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Die Eiche des Pluto

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03.09.2022
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Anmerkungen zum Text

Eine Horror Kurzgeschichte im klassischen Stil.

Die Eiche des Pluto

30. September

Eine graue Wolkendecke lag über der Stadt. Seit zwei Wochen schon überdeckte sie den Himmel und dunkelte die Tage in unheilvoller Vorahnung ab. Die Menschen nahmen das Wetter machtlos hin, schalteten schon am frühen Nachmittag die Lichter an und drehten sich instinktiv von den Fenstern davon, während sie ihrem Alltag nachgingen. Der Herbst brachte einen starken, kalten Wind mit sich, um auch die letzten unbeholfenen Seelen in ihre Häuser zu jagen. Drohend pfiff er durch jede Öffnung, die ihm Einlass gebot. Viele begannen sich über Albträume zu beklagen, in denen sie im Wind rasselnde Blätter hörten. Manch ein Arzt scherzte mit seinen Kollegen über durch höheres Umweltbewusstsein hervorgerufene Schuldgefühle und vergaß dann seine Observationen mit einem letzten erhabenen Kichern.

Michael Ammer war gerade einmal fünf Jahre alt und daher ganz und gar in einer anderen Welt, die sich nur zufällig physisch mit denen der Erwachsenen um ihn herum überlappte. Trotz der Kälte verbrachte er gerne seine Zeit im Freien, solang man ihn nur ließ. Doch langsam wurde das Verlassen des Hauses für ihn eine Herausforderung. Seine Mutter hatte schon zwei Tage in Folge jegliches Spielen im Garten untersagt.

„Du holst dir den Tod Michael. Und ich mir wahrscheinlich auch, wenn ich auf dich aufpassen muss.“

Der Tod war kein Konzept, das er richtig verstehen hätte können. Das Wort seiner Mutter dafür umso mehr. Manchmal konnte man mit frommen Bitten und nassen Augen (nicht gespielt, sondern wie einen leichten Sommerregen nur schnell vorüberziehend) diese Worte ändern. Doch dem war diesmal nicht so. Deswegen blieb nur der sehnsüchtige Blick aus den großen Wohnzimmerfenstern, dem Fenster im Kinderzimmer und den schmalen Fenstern auf den Seiten der Haustür. Was sich draußen abspielte, faszinierte ihn mit jedem Tag mehr.

Das ewige Spiel der Herbstblätter im Wind zog ihn magisch an. Beim Betrachten dieser verlor er das bisschen Zeitgefühl, das er bis jetzt entwickelt hatte, während er den spielerischen Bewegungen folgte und wurde für gewöhnlich erst von der Ankunft seines Vaters, den Rufen seiner Mutter zum Essen oder dem Nähern seiner Katze wieder zu Sinnen gebracht.

Der Kater, Maowi (oder nur Maui für Michael), näherte sich ihm allerdings seit ein paar Tagen nicht mehr, wenn er vor einem der Fenster dem Tanz der Blätter verfolgte. Dass erste Mal als er sich purrend neben den Jungen setze um ihn um seine Aufmerksamkeit zu bitten flog ein kleiner Ast, nicht groß genug, um Schaden am Fenster anzurichten aber ausreichend, um einen lauten Knall zu verursachen, gegen das Wohnzimmerfenster. Michaels Mutter, im Halbschlaf auf der Couch hinter ihrem Sohn schreckte mit einem kleinen Kreischen auf. Daraufhin ergriff Maowi panisch die Flucht. Nur Michael sah in dem kurzen Intervall zwischen dem Aufprall des Astes und dem Erwachen seiner Mutter wie sich das Fell des Katers aufstellte und es offenkundig etwas durch das Fenster mit Tellergroßen Augen anvisierte. Was er auch immer dort sah, hat sich der Kater wohl in Erinnerung behalten und war somit eine Ablenkung weniger.

In den Träumen der letzten Tage hörte er das Rauschen des Windes und ein lautes Ächzen und Krachen. Eine Ansammlung von Blättern tanzten in einem perfekten Kreis um eine Steintafel in der Erde. Etwas warf einen Schatten darüber. Es….

„Michael! Aufwachen! Du kommst zu spät in den Kindergarten.“

Der Wind zog unentwegt laut durch die Stadt. Die Ampeln und Straßenschilder schwangen unüblich animiert hin und her. Der Wetterbericht versicherte, dass trotz der Böen keine Gefahr bestehe. Seine Mutter wollte, dass er ihr verspricht vorsichtig zu sein und auf das zu hören was man ihm sagt, bevor sie ihn in sein Klassenzimmer laufen ließ. Er nickte nur benommen und wartete ab, bis sie ihn losließ.

Der Tag begann normal und gelassen aber schon bald zeigte die unterschwellige Nervosität sich bei vielen der Kinder und verunsicherte auch die Erzieher. Eine besonders starke Böe die ihren Weg durch die Lüftungen gefunden hatte pfiff in einem ruhigen Moment ihre krumme Melodie. Eines der Mädchen, Leonie, begann daraufhin zu weinen. Die Angst in ihren Augen animierte einen der Jungen, Alexander, seiner Unruhe auf die gleiche Art Kund zu tun. Und in nur wenigen Momenten schnupfte und blubberte ein beachtlicher Teil des Zimmers. Die beiden Erzieherinnen taten ihr Bestes, um der ausbrechenden Panik Herr zu werden. Viele der verstörten Kinder versuchten von ihren eigenen Träumen zu erzählen und scheiterten daran. Manche konnten sich auch nicht an das geträumte erinnern, sondern wurden sich durch das Pfeifen irgendwie über einen Zusammenhang bewusst. Inmitten des Chaos dann trottete ein noch immer verträumter Michael auf eine der Erzieherinnen zu.

„Steffi, darf ich aufs Klo?“

„Ah, du Michael ich kann gerade nicht. Leonie, was ist denn los?“

„Musst nicht mitkommen. Ich kann alleine schon!“

„Tief durchatmen und dann kannst du mir erzählen was los ist. Bist du dir sicher Michael?“

„Ja!“

„Gut, in Ordnung.“

Michael entfernte sich von dem Weinen seiner Klassenkameraden. Er war froh etwas Abstand zu gewinnen denn auch ihn hatte der plötzliche Ausbruch an Trauer nervös gemacht. In der Stille des Ganges aber hörte er erneut das Ächzen und Krachen aus seinem Traum. Vor einem Jahr hatte er mit seinem Vater auf der Couch gesessen und einen Film über Piraten gesehen. Das Geräusch erinnerte ihn an das der Schiffe auf hoher See. Wie auch damals im Film beruhigte ihn das Krachen. Der Druck auf seiner Blase war vergessen und er folgte dem Ursprung des Getöses.

Am Ende des Ganges, nur ein paar Meter entfernt von der Toilette, führte eine Tür in den kleinen Innenhof des Kindergartens. Es kam von dem kleinen Spielplatz im Innenhof. Michael blickte durch die Glastür und sah erneut das Tanzen der Blätter. Plötzlich vernahm er eine Stimme. Leise summte sie eine Melodie. Er begann sich gegen die Tür zu drücken, um besser hören zu können.

Die Tür öffnete sich wie von selbst und er stolperte die ersten zwei Schritte nach draußen.

Das Singen kam nun von überall um ihn herum. Eine traurige, aber schöne Melodie untermalt von dem tiefen Ächzen und Krachen. Michael wanderte durch einen Tunnel aus Blättern, die sich im Wind drehten. Dieser führte ihn vorbei an den Klettergerüsten und Schaukeln. Vorbei am Sandkasten und den Bänken. Direkt an den hintersten Punkt des Innenhofes, wo sich zwei Wände kreuzten. Die eine Wand gehörte zum Kindergarten. Glatt, gelb bestrichen, geziert von einem weißen Streifen in der Mitte. Die andere Wand bestand aus alten Steinen. Sie war größtenteils mit Moos bedeckt. Nur an manchen Stellen sah man noch Reste von altem Beton der beteuerte das man diese Wand nicht nur durch das Übereinanderstapeln der Steine aufgezogen hatte.

Michael erreichte den Platz, an dem sich die Wände kreuzten. Dort lag eines der vielen gefallenen Blätter. Dieses war allerdings nicht braun, sondern rot. Er griff danach. Es war kalt und glitschig. Benommen betrachtete er das Blatt. Venenartige Stränge zogen sich durch die hauchdünne Membran. Es war einmal so lebendig wie er und seine Mutter. Und Maowi. Doch jetzt in seiner Hand war es wie ein totes Stück Fleisch. Geschockt ließ er es aus seiner Hand gleiten. Der Nebel, der sich in seinen Gedanken Platz gemacht hatte, löste sich so plötzlich wie er gekommen war.

Doch, bevor der Junge reagieren konnte, schlang sich etwas um sein linkes Bein und griff zu. So fest, dass das Schienbein fast augenblicklich in zwei gebrochen wurde und Blut aus seinen zerstörten Arterien schoss und in einer feinen roten Linie gegen die Seite der Kindergartenmauer spritzte. Bevor ihm ein Schrei entkommen konnte, wurde er hinab gezogen, beide Arme und das andere Bein brachen ebenso schnell wie das linke und seine Lunge füllte sich mit nasser Erde.

Michaels Verschwinden wurde nur mehrere Minuten später bemerkt. Der Spritzer Blut an der Mauer trocknete und wurde nach mehreren Tagen unerkennbar. Niemand hatte sich in dieser Zeit dem Eck des Hinterhofes genähert.

15. Oktober

Der kälteste Oktober seit Beginn der Wettermessungen berichteten die Zeitungen, Radiostationen und der lokale Fernsehsender. Unausgesprochene Hoffnungen auf einen Altweibersommer und den ersehnten Strahlen der Sonne blieben aus. Am Anfang des Monats noch herrschte immerhin für fast die gesamte Woche Windstille. Dann begann es unaufhörlich für über eine Woche zu regnen. Spontane Gefühlsausbrüche nahmen zu. Auf den örtlichen Stammtischen schrieb man es der Hysterie der Frauen zu. Die Männer weinten in solchen Fällen einfach heimlich oder wurden von ihren Ehefrauen und Freundinnen entdeckt und wortlos in Schutz genommen.

Am ersten Abend nach dem Regen, kurz nach Sonnenuntergang, sprintete Andreas Pricht in die harsche Kälte. Restwärme verdampfte von seinem Körper und bildete für die ersten Momente eine schützende Aura um ihn. Ein eisiger Windhauch schob ihn wie eine riesige Hand im Rücken voran und blies den Rest der Wärme von ihm. Als er über die noch nassen Pflastersteine im Halbschatten der Straßenlaternen vor sich hin hetze, attackierte sein Verstand mit der gleichen erbarmungslosen Vitalität den Kern seiner Frustration. Mentaler Druck baute sich schnell auf. Entladen wurde er plötzlich durch einen gekonnten Tritt gegen das nächste Straßenschild. Ein hohes metallenes Ringen und tongabelartige Schwingungen waren die Resonanz.

„Was habe ich mit diesem Scheißkind zu tun? Warum spinnt sie gerade jetzt?“

Er dachte sie hatten sich beide auf heute Nacht gefreut. Ihr war so wichtig, dass es etwas ganz besonderes wird. Und dann verschwindet in dieser Stadt, in der jedes Jahr so viele verschwinden, ein Kind. Natürlich war das Kind Teil von Steffies Klasse. Sein Glück als sie völlig aufgelöst zu ihm kam vor nicht ganz zwei Wochen und sich ihm mit der völlig falschen Art von Motivation in seine Arme warf. Aber da hatte er es noch verstanden. Man baut wohl zu allem eine Bindung auf, wenn man lange genug damit Zeit verbringt.

Ihn persönlich würden keine zehn Pferde in die Nähe von Kindern bringen. Neben der Tatsache das er als Mann prädestiniert dafür ist der Sündenbock zu sein, wenn es einem der Rotzer schlecht geht, ist da natürlich noch der simple Fakt das Kinder nur Probleme machen. Können nichts, taugen nichts. Machen alles kaputt, sind laut und nicht stubenrein. Jeder Hund ist schneller erzogen und einfacher zu halten, wenn man schon auf etwas aufpassen will das sich nicht um sich selbst kümmern kann.

Und so hatte er sich geduldig ihre Ängste und Albträume angehört. Die Ideen, alle nur halb ausgesprochen, was wohl mit dem armen Jungen passiert ist. Wie schnell das Ganze passiert war. Keine fünf Minuten ohne Aufsicht. Zuerst waren es Entführer die sicher bald ihre Forderungen stellten. Dann, als klar wurde das die armen Trottel, die sich die Eltern von dem Balg schimpften, sowieso nicht genug Geld hätten war es plötzlich doch Menschenhandel. Die haben sich den einfach geschnappt als er zu nah an der Tür stand und sind dann nach Rumänien mit ihm gebraust (aus irgendeinem Grund war Steffi davon überzeugt das es Rumänien sein musste). Oder vielleicht doch ein skrupelloser, pädophiler Sadist der den Kleinen gerade in einem Keller wie eine Trophäe an die Wand gehangen hatte? Manchmal war er sich nicht sicher, ob es nicht doch mehr als nur der Schock und die Schuldgefühle waren, die diese morbide Kuriosität seiner Freundin zutage führten. Nach ein paar solcher Gespräche hörte er ihr nur noch genug zu, um sich nicht als unaufmerksam erwischen zu lassen.

Seine Libido spielte mittlerweile verrückt, ließ ihn aufgekratzt und unkonzentriert zurück. Das ihn sein Trainer im SV auch noch ständig dafür anschnauzte das er nicht ganz da war machte die Situation nicht sehr viel besser. So aufgeheizt war es kein Wunder, das es im letzten Spiel dann zu einer kleinen Auseinandersetzung mit dem gegnerischen Team kam. Fußball ist ein harter Sport und da wird gegrätscht und das hatte er eben tun müssen damit seine Mannschaft die Kontrolle über den Ball zurückbekommt. Was sind schon zwei Zähne? Wie hätte er wissen können das dieser Trottel in der anderen Mannschaft mit dem Gesicht zuerst blocken würde? Welche Rolle hat es dabei gespielt das der Bastard ihn, leise und feige hinter seinem Rücken, einen Hurensohn genannt hatte kurz davor? Keine! Jeder verdächtigte ihn, weil er den Mut hatte ihn laut auf seine hinterlistigen Beleidigungen anzusprechen.

Ein kleiner Haufen gelber Plastiksäcke wurde das nächste Opfer seiner Wut. Unbemerkt auf der leeren Straße flogen die Säcke quer über den Asphalt und bluteten dabei ihren Inhalt über den gegenüberliegenden Gehweg.

Und dann hat sich Steffi ihm gegenüber plötzlich bekömmlicher gezeigt. Sich an ihn angeschmiegt. Beruhigende Worte und ermunternder Körperkontakt auf der Couch am Abend seiner Roten Karte. Sie waren schon fast bei der Sache gewesen, sie halb auf ihm liegend, ihre zierlichen Beine rankten sich um seine rechte Körperhälfte. Ihr Atem roch nach Minze, mit einem bisschen des Teers der Zigaretten die sie gerne, weg von den Augen ihrer Eltern, rauchte. Zärtlich trennte er sich von ihr, und sah ihr tief in die Augen, eine Hand auf ihrem Oberschenkel. Behutsam presste er ihre Schultern und zog sich etwas nach oben, um auf einer Augenhöhe mit ihr zu sein.

„Heute doch?“

Dein Fehler erwiderte eine kalte, frustrierte Stimme in ihm. Wieso hat er sich dazu hinreißen lassen? Anstatt zu versuchen es im Eifer des Gefechts geschehen zu lassen, ließ er ihr die Wahl. In diesem Moment war es das natürlichste der Welt für ihn. Ein Blick in ihre nassen Augen, die Verunsicherung darin im Angesicht des Momentes waren eine klare Antwort. Schnell hatte er sich von ihr davon gedreht damit sie ihm den Ärger nicht zu sehr ansehen konnte. Nach ein paar Minuten, in denen nur gelegentlich ihr leises Schniefen und sein etwas lauteres Schnaufen zu hören war hatte sie ihren Kopf zwischen seine Schulterblätter gelegt.

„A-an deinem Geburtstag.“

Du hast dich umgedreht, damit sie nicht sieht, wie du fast das Weinen angefangen hast, konterte die Stimme gehässig. Andreas verneinte, indem er einen weiteren Plastiksack davon fegte, der mit einem nassen Klatschen gegen einen Zaun flog. Ein Hund begann zu bellen. In dem Haus hinter dem Zaun flackerten Lichter auf. Sie badeten sein kaltes Gesicht in warmes Licht, legten seine Emotionen offen für die Welt.

„He!“

Andreas sprintete weiter durch die nächtlichen Straßen davon.

Noch eine weitere Woche warten. Auf seinen Geburtstag. Gute Miene zum bösen Spiel. Die Monotonie seiner Ausbildung. Erniedrigtes Masturbieren. Falsche Hoffnungen. Und heute der große Tag. Erneut hat er es in ihren Augen gesehen, als sie auf der anderen Seite seiner Haustür gestanden hatte, um ihm zu gratulieren. An diesem Abend dann die Erfüllung seiner Ängste als Steffi sich von ihm davon drehte. Diesmal gewann sein Ärger und er verlor die Beherrschung. Die Angst, die von ihrem zitternden Körper ausstrahlte, als sie ihn zum ersten Mal für Voll nehmen musste. Als er sie an ihr Versprechen erinnerte. Sein Recht einforderte. Er konnte nicht ohne sie. Und sie wollte ihn nicht. Die innere Stimme spottete.

Erst als seine Schläfen zu pochen begannen und seine Waden drohten zu verkrampfen blieb er stehen. Mit den Händen auf den Knien und dem Rücken an einer kalten grauen Steinmauer gelehnt schnappte er nach Luft.

In der Stille der Nacht hörte er das Stöhnen einer Frau. Nein, von zwei Frauen. Irritiert drehte er sich suchend umher. Auf der anderen Seite der schmalen Straße brannte ein Licht im Fenster. Und wieder tönten deutlich, die Stimmen zu ihm herüber. Gekicher, geflüsterte Zärtlichkeiten oder vielleicht auch nur lüsternes Geplapper. Und stöhnen. Sehr viel davon fiel ihm auf als er sich unbewusst ein wenig auf die Zehenspitzen stellte und die Luft anhielt, um vielleicht ein Detail aufschnappen zu können. Aber so weit nach oben konnte er sich nicht strecken.

Ein grausamer Scherz auf seine Kosten spielte sich hier ab. Andreas mochte es kein bisschen. Das Stöhnen hörte sich mit jedem Moment mehr wie ein hämisches Lachen für ihn an. Wie konnten diese…Lesben so schamlos an die Sache gehen. Es einfach jeden wissen lassen. Obwohl er schon so lange hier stand, dass die Spitzen seiner Finger taub wurden, schienen sie sich noch immer nur aufzuwärmen. Beständig begann die Erektion in seiner Hose zu wachsen. Die Spannung, die dabei entstand, war mehr erregend als schmerzhaft. Doch nicht weniger erniedrigend.

Wenn er doch nur einen Weg hätte dabei zusehen zu können. Beherzt ging er in die Knie und sprang so hoch wie es ihm seine erschöpften Muskeln erlaubten. Wieder und wieder versuchte er am höchsten Punkt einen Höhepunkt zu erspähen. Doch das einzige schmutzige das er zu sehen bekam, war der marode Fensterrahmen, bevor er mit einem lauten Knacken in seinen Knien landete und dabei fast das Gleichgewicht auf dem glatten Bürgersteig verlor. Unbemerkt und unbefriedigt klammerte er sich an die Wand hinter ihm, um nicht umzufallen. Das niemand das peinliche Spektakel sah war irrelevant. Sein Stolz war verletzt. Seine Wut hatte ein neues Ziel.

„Oh, ihr scheiß Fotzen!“ zischte er durch geknirschte Zähne hindurch.

Frenetisch suchte er nach einem Weg nach oben und machte erneut einen Schritt zurück an die Wand hinter ihm, den Blick noch immer auf das Fenster gegenüber gerichtet. Dabei streifte er mit seinem Rücken etwas Massives, das vor der Wand hing. Nur für einen Moment bei seiner ersten Berührung mit dem Ding war ihm so, als ob es sich hinter seinem Rücken winden würde, und mit einem kleinen Schrei drehte er sich um damit er einen Blick auf das Tier (eine Schlange?) werfen konnte, bevor sich Fangzähne in seinen Arm bohren konnten.

Was er aber stattdessen sah war ein Ast – nein korrigierte er sich – eher ein Teil des Stammes eines Baumes, der über die alte Steinmauer gewachsen war, an die er sich gelehnt hatte. Geschwür war das Wort, das er mit dem Auswuchs in Verbindung brachte. Ein Gefühl des Ekels folgte der Assoziation. Dieser war für eine Sekunde so stark, dass er fast seine Beherrschung zurückgewann. Seine Gedanken wanderten zurück zu Steffi. Wenn er jetzt noch zurück ging, sich entschuldigte. Vielleicht konnten sie die Sache vergessen und würden einfach den Abend miteinander verbringen.

Das stöhnende Lachen brachte die pulsierende Erektion und seinen Ärger zurück. Er konnte die Sache nicht vergessen. Er wollte sein Recht haben. Und er würde Kompensation dafür bekommen! Mit grimmer Freude sah er in dem Stamm jetzt nur noch eine Leiter zu seiner Befriedigung und er begann sich daran langsam nach oben zu ziehen. Dennoch bereitete ihm die Berührung damit ein tiefes Urgefühl des Ekels.

Gleichzeitig begannen seine Gedanken zu wandern. Er verlor sich immer tiefer in seine lächerlichen Fantasien während er langsam an den Baum geklammert versuchte sich nach oben zu ziehen.

Ein teuer eingerichtetes Schlafzimmer? Nein, ein ganz schlichtes wird es sein. Viel Platz für mehr als ein Bett und einen Kleiderschrank wird nicht vorhanden sein. Auf dem mit einem ebenso schlichten weißen Bettbezug wird es dann zur Sache gehen, ja. Sie liegt damit schwarzen – nein, blonden! – Haaren und rot lackierten Fingernägeln und ebenso blutroten Lippen. Tiefer Liedschatten, tiefere dunkelbraune Augen in denen man sich für immer verlieren kann. Und sie lässt es sich besorgen von einer mit feuerroten Haaren. Sommersprossen. Überall, wo es gut aussieht.

Inzwischen war er halb auf der Krone angekommen. Immer wieder streckten sich ihm kleinere Äste wie helfende Hände entgegen und nahmen den Druck von seinen sich langsam verkrampfenden Oberschenkeln, so dass er es trotz seiner Erschöpfung schaffte weiter emporzuklettern. Das erotische Spiel war nun noch lauter und deutlicher zu hören. Als wäre es direkt in seinem Kopf. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. In seinem Verstand wirbelten erotische Bilder und verzerrten und änderten sich in andere ebenso erregende Visionen im Sekundentakt.

Seine Hände bluteten an mehreren Stellen, an denen die raue Borke seine trockene Haut aufgerissen hatte. Seine Beine, noch immer nicht wieder kräftig genug nach der ersten Etappe verkrampften sich fast augenblicklich als er wieder sein Gewicht auf sie verlagern wollte. Der potente Mix aus Wahn und Erregung verhinderten, dass er lockerließ und auf die Straße fiel. Voller Adrenalin hievte er sich das letzte Stück nach oben. Andreas schob sich auf die Baumkrone, die auf gleicher Höhe mit der alten Mauer lag.

Eine tiefe innere Stimme dröhnte obszöne Aufrufe. Sie war ein bisschen wie seine eigene innere Stimme. Aber dunkler. Fremder. Stärker. Unaufhörlich zog sie ihn das letzte Stück voran:

Sie lecken sich und fingerten sich aber egal was sie machen sie brauchen einen SCHWANZ, um tatsächlich wirklich zu kommen. Ein richtig harter Schwanz. Und wer steht dann gegenüber dem Fenster nur einen kleinen SPRUNG entfernt? Genau! GENAU! Dann endlich Erleichterung. ENDLICH BEFRIEDIGUNG!

Er erhob sich, um einen Blick auf seine Belohnung zu werfen. Ein Bein auf der Mauer, ein Bein auf der Krone des alten Baumes gesetzt holte er noch einmal tief Luft und warf den Kopf zurück. Der Mond über ihm war voll und in krankes gelbes Licht gehüllt. Etwas in ihm schrie zum ersten Mal über die finstere innere Stimme seiner Gelüste. Sein Blick wanderte zum Fenster gegenüber.

Ein karger Raum, aber kein Schlafzimmer. Beleuchtet aber ohne eine einzige Person. Als ihn die Realität, wie einer außer Kontrolle geratener LKW traf, fiel ihm auf, dass er noch immer die Stimmen hören konnte. So hoch über der Straße war klar, dass sie nicht von der anderen Straßenseite kamen. Er konnte sie hinter sich hören. Nein! Hinter sich spüren, und in seinem Kopf hören!

Andreas sah nach hinten und blickte auf dem Friedhof auf der anderen Seite der Mauer. Und es waren nicht (nur) weibliche Stimmen. Viele Stimmen. Mann und Frau. Jung und Alt. Gesund und krank. (tot tot). Sie stöhnten nicht vor Lust, sondern Leid. Sie kicherten tatsächlich aus Häme. Und alle begannen sie nun langsam nach ihm zu rufen. Seine Haare hatten sich aufgestellt. Er spürte mit einem Mal die Erschöpfung seines Körpers. Seine Knie gaben nach und er verlor das Gleichgewicht.

Sein letzter Gedanke, bevor eine Ranke um seinen linken Knöchel schlängelte und ihn problemlos zertrümmerte, galt dem Streit mit seiner Freundin. Hätte er doch nur sagen können, wie einsam, wie schwach, er sich manchmal fühlte.

30. Oktober

In zweiten Oktoberhälfte begann sich täglich dichter Nebel zu bilden, der bis in den späten Nachmittag hinein andauerte. Die Sichtbarkeit wurde dadurch so stark reduziert, dass es vermehrt zu Verkehrsunfällen kam. In dieser Zeit sprossen Straßenkreuze wie Pilze aus dem Boden. Etwas schreckliches stand bevor. Trauer wich Verzweiflung und so kam es zu einer bis dato nie veröffentlichten Zunahme von Suiziden. Ohne Absprache einigte man sich nicht auszusprechen was alle zu fühlen schienen. Es nicht zu erwähnen war der letzte Versuch es zu unterdrücken, und es so zu überwinden.

Jedes Mal, wenn ihn seine Rückenschmerzen so sehr plagten, dass er sich kaum noch bewegen wollte, musste Georg Krämer an die alte Schuppentür denken. Diese hatten sie an seinem ersten Arbeitstag installiert. Die Tür wirkte sehr robust, und war dies auch. Wahrscheinlich stabiler noch als seine eigene Haustür, da der damalige Friedhofswärter Willie Tick zu dem unüblich hochwertigen Sicherheitsschloss auch noch 3 massive Stahlstreben an die Tür anbringen ließ.

„Na wollen wir doch mal sehen, wie diese Bengel da jetzt noch an meine Geräte kommen wollen!“ war seine stolze Kampfansage als sie die massive Tür an den noch immer alten, maroden Schuppen angebracht hatten. Nervös und gewillt seine Teilzeitstelle so lange zu behalten, wie sie sich lohnte, hatte er nur wortlos mit einem Nicken bejaht. Georg war in seiner ganzen Zeit mit Willie als sein Vorgesetzter bis auf wenige Male, nie einer Meinung gewesen (und hatte damit auch so oft Recht) außer an diesem Tag und mit dieser Tür. Sie wirkte als wäre sie für immer.

Für immer waren 50 Jahre. Das hatte er davon, dass er einer Meinung mit Willie war.

In dieser Zeit hatte die Tür sich durch die Witterung immer mehr verkrümmt, die Eisenbände waren nun rostbraun anstatt eines dunklen Grau und das Schloss hatte Georg nun schon so oft ersetzt über die Jahre, dass er das Zählen aufgehört hatte. Mit seinen Schmerzen dachte er immer an das laute Knarzen der alten Schuppentür und fand, dass er eigentlich auch so klingen müsste. Denn genau wie die Tür würde auch er ab nächster Woche ausgetauscht werden.

Er sollte froh sein. Die lang ersehnte Rente. Georg hatte seine Gründe, warum er alles andere als froh war. Gründe die er in so vielen Jahrzehnten nicht zu denken gewagt hatte. Und nun unweigerlich damit konfrontiert war, als er aus dem Hinterfenster der kleinen Kapelle auf die Gräber des kleinen Friedhofes blickte.

Wieder wanderten seine Gedanken zu seinem ersten Arbeitstag. Die Tür war installiert. Die eigentliche Arbeit hatte begonnen. Seine Schuppkarre war gefüllt mit frischer Erde, die er auf die Westseite bringen sollte.

Als er es das erste Mal sah, war er sich nicht sicher, ob er irgendwo auf dem Weg in Ohnmacht gefallen war und gerade träumte. So etwas hätte er doch schon vorher bemerken müssen. Die Karre fiel mit einem dumpfen Krachen zu Boden. Er war sich nicht sicher, ob er sich bewegen konnte ohne…aber es ist doch trotzdem nur ein…es ist definitiv-

„He Schorsch! Auf der anderen Seite gibt’s auch was zu machen. Geh lieber da hin.“

Willies Hand landete auf seiner Schulter. Der Schock riss ihn aus seiner Starre. Der Blick in den grauen Augen des alten Wärters verriet ihm das was er dort sah auch wirklich ist. Dass es sich nicht nur um eine wilde, angstgesteuerte Fantasie handelte. Das Mitleid, das ihm der sonst so grobe Mann hier zeigte, machte alles nur noch greifbarer. Der stammelte unverständlich, wollte langsam den Finger zeigend entgegenstrecken. Doch, bevor er etwas sagen oder tun konnte, gab ihm Willie einen kräftigen Schubser in die entgegengesetzte Richtung.

„Die Ostseite braucht auch etwas frische Erde. Hab den Haufen schon neben die Gräber verteilt. Mach da weiter.“

Mit dem Ding im Rücken rannte er damals auf die andere Seite des Friedhofes. Dort blieb er auch für den Rest des Tages. Georg konnte den alten Willie doch damit nicht allein lassen. Doch ihm helfen konnte er genau so wenig. Sein Pflichtgefühl ließ ihn seine Arbeit bis in den späten Abend fortsetzen. Als Willie ihm gegen Sonnenuntergang unversehrt und in seinem watschelnden Gang entgegenkam, atmete er sichtlich auf. Der alte Wärter schenkte der Ostseite keine Beachtung, warf einen kurzen Blick in seine Augen, schnaufte.

„Ordentlich gemacht. Ich lad dich auf eine Halbe ein. Was sagst?“

Zehn Minuten später, an einem Tisch in der Ecke des Wirtshauses tranken beide schweigend ihr Bier. Jetzt da sie endlich den alten Mauern des Friedhofes entflohen waren, fühlte sich Georg sichtlich besser. Ihm war klar, dass Willie noch immer abzuwägen schien was er nun, da er es gesehen hatte, mit ihm tun sollte. Hätte sich Georg getraut seine ehrliche Meinung preis zu geben, dann hätte er vorgeschlagen nie wieder über den Baum zu sprechen.

„Wusstest du das dieser Friedhof der Älteste der Stadt ist?“ warf Willie ein. „In dem kleinen Büro neben dem Pfarrhaus gibt es ein ganzes Regal nur mit dokumentierten Bestattungen. Wenn man weit genug zurück geht, sind die noch nicht einmal mehr in Deutsch geschrieben. Warum sich die noch kein Museum holen wollte, weiß ich nicht. Scheint niemanden zu interessieren. Und schlafende Hunde…“

Seine Hände waren um den Bierkrug geklammert. Er blickte aus dem Fenster neben ihm. Die Straßen waren in ein dunkles Blau getaucht. Der zunehmende Mond stand gelb am Firmament. „Sollten sie dann nicht etwas sagen? Vielleicht steht ja in den Büchern etwas…“

„Ich glaube das ändert nichts. Manche Dinge…manche Dinge sind wie das Wetter, Georg. Vor dem Wetter geht man in Deckung, sucht Schutz…und wartet ab, bis es besser wird.“

Georg wandte sich vom Fenster ab und zum zweiten Mal an diesem Tag, kreuzten sich die Blicke der beiden. Dann hob er sein Bier Willie entgegen. Beide Krüge klickten zusammen. Nun wirkte der alte Wärter sichtlich erleichtert. An diesem Abend sprach keiner mehr ein Wort.

Auch jetzt, 50 Jahre später, wunderte es Georg noch, wie einfach es war den Baum zu ignorieren. Er wanderte weiter durch die kleine, schmucklose Kapelle und betrat das Häuschen daneben durch eine anliegende Tür. Er nahm seinen gewohnten Platz in seinem kleinen Büro ein und studierte ihn wie immer aus der Ferne. Die groteske Erscheinung nahm die westliche Ecke des Hofes komplett ein. Der nächstgelegene Grabstein stand 20 Meter zu jeder Seite und brach damit die Reihen der eng aneinander stehenden Gräber auf der kleinen Bestattungsfläche.

Der alte Mann versank erneut in Gedanken und Erinnerungen.

Über die Jahre hatte er ein Interesse in Dendrologie entwickelt. Nachdem sein Lehramtsstudium sich als zu überwältigend herausgestellt hatte und aus einer Teilzeitstelle auf dem Friedhof eine Vollzeitstelle wurde, entwickelte er oft schnelle, leidenschaftliche intellektuelle Interessensgebiete. Leider führten seine Fortschritte in der Kunde von Bäumen (und seinen vielen anderen intellektuellen Ausflügen) nie irgendwo hin und waren deswegen größtenteils nutzlos. So konnte er auch nie eine finale Entscheidung über die Baumart treffen. Man könnte den Baum als eine Eiche benennen, entschied er für sich nach seinem ersten Jahrzehnt auf dem Friedhof.

„Die Eiche“ stand, seit er sie das erste Mal gesehen hatte nie in Blüte, war aber in den Herbstmonaten immer von Blättern umgeben, die wie ein Bannkreis um den Baum herum lagen. Die kahlen, verrenkten Äste ragten das ganze Jahr über in alle Richtungen. In Paaren sprossen sie aus dem Stamm, zeigten parallel gen Himmel, öffneten sich nach links und rechts zum Boden oder überkreuzten sich schützend. Der Stamm selbst neigte sich in seiner Mitte kränklich nach unten. Georg sah seit jeher einen Greis, vornübergebeugt. Zugleich betend, bittend und verneinend.

Niemand kam ihr näher. Niemand sah sie, wo sie stand. Nahm man sich die Zeit konnte man Eichhörnchen beobachten, die sich vorsichtig im Schatten der Mauern entlang bewegten, bis sie in unmittelbarer Nähe zur Eiche, ohne zu zögern plötzlich in einem rechten Winkel ins grelle Licht zwischen die Gräber hechteten. Hatten sie den Baum dann passiert, schienen sie sich wieder daran zu erinnern wie viel sicherer sie entlang der Wand wären. Spaziergänger und Trauergäste zugleich mieden die westliche Ecke, wenn sie durch den Friedhof schlenderten.

Wenn die Stadtverwaltung es so wünschte, und die nötige Zeit verstrichen war und Angehörige die Kosten nicht mehr bezahlen wollten oder konnten, wurden alte Grabplätze wieder zu neuen Gräbern. In Städten war die Not für Ruhestätten oft groß. Der kleine, malerische Friedhof war ein beliebter, und darum auch sehr begehrter Ort. Niemand hatte jemals die westliche Ecke des Friedhofes für neue Gräber vorgeschlagen. Natürlich hatte Willie nie selbst die Idee vorgebracht. Georg hatte diese Tradition die ganzen Jahre beibehalten. Die Gräber unmittelbar um die Eiche waren alt und verfallen. Eines der letzten dort hatte noch Willie gegraben. Eine Bestattung für einen Unbekannten Mann ohne Angehörige oder Freunde

Die Welt interagierte nicht mit dem Baum. Der Baum interagierte nicht mit der Welt. Ein schlummerndes Biest. Was hätte es gebracht so etwas bizarres aus dem Dunkel ins Licht zu zerren? Nicht das Willie oder er es je vermocht hätten so etwas zu tun, selbst wenn sie gewollt hätten. Was hätte es gebracht zu riskieren das es erwacht? Im fahlen Licht des kalten Tages nickte der gebeugte Schemen des alten Wärters sich selbst bejahend zu. Klüger es in Ruhe zu lassen. Weiser es zu tolerieren.

Für einen kurzen Moment, bevor die Sonne unterging, das erste Mal in Wochen (so kam es ihm vor), brachen ihre fahlen Strahle durch die Wolkendecke. In ihrem hellen Licht begann Georg am ganzen Körper zu zittern. Er legte seine knorrigen Handflächen auf dem kleinen, schmutzigen Tisch zusammen und begann innerlich um Vergebung zu bitten. An wen wusste er nicht. Gott war ein Konzept, das er nie verstanden hatte. Was dort, keine zweihundert Meter entfernt von ihm langsam im Wind hin und her schwankte, machte Gott wohl sogar noch obszöner, weltfremder für ihn. Langsam, aber beständig erinnerte er sich. Rief sich diesmal deutlich alle Details vor Augen. Durch den Schleier seiner Erinnerungen und Überzeugungen die seinen Verstand wie ein dichtes, undurchsichtiges Feld aus Nebel verdunkelten, wanderten die Menschen auf ihn zu denen er etwas schuldig war.

Zuerst bat er seinen Vater um Entschuldigung.

Wäre er sich nicht sicher gewesen, dass sein Vater keine andere studierte Profession geduldet hätte, hätte er vielleicht einfach seinen Studiengang gewechselt und hätte so doch seinen Abschluss machen können. Der Streit war allerdings absehbar und Georg entschied sich dazu seinem Vater zuvorzukommen. Mit einer sicheren lokalen Stelle hatte es nie ein lautes Wort gegeben und der Sturm war erfolgreich umschifft worden. Das hatte er sich in all den Jahren so oft erzählt. In manchen Momenten war er auf sich sogar stolz dafür.

Jetzt, so kurz vor dem Ende seiner Arbeit, für die er scheinbar alles aufgegeben hatte, hasste er sich dafür. Dann bat er Maria um Entschuldigung dafür, dass er nie ihrem Rat folgen wollte.

Hätte er auf sie gehört, hätte er wenn auch spät damit begonnen seine schon verloren geglaubten Jugendträume wieder in Angriff zu nehmen. Doch die Gefahr mittellos zu werden, auf halben Weg zwischen Neubeginn und Erfolg alles zu verlieren. Es war zu viel für ihn. Sie hatten sich ja schon beide meinte er zu ihr in ihrer gemeinsamen Wohnung vor 30 Jahren. Er hatte einen sicheren Platz im Leben. Warum sich nicht auf einen Kompromiss einlassen? Ihre Arme waren verschränkt. Ihre Augen blickten fest auf den Boden, als sie ihm mit einem Flüstern zustimmte. Zwei Wochen später war Maria verschwunden. Er hatte nie versucht sie zu finden.

Seine Hände verkrampften zu Fäusten. Als letztes trat Willie aus dem Schleier. Oh, warum hatte er das nur getan? Weil Willie darum gebeten hatte? Das machte es kein bisschen besser. Georg sah Willie wieder vor sich an diesem Tag vor 20 Jahren. Als ein alter Mentor seinem in Angstschweiß gebadeten jüngeren Selbst das erste Mal seit ihrem Gespräch bei seiner Einstellung über die Eiche erzählte.

„Ich träume davon. Seine Äste…fuchteln umher…Es sagt mir das es mich sieht, aber es spricht nicht. Es will das ich…. du musst mich…direkt darunter.“

„Was…Nein! Bist du wahnsinnig?! Du bist fiebrig – das bilde-“

„Nein, ich bin noch wach. Und bei Verstand, Schorsch! Tu mir-“ Langes, röchelndes Husten hallte durch das karge Dachzimmer. Die Abendsonne, die durch das einzige Fenster schien, absorbierte die Luft und warf tiefe Schatten. Ein Tinnitus füllte seine Ohren, schloss ihn für einen kurzen Moment in seinem Kopf ein. Er traute sich nicht zu denken.

„…ein Letzter Wunsch, verdammt! Gib ihm was es will, Georg. Lass es ruhen! Ich glaube…ich glaube es hat dich nicht bemerkt. Ich glaube es schläft dann wieder ein.“

Ein kalter Wind peitschte über den Friedhof an diesem Abend. Das Grab lag direkt vor dem Baum. Als er fertig war, spürte er für einen Moment etwas über seinen Rücken streichen. Fast schon zärtlich. Er brach beinah die Schaufel in zwei. Doch brachte sich dann unter Kontrolle. Welchen Zweck hätte es sein Leben weg zu werfen? Er weigerte sich für die nächsten Jahrzehnte darüber nachzudenken.

Bis jetzt.

„Ja. Welchen Zweck hätte es!“ sprach ein alter Mann in einem kleinen, fast leeren Raum. Der Tag war nun endgültig der Nacht gewichen. Wieder hob sich der Wind. Wie in den letzten Wochen. Wie vor 20 Jahren. Sein Blick fiel auf die vielen Aufzeichnungen in dem Schrank neben ihm als er aufstand. Die Aufzeichnungen waren alt, ja. So unglaublich alt, dass manche von Ihnen langsam zu Staub zerfielen. Das manche von Ihnen nicht auf Papier geschrieben oder gebunden waren. Sein Latein war nicht gut genug für die noch lesbaren Dokumente. Was davor kam, konnte er nicht einmal genug erkennen, um nach dem nötigen Wörterbüchern zu suchen.

Ein Chorus aus schreienden Vögeln war von draußen zu hören. Vor allem Krähen, Raben und Spatzen kreisten seit Tagen um die Eiche. Kamen sie ihr zu nahe, hörte man oft nur den Aufprall der toten Körper auf dem Boden. Sie klangen wie Fallobst.

„Was bringt es schon sich mit so etwas anzulegen! Es hat ja keinen Zweck! Wie das Wetter! Einfach abwarten, nichts unternehmen! Eine Anomalie die nicht mit der Außenwelt interagiert!“

Laut gab Georg seinen Rechtfertigungen Ausdruck, warf sie sich selbst an den Kopf, während der durch die Kapelle hinaus zum alten Schuppen wanderte.

Die einzige Person, die außer ihm in den letzten Wochen den Friedhof betreten hatte, war eine junge Frau. Sie kam aber nicht weiter als bis zur Schwelle des Tores. An diesem hatte sie sich aufgehangen. Die Reste des Strickes hangen noch immer am obersten Punkt des Torbogens. Er hatte sie heute Morgen auf dem Boden liegend gefunden. Sowohl Polizei als auch Sanitäter ließen sich so wenig Zeit wie möglich, bevor sie mit ihr fluchtartig wieder ihrer Wege gingen.

Die Tür des Schuppens schlug im Wind. Teile des alten Holzes hingen kraftlos herunter. Aber die Tür selbst war noch intakt. Das aktuelle Schloss war schon lange durchgerostet. Ein Windstoß hatte ihm den Rest gegeben. Das innere des Schuppens war seit er hier arbeitete immer gut organisiert deswegen brauchte er kein Licht, um die Axt zu finden. Sie war an ihrem gewohnten Platz an der hinteren Wand. Sein Rücken beklagte sich laut. Es kam gelegen denn das Gejammer seines Körpers half ihm sich vor dem stillen Gejammer des Dinges zu abzulenken das er in seinem Kopf hörte.

Die Äste schlugen wild um sich. Das alte Holz beschwerte sich so laut, dass es so klang, als ob ein Riese ein Segelschiff langsam zwischen seinen Händen zerquetschte. Lautes Knarzen und Krachen und Splittern. Desto näher er kam, desto deutlicher wurde das Flattern der Vögel. Dutzende lagen schon Tod um die Eiche herum. Hunderte mehr zogen Kreise über der Krone.

Schritt für Schritt taumelte er dem Baum entgegen. Die alten Gräber schienen sich langsam aufzuwallen als er näherkam. Starker Regen setzte ein. Etwas griff nach seinem Knöchel. Im gleichen Moment war das Geschrei eines Raben direkt neben ihm. Er verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden. Der Schnabel des Vogels hackte in der Panik auf seinen Knöchel ein, schien sich aber hauptsächlich auf das etwas das ihn greifen wollte zu stürzen. Mit Erfolg. Das Ding ließ ab. Langsam richtete der alte Friedhofswärter sich wieder auf. Nun humpelte er auf die Eiche zu. Dabei vermied er so gut es ging die sich langsam bildenden Hügel um die Gräber herum.

Das zweite Mal in seinem Leben spürte er die direkte Aufmerksamkeit der Eiche auf sich gerichtet. Der Hass und die Verachtung, die ihm diesmal wie Wellen entgegenschlugen, fügten sich nahtlos in sein eigenes Selbstbild mit ein. Es schlug um sich. Nasse toten Spatzen regneten mit jedem Schwung der Äste auf ihn herab. Aus dem Stamm schien langsam etwas zu wachsen. Mehrere Formen bildeten Blasen auf der Oberfläche. Schemenhaft kamen Körper jeder Größe unter der Borke zum Vorschein. Hände platzten heraus und versuchten nach ihm zu greifen als er ihr die letzten Schritte entgegen wanderte.

Ein Gesicht wurde langsam erkennbar. Georg hielt inne. Als es sich vollkommen von seinem hölzernen Kokon befreit hatte, starrte es ihm halb verwest entgegen. Seine Lippen bildeten langsam Wörter. In der Kakophonie um ihn herum konnte er sie nicht hören. Aber er wusste was ihm der alte Willie versuchte zu sagen. Dumm starrte er ihn an. Dann begann er zu lachen und schwang die Axt mit aller Kraft.

Es war so einfach gewesen, die ganze Zeit. Er wäre selbst schuld, wenn er Willie glauben würde. Und irgendwo hatte er das einfach vergessen.

Die Axt landete neben dem Gesicht des alten Wärters direkt im Holz. Schwarzes Sekret schoss ihm entgegen, verbrühte seine Haut. Die Hände im Baum ergriffen ihn und begannen damit langsam Stücke aus ihm zu reißen. Doch wieder und wieder schwang er die Axt. Es schrie. Sein Kopf war gefüllt mit den unaushaltbaren Todesschreien der Kreatur. Seine Augen waren aus seinen Höhlen gebrannt. Sein Körper blutete aus mit unheiliger Kraft gerissenen Wunden. Die Axt hob sich ein letztes Mal, um Buße zu tun.

Dann ergoss sich gleißendes Licht über alles.


31. Oktober


Stefanie Donar wanderte rastlos durch die Dunkelheit ihrer Träume. Sie konnte nichts sehen, es existierte nichts, dass man sehen könnte. Ein lichtloser Raum, gehüllt in absolute Stille. Irgendwann das Plätschern von fließendem Wasser. Das Rascheln von Blättern. Ihre Füße spürten die nasse, kalte Erde unter sich. Sie bahnte sich ihren Weg durch einen dichten Nebel in dunklen Wäldern. Der Wald kam ihr so bekannt vor, wie er ihr fremd war. Es gab keine Straßen. Es gab keine Wege. Nicht einmal erkennbare Pfade. Man musste an den Stellen wandern an denen Moos und Gras anstelle der dichten, Büsche wuchsen.

Sie hörte Stimmen, lange bevor sie irgendjemanden sehen konnte. Ihre Sprache kannte Stefanie nicht. Sie klang für sie guttural, abgehackt. Kurze Sätze wiederholten sich in einem tiefen Singsang. Ihr wurde klar, dass es sich um eine Intonation handelte. Da die Stimmen direkt in ihrem Kopf zu klingen schienen, konnte sie nicht ihrem Klang folgen. Stefanie wusste einfach welchen Weg sie gehen musste. Auf diese Art bewegte sie sich wie auf Schienen langsam und stetig auf ihr Ziel zu.

Mit jedem weiteren Schritt wurde ihr mulmiger. Langsam und stetig breitete sich ein stiller, kriechender Horror in ihrem Inneren aus. Ein Teil von ihr war sich bewusst durch eine irreale Fügung ihrer Synapsen sich in diesen Wald geträumt zu haben. Nur, genauso wusste sie das wie die Stimmen in ihrem Kopf, irgendetwas einen Kanal, eine Verbindung, in ihr Unterbewusstsein gelegt hatte, das diese Eindrücke doch mehr waren als nur irgendeine abstrakte, unterbewusste Repräsentation ihrer Gedanken. Sie nahm all dies mit der gleichen, betäubten Ruhe auf mit der sie ihren unfreiwilligen Weg durch diese prähistorischen Wälder fortsetzte.

Das dichte Gehölz wich einem weiten Kreis aus dunkler, trockener Erde inmitten der Vegetation. Stefanie identifizierte die gewaltigen, ovalen Felsen um den kargen Kreis als Hinkelsteine. An der Grenze des Steinkreises schien die Macht, die sie bisher vorwärts bewegt hatte zu Enden und sie blieb stehen. In Anbetracht der grotesken Gestalt in der Mitte des Platzes war der bewusste Teil ihrer Selbst sehr froh darüber. Mit der klaren Nüchternheit ihres Traumselbst erkannte sie die widerliche Kreatur als das Gleiche Monströse Gewächs, das sie hinter den Toren des kleinen Friedhofes erblickt hatte. Auch jetzt rief es wieder in seiner widerlichen Stimme über den Chorus der in Felle gekleideten Menschen. Zusammen bildeten sie einen schrecklichen Gesang, den man instinktiv verstand, wenn man ihn ertragen konnte, ohne dabei den Verstand zu verlieren.

So verstand auch Stefanie ihren Sinn, so sehr sie sich auch versuchte diesem zu verschließen. Im gleichen Moment verstand sie auch die Angst und Hoffnung der wenigen Menschen, die sich nicht vollkommen dem Willen des Baumes ergeben hatten. Ihre klammen Hoffnungen es zu besänftigen. Ihre Scham über das Opfer das sie zu bringen hatten. Behutsam legten die vorzeitlichen Bittsteller kleine, lebende Bündel auf die tote Erde vor das Geschöpf.

Dann begann sich plötzlich alles zu drehen. Der Strom der Zeit begann einen Abfluss hinabzufließen und sich dabei immer schneller zu drehen. Die Gesichter verschwammen. Wurden gepflegter, mal älter, mal jünger. Manche von ihnen hatten einen fanatischen Ausdruck der Freude. Andere starrten mit verängstigten Augen auf das Grauen. Aus Fellen wurden Bauernkleider, wurden Uniformen. Der Platz begann langsam zu verwachsen und dann wieder freier zu werden. Die Hinkelsteine zerfielen und Häuser aus Holz und dann Stein entstanden, als die dichten Wälder wichen. Im Nexus all dieser Veränderungen aber stand immer der Baum. Der unnatürliche Fremde. Das Gezücht einer anderen Welt. Die Eiche des Pluto die die Erde vergiftet und gierig ihre Früchte isst. Ob jung oder alt, unschuldig oder nicht. Die Silhouette eines kleinen Kindes. Der Schemen eines jungen Mannes. Sie verstand gegen ihren Willen alles. Stefanie schrie, kreischte an gegen das wirbelnde Chaos. Dann sah sie eine letzte menschliche Gestalt vor der Eiche mit erhobener Axt. Ein gleißendes Licht das vom Himmel fällt. Sie roch brennendes Holz.

Und erwachte mit einem lauten, röchelnden Schrei in ihrem Krankenhausbett.

Nach wenigen Momenten stürmte eine Krankenschwester in ihr Zimmer, gefolgt von einem verschlafenen Arzt. So früh am Morgen hatte sie den halben Flügel, auf dem sie untergebracht war, vorzeitig aufgeweckt. Trotzdem war man erleichtert darüber, dass Stefanie allem Anschein nach aus ihrem Delirium erwacht ist, in dem sie den gestrigen Tag nach ihrem Selbstmordversuch verbracht hatte. Behutsam versuchte der Arzt ihre Aufmerksamkeit auf seine Stimme zu lenken und sie über die aktuelle Lage zu informieren.

Stefanie war die ersten Minuten nach ihrem Erwachen alles andere als aufnahmefähig. Der grauenvolle Traum hatte sie überladen mit Informationen, die sie laut mitteilen wollte, damit sie hoffentlich ihren Kopf verlassen konnten, der sich wie ein übervoller Ballon anfühlte in den fleißig weiter Luft gepumpt wird. Doch die Heilung ihrer Stimmbänder hatte gerade erst begonnen. Bei ihrem Versuch sich zu erhängen hatte nicht viel gefehlt, bevor sie sich das Genick gebrochen hätte. Ein lilablauer Striemen zierte noch immer ihren Hals. Nach dem Schrei war sie unfähig sich auch nur flüsternd mitzuteilen. Also schnappte sie panisch nach Luft, röchelte unter Schmerzen Unverständliches und gestikulierte in ihrer Panik wild mit den Armen. Sie wusste von Michaels und Andreas Schicksal. Doch im gleichen Moment fühlte sie wie sie langsam wieder vergaß, langsam wacher wurde und sich selbst nicht zu glauben schien. Sie wusste nicht, ob sie Angst vor der Erinnerung oder dem Vergessen haben sollte.

Nachdem sie zu ihrem eigenen Schutz durch einen Arzthelfer temporär am Bett fixierte wurde, blieb ihr nichts weiteres übrig, als sich langsam dem Vergessen zu ergeben. Wie oft, dachte Stefanie, wie oft schon hatte man vergessen. Wie oft noch würde jemand den Mut finden.

Es wurde der erste sonnige Tag seit Wochen.

 

Hallo @Horla

Du schreibst, das sei eine Horrorgeschichte in klassischem Stil und ich bemerke sogleich, Du hast einen guten Geschmack (Clark Ashton Smith als Profilbild!). Ich mag gerne ältere Autoren lesen, abseits von der Moderne, wo noch nicht alles "streamlined" ist bzw. war, auch wenn das manchmal anstrengend und auch etwas umständlich sein kann. Dein Titel klingt schön nach dieser Pulp-Ära bzw. nach den Anfängen der Weird Fiction, zumindest werden da bei mir sofort Assoziationen geweckt und ich erkenne das/die Vorbild/er. Leider denke ich nach dem Einstieg in deine Geschichte, dass Du dich da doch etwas verzettelst. Es ist nicht einfach, den Stil solch alter Autoren zu imitieren bzw. was Eigenes draus zu machen und ich bin da selbst auch schon auf die Schnauze gefallen. Wenn man da nicht aufpasst, rutscht das schnell ins Parodistische ab und entfaltet nicht die gewünschte Wirkung. Ich glaube, das ist leider auch hier bei deiner Geschichte teilweise der Fall. Ich versuche, unten ein paar Beispiele aufzulisten, von dem, was mich beim Lesen ein wenig gestört hat.

Gerade am Anfang hatte ich den Eindruck, da wird mir sehr viel erzählt, was auch knapper gefasst werden könnte, z.B. der ganze Abschnitt wo der Kater und sein Fernbleiben vom Prota erklärt wird, könnte in drei oder vier Sätzen abgehandelt werden. So ausgetreten wie es da steht, wird mir das irgendwann zu langatmig. Auch den Einstieg mit den Wetterbeschreibungen finde ich nicht optimal. Das liest sich erstmal nicht sehr spannend, weil die Geschichte nicht richtig in Schwung kommt. Ich hätte mir gewünscht, dass es da etwas unmittelbarer losgeht, ich also schneller in die Geschehnisse und Handlungen der Story reingezogen werde. Da es auch danach eher in gemächlichem Ton weitergeht, habe ich irgendwo nach dem ersten Kapitel die Lust verloren und abgebrochen.

Versteh mich nicht falsch, ich lese sowas wirklich gerne, aber dann müsste es halt auch interessant(er) aufgezogen sein bzw. teilweise auch etwas weniger schwülstig und direkter formuliert werden. Hoffe, das entmutigt Dich jetzt nicht, ist ja gleich mal viel Kritik zu Beginn, vor allem noch zu deiner ersten Geschichte hier. Ich kenne das selber, wenn man erstmal vielleicht etwas demotiviert auf einen solchen Kommentar reagiert und hoffe deshalb, Du kannst das besser ab als ich :-) Grundsätzlich mag ich das, was Du schreibst. Habe aber den Eindruck, Du müsstest da noch einiges mehr an Arbeit reinstecken, damit das eine rundere Kiste wird.

Eine kleine Auswahl von Anmerkungen zum ersten Kapitel:

Eine graue Wolkendecke lag über der Stadt. Seit zwei Wochen schon überdeckte sie den Himmel und dunkelte die Tage in unheilvoller Vorahnung ab. Die Menschen nahmen das Wetter machtlos hin, schalteten schon am frühen Nachmittag die Lichter an und drehten sich instinktiv von den Fenstern davon, während sie ihrem Alltag nachgingen. Der Herbst brachte einen starken, kalten Wind mit sich, um auch die letzten unbeholfenen Seelen in ihre Häuser zu jagen. Drohend pfiff er durch jede Öffnung, die ihm Einlass gebot. Viele begannen sich über Albträume zu beklagen, in denen sie im Wind rasselnde Blätter hörten.
Paar Dinge zum Einstieg: Wie schon zuvor erwähnt, geht es hier eigentlich nur um die Wetterlage. Einige Sätze lang. Das macht für mich den Anfang recht harzig und ich bekomme nicht Lust, weiterzulesen, weil ich noch keine Ahnung habe, um was es genau geht. Ich finde, bei einer Kurzgeschichte sollte man direkter einsteigen, gleich schon die Handlung anteasern und den oder die Prota etwas vorstellen. Klar, wurde früher wohl anders gemacht, aber nur einen ganzen Abschnitt übers Wetter zu bringen fand ich eher ermüdend. Kann man sicher machen, aber dann muss man diesen alten Stil auch sattelfest beherrschen und das erfordert eine Menge Fingerspitzengefühl. Dann stimmt da in dem Satz mit dem "davon" etwas nicht... Vielleicht drehen sie sich von den Fenstern weg? Noch zu den rasselnden Blättern: Das geht nicht auf. Ketten rasseln, Blätter rascheln höchstens.

Manch ein Arzt scherzte mit seinen Kollegen über durch höheres Umweltbewusstsein hervorgerufene Schuldgefühle und vergaß dann seine Observationen mit einem letzten erhabenen Kichern.
Abgesehen davon, dass ich diesen Satz nicht so recht verstehe, ist dies ein Beispiel dafür, was ich meinte mit dem Parodistischen. Vor allem das "letzte erhabene Kichern" vermittelt mir diesen Eindruck. Das klingt ungewollt komisch und ist drüber. Ich kann die Geschichte dann bei solchen Sätzen nicht mehr recht ernst nehmen. Ist halt schwierig, da eine Balance zu finden, zwischen dieser altertümlichen Erzählweise und einer ernstgemeinten Handlung. Das kann wie in diesem Satz, imo, sehr schnell ins Auge gehen.

Nur Michael sah in dem kurzen Intervall zwischen dem Aufprall des Astes und dem Erwachen seiner Mutter wie sich das Fell des Katers aufstellte und es offenkundig etwas durch das Fenster mit Tellergroßen Augen anvisierte.
nicht "es", sondern "er" -> bezieht sich auf den Kater
"tellergroßen" kleinschreiben
Ich finde, es klingt auch hier wieder etwas überzeichnet.

Der Wind zog unentwegt laut durch die Stadt. Die Ampeln und Straßenschilder schwangen unüblich animiert hin und her.
Wieso unüblich animiert? Das Wetter ist doch schon seit zwei Wochen so. Ausserdem klingt das nicht sehr rund. Würde es einfach rausstreichen.

Der Wetterbericht versicherte, dass trotz der Böen keine Gefahr bestehe.
Bis hierher scheint das Wetter bzw. der Herbst auf eine Art der Antagonist zu sein. Deshalb würde ich diesen Satz hier streichen, denn er vermittelt mir, dass das mit dem Wetter doch nicht so schlimm bzw. das nur ein kleiner Sturm ist, der vorüberzieht. Zuvor hast Du aber einige Mühe darauf verwendet, die Wetterlage eher bedrohlich zu gestalten. Das beisst sich dann hier mit diesem Satz und relativiert das Vorhergegangene.

Vor einem Jahr hatte er mit seinem Vater auf der Couch gesessen und einen Film über Piraten gesehen.
Vor einem Jahr ist eine zeitlich etwas zu genaue Angabe. Kann er sich wirklich so genau daran erinnern?

Nur an manchen Stellen sah man noch Reste von altem Beton der beteuerte das man diese Wand nicht nur durch das Übereinanderstapeln der Steine aufgezogen hatte.
Hier nochmal ein Beispiel: Wie kann der Beton etwas beteuern? Das liest sich in meinen Augen einfach schräg und es wirkt gekünstelt bzw. überzeichnet. Würde ich ersatzlos streichen.

Benommen betrachtete er das Blatt. Venenartige Stränge zogen sich durch die hauchdünne Membran. Es war einmal so lebendig wie er und seine Mutter. Und Maowi. Doch jetzt in seiner Hand war es wie ein totes Stück Fleisch.
Der Prota vergleicht das Blatt mit dem Leben seiner Mutter und seines Katers? Da kann ich keine Verbindung herstellen (ausser vielleicht mit den venenartigen Strängen) und komme nicht mehr mit. Und dann ist das tote Blatt auch noch ein Stück Fleisch? Da fehlt was, damit ich als Leser nicht die Orientierung verliere. Was möchtest Du mit dieser Stelle denn genau aussagen? So verwirrt mich die Stelle eher und stösst mich vor den Kopf.

Der Nebel, der sich in seinen Gedanken Platz gemacht hatte, löste sich so plötzlich wie er gekommen war.
Der Gedankennebel in seinem Kopf ist vorher aber nicht erwähnt worden, oder habe ich das überlesen? So führst Du den Nebel direkt ein, lässt ihn aber imselben Satz wieder verschwinden ... Eher ungünstig und könnte deshalb auch weggelassen werden?

Die Story an sich - zumindest was mir im ersten Kapitel davon vermittelt wurde - habe ich eigentlich doch gerne gelesen. Das wirkt ziemlich nostalgisch, mit diesem Wind und den Träumen und diesem Etwas, das den Michael verschlingt. Ich merke schon, dass da wohl irgendwo ein noch grösserer abyssischer Schrecken o.ä. lauert, der bald auf die Welt losgelassen wird. Also rein von der Geschichte her sehe ich schon Potential und wie schon zuvor gesagt, sowas lese ich auch gerne. Es wirkt aber schon sehr angelehnt an C.A. Smith und Konsorten. Ich würde als erstes den Stil etwas entschlacken, Informationen gebündelter an den Leser geben und nicht alles so auswalzen. Das würde die Story meiner Meinung nach lesbarer, einfacher konsumierbar machen.
Ich weiss nicht, wann die Geschichte spielt, vielleicht könntest Du noch ein paar Details einbauen, damit mir die zeitliche Einordnung einfacher fällt. Rein stilistisch würde es ja eher so in die 20er, 30er-Jahre passen, schätze ich mal. Davon merke ich aber abgesehen vom leicht antiquierten Stil nix, was ich schade finde. Wie dem auch sei:

Soweit meine Eindrücke zum ersten Kapitel. Hoffe, es war etwas Hilfreiches dabei. Vielleicht finde ich die Tage ja mal noch Muse, weiterzulesen, kann aber nichts versprechen.

Drann bleiben & Schönen Sonntag,
d-m

 

Hallo @Horla!

Ich habe grade angefangen, deinen Text zu lesen, muss aber sagen, dass es mir bisher recht schwer fällt, in die Geschichte zu kommen. Du beschreibst am Anfang das Wetter - was ich nicht schlecht finde, ich mag es, wenn Szenen so eingeleitet werden, aber je weiter ich in die Geschichte komme, desto mehr erzählen die Aktionen der Charaktere, dass es sich um ein apokalyptsiches Wetter zu handeln scheint. Nur bei deiner Beschreibung am Anfang kommt das nicht so rüber - du schreibst zwar so, als wolltest du, dass der Leser das Gefühl bekommt, das mit dem Wetter etwas nicht stimmt, aber deine Beschreibung klingt nach einem "normalen" Herbstwind mit einem "normalem" Herbstwetter. Bewölkt, keine Sonne. Die Reaktionen der Charaktere kann ich deshalb nicht nachvollziehen. Da passt für mich am Anfang die Stimmung schon nicht. Ich hab mir ein paar Sachen rausgesucht - soweit bis ich bis jetzt gelesen habe:

Seit zwei Wochen schon überdeckte sie den Himmel und dunkelte die Tage in unheilvoller Vorahnung ab.
Ich finde das Wort "überdecken" hier nicht gut gewählt, vielleicht eher "bedecken". Sonst frage ich mich, wie genau das gemeint ist, dass etwas den Himmel "überdeckt". Die Wolken sind ja nicht über dem Himmel in dem Sinne, sondern eher "im Himmel"? Kann aber sein, dass das eher ein subjektives Empfinden ist.

Der Herbst brachte einen starken, kalten Wind mit sich, um auch die letzten unbeholfenen Seelen in ihre Häuser zu jagen.
Das ist das, was ich anfangs meinte: Ein kalter, starker Wind ist für den Herbst eigentlich ganz normal. also noch nichs Besonderes. Ich kann mir hier noch vorstellen, dass er die Menschen ins Haus treibt, weil man im Herbst oft weniger gern raus geht, vor allem kurz vor dem Winter, wenn das Wetter kälter wird und alles nass und unfreundlich ist. Aber wie gesagt, die Stimmung der Charaktere später zeigt, dass es kein normaler Herbst ist und das beschreibst du nicht gut genug, dass ich als Leser nachvollziehen kann, was da überhaupt los ist. Außerdem verstehe ich nicht, wieso die "Seelen" - also die Leute - unbeholfen sind.

Viele begannen sich über Albträume zu beklagen, in denen sie im Wind rasselnde Blätter hörten.
Interessant fand ich hier, dass viele sich über Albträume beklagen, das erzeugt Spannung. Aber der Nebensatz zerstört die Spannung: rasselnde Blätter sind jetzt nicht unbedingt gruselig. Gruselig ist vielleicht, dass alle erzählen, dass sie von rasselnden Blätter träumen, aber das alleine macht noch keinen Albtraum. Das könnte eher den Ärzten seltsam vorkommen, das alle hier irgendwie den gleichen Traum zu haben scheinen.

Manch ein Arzt scherzte mit seinen Kollegen über durch höheres Umweltbewusstsein hervorgerufene Schuldgefühle und vergaß dann seine Observationen mit einem letzten erhabenen Kichern.
Den Satz finde ich holprig. Den musste ich zweimal lesen. Vielleicht eher: "Manch ein Arzt scherzte mit seinen Kollegen über Schuldgefühle, möglicherweise hervorgerufen aufgrund des höhreren Umweltbewusstseins." oder so und dann erst der zweite Satz. Wobei ich auch nicht weiß, was die Träume von rasselnden Blättern mit einem höhreren Umweltbewusstsein zu tun haben sollen. Also die These der Ärzte verstehe ich hier nicht.

Du holst dir den Tod Michael. Und ich mir wahrscheinlich auch, wenn ich auf dich aufpassen muss.
Das war der Moment wo ich das erste Mal wirklich dachte: Häeh? Bitte was? So schlimm war das Wetter doch gar nicht beschrieben. Die Worte der Mutter implizieren hier etwas, das ich als Leser nicht nur nicht fühlen kann, sondern dass mir gar nicht gezeigt wurde. Das hängt mit dem Anfang zusammen.

nassen Augen (nicht gespielt, sondern wie einen leichten Sommerregen nur schnell vorüberziehend) diese Worte ändern
Hier habe ich ein Problem mit der Klammer. Ich weiß, das kann man machen, aber mich stört das gewaltig im Lesefluss. Außerdem verstehe ich nicht ganz, wieso das so wichtig ist, dass es unbedingt dabei stehen muss.

Was sich draußen abspielte, faszinierte ihn mit jedem Tag mehr.
Was spielt sich denn draußen ab?

Beim Betrachten dieser verlor er das bisschen Zeitgefühl, das er bis jetzt entwickelt hatte,
Hier würde ich einfach nur schreiben, dass er sein Zeitgefühl beim Betrachten verliert, der Beisatz, dass es nur ein bisschen ist, dass er bisher entwickelt hat, ist eigentlich unnötig und interessiert mich als Leser hier auch gar nicht.

Dass erste Mal als er sich purrend neben den Jungen setze um ihn um seine Aufmerksamkeit zu bitten flog ein kleiner Ast, nicht groß genug, um Schaden am Fenster anzurichten aber ausreichend, um einen lauten Knall zu verursachen, gegen das Wohnzimmerfenster.
Das hört sich auch recht harmlos an. Ein kleiner Ast kracht ans Fenster. Wir hatten den Sommer Hagel mit so großen Brocken, dass mir Terassentach eingeschlagen wurde. Mein Auto sieht aus hätte man Steine drauf geworfen. Als es losging, ein starker WInd, Bäume wurden umgeworfen. Zwei Kinder wurden am Spielplatz von einem Baum erschlagen. Das Wetter kam so plötzlich, dass die LEute noch draußen unterwegs waren. Der Himmel war mitten am Tag so dunkel geworden, als wäre es Nacht. Dann kam es blitzartig, dauerte zirka zwanzig Minuten und danach war strahlender Sonnenschein. Danach sprachen die Leute noch, dass es wie die Apokalypse über uns gekommen ist. Und ich, in deiner Geschichte, soll mich wegen einem kleinen Ast fürchten, der ans Fenster schlägt? Die Stimmung, das Wetter - gerade am Anfang, wo du mich rein ziehen und abholen musst, mir einen Vorgeschmack auf das geben musst, was noch kommt - funktioniert nicht. Nur die Charaktere sprechen davon, wie schlimm "es" ist.

So viel zu meinem ersten Eindruck. Ich mag deinen Stil, du kannst Spannung erzeugen, da bin ich mir sicher, denn mit einigen Sätzen hattest du mich - nur war das Gesamtpacket bisher nicht stimmig. Ich würde dir raten noch einmal drüber zu gehen, zu überarbeiten und wenn du das gemacht hast, dann markiere mich gerne noch mal oder schreib mir Privat und dann schaue ich mir gerne die ganze Geschichte an.

LG Luzifermortus

 

Hallo @deserted-monkey ,

danke für deine Meinung und deine Kritik an dem ersten Teil der Geschichte. Ich will nicht zu defensiv wirken, da ich nicht alle Vorschläge von dir unbedingt annehme. Also würde ich zuerst einmal hervorheben das ich die genaue Lesung sehr schätze und viele der etwas holprigeren Formulierungen (die rasselnden Blätter, die zu genaue Zeitangabe als sich Michael an den Piratenfilm erinnert etc.) die du erwähnt hast überarbeiten werde.

der ganze Abschnitt wo der Kater und sein Fernbleiben vom Prota erklärt wird, könnte in drei oder vier Sätzen abgehandelt werden. So ausgetreten wie es da steht, wird mir das irgendwann zu langatmig.
Diesen Teil werde ich mir unter anderem etwas genauer ansehen um dort wenn möglich etwas knapper zu formulieren. Ich finde es bei solchen Abschnitten immer schwierig den Spagat zu finden zwischen einer ausreichenden und treffenden Illustration des Geschehens und einem guten Vorantreiben der Handlung.

Der Gedankennebel in seinem Kopf ist vorher aber nicht erwähnt worden, oder habe ich das überlesen? So führst Du den Nebel direkt ein, lässt ihn aber imselben Satz wieder verschwinden ... Eher ungünstig und könnte deshalb auch weggelassen werden?
Auch ein guter Fang den ich völlig übersehen habe. Bei nochmaligem Lesen sollte ich etwas deutlicher mit Michaels Geisteszustand sein.

Abgesehen davon, dass ich diesen Satz nicht so recht verstehe, ist dies ein Beispiel dafür, was ich meinte mit dem Parodistischen. Vor allem das "letzte erhabene Kichern" vermittelt mir diesen Eindruck. Das klingt ungewollt komisch und ist drüber. Ich kann die Geschichte dann bei solchen Sätzen nicht mehr recht ernst nehmen.
Hier finde ich allerdings das es oft eine Frage des Geschmacks ist. Meine Leseerfahrung mit "Weird Literature" ist das sich sehr oft ein gewisses parodistisches Element in viele der Handlungen einfindet (nicht zuletzt bei Autoren wie Clark Ashton Smith). Wo ich es angebracht gefunden habe sind etwas leichtere Passagen eingeflossen. Auch ist mir zu dieser Geschichte schon das genaue Gegenteil vorgeworfen worden (zu humorlos), was mich wohl etwas bockig macht in Bezug darauf.

Paar Dinge zum Einstieg: Wie schon zuvor erwähnt, geht es hier eigentlich nur um die Wetterlage. Einige Sätze lang. Das macht für mich den Anfang recht harzig und ich bekomme nicht Lust, weiterzulesen, weil ich noch keine Ahnung habe, um was es genau geht. Ich finde, bei einer Kurzgeschichte sollte man direkter einsteigen, gleich schon die Handlung anteasern und den oder die Prota etwas vorstellen.
Auch hier finde ich das es eher eine Geschmacksfrage ist. Generell macht es Sinn bei vielen Kurzgeschichten schneller einzusteigen, da stimme ich zu. Aber nicht jede Geschichte benötigt unbedingt einen so direkten Anfang. Und bei dieser Geschichte hatte ich einen interessanten Einfall mit der Erklärung der Wetterlage. Es ist auf jeden Fall etwas das im weiteren Verlauf der Geschichte eine Rolle spielt und daher etwas das ich soweit nicht streichen wollen würde.


Gruß, Horla

 

Hallo @Horla

Danke für deine Rückmeldung auf meinen Kommentar. Selbstverständlich ist alles oben geschilderte nur (m)eine Meinung und Du musst davon nichts übernehmen. Ich finde es schön, hast Du auf den Kommentar geantwortet. Ich weiss, manchmal braucht man etwas länger, aber ich habe gar nicht mehr mit einer Reaktion gerechnet :P Gerade bei Neulingen kommt es vor, dass sie eine Geschichte einstellen und danach für immer in den Tiefen des Internets verschwinden. Cool, dass das bei Dir anders ist! Und deshalb noch ein nachträgliches Willkommen hier im Forum von meiner Wenigkeit.

Peace,
d-m

 

Hallo @Luzifermortus,

auch hier danke ich dir erstmal für das lesen des ersten Teils meiner Kurzgeschichte.

Zuerst was ich an deiner Kritik mochte:

Was spielt sich denn draußen ab?
Du hast recht, das ist etwas zu knapp und undeutlich formuliert. Das verbindet sich auch mit der Kritik von deserted-monkey über den plötzlichen Gedankennebel. Wir auf jeden Fall noch einmal umgeschrieben.

Hier würde ich einfach nur schreiben, dass er sein Zeitgefühl beim Betrachten verliert, der Beisatz, dass es nur ein bisschen ist, dass er bisher entwickelt hat, ist eigentlich unnötig und interessiert mich als Leser hier auch gar nicht.
Stimme ich absolut zu. Das werde ich streichen.


Ich finde das Wort "überdecken" hier nicht gut gewählt, vielleicht eher "bedecken". Sonst frage ich mich, wie genau das gemeint ist, dass etwas den Himmel "überdeckt". Die Wolken sind ja nicht über dem Himmel in dem Sinne, sondern eher "im Himmel"? Kann aber sein, dass das eher ein subjektives Empfinden ist.
Auch hier könnte ich den besagten Satz etwas einfacher und klarer formulieren, da hast du recht.


Nun, das eine große Argument deiner Kritik war über die Wetterbeschreibungen, und das diese deiner Meinung nach nicht unbedingt kongruent sind mit Empfinden der Charaktere. Also zum Beispiel:

Das war der Moment wo ich das erste Mal wirklich dachte: Häeh? Bitte was? So schlimm war das Wetter doch gar nicht beschrieben. Die Worte der Mutter implizieren hier etwas, das ich als Leser nicht nur nicht fühlen kann, sondern dass mir gar nicht gezeigt wurde. Das hängt mit dem Anfang zusammen.
Hier im speziellen hat es wenig mit dem tatsächlichen Wetter das Michaels Mutter so etwas zu ihm sagt. Es geht hier mehr darum das sie sich um ihren noch recht kleinen Sohn sorgt, vielleicht etwas zu sehr.

Ich fand das du das etwas wörtlich genommen hattest in deiner Lesung. Das Wetter mag noch unter die Kategorie "Herbstwetter" fallen. Aber das Empfinden der Charaktere ist was es erst besonders macht.

Du hast auch recht wenn du sagst das Blätter an sich nicht unheimlich sind:

Aber der Nebensatz zerstört die Spannung: rasselnde Blätter sind jetzt nicht unbedingt gruselig. Gruselig ist vielleicht, dass alle erzählen, dass sie von rasselnden Blätter träumen, aber das alleine macht noch keinen Albtraum.
Wenn die Charaktere das allerdings als unheimlich empfinden, und es das Einzige ist das ihnen nach dem Aufwachen noch im Kopf bleibt dann ist das ja nicht unbedingt ein Fehler in meiner Beschreibung. Es ist natürlich in Ordnung damit nicht einer Meinung zu sein als Leser.

Das hört sich auch recht harmlos an. Ein kleiner Ast kracht ans Fenster. Wir hatten den Sommer Hagel mit so großen Brocken, dass mir Terassentach eingeschlagen wurde. Mein Auto sieht aus hätte man Steine drauf geworfen. Als es losging, ein starker WInd, Bäume wurden umgeworfen. Zwei Kinder wurden am Spielplatz von einem Baum erschlagen. Das Wetter kam so plötzlich, dass die LEute noch draußen unterwegs waren. Der Himmel war mitten am Tag so dunkel geworden, als wäre es Nacht. Dann kam es blitzartig, dauerte zirka zwanzig Minuten und danach war strahlender Sonnenschein. Danach sprachen die Leute noch, dass es wie die Apokalypse über uns gekommen ist. Und ich, in deiner Geschichte, soll mich wegen einem kleinen Ast fürchten, der ans Fenster schlägt? Die Stimmung, das Wetter - gerade am Anfang, wo du mich rein ziehen und abholen musst, mir einen Vorgeschmack auf das geben musst, was noch kommt - funktioniert nicht. Nur die Charaktere sprechen davon, wie schlimm "es" ist.
Es sollte auch ein recht gewöhnliches Ereignis sein. Der beschriebene Kontext macht das Ereignis (idealerweise) erst ungewöhnlich. Mir ging es darum zu zeigen das etwas nicht richtig ist. Aber nicht das die Welt hier sofort untergeht. Deswegen habe ich versucht indirekt zu sein. Da es als eine unterschwellige Gefahr dargestellt werden soll. Wenn ich es so darlege macht es hoffentlich mehr Sinn warum ich es unpassend gefunden hätte, so etwas wie Hagelstürme zu beschreiben.

Hoffentlich habe ich dich mit meinem Dickkopf jetzt nicht zu sehr geärgert.

Gruß, Horla.

 

@deserted-monkey

Für die späte Antwort gab es zwei Gründe:

zum einen wollte ich etwas abwarten, um dann gesammelt auf Kritiken zu antworten.

Und zum anderen das ich manchmal leider doch selbst auch etwas brauche, um Kritik zu verarbeiten. Und hier habe ich mir es wohl doch etwas zu sehr zu Herzen genommen das niemand so richtig in die Geschichte gefunden hat.

Gruß, Horla

 

Hallo @Horla!

Du kannst mich gerne markieren, sobald du die Geschichte überarbeitet hast. Ich weiß sehr gut, dass es recht schwer sein kann, mit Kritik umzugehen. Ich schlucke da auch oftmals runter und muss erst genug Abstand zu den Kritiken und zum Text gewinnen, um mich dann noch mal ran zu setzen. Du hast ja auch schon richtig festgestellt, dass vieles auch das Empfinden des Lesers ist und darum ist es auch nicht (immer) gut, jede Kritik „anzunehmen“ - in dem Sinne, dass man sie im Text umsetzt.

Ich würde auch nicht behaupten, dass jeder den Einstieg so wie ich (oder @deserted-monkey) empfindet. Ich glaube eher, dass sich noch nicht mehr Leute gemeldet haben, weil du einerseits ein recht neues Mitglied bist und andererseits das Geben/Nehmen-Prinzip vorherrscht. Wenn du dich auch mit anderen Texten beschäftigst, werden auch mehr Mitglieder des Forums sich mit deinen Texten beschäftigen und zum anderen lernt man aus der Beschäftigung mit anderen Texten auch mehr auf eigene Schwachstellen zu achten und selbst auch besser Kritik zu verarbeiten.

LG Luzifermortus

 

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