KRITIKERKREIS
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Seas liebe Geschichtenliebhaber!
Ich entschied mich für die Geschichte „Die kleine Tanne“ aus zwei Gründen. Zum einen schreibe ich im Moment an einer Weihnachts-Kindergeschichtenserie und versuche, soviel Information und Gefühl aus Geschichten erfahrener Autoren zu sammeln.
Aber nicht nur zum Selbstzweck wählte ich diese Geschichte für den Kritikerkreis aus, sondern auch aufgrund der Geschichte selbst, die das Hässliche Entlein Motiv verarbeitet und aus der Feder einer Mutter kommt.
Kommen wir nun zu ihrer Weihnachtsgeschichte "Die kleine Tanne". Dieser Text, der die Bezeichnung "Geschichte" durchaus verdient, ist eine Kurzgeschichte, bei der man die Kriterien Einleitung-Haupteil-Schluss erkennen kann und der das Hässliche Entlein-Motiv verarbeitet.
Kurz zum Inhalt: Zu Weihnachten werden in einem Wald Tannen ausgesucht und die schönsten werden nach Hause mitgenommen und zum Weihnachtsbaum geadelt. Nur eine kleine hässliche Tanne wird nicht auserwählt. Ein Jahr vergeht, andere Bäume wachsen heran und auch nächstes Weihnachten wird der Protagonist übersehen. Diesmal bleibt sie allein im Wald zurück. Schließlich wird sie von gutartigen Kindern entdeckt und besungen, was der Tanne soviel innere Kraft gibt, dass sie dann doch noch schön wird. Am Ende wird sie in einen wunderschönen Garten verpflanzt und wird die schönste Tanne in ihrer Umgebung.
Da es eine Kindergeschichte ist, können viele Aspekte, die bei einer „Erwachsenengeschichte“ sofort auffallen, vernachlässigt werden. Zum Beispiel ist es wohl eine zweifelhafte Ehre für eine Tanne, gefällt und schließlich auf ein Kreuz geschlagen zu werden (so christlich kann sie gar nicht sein!). Auch der Aspekt der Illegalität einen Baum aus einen Wald zu fällen, kann unberücksichtigt bleiben.
Dafür muss eine Kindergeschichte andere Schwerpunkte setzen: leichte Verständlichkeit, einen gewissen pädagogischen Hintergrund (Moral) und ein Happy End. Zumindest erfüllen alle Kindergeschichten die ich kenne, diese Ansprüche. Und genau auf diese, möchte ich in meiner Kritik eingehen.
Leichte Verständlichkeit
Die Verständlichkeit einer Geschichte setzt sich aus folgenden Gesichtspunkten zusammen. Zum einen dürfen die Wörter nur einem verständlichen, zielpublikumgerechten Wortschatz entspringen und zum anderen muss der Ablauf der Geschichte logisch und nachvollziehbar sein.
Den Wortschatz der Geschichte „Die kleine Tanne“ fand ich kindgerecht. Es wurde weitgehend auf lange, träge Wörter, Fachvokabular und sonstiges verzichtet. Dies ist, denke ich recht gut gelungen.
Nur das Folgen der Handlung fiel mir persönlich schwer und ich denke, dass auch Kinder dabei ihr Problem haben könnten.
Den ersten Gedankensprung empfand ich an der Stelle:
Auch in diesem Jahr wurden viele Tannenbäume mitgenommen und sie wieder nicht beachtet
Ich wusste nicht, auf was sich dieses "wieder" bezieht, da ja bis jetzt nur eine Situation beschrieben wurde. Vor allem die ersten Worte "Es war kurz vor Weihnachten" drücken einen bestimmten Zeitpunkt aus, und das "wieder" eine Wiederholung. Schließlich war er verständlich, da die Autorin wahrscheinlich sagen wollte, dass es so wie in diesem Jahr, auch in den letzten Jahren zu ging. Meines Empfinden nach sollte es auch so geschrieben werden.
Der nächste Gedankensprung war:
Der Schnee tat ihr weh, der sich mit ganzer Kraft auf sie legte.
Mir hätte es gefallen, wenn der Abschnitt mit dem Schneefall begonnen hätte (was auch logischer wäre) und das Leid der Tanne unter der immer größer werdenden Last beschrieben wäre. Ein Vorgang anstatt eines Zeitpunktes, könnte man sagen.
Auch den Hintergrund dieses Absatzes habe ich nicht verstanden:
Der Winter brachte viel Schnee, aber der machte ihr nichts aus und als der Heilige Abend kam, war immer noch kein Mensch da.
Die kleine Tanne war ganz durcheinander, was war passiert?
Was wollte die Autorin damit ausdrücken, dass keine Menschen kommen? Was möchte sie den Kindern damit sagen? Für mich kommt es nicht heraus und ich denke, dass der Absatz weglassen werden und gleich vom Auffinden der kleinen, hässlichen Tanne durch die Menschen erzählen werden könnte, oder zumindest mit einer Erklärung (z.B.: Weil die Menschen dachten, sie hätten schon alle schönen Tannen mitgenommen, kamen sie dieses Mal zu Weihnachten nicht, um einen Weihnachtsbaum zu suchen, und so blieb die kleine Tanne ganz allein" oder so etwas ähnliches.)
Einige Stellen schienen mir noch unwichtig, da sie einmal erwähnt aber später nicht mehr aufgegriffen werden.
Nur die Tiere im Wald hatten sie bemerkt und wollten sie trösten. Es half aber nichts, die kleine Tanne wurde immer schwächer und alle Tiere wußten, wenn niemand half, mußte sie sterben.
Die Tiere spielen eigentlich keine wichtige Rolle. Auch die Aussage des Absatzes ist beschränkt, denn dass sie sterben würde, finde ich von der Idee her etwas überdramatisiert (da es ja im Grunde nicht ums Überleben, sondern um Schönheit geht, oder nicht?).
Auch:
Die Sonne sah die kleine Tanne und versuchte ihre Strahlen auf sie zu richten.
Hier personifiziert die Autorin die Sonne und macht sie, ähnlich der Tiere, zu einer Helferin. Verwirrt mich ein bisschen, da die Sonne wieder keine Rolle spielt. Sollte sie als Herlferin hervorgehoben werden und aussagen, dass die Tanne nicht alleine steht, so hätte es meinem Verständnis geholfen, wenn es beschrieben worden wäre. Ansonsten bräuchte die Geschichte, meiner Meinung nach, keine weitere Akteurin. Ähnlich der Tiere.
Mein Tipp an Inga: Vielleicht könntest du mit dem Absatz mit den "Bäumchen in ihrer Nähe" beginnen, danach das Aussuchen der anderen Bäume erzählen, dann ist die kleine Tanne allein und dann wird sie von den Kindern gefunden und nach Weihnachten im Frühling in einen Garten verpflanzt. Mit dieser Neuanordnung der Absätze würde deine Geschichte viel an Logik gewinnen, denke ich.
Kommen wir nun zum pädagogischen Hintergrund, bzw. zur Moral.
Hier gefiel mir die Geschichte besonders, denn sie hat eindeutige Aussagen: Zum einen das hässliche Entlein Motiv: Was einmal hässlich ist kann später einmal wunderschön werden. Doch die Autorin greift noch weiter und beschreibt eine der möglichen Erklärungen, wie es zu dieser Schönheit kommen kann. Das hässliche Entlein wurde einfach durch die schwänische Pubertät schön. Pasta!
Inga beschreibt einen Prozess der inneren Reife. Die kleine Tanne erlangte durch das Vertrauen und die Bewunderung anderer (hier: der Kinder) soviel Kraft, dass sie schließlich wachsen konnte. Die Aussage: "Man kann auch hässlichen Menschen vertrauen und sie bewundern, wodurch sie soviel Kraft bekommen könnten, dass sie sich ändern" scheint klar hervor, wobei "hässlich" natürlich vielerlei Bedeutung hat. Schließlich kann diese Hässlichkeit auch Arroganz oder eine abweisende Haltung bedeuten. Die Moral ist der Autorin, so finde ich, sehr gut gelungen.
Das Happy End
Natürlich gibt es ein Happy End und natürlich wurde das einzig richtige gewählt. Die ehemals kleine, hässliche Tanne kommt in den Nadelbaumolymp. Es lässt ein angenehmes Gefühl zurück, dass gekoppelt mit der Moral eine gute Geschichte ergibt.
Fazit: Eine sehr gute und angenehme Kurzgeschichte für Kinder, die meiner Meinung nach noch ein wenig architektonische Arbeit nötig hat.
Liebe Grüße aus Wien, Peter Hrubi