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Die faule Else
Es war einmal ein Mädchen, das wurde von allen im Dorf die faule Else genannt, denn Else ging nie mit dem nötigen Ernst an die Arbeit. Ihr schien die Welt so wunderbar und staunenswert, dass sie sich an Allem freuen konnte. War sie mit ihrer Mutter auf dem Weg zur Bleiche, so drehte sie sich mit ihrem Wäschekorb wie beim Tanz. Eifrig half sie, die Laken auf dem Gras auszubreiten. "Sieht das nicht aus, als habe es auf die Wiese geschneit?", rief sie. "Hör doch nur, Mutter, da quaken Frösche im Schilf. Ob wohl ein Fröschlein mit einer Krone dabei ist, wie im Märchen?"
"Arbeiten sollst du, und nur an deine Arbeit denken!", antwortete dann die Mutter.
Wurde sie in den Wald geschickt, um Beeren zu pflücken, so sang die Else auf dem Weg und beim Ernten. Sie schwieg nur still, um zu lauschen, wie die Vögel ihr antworteten. Die Dorfleute wussten aber ganz sicher, dass man nur dann richtig arbeitet, wenn man sich plagt. "Wenn es Freude macht, ist es keine Arbeit.", sagten sie, "Die Else ist einfach nur faul."
Das Wunderbarste waren für Else die Gaukler, die einmal im Jahr kamen. Sie trugen bunte Gewänder mit Schellen daran, damit sie sich von den anständigen, hart arbeitenden Menschen unterschieden. Das Dorf durften sie nicht betreten, sondern mussten auf der Tanzwiese im Wald ihre Wagen aufstellen. Die Else lief immer wieder in den Wald und versteckte sich hinter einem Busch, um ihnen zuzusehen. Näher heran traute sie sich nicht, denn die Mutter hatte gesagt:"Die Gaukler packen dich und stehlen dich, und dann wird es dir schlecht ergehen!"
Es wollte der Else scheinen, als seien die Gaukler die einzigen Menschen, die gleichzeitig arbeiten, lachen und singen konnten. Denn Else war die Einzige aus dem Dorf, die sah, wie die Gaukler nähten und kochten, tischlerten und Schuhe besohlten. Die anderen Leute kannten die Gaukler ja nur am Abend, lauschten ihrer Musik, lachten über ihre Possen und bestaunten die Jongleure. Und wenn es ganz dunkel war, gingen die Frauen des Dorfes zu den Gauklerinnen und ließen sich Medizin geben für die Leiden, um die sich die Doctores nicht kümmern.
Als die Else erwachsen war, sprach der Vater: „Wir wollen sie heiraten lassen.“
„Ja“, sagte die Mutter, „wenn nur einer käme, der sie haben wollte.“
„Nein“, sagte die Else, „damit ich den lieben langen Tag schufte, am Backhaus stehe, ohne den Duft des Brotes zu riechen und den Lein schneide, ohne seine blauen Blüten zu sehen? Da würde ich mich ja selber nicht mehr kennen. Ich will nicht heiraten.“
„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ sprach der Vater, „und wer einem Haushalt vorsteht, muss der Magd ein Vorbild sein. Wir werden dir nicht Brot geben und zusehen, wie du eine alte Jungfer wirst. Soll sich ein anderer über deine Träumereien ärgern.“
Endlich kam von weither einer, der hieß Hans und hielt um sie an, er fragte aber, ob die Else auch recht gescheit wäre.
„O“, sprach der Vater, „die hat Zwirn im Kopf“, und die Mutter sagte: „ach, die sieht den Wind auf der Gasse laufen und hört die Fliegen husten.“
Da merkte der Hans, dass die Eltern ihre Tochter für recht einfältig hielten und war's zufrieden, denn eine Frau mit eigenem Kopf konnte er nicht brauchen.
Die Eltern luden Hans zu Tisch, und da alle gegessen hatten, sprach die Mutter: „Else, geh in den Keller und hol Bier.“
Da nahm die Else den Krug von der Wand und ging in den Keller. Unten angekommen, stellte sie die Kanne vor's Fass und drehte den Hahn auf, und während der Zeit, da das Bier hineinlief, dachte sie recht gründlich nach. "Wenn ich den Hans nehme", sprach sie zu sich, "so werde ich arbeiten müssen, ohne mich je besinnen zu können, gleich wie die Mutter. Wenn ich den Hans nicht nehme, wird mir der Vater kein Brot mehr geben. Das Beste wäre, wenn der Hans mich nicht nähme. Da er gefragt hat, ob ich auch recht klug bin, muss ich ihn nur glauben machen, dass ich nicht recht gescheit sei, dann wirde er gehen wie die anderen Freier."
Während sie so dachte, sah sie neben dem Fass Töpfe aus Steingut. Säuberlich ausgewaschen warteten sie darauf, dass Schmalz oder Marmelade eingefüllt wurde. Da erinnerte sich die Else an ein Märchen, das sie bei den Gauklern gehört hatte. "Das könnte mich retten", sprach sie bei sich, nahm einen Hammer und begann, einen Topf nach dem anderen zu zerschlagen.
Als sie nun oben bei Tisch den Lärm hörten, lief die Mutter, nach der Else zu sehen. Die Mutter kehrte aber nicht wieder, gesellte nur ihr Schreien zu dem Scheppern der zerschlagenen Töpfe. Da sprach der Vater, dass er nun nach dem Rechten sehen müsse. Doch auch er kehrte nicht zurück. So stieg der Hans die Kellertreppe hinunter. Dort fand er die Else, wie sie einen Topf nach dem anderen zerschlug, während die Eltern sich mühten, sie zur Ruhe zu bringen.
"Else, was zerschlägst Du die Töpfe?" fragte der Hans.
Da hielt sie inne und sprach: "Ach Hans, wie ich hier so saß, dachte ich, wie schön es doch wäre, wenn wir ein Töpfchen hätten, das uns jeden Tag süßen Brei kochen würde. Es könnte doch gerade eines von diesen Töpfchen dasjenige sein, von dem das Märchen erzählt. Ich sage zu jedem "Töpchen, geh!", aber wenn es dann keinen Brei macht, muss ich es doch zerschlagen, damit ich weiß, welche ich schon erprobt habe."
„Nun“, sprach Hans, „mehr Verstand ist für meinen Haushalt nicht nötig“, packte sie bei der Hand, nahm sie mit hinauf und hielt Hochzeit mit ihr.
Da kam sie nun in Hansens Haus und sollte seinem Haushalt vorstehen. Das war aber noch ärger, als Else es sich gedacht hatte, denn der Hans hatte gar keine Magd, und sie musste alle Arbeit alleine tun. Wenn Else klagte, dass sie so viel zu schaffen hatte, dass sie sich selbst nicht mehr kenne, so antwortete Hans wie der Vater: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“
Dann dachte die Else bei sich: "Ach, hätte ich mich nur von den Gauklern stehlen lassen! Schlechter könnte es mir bei ihnen auch nicht ergehen!"
Als sie den Hans eine Weile hatte, sprach er: "Frau, ich will ausgehen, arbeiten und uns Geld verdienen, geh du ins Feld und schneid das Korn, dass wir Brot haben.“
„Ja, mein lieber Hans, das will ich tun.“ Nachdem der Hans fort war, kochte sie sich einen guten Brei und nahm ihn mit ins Feld. Als sie vor den Acker kam, sprach sie zu sich selbst: „Was tu ich? Schneid’ ich erst, oder ess’ ich erst? Hei, ich will erst essen!“ Nun aß sie ihren Topf mit Brei aus, und als sie dick satt war, sprach sie wieder: "Was tu ich? Schneid’ ich erst, oder schlaf’ ich erst? Hei, ich will erst schlafen!“ Da legte sie sich ins Korn und schlief ein.
Ihr träumte aber, die Gaukler seien ganz in der Nähe, und wenn sie nur zu ihnen gelangen könnte, würden die sie freundlich aufnehmen. Wie aber sollte sie die Gaukler überzeugen, dass sie wirklich eine der ihren werden wollte? Als sie so nachsann, stieg über der Else eine Lerche in die Höhe und sang ihr Abendlied.
Da eilte die Else geschwind heim und holte das Vogelgarn aus dem Schuppen. Das hatte um den Kirschbaum gehangen, damit die Vögel nicht die süßen Früchten fraßen. Alle Glöckchen trennte die Else vom Garn und nähte sie an ihr buntestes Kleid. Nun läutete sie bei jedem Schritte den sie tat, wie eine Gauklerin.
So schnell sie konnte, lief die Else zu dem Ort, den der Traum ihr gewiesen hatte; und dort waren ganz richtig die Gaukler und bestaunten das Wesen in dem eigentümlichen Schellengewand, das ihnen entgegeneilte. Die Else aber sprach: „Wenn ihr einen Weg wisst, wie ich wohl arbeiten kann, ohne mich selbst und die Schönheit der Welt dabei zu vergessen, dann lasst mich bei euch dienen!“
Und da sie ihre Geschichte erzählt hatte, sagte die älteste der Gauklerinnen, sie wolle die Else in ihre Lehre nehmen, denn zwei der wichtigsten Lektionen habe sie ja schon gelernt. Unter den Gauklern war auch einer mit Namen Hans, der sagte: „Was lebt, das will auch essen“, und teilte sein Brot und seinen Wagen mit ihr.
Bei den Gauklern lernten alle dieselben Lektionen, obwohl sie doch unterschiedliche Dinge taten: tanzen, singen, Instrumente spielen, mit Kräutern heilen, die Zukunft voraussagen, jonglieren und Feuer spucken. Denn die alte Gauklerin sagte: „Wer nur arbeitet und kennt sich selber dabei nicht, der ist hohl wie eine Schelle ohne Klöppel.“
Da die Bäume ihre Blätter verloren, lernte die Else, aus den vielen Arbeiten, die getan werden wollten, ihre eigene Aufgabe zu wählen. Dann fiel der Schnee über das Land und dessen Lektionen kannte sie schon: erst zu essen und zu schlafen, um sich für die Aufgabe zu stärken und Rat zu träumen. Beim Anblick der grünen Triebe, die im Frühling aus dem Boden sprossen, empfand sie Ehrfurcht vor dem Wunder des Lebens. Als alle Blumen blühten und die hohen Gräser miteinander wisperten, sprach die Else mit den anderen Gauklern und sie tauschten sich über ihre Träume aus. In der Wärme des Sommers tanzte sie über die Wiesen und es fiel ihr ganz leicht, die Arbeit zu tun, von der sie geträumt und gesprochen hatte. Als der Weizen golden und zum Schnitt bereit war, dankte die Else der Alten und allen lebendigen Wesen für das, was sie hatte lernen dürfen. Und dann färbten sich die Blätter an den Bäumen und die Else übte, das im Jahr Getane loszulassen und frei zu werden für neue Arbeiten.
Da das Jahr vergangen war, war aus der Else eine Kräuterfrau geworden. Zu ihrem Schellengewand trug sie keine Haube mehr, sondern einen Blumenkranz. Die Else hatte ihren Platz gefunden und tat ihre Arbeit mit Lachen und Singen.