sich erinnert.

Die raucht auf Lunge, sagte Tasso leise.
Dieser Satz ist hier effektiv, wie ich finde. Gibt der Anbetung der Göttin (und der Göttin selbst) eine andere Ebene als nur die des feuchten Jugendtraums, welche bis zu diesem Satz dominant ist.
Sie war ein Engel.
Ich finde Engel funktioniert in Bezug auf ein Objekt der Begierde deutlich weniger als Göttin. Die Potenz der Göttin macht sie auch ohne Körper begehrbar, da funktioniert also die Dialektik zwischen Fleischlichkeit und Übernatürlichkeit gut. Bei einem Engel denke ich nur an Keuschheit. Womöglich ein Kontrast, den du absichtlich gesucht hast, um dem Voyeurismus eine weitere Ebene hinzuzufügen, aber bringt mich ein wenig aus der Perspektive der beiden Jungs raus, lässt sie plötzlich zu prä-pubertären Kindern wären, wohingegen im Rest des Textes die Pubertät in voller Blüte zu sein scheint.
Draußen vermengte sich der Staub auf den Straßen zu einem feinen Schlick, der den Asphalt benetzte, und aus der Kanalisation drang der typische, organische Gestank der “Dicken”, in den Rohren festgebackenen Klumpen aus altem Fett, Haaren und Scheiße.
'Schöne', atmosphärische Beschreibung mit effektiven Details.

eine schmale Sichel Sonnenlicht
Auch ein schönes Bild

sie war ganz nah, nur die Mauer trennte uns von ihr, und da war immer noch die Konservenbüchse, glitzernd und kompakt im Sonnenlicht, wie etwas, das fehl am Platz ist, das dort nicht hingehört.
Das hier sind die Art die Kontraste, die mir eher gefallen, die effektiv sind, die direkt etwas Weiteres hervorrufen, egal ob definierbar oder nicht.
Atmen, Atmen, Atem.
Hier war auch das dritte Wort als "Atmen" intendiert, oder?
Das ist Jahrzehnte her, Tasso ist jetzt verheiratet und hat Kinder, seine Frau ist schlank und schön und hat dunkle Haare, er hat seine eigene Göttin, sie sind nach Köln gezogen. Ich bin im Viertel geblieben, ich gehe jeden Tag über die gleichen Straßen, es hat sich viel verändert, doch manches bleibt so, wie es immer schon gewesen ist. Manchmal sitze ich da in meiner Wohnung und denke darüber nach, ihn anzurufen und ihn zu fragen, ob er sich noch an diesen Tag erinnert, an die rollende Konservenbüchse und die strahlende Sonne und dieses Gesicht, das vor uns seinen letzten Atemzug nahm, an diese Augen und an die echte, die wahre Göttin.
Auch wenn es natürlich immer heikel ist, einem Autor sein ausgewähltes Ende auszureden, finde ich, dass es diesen Absatz gar nicht mehr braucht.
Ich war nie wieder dort, in dem fast leeren Stauraum unter der Treppe. Nein, das stimmt nicht, ich war noch einmal da, ein paar Wochen später, und da lagen zwei platt getretene Kippenstummel auf dem Boden und das Fenster stand immer noch offen. Ich habe die Kippen aufgehoben und bevor ich das Fenster schloss … aber natürlich kam sie nicht, sie kam nie, wir haben vergeblich auf die Ankunft der Göttin gewartet.
Diesen Absatz als finalen fände ich stärker.

Liebe Grüße,
Paul

 

das finde ich hier zu deutlich ausformuliert. Show, don't tell, heißt es hier in diesem Forum ja so gerne.

Hallo,

und danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit.

Du hast natürlich Recht; show don't tell wird hier immer hoch und runtergebetet. Oft berechtigt, manchmal eben nicht. Ich weiß, was du hier meinst, es ist zu deutlich formuliert, weil man es als Leser sowieso erfährt, was da intendiert ist, wie diese Jungs das wahrnehmen. Ich werde das wahrscheinlich einfach kürzen.

Gibt es denn nur die eine Wahrheit, die wir uns erzählen? Wie viel kann man wirklich in einem solchen flüchtigen Moment von der anderen Person erkennen? Was bedeutet "echt"? (Später mit der "echten Frau" passt das Wort echt m.M.n deutlich besser als hier.) Das mit der Seele passt vielleicht zur romantisierenden Brille des Rückblicks, aber ist hier m.M.n. auch ein wenig dick aufgetragen.
Klingt fast schon etwas strukturalistisch, bzw dekonstruierend. Es geht ja nicht um eine Wahrheit, sondern das soll als Bild stehen. Aber wenn ich mir den jetzt so durchlese, in cold blood, klingt das in der Tat etwas verschwurbelt, meine Güte! Was ich sagen wollte: Wenn du jemanden beobachtest, der das nicht weiß, der kann nicht performern, der ist wirklich authentisch im eigentlichen Sinn; du kannst keine Reaktion, keine Geste, keine Mimik spielen dann, und das wirkt auf mich jedenfalls, oft sehr anziehend, sehr wahrhaftig, sehr echt - wenn man das mal sagen kann, auch wenn das halt abgeschmackt klingt. Wahrscheinlich meinte ich das auch mit Seele, weil das so ein besetzter Begriff ist kann das natürlich anders wirken, aber ich meinte das Unverstellte. Es gibt einen Film mit Monica Belluci, wo es auch um diese junge, jugendliche Sicht auf schöne Frauen geht, und da ist es genau anders herum, sie weiß, dass die Jungs ihr zusehen und führt im Grunde eine Art Schauspiel auf, das wird aber immer wieder mit solchen kurzen Fragmenten gebrochen, wo auch eine andere Seite gezeigt wird, die verletzlicher und menschlicher wirkt.

Selbst wenn man diese Verallgemeinerungen/Simplifikationen der Erzählperspektive zuschreibt, funktioniert das nicht ganz, gerade weil ja in diesem Satz grammatikalisch wie inhaltlich deutlich der erwachsene, rückblickende Erzähler in Präsenz tritt, nicht sein vergangenes, naiveres Ich, an das er sich erinnert.
Das ist interessant. Einfach mal den Rückschluss zum Erzähler und wie hier erzählt wird. Es gibt so eine Erzählhaltung, die sich für mich bei sämtlichen Coming of Age Sachen eingebrannt hat, und die funktioniert so wie bei Kings Stand by me. Das ist so das erste Beispiel einer distanzierteren, aber dennoch warmen Sicht auf die eigene Vergangenheit, die das aber auch austelllt, Stilmittel wie Ironie oder kurze Vorgriffe sind da Usus und werden gebraucht und benutzt, um die zeitliche Distanz zu markieren; ich bin älter, weiß man dann, aber damals war es so, der Erzähler offenbart sich dann eben als Erzähler. Ich glaube auch nicht, dass man sich an ein früheres Ich erinnern kann; man kann sich erinnern, an was man getan und vielleicht noch gedacht hat, aber die gleiche emotionale, psychologische Verfassung, ich weiß nicht, ob das möglich ist, ich glaube es nicht, aber ich lasse mich gerne eines besseren belehren. Die Frage, die da ja intendiert ist, ist ja auch; wer ist der Erzähler heute? Ist er der Gleiche geblieben, wie hat er sich entwickelt? Ein Dachdecker erzählt anders als ein Arzt, das sind ja Weichen, die irgendwo in der Zwischenzeit gestellt worden sind von denen wir hier nichts erfahren.
Ich finde Engel funktioniert in Bezug auf ein Objekt der Begierde deutlich weniger als Göttin.
Ich weiß sehr gut, was du meinst, aber ich denke, es ist eben nicht nur das, nicht nur ein reines Objekt der Begierde, da steckt noch was anderes dahinter, eine verklärende poetische Sicht auf Frauen, auch eine Überhöhung, deswegen auch Göttin. Das ist ja auch so ein wenig diese alte Sache drin, Hure oder Madonna, ein entweder/oder, ein sowohl als auch scheint es da selten zu geben. Insgesamt kann man sagen, würden die so sprechen und denken? Das haben einige andere Kommentatoren vor dir auch angemerkt und ich kann dir da keine Antwort drauf geben. Ein Freund von mir hat den Text gelesen und gesagt: Der Junge würde nicht davon träumen, diese Frau zu lecken, so weit ist der in seinem Kopf noch nicht. Dem ist die Sprache nicht aufgefallen, sondern eben diese konkrete sexuelle Handlung, diese Fantasie, die so sehr exakt ausgearbeitet ist. Ich finde es höchst interessant, wie unterschiedlich Leser das lesen. Und ich kann euch beiden Recht geben, Göttin und Engel, hätte oder habe ich das so konkrekt greifbar jemals als Jugendlicher gedacht? Vielleicht, ich weiß es nicht mehr. Es scheint mir nicht vollkommen aus der Welt gegriffen. Ich versuche ja sehr oft, möglichst realistisch zu bleiben, aber manchmal mag ich es eben auch, einen kleinen Schleier über die Wirklichkeit zu ziehen, es ein wenig surrealer oder träumerischer zu gestalten, weil ich nicht immer nur New Wave of British oder Free Cinema sehen mag, sondern auch mal was von Pasolini oder den poetischen Realisten, wo zwischen all dem spröden Beton eine kleine Rose blüht - wenn auch nur kurz!
Hier war auch das dritte Wort als "Atmen" intendiert, oder?
Nein, schon bewusst Atem, weil es der Atem ist, der ihr fehlt.

Auch wenn es natürlich immer heikel ist, einem Autor sein ausgewähltes Ende auszureden, finde ich, dass es diesen Absatz gar nicht mehr braucht.
Ist gar nicht heikel, ich mache das auch ständig, haha. Ich verstehe deinen Punkt vollkommen und würde dir auch Recht geben wollen: da sind ja zwei Möglichkeiten, einmal die du vorschlägst und dich sonst auch immer nehmen würde, nämlich einfach rausgehen, enden lassen, und dann diese wie hier, wo der Erzähler nochmal eine Art Revue passieren lässt, ein kurzes zusammenfassendes Fazit, wo auch der Erzähler selber eine Klammer drumpackt, als würde er sich das selbst erzählen oder wem anders; ich denke gerade, eigentlich funktioniert der Text wie die Off-Stimme beim Film, da würde man das auch machen vermutlich, oder eher: hat man gemacht, 80er Jahre, mir kommt direkt Auf den Straßen der Bronx in den Kopf, eine meiner Lieblingsfilme. Da ist es sogar so gelöst, dass der Erzähler, obwohl er älter ist, immer noch in seiner jugendlichen Stimme aus dem Off kommentiert und erzählt. Vielleicht bin ich auch durch diese ganzen filmischen Dinge schon so versaut, dass dies in mein Schreiben sich einmischt, das will ich nicht ausschließen. Und klar ist auch; natürlich ist der letzte Absatz auch ein kleiner, schmutziger, fast auch kitschiger Trick, auch ein wenig melodramatisch, aber ich lieben eben auch Dallas und Denver-Clan, das muss ich immer wieder sagen: Kitsch kann auch geil sein! Natürlich nur in meinen Texten. Nein, ich denke drüber nach, lass mich den Text mal bißchen sacken lassen, dann kann ich mir gut vorstellen, da nochmal zu variieren; hier und heute würde ich sagen und konstatieren, dass diese Klammer vom Erzähler eigentlich gut passt, weil es das Erzählte eben nicht so neutral als Block da stehen lässt, sondern auch auf die Kürze nochmal anders einsortiert, und ich denke, dieses Vintage-Feel kommt vielleicht genau daher, ich bin mir nicht sicher.

Paul, danke für deinen guten Kommentar!

Gruss, Jimmy

 

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