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Die Einzigen

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16.12.2007
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Die Einzigen

Die Einzigen

Es gab wahrlich nicht viel Positives an dem Umzug. Wenn ich stark nachdachte, fielen mir vielleicht zwei, drei Dinge ein- die negativen wagte ich gar nicht, zu zählen. Und dennoch gab es etwas, das alle Nachteile um ein Vielfaches überwog.

Als der Wecker mich um Punkt sechs Uhr aus meinen Träumen riss, wäre ich am liebsten in meinem Bett geblieben. Wieso rückten unangenehme Ereignisse wie erste Schultage immer so verdammt schnell näher? Einzig der Gedanke, dass ich diesen Tag in etwa vierzehn Stunden überstanden haben würde, tröstete mich. Dann würde ich meinem achtzehnten Geburtstag wieder ein Stückchen näher sein. Mein ganzes Leben lang wartete ich nur auf diesen Geburtstag, darauf, endlich auswandern zu können. Nach Kalifornien und ganz allein.
Nachdem ich meine morgendliche Prozedur hinter mich gebracht hatte, trat ich hinaus in eisige Kälte und musste beim Gedanken an den langen Weg bis zur Bushaltestelle stöhnen. Ich mochte Bewegung- unter der Bedingung, dass die Temperatur mindestens zwanzig Grad betrug und ich nicht so müde war, dass Gefahr bestand, bei jedem Schritt umzukippen.
Nach etwa zehn langen Minuten wurde nach einer Kurve endlich die Haltestelle sichtbar. Es überraschte mich, eine schemenhafte Gestalt zu erkennen. Ich hatte nicht erwartet, hier auch nur eine Menschenseele anzutreffen. Ein Junge, wahrscheinlich um die achtzehn, hockte auf einem der beiden Sitze im Bushäuschen. Er hatte längeres braunes Haar, eine eher schlaksige Figur, trug abgewetzte Kleidung und sah mit seiner markanten Gesichtsform, den leichten Sommersprossen, seinen ausdrucksvollen blauen Augen und den vollen Lippen gar nicht mal so schlecht aus. Sollte ich mich einfach zu ihm setzen? Als er mich bemerkte, nickte er mir zu. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Hoffentlich war ihm nicht aufgefallen, dass ich ihn so angestarrt hatte.
Etwas verlegen nahm ich schließlich neben ihm Platz. Die Musik seines iPods dröhne selbst mir in den Ohren und ich fragte mich, weshalb ihm bei der Lautstärke die Ohren nicht abfielen. Als ich eines meiner absoluten Lieblingslieder erkannte- Scars von Papa Roach, wippte ich instinktiv mit- was er wohl bemerkte. Grinsend zog er einen Ohrstöpsel raus und hielt ihn mir hin. „Willst’ auch?“ Ehe ich antworten konnte, drückte er mir den Stöpsel in die Hand.

Ich erinnerte mich immer wieder gerne an diese erste Begegnung. Obwohl ich von seiner Reaktion so perplex gewesen war, dass ich erstmal zehn Sekunden mit offenem Mund erstarrt war, hatten wir so was wie eine Unterhaltung zustande gebracht und herausgefunden, dass wir nicht nur unsere Leidenschaft für das Rock teilten, sondern beide Schlagzeug spielten und bereits in diversen Schülerbands mitgespielt hatten. Auf meine Frage, ob es noch andere Jugendliche in dem Kaff, in dem ich nun wohnen sollte, gab, antwortete er lächelnd, wir beide wären die einzigen.

Ich begann, mich immer mehr auf die gemeinsamen Minuten im Bus und an der Haltestelle zu freuen. Eigentlich war Markus die einzige Person in meinem neuen Leben, auf die ich mich freute. Es tat gut, jemanden zu haben, der einen wirklich verstand und nicht nur tat, als ob.
Es stellte sich heraus, dass er ein echter Experte in Mathe war- eines der wenigen Dinge, die wir nicht gemeinsam hatten. Er bot mir an, mir Nachhilfe zu geben, was ich ihm nicht abschlagen konnte. Natürlich nur, weil ich die anstehenden Klausuren auf keinen Fall verkacken wollte. Irgendwie nahmen mir weder meine Mutter noch ich diese Begründung richtig ab.
Wahrscheinlich war es auch nicht nur die Angst vor der Differentialrechnung, welche mir überhaupt nicht wohl gesonnen war, die das flaue, aber angenehme Gefühl in meiner Magengegend verursachte. Wie auch immer, es gelang mir, dieses zu ignorieren.
Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer, als die Klingel schrillte- Ich freute mich eben auf die vielen Zahlen.
„Hey“, begrüßte ich Markus.
„Na, alles klar?“ Langsam begann ich, mich zu fragen, ob er von seinem Dauergrinsen noch nie einen Krampf bekommen hatte.
„Immer doch“ Ich erwiderte sein Grinsen. „Fühl dich wie zu Hause“
Die Art, wie wir miteinander umgingen, hatte etwas seltsam Vertrautes. Als kannten wir uns seit Jahren und nicht erst seit wenigen Wochen. Es bestand kein Redezwang, im Gegenteil, das Schweigen zwischen uns war das angenehmste Schweigen, das man sich vorstellen konnte.
Als wir mein Zimmer betraten, wollte ich mich auf mein Bett fallen lassen, doch Markus zog mich neckend wieder hoch. „Das hättest du wohl gerne! Wir haben harte Arbeit vor uns- Schließlich darfst du in einer Woche mit der Differentialrechnung nicht mehr auf Kriegsfuß stehen“
„Das sind Hieroglyphen“, murrte ich. „Und meine Hoffnungen, dass diese Hieroglyphen meine Friedensbedingungen akzeptieren, sind gering“
Schließlich einigten wir uns darauf, den Waffenstillstand zu erstreben.
So ganz erreichten wir unser Ziel jedoch nicht. Aus unerklärlichen Gründen fiel es mir verdammt schwer, meine Konzentration auf mein Mathebuch zu lenken.

„Evi?“, fragte Markus irgendwann mitten in seiner dritten Nachhilfestunde.
Ich wandte mich von meinen heißgeliebten Gleichungen ab und bemühte mich, ihn wütend anzustarren. Ich hasste es, wenn man mich Evi nannte- eigentlich. Dass ich bei ihm eine Ausnahme machte, musste niemand merken.
Meine augenscheinliche Verärgerung ließ sein Grinsen nur noch breiter werden.
„Findest du nicht, dass du mich dafür entschädigen könntest, dass ich mich hier mit dir rumquäle?“
„Du hast doch gemeint, du willst kein…“, begann ich verwundert, doch er unterbrach mich: „Ich rede hier nicht von Geld- aber ein Kinobesuch wäre drin, was meinst du?“
Es gelang mir nicht ganz, meine Begeisterung zu verbergen. „Klar!“, entfuhr mir. „Wieso nicht?“, fügte ich hinzu und hoffte inständig, dass ihm die Freude, die in meiner Stimme mitschwang, nicht auffiel.

Dem Kinobesuch folgten noch viele weitere Treffen- ich wagte es nicht, das Wort Date zu gebrauchen- und bald handelten meine Tagebucheinträge und meine Gedanken nur noch über die Stunden, die ich mit Markus verbrachte. Irgendwie musste ich die Zeilen meines Tagebuches eben füllen… Okay, mittlerweile gestand ich es mir ein. Markus war der Einzige, mit dem Mathe mir Spaß machte.

„Woran denkst du?“ Ich stupste ihn liebevoll an. „Du bist doch bereits den ganzen Tag über mit deinen Gedanken woanders“ Nach einem Spaziergang im Wald hatten wir es uns nun auf einer Parkbank bequem gemacht.
Er wich meinem Blick aus. „Na jaa…“
Einen Augenblick lang konnte ich meinen Augen kaum trauen. Sah der coole Markus etwa peinlich berührt aus? Nein, ich musste mich getäuscht haben, jetzt grinste er mich wieder ganz lässig an.
„Ich muss bloß… Die ganze Zeit an jemanden denken. An ein… Mädchen“
Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Rede nicht weiter!, flehte ich im Stillen. Wer auch immer es ist, ich will es nicht wissen…
„Ein Mädchen, das mich vom ersten Augenblick an verzaubert hat. Ein Mädchen, dass sogar ein Kaff wie dieses Dorf zu etwas Besonderem macht“
Unwillkürlich schaute ich mich um. Außer uns war weit und breit niemand zu sehen. Natürlich nicht. Wir waren die Einzigen. Aber er konnte doch nicht… Er meinte doch nicht etwa…?
Ich starrte runter und betrachtete meine Schnürsenkel. Mir war nie aufgefallen, dass sie mit ihrer knallgelben Farbe so gar nicht zu dem braunen Leder der Schuhe passten.
Plötzlich spürte ich seine Hand auf meinem Oberschenkel. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt.
„Evi?“, fragte er vorsichtig. Zaghaft blickte ich zu ihm auf- und erschrak, als ich seine Absicht erkannte.
Langsam beugte er sich zu mir und ehe ich einen klaren Gedanken fassen konnte, spürte ich seine Lippen auf meinen. Irgendwie wurde mir etwas schwindelig, aber das lag wohl daran, dass ich vergessen hatte, zu atmen.
Nach geschlagenen dreißig Sekunden versuchte ich, seinen Kuss zu erwidern. Ich stellte mich schrecklich ungeschickt an, doch ich war schließlich auch noch damit beschäftigt, nicht in Ohnmacht zu fallen.
„Das… Das war…“, keuchte ich, als mir wieder einfiel, wie man atmete.
„Geht es… Geht es dir gut?“ Markus klang ernsthaft besorgt, doch seine Augen strahlten mich an.
„Das war unglaublich“, brachte ich heraus.

Zu unserem dreimonatigen Zusammensein hatte er mir etwas Besonderes versprochen. Er wusste, dass ich keine Geschenke annehmen konnte, also hatte er mich um Erlaubnis gebeten, mich für einen Tag entführen zu dürfen. Da konnte ich nicht widersprechen- zu begierig war ich darauf, sich in die Hände eines solch romantischen Entführers zu begeben.
„Bitte einsteigen“ Mit gekonnt schnöseligem Butler-Blick hielt er mir die Tür seiner brandneuen roten Karre auf. Sie war sein ganzer Stolz, seit er seinen Führerschein vor fünf Wochen bestanden hatte.
„Ein echter Gentleman“, bemerkte ich neckend.
„Man muss sich seinen Geiseln doch von der freundlichsten Seite zeigen“, entgegnete er. Dann hielt er mir ein weißes Stück Stoff hin. „Bind dir damit die Augen zu. Und nicht schummeln“
Ich schnaubte, gehorchte jedoch. „Das ist aber nicht gastfreundlich“
„Für eine Entführung ist es sehr gastfreundlich“, hielt er dagegen.
Ich mochte Entführungen.
Etwa eine Viertelstunde düsten wir dahin. Da ich blind war und einen Orientierungssinn hatte wie Schweizer Käse konnte ich nur mutmaßen, was Markus mit mir vorhatte.
„Willst du lieber zur Eislaufbahn oder in den Zoo?“
Ich musste nicht lange überlegen. „Wenn du Lust hast, mir Schlittschuhlaufen beizubringen, nehme ich die Eislaufbahn“ Früher hatte ich die Eispiste gemieden, weil dort nur Pärchen liefen. Jetzt gehörte ich mit Markus zu denjenigen, die daran schuld waren, dass andere die Eislaufbahn mieden. Ich lächelte still in mich hinein.
Mittlerweile stand das Auto still und ich hörte, wie mein Freund- wie schön das klang- ausstieg und die Tür des Beifahrersitzes öffnete. Er band mir das Stück Stoff ab.
„Wir sind in Berlin“, stellte ich fest, ein wenig stolz darauf, dass ich die Stadt auf Anhieb erkannte.
„Wow, Nachhilfe in Geographie brauchst du wohl keine“
Ich stieß ihn freundschaftlich in die Rippen. „Pass bloß auf, ich versteh keinen Spaß“
Er wich spielerisch einen Schritt zurück. Dann drückte er mich an sich und legte seinen Arm um meine Hüfte, was mein Herz jedes Mal erneut zum Rasen brachte. Glücklich seufzend schmiegte ich mich an ihn.
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Du bist eine ganz schön anhängliche Geisel“
„Und du ein ganz schön charmanter Entführer“
„Du weißt ja gar nicht, was heute noch ansteht“ Er ließ seine Stimme verschwörerisch klingen.
Ich biss sofort an. „Was denn?“ Neugierde war eine große Schwäche von mir, die er natürlich schamlos ausnutzte.
„Das siehst du nachher“
Ich setzte einen Schmollmund auf, der sich jedoch spätestens nach fünf Minuten Hand in Hand Schlittschuhlaufen auflöste.
„Mir ist eiskalt“, jammerte ich anderthalb Stunden später, als wir uns an den Rand der Bahn gesetzt hatten. Ich war etwa alle zwei Minuten auf das nasse Eis gefallen. Meine Hose war durchnässt, meine Beine mit Blutergüssen übersät und ich zitterte wie Espenlaub.
„Bin sofort wieder da“, versprach Markus und hüpfte mit einem geschmeidigen Sprung von der Sitzstange. Einige Minuten darauf kehrte er mit zwei Bechern heißer Schokolade zurück. Er winkte mich zu sich auf eine Sitzbank und legte die Arme schützend um mich. Mir wurde gleich viel wärmer ums Herz.
Als er mir die Überraschung des Tages verkündete, kreischte ich laut auf.
„Bullet for my Valentine!“
Er grinste mich erwartungsvoll an. „Naaa, bin ich gut?“
Ich gab ihm einen leichten Klaps. „Werd bloß nicht übermütig… Du hast tatsächlich Karten für das Konzert heute?“ Oh mein Gott, er musste den Tag mindestens ein Monat im Voraus geplant haben…
Dem schönsten Abend meines Lebens stand nichts mehr im Wege.
Gegen zwei Uhr nachts, als das Konzert abgeklungen war, lag ich überglücklich in den Armen meines höchstpersönlichen Valentins und zwang mich, nicht einzudösen, um ja nichts von diesem wunderbaren Moment zu verpassen.
„Evi?“
Inzwischen war der Klang meines Spitznamens der schönste der Welt, wenn er ihn aussprach. „Mh?“
„Ich liebe dich, Evi“
Ich zuckte zusammen. „Ich dich auch“, wisperte ich.

Es hätte ewig so weitergehen können. Nun hatte mein Leben endlich einen Sinn. Nun gab es endlich jemanden, an den ich abends im Bett und morgens beim Aufwachen denken konnte. Jemanden, mit dessen Namen ich die Zeilen meines Tagebuchs füllen konnte. Es war perfekt, doch ich hätte ahnen müssen, dass das Schicksal gerade jetzt diese Idylle zerstören würde.
Es war seine Mutter, die mich mitten in der Nacht anrief. „Es ist etwas passiert“ Ihre Stimme am anderen Ende der Leitung klang brüchig wie die Stimme einer Person, die lange geweint hatte. So lange, bis die Tränen versiegt waren und man den Eindruck hatte, den Augen wäre die Tränenflüssigkeit ein für alle Mal ausgegangen. „Markus hatte einen Autounfall… Mehr wissen wir auch nicht“ Sie verstummte kurz. „Wir holen dich gleich ab, ja?“
Mein Herz hämmerte wild gegen meinen Brustkorb, als ich im Nachtanzug und mit zitternden Beinen im Auto der Meyers. Konrad Meyer, Markus’ Vater, war der einzige, der klaren Kopf behielt und so mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Krankenhaus fuhr. Die ganze Fahrt über fiel kein Wort. Wahrscheinlich schickte jeder einzelne von uns seine persönlichen Gebete gen Himmel.
Es schien mir so unrealistisch. Das gelegentliche Schluchzen Frau Meyers, der Geruch nach Krankheit und Tod im Krankenhaus… Wie im Film. Vielleicht war es auch ein Traum, doch es war nicht die Wirklichkeit. Es durfte einfach nicht real sein.
Irgendwann wurde mir die Hektik um mich herum zuviel und ich schaltete ganz ab. Ich drängte meine sich überstürzenden Gedanken beiseite und versuchte, einfach an gar nichts zu denken. Ich stellte mir eine riesige, weiße Wand vor, die meine Ängste und Hoffnungen daran hinderte, in meinen Kopf einzudringen. In dem Zustand musste ich aussehen wie hypnotisiert, aber das war mir im Moment herzlich egal.
Nach etwa zwanzig Minuten erwachte ich.
„Oh Eva, er lebt“ Lydia Meyer legte die Hand auf meine Schulter und strich mir tröstend übers Haar. „Er wird durchkommen, Eva. Dein Freund wird es schaffen“
Erleichterung durchströmte mich. Gleichzeitig jedoch gab der Widerstand in meinem Kopf, der mich vor meinen Gedanken bewahrt hatte, nach. „Ich muss zu ihm“, stieß ich hervor.
Markus’ Mutter umarmte mich fest. In den letzten Monaten war sie so was wie eine zweite Mutter für mich geworden und in ihren Armen konnte ich meinen Tränen endlich freien Lauf lassen. Ich wurde immer von neuem von Schluchzern durchgerüttelt, während Frau Meyer mir beruhigend zusprach.
„Du kannst noch nicht zu ihm“, flüsterte sie. „Die Ärzte haben ihn in ein künstliches Koma versetzt. Er hat Glück, dass er den Unfall überlebt hat, er musste einen unübertrefflichen Schutzengel gehabt haben.“
„Er wird doch wieder gesund, oder? Er… Er wacht doch wieder auf?“
„Eva… Die Ärzte vermuten, dass sein Nervensystem schwer beschädigt wurde. Sein gesamter Unterkörper ist gelähmt… Womöglich wird er für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen müssen.“ Sie versuchte, es mir schonend beizubringen, doch mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Es wird alles gut“, raunte ich. Ich hatte ihn nicht verloren.

Nach zwei qualvollen Tagen voller Ruhelosigkeit durfte ich endlich zu ihm.
Er sah so friedlich aus. Es war widersprüchlich. Um ihn herum all diese Geräte, die Ärzte und der Geruch des Todes, der in der Luft hing- und er schlummerte friedlich vor sich hin. Bald würde er erwachen und dann würde alles wieder gut werden.
Ich hatte ihm seine Lieblingsschokolade mitgebracht, die ich vorsichtig auf den Nachttisch neben ihm legte. Vielleicht würde der Duft ihn wecken.

Ich besuchte ihn, so oft es mir nur möglich war. Ich konnte weder richtig essen noch zur Schule gehen und verbrachte die Tage damit, zu beten und zu hoffen. Am fünften Tag kam der erlösende Anruf.
Frau Meyer brachte mich sofort ins Krankenhaus und als ich die Tür seines Zimmers betrat, fiel ich weinend auf den Boden. Markus saß aufrecht in seinem Bett. Ich merkte, wie aufgewühlt er war, obwohl er sich bemühte, eine betont entspannte Miene aufzusetzen, als er mich sah.
„Evi“ Er starrte auf seine Decke, fast, als schämte er sich.
Ich wusste nicht, wie ich die richtigen Worte finden sollte. „Es tut mir so leid für dich“
„Für mich? Ich bin ja selbst schuld dran… Es ist nur… Ach, vergiss es“
„Ich hab dich vermisst“, murmelte ich. Vermisst? Wie untertrieben.
Er lächelte schwach. „Ich dich doch auch“ In seinen Augen lag ein merkwürdig wehmütiger Schleier.
„Erzähl schon“, drängte ich sanft. „Was bedrückt dich so?“
Er blickte mich verunsichert an. „Kannst du dir das nicht denken? Wegen des Unfalls habe ich die wichtigste Person in meinem Leben verloren. Du willst dich wohl kaum mit einem Behinderten wie mir blicken lassen“
Ungläubig sah ich ihn an. Glaubte er ernsthaft…?
Dann lachte ich. „Dummerchen“ Zärtlich strich ich ihm übers Handgelenk. „Denkst du wirklich, ein Rollstuhl würde mich daran hindern, mit dem tollsten Jungen der Welt zusammen zu sein?“
„Mit mir hast du doch keine Zukunft. Ich wäre viel zu egoistisch, wenn ich dich behalten würde, in dem Wissen, dass du mit einem anderen glücklicher hättest werden können“
„Aber ich will nur dich“, hauchte ich.
Doch er schüttelte entschieden den Kopf. „Lass das Theater, bitte. Nun mach schon, erklär mir endlich, dass du mich über alles liebst, unsere Beziehung jedoch so unmöglich funktionieren kann. Dass du dir deine Zukunft anders vorgestellt hast… Ich versteh es ja“
„Meine Zukunftspläne kann ich jederzeit ändern“ Plötzlich stiegen mir Tränen in die Augen. Wieso zweifelte Markus an meinen Worten? „Ich brauche dich doch… Du bist wie die Luft, die ich zum Atmen benötige“
Oh Gott, dieser Satz klang ja, als wäre er einem Kitschroman entsprungen. Und doch war diese Formulierung die einzig passende.
Markus` argwöhnischem Ausdruck nach zu urteilen, brauchte er eine weitere Bestätigung, um mir glauben zu können. Ohne zu überlegen beugte ich mich vor, presste meine Lippen behutsam auf seinen Hals und arbeitete mich bis zu seinem Mund hoch, bis ich schließlich seine Lippen fand. Er erwiderte den Kuss, erst zögernd, dann innig, und schlang seine Arme fest um meinen Oberkörper.
Glücklich schloss ich die Augen…Und dachte daran, dass ich in zwei Jahren auswandern würde. Nach Kalifornien, aber nicht allein.

 

So- Nach längerer Schreibpause habe ich mich endlich wieder dazu aufgerafft, eine Geschichte zu schreiben- Am Anfang sollte es eigentlich gar keine Liebesgeschichte werden :Pfeif:
Ich hoffe, sie ist nicht zu arg kitschig geworden ;)

 

Hallo Kiara,

der Schmalzfaktor ist weniger ein Problem als die narrative zusammenfassende Erzählweise, durch die dieser Schmalzfaktor eben so aufgesetzt wirkt, weil man mit Markus und Eva nicht mitfühlen kann. Du bringst sie uns leider nicht nahe.
Ein paar Hinweise findest du in den Details:

Und doch überschattete eines der positiven alle Nachteile um ein Vielfaches.
in zweifacher Hinsicht falsch. Zum einen spricht man von "überschatten" in Falle eines negativen Merkmals, welches die postiven Merkmale in Mitleidenschaft zieht (Überschatten macht etwas dunkler), zum zweiten fehlt dir zu "eines der postiven" ein Substantiv, auf das sich die Formulierung bezieht. Es funktioniert auch nicht, indem du "Postiven" einfach groß schreibst und so zum Subjekt machst (Ich merke gerade, es könnte sich auf "Dinge" im Satz zuor beziehen, dann wäre es aber ratsam, den Bezug schon vorher aufzubauen und auf die Wiederholung von "Dinge" auch schon bei "die negativen" zu verzichten.). Vorschlag: Und dennoch gab es etwas, das überwog alle Nachteile um ein Vielfaches.
Als der Wecker mich um Punkt sechs Uhr aus meinen Träumen riss, wäre ich am liebsten in meinem Bett liegen geblieben.
"liegen" ist redundant, es müsste nur erwähnt werden, wenn die Person lieber im Bett stehen oder sitzen geblieben wäre. Liegen ist da ja die übliche Tätigkeit.
Er hatte etwas längere braune Haare
Im Sinne von Frisur wird Haar meistens im Singular benutzt.
und sah gar nicht mal so schlecht aus.
da ich den Geschmack des Mädchens nicht kenne, kann ich mit dieser Bemerkung leider nichts anfange, was mir den Jungen bildlich vor Augen führen würde. Längeres braunes Haar reicht da nicht.
Etwas verlegen nahm ich schließlich neben ihm Platz. Erst jetzt fiel mir sein iPod auf. Ich fragte mich, weshalb ihm bei der Lautstärke die Ohren nicht abfielen
Dann frage ich mich, warum ihr die Musik nicht gleich aufgefallen ist?
Als ich eines meiner absoluten Lieblingslieder erkannte
Die Art der Liebligslieder charakterisiert die Protagonisten, es wäre also gut, einen genauen Titel und eine genaue Band zu nehmen.
dass wir nicht nur unsere Leidenschaft für Rock, sondern auch andere Hobbies teilten
Rock wird erst dann zum Hobby, wenn sie Musik machen, statt sie nur zu hören. Als Musikrichtung ist er derart vage, dass vielleicht besser ein paar Bands aufgezählt werden.
Er liebte die Natur und interessierte sich genauso sehr für Esoterik wie ich. Auf meine Frage, ob es noch andere Jugendliche in dem Kaff, in dem ich nun wohnen sollte, gab, antwortete er lächelnd, wir beide wären die einzigen.
Ein Rockmusikhörer mit Natur- und Esoterikfimmel ist zwar ungewöhnlich, kann aber vorkommen. Leider fehlt auch hier die bildliche Vorstellung, in welcher Weise sich die beiden dafür interessieren. Und wenn sie doch die Natur so lieben, warum verfluchen sie den Ort als Kaff?
Wahrscheinlich war es auch nicht nur die Angst vor den Brüchen
Bruchrechnung in der Oberstufe?
als das Klingeln ertönte
die Klingel (Das Klngeln ist ja schon das Ertönen)
Aus unerklärlichen Gründen fiel es mir verdammt schwer, meine Konzentration in seiner Gegenwart auf mein Mathebuch zu lenken.
"in seiner Gegenwart" ist auch klar, ohne dass du es schreibst.
Markus war der einzige, mit dem Mathe mir Spaß machte
der Einzige
„Du kannst noch nicht zu ihm“, flüsterte sie. „Die Ärzte haben ihn in ein künstliches Koma versetzt. Er hat Glück, dass er diesen Autounfall überlebt hat
die Information kommt etwas spät, zumal man vorher die ganze Zeit denkt, Markus würde mit im Auto sitzen und sich fragt, ob nicht der Umweg, um das Mädchen abzuholen, wertvolle Zeit kostet.
Sein Nervensystem wurde schwer beschädigt. Sein gesamter Unterkörper ist gelähmt… Er wird für den Rest seines Lebens im Rollstuhl sitzen müssen.
Reine Effekthascherei. Kein Arzt würde eine solche Prognose so früh stellen.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Kiara.
Also mal ganz ehrlich - vom Hocker gehauen hat mich diese GEschichte nicht, auch, wenn Du versucht hast, einfühlsam diese tragische Liebe zu beschreiben. Was Deine Sprache an sich betrifft, so ist es dennoch verblüffend, wie Du es für Dein Alter vermagst, Dich auszudrücken. Die kindliche Naivität tritt dann aber wieder im Ablauf der Handlung zutage; etwas ziemlich schmalzig und irgendwie, na ja, reality-soap mäßig...
Also, liebe Kiara, ich will Dich mit meiner Kritik wirklich nicht entmutigen; im Gegenteil: ich glaub, in Dir steckt ne Menge Potential, was das Schreiben betrifft. Und je mehr Erfahrungen Du machst, desto lebendiger werden vielleicht auch die Charaktere? :)
Wenn doch die Menschen alle so unschuldig und lieb wären, wie Deine beiden Süßen da ;)

Weiter schreiben und liebe Grüße,

Ganesh

 

Hallo ShreeGanesh

und auch dir danke für deine Kritik :)
Vielleicht werde ich das Ende ändern, da es wirklich ziemlich kitschig und nicht sehr originell ist...

Jedenfalls werde ich fleißig weiter Geschichten schreiben und an meiner Figurendarstellung feilen ;)

 

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