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Die Genügsamkeit des Alters
„Bass doch auf“, herrscht ein siebzigjähriger Passant mich an und braust mit seinem elektrisch betriebenen Motorroller nur knapp an mir vorbei. „Des is a Wanderweg hier! Früher hätt’s des net gebe …“, flucht er weiter, während er in den Wald einbiegt.
Seltsamer Mensch, denke ich und setze meine Wanderung fort. Meine Freunde können nicht verstehen, was einen 22-Jährigen dazu treibt, jedes Jahr im Tegernseer Tal Urlaub zu machen. „Hast du eine reiche Seniorin gefunden?“, scherzen sie. Und in der Tat, das Tegernseer Tal wird immer älter. Aber das ist gut so! Senioren wissen wenigstens noch, was sich gehört. Sie sind freundlich, zuvorkommend und sehr hilfsbereit. So etwas ist bei meinen Altersgenossen nur noch selten zu finden.
Ich wandere weiter, atme tief ein und betrachte die alten Fichtenbäume ausgiebig. Eine Reisegruppe - alle älter als 60 - kreuzt meinen Weg. „Grüß Gott miteinander“, rufe ich. „Glück auf.“ Mürrisches Knurren als Antwort.
Na ja, Ausnahmen gibt es immer, denke ich und gehe weiter. Zwei ältere Herren begegnen mir wenig später. Wieder grüße ich freundlich, wieder keine Antwort. „Sprechen bestimmt kein Deutsch“, tröste ich mich und mache Rast.
Eine Dame geht mit ihrem schwarzen Rauhaardackel spazieren. Das Vieh kläfft schon seit Minuten. Als es mich sieht, beginnt es zu knurren. Die Beiden kreuzen das Schild „Wildtierfütterung.“ „Waldi, des is net für dich“, sagt sie und schaut mich an. Sympathiehalber breche ich in schallendes Gelächter aus und sage: „Ja, der Waldi ist ein ganz wilder.“
„Der is net wild!“, antwortet sie schroff und marschiert weiter.
Langsam verschlechtert sich meine Laune. Was ist denn heute los? Muss wohl die prekäre weltwirtschaftliche Lage sein …
Es ist schon später Nachmittag und ich befinde mich auf dem Nachhauseweg. Eine alte Frau haut mir mit ihrem Gehstock meinen großen Zeh blau. „Aus dem Weg“, ruft sie und ist gleich darauf verschwunden.
Erschöpft, aber vor allem enttäuscht schlurfe ich aus dem Wald. Zurück in meine Pension. Auf dem Weg dorthin begegne ich einer weiteren Gruppe. Wortlos trotte ich vorbei. Nach zwanzig Metern höre ich sie murmeln: „Nicht mal mehr grüßen tun sie. Verlodderte Jugend! Überhaupt kein Anstand mehr!“