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Die Kunst zu konjugieren

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24.03.2019
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Die Kunst zu konjugieren

Wenn Pater Zoschke hereinkam, dann war er da. Selbst die Schüler, die mit dem Rücken zur Tür saßen, spürten es. Sie nahmen unbewusst eine Veränderung an den Schülern wahr, die ihn sahen. Eine minimale Versteifung eines eben noch entspannten Körpers. Ein Flackern von Angst in den eben noch ruhigen Augen. Ein kalter Hauch, der einem die Nackenhaare aufstellte. Er war da. Bevor er sein Pult erreichte, warf Pater Zoschke jedes Mal seinen großen Schlüsselbund darauf. Die eisernen Schlüssel, die aussahen, als öffneten sie das Gitter zu einem Verlies, klimperten und klackerten auf dem Holz und forderten uns auf zu schweigen. Spätestens mit dem Geräusch der Schlüssel erstarben unsere lebendigen Gespräche und wir stellten uns vor unsere Tische. Wenn Pater Zoschke sich dann mit seinem massiven Körper mittig in den vorderen Raum stellte und dort verharrte, dann war er der General und wir seine Soldaten. Stramm standen wir in Reih und Glied, die Augen geradeaus, der Mund verschlossen. Nicht selten reizte er diesen Moment aus, ließ die Stille im Klassenzimmer die Geräusche von draußen übertönen, und lächelte maliziös.

Bonjour, la classe!“, rief er laut in den Raum hinein.
Bonjour, Pater Zoschke!“, erwiderten wir wie ein Mann. Ein Monsieur wollte er nicht hören. Pater Zoschke war eigentlich Germanist. Es hieß, er habe in seiner Schulzeit Altgriechisch belegt, später Deutsch und Latein studiert, aber dann, der Berufsaussichten wegen, von Latein auf Romanistik umgeschwenkt. Galloromanistik, um genau zu sein. Wir, die Pennäler des bischöflichen St. Josef Gymnasiums, fanden das nachvollziehbar. Ein so massiger, einfacher Mann, mit seinem grauschwarzen Schnurrbart und dem kahlen, runden Schädel, konnte Französisch nicht aus purer Liebe zur Grande Nation studiert haben. Nein, wenn überhaupt, dann hatte er Französisch studiert, um ‚den Feind’ zu studieren. Um ihn dann, in Kenntnis seiner Perfidie, besiegen zu können.

Zu Beginn einer jeden Stunde ging Pater Zoschke stets mit einem kleinen Notizbuch durch die Reihen und kontrollierte unsere Hausaufgaben. Wer seine Bücher noch nicht rausgeholt, sein Heft mit den ordentlich angefertigten Hausaufgaben noch nicht aufgeschlagen hatte, der bekam ein Ohr langgezogen. Wer während des Unterrichts tuschelte oder auf andere Weise unachtsam war, musste der Flugkurve seines Schlüsselbunds ausweichen. Gelang das nicht, war eine Beule sicher, ein Bluterguss wahrscheinlich und eine Platzwunde möglich.

Ein weiteres Ritual seiner Machtdemonstration war das ‚Konjugationsspiel’. Er teilte die Klasse in zwei Hälften auf, die Schüler zur Fensterseite gegen die Schüler zur Türseite. Mannschaft Fenêtre gegen Mannschaft Porte. Von jeder Mannschaft musste pro Runde jeweils ein Schüler nach vorne kommen, ein Stück Kreide ergreifen und eine der beiden Außentafeln so aufklappen, dass er sich dahinter verstecken konnte. Weder wir, die Schüler, noch Pater Zoschke konnten sehen, was die beiden Kontrahenten an die Tafel schrieben. Dann ging es los.
„Grammatische Person: 1. Singular. Verb: aller. Tempus: présent!“, befahl Pater Zoschke. Die Schüler schrieben.
Sobald ein Schüler meinte, die richtige Konjugation an die Tafel geschrieben zu haben, klappte er diese um und machte das Geschriebene für uns alle sichtbar: Je vais.
Hatte der Schüler die Konjugation schnell und richtig hin geschrieben, gab es zwar kein Lob von Pater Zoschke, aber einen Punkt für die Mannschaft. Jene Mannschaft, die nach zehn Minuten die meisten Punkte hatte, gewann. Die Belohnung für den Sieg war immateriell. Bestenfalls gab es für Wilhelm, unseren liebedienerischen Klassenprimus, ein anerkennendes Nicken von Pater Zoschke.

An dem Tag, als Dominik zu uns in die Klasse kam, spielten wir gerade dieses Konjugationsspiel. Die Tür ging auf und unser Schulleiter, Pater Fredegand, stand im Türrahmen mit Dominik dahinter.
„Pater Fredegand“, rief Pater Zoschke sogleich. „Wie schön, dass Sie uns besuchen kommen.“ Er setzte sein schönstes schiefes Lächeln auf und ging in leicht gebückter Haltung auf Pater Fredegand zu, die rechte Hand weit von sich gestreckt. Pater Fredegand ergriff die ausgestreckte Hand nachlässig und wandte sich dann uns zu.
„Liebe Schüler, ich stelle euch Dominic vor. Er geht von heute an in eure Klasse. Ich verlasse mich darauf, dass ihr ihn in euren Reihen herzlich willkommen heißt und ihm den Einstieg so angenehm als möglich macht.“
Wir nickten pflichtbewusst.
„Dominic“, fuhr Pater Fredegand fort und schaute suchend in unsere Richtung, „du setzt dich neben Albert.“

Ich war überrascht, dass Pater Fredegand meinen Namen wusste. Ich hatte noch nie bei ihm Unterricht gehabt und es gingen mehr als vierhundert Jungen auf unser Gymnasium. Da der Platz neben mir der einzige freie Platz war, kam Dominic zielstrebig auf mich zu. An meinem Tisch angelangt, lächelten wir uns kurz an, dann nahm er Platz. Pater Fredegand warf Pater Zoschke noch einen letzten, aufmunternden Blick zu, dann war er weg. Die verkrampften Mundwinkel des Paters Zoschke entspannten sich, als die Tür wieder ins Schloss fiel.
„Nun“, fuhr Pater Zoschke fort, „wo waren wir stehen geblieben?“
Die Schüler wandten ihren Blick von Dominic ab und richteten ihn wieder nach vorne. Die nächsten zwei Jungs kamen nach vorne.
„Grammatische Person: 2. Plural. Verb: conclure. Tempus: Imparfait!“, befahl Pater Zoschke. Die beiden Schüler verharrten hinter der Tafel. Sie blieben regungslos. Man hörte keine Kreide auf eine Tafel treffen.
Dix ... neuf ... huit ...“, begann Pater Zoschke herunterzuzählen. Als er bei Zéro angelangt war, klappten die Schüler die Außentafeln wieder um und ihre belämmerten Gesichter kamen zum Vorschein. Die Jungen hatten nichts aufgeschrieben. Nicht einmal das Personalpronomen.
„Aha!“, rief Pater Zoschke. „Aha! Ihr Elenden.“
Ich schaute verstohlen zu Dominic. Ich wollte seine Reaktion auf Pater Zoschke sehen. Ich wollte sehen, was dieser bärbeißige alte Hund bei ihm auslöste. Doch in Dominics Gesicht war fast nichts. Keine Angst, kein spöttischer Blick, bestenfalls eine unterschwellige Neugier. Sein Blick war vergleichbar mit dem eines Jungen im Zoo, der zum ersten Mal ein ihm unbekanntes Tier entdeckte.
„Seit einem Jahr nun habt ihr alle dieses Buch zu eurer Verfügung“, rief Pater Zoschke in gespielter Entrüstung und hielt ein kleines rotes Büchlein hoch: Den Bescherelle.
„Zwölftausend Verben, geordnet nach Verbgruppen und den Zeiten. Vom présent bis zum futur antérieur. Alles hier drin!“
Mit der freien Hand klopfte Pater Zoschke auf den Buchdeckel. Dann warf er es einem Schüler auf den Tisch.
„Hier, Junge, frag mich. Wähle eine beliebige Seite, ein beliebiges Verb und eine beliebige Zeit.“
Langsam nahm Ansgar das Buch in die Hand und blätterte unbeholfen dahin herum.
„Na, mach schon, Junge. Wird’s bald!?“
Ansgar nahm seinen ganzen Mut zusammen und formulierte die Aufgabe.
„Äh ... plaire ... subjonctif imparfait ... 1. Plural.“
Que nous plussions“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Um Anerkennung heischend blickte Pater Zoschke sich um. Auch Dominic warf er einen Blick zu, als wollte er sagen: „Nur, dass du’s weißt. Ich bin hier der Chef und alles tanzt nach meiner Pfeife“.
Aber Dominic verharrte ungerührt auf seinem Sitz. Er schien unbeeindruckt, frei von Angst. Er lächelte fast ein wenig.

Dominic, das lernte ich in der Folge, war ein sonderbarer Schüler. Er sprach wenig bis gar nicht. Er machte keinerlei Anstalten, Anschluss zu suchen oder zu finden. Er lächelte, war höflich und zuvorkommend. In den Pausen und nach Schulschluss ging er seiner Wege. Für gewöhnlich hätten wir einen Schüler wie Dominic schikaniert, auflaufen lassen, gehänselt und verprügelt. Aber vom ersten Moment an war irgendwie allen klar: mit dem nicht. Er wirkte reifer, abgeklärter als die meisten von uns. Im Unterricht sagte er nie einen Ton, auch seine schriftlichen Arbeiten waren eher durchschnittlich, und trotzdem wirkte sein Geist wie ein scharfes Messer. Ich muss zugeben, sein Verhalten imponierte mir. Es war ihm offenbar egal, was wir über ihn dachten, und er brauchte keine Freunde, keine Beschützer, keine Lobby. Er war sich selbst genug, und das machte seine Kraft aus. Dachte ich.

Contrôle de devoirs. Hausaufgabenkontrolle!“
Pater Zoschke war schlecht gelaunt. Seine Stimmlage und sein provozierender Blick sprachen Bände. In Windeseile holten wir unsere Hefte hervor und breiteten sie vor uns aus, die Hausaufgaben schön säuberlich vor uns. Dominic, neben mir, tat nichts. Keine Bücher, kein Heft, keine Aufgaben. Ich tippte ihm mit meinem Ellenbogen in die Seite.
„Hol deine Hausaufgaben raus“, raunte ich ihm zu.
Dominic war seit vier Wochen an unserer Schule. Er hatte sich immerhin soweit eingelebt, dass er den Unterricht meist unbeschadet überstand. Im Französischunterricht hatte er bisher jede Frage von Pater Zoschke mit einem höflichen ‚Je ne comprends pas’ beantwortet, aber seine Hausaufgaben hatte er dennoch. Nur an diesem Tag nicht.
„Hol deine Hausaufgaben raus“, wiederholte ich, dringlicher im Ton.
Aber Dominic drehte sich seelenruhig zu mir um und schaute mich entspannt an.
„Lass gut sein“, sagte er.
Pater Zoschke ging durch die Reihen. Ich spürte die Anspannung in mir. Gleich ist er hier, dachte ich. Gleich gibt es ein Donnerwetter. Gleich geht es los.
Pater Zoschke trat an unseren Tisch.
Contrôle de devoirs. Hausaufgabenkontrolle!“, wiederholte er.
Ich zeigte mit dem Finger auf mein Heft, aber es war klar, dass ich nicht gemeint war. Dominic blieb regungslos sitzen. Er sagte keinen Ton, schaute auch nicht hoch.
Contrôle de devoirs. Hausaufgabenkontrolle!“, kam es wieder von Pater Zoschke. Ich senkte meinen Kopf. Ich erwartete das Schlimmste.
„Dominic!“, versuchte es Pater Zoschke ein letztes Mal.
Jetzt hob Dominic langsam den Kopf. Ich hielt meinen unten. Gleich würde Pater Zoschke ihn am Ohr packen, ihn hoch und nach vorne zerren und vor der ganzen Klasse wüst beschimpfen. So hatten wir es schon oft erlebt. Jetzt gleich passiert es, dachte ich.
Die Zeit schien still zu stehen. Ich spürte die Blicke der Mitschüler, die gebannte Haltung, die Unruhe in der Luft. Doch nichts passierte. Statt Dominic anzupacken, statt ihn verbal zu erniedrigen, ging Pater Zoschke einfach weiter.
Contrôle de devoirs. Hausaufgabenkontrolle!“, sagte er am nächsten Tisch.
Ich erhob meinen Kopf. Was war passiert?

„Den Blick hättet ihr sehen sollen“, meinte Erwin in der großen Pause.
Die Jungs standen alle im Kreis und redeten durcheinander.
„Ich sage euch, dieser Blick“, fuhr Erwin fort, „da gefriert einem das Blut in den Adern“.
Da ich später dazu gekommen war, glaubte ich zuerst, es ginge um den Blick von Pater Zoschke.
„Pater Zoschke hatte Bammel, sage ich euch“, warf Ansgar ein. „Er hatte Angst vor Dominic.“
Zustimmendes Raunen. Dann, wie auf ein unsichtbares Kommando, schwenkten alle ihren Kopf und schauten zu Dominic, der am anderen Ende des Pausenhofs herumstromerte. Ganz entspannt, mit den Händen in den Hosentaschen. Ohne Ziel, ohne Eile.
„Ein Teufelskerl!“, sagte Ansgar, der besonders ergriffen zu sein schien.
So entstehen Legenden, dachte ich.

Schon am Nachmittag spürte ich den Zweifel, den Dominic mit seinem Verhalten gesät hatte, in mir keimen. Ich saß über den Französischaufgaben. Die erste Aufgabe hatte ich mit der üblichen Energie und in fein säuberlicher Handschrift ins Heft geschrieben. Selbst die Aufgabenstellung hatte ich nochmal abgeschrieben. Aber jetzt, als es um die zweite Aufgabe ging, verspürte ich plötzlich Unlust, gepaart mit einem Quäntchen Aufsässigkeit. Ich schrieb die ersten Sätze nachlässig hin. Ein verrutschtes ‚a’ hier, ein fehlender accent dort, ein vergessenes çedille: mir einerlei. Was will der Zoschke denn tun? Wahrscheinlich merkt er es nicht einmal. Und so wurde ich immer schludriger in der Bearbeitung der Aufgaben, bis meine Handschrift zum Schluss fast unkenntlich war.

Contrôle de devoirs. Hausaufgabenkontrolle!“
Tags darauf. Pater Zoschke, betont unberührt von den Ereignissen des vorherigen Tages, ging zunächst gemächlich durch die Reihen. Er machte beim ersten Schüler ein Kreuz in sein Heft. Er ging weiter zum nächsten, anschließend zum dritten und zum vierten. Routine. Beruhigende Routine. Doch dann, leicht irritiert, blieb er bei einem Schüler, Ferdinand, etwas länger stehen und starrte ungehalten auf dessen Heft.
„Sauklaue!“, grummelte er und zog an Ferdinands Ohr. Dann ging er weiter. Schon beim übernächsten Schüler bot sich ihm offenkundig das gleiche Bild. Auch diesem Schüler zog er das Ohr lang. Beim dritten Schüler, die Dynamik des Ganzen verstehend, verlor Pater Zoschke die Nerven. Er nahm das Heft des Schülers und schlug es ihm um die Ohren. Dann wandte er sich an uns alle. Wutentbrannt schaute er uns an.
C’est une révolte?“, schrie er.
Einen Moment lang stand Pater Zoschke verloren im Raum. Seine Körperspannung war wie weggeblasen. Seine Schultern hingen herab. Dann aber gab er sich einen Ruck. Sein Blick ging zu Dominic. Und verharrte dort.
„Dominic“, sagte er schließlich scharf. „Komm nach vorne!“
Dominic schaute ihn ruhig an. Ich machte mich auf alles gefasst, auch auf Körperlichkeiten. Aber Dominic stand ganz gemächlich auf, ging gelangweilt nach vorne und hielt dabei dem Blick seines Französischlehrers stand.
„Wilhelm“, rief Pater Zoschke dann. „Komm du auch nach vorne. Du trittst gegen Dominic an.“
Wilhelm stand sofort auf und stellte sich flugs hinter die Außentafel. Er war der unangefochtene Konjugationchampion, niemand konnte ihm das Wasser reichen. Jedem von uns war klar, was Pater Zoschke mit diesem ungleichen Duell bezweckte.
„Nehmt die Kreide auf“, befahl Pater Zoschke.
Er schaute uns provozierend an. Ihr werdet schon sehen, deutete ich seinen Blick.
„Grammatische Person: 2. Plural. Verb: placer. Tempus: passé simple!“

Bevor ich in Gedanken die Endungen des passé simple durchgehen konnte, wurde ich durch einen Knall aufgeschreckt. Dominic hatte mit voller Wucht die Außentafel umgeschlagen. In weißer Kreide auf grünem Grund stand dort: vous plaçâtes. Ich hatte keine Ahnung, ob die Konjugation richtig war, aber an Patern Zoschkes völlig verdattert dreinschauender Visage war klar: die Konjugation war korrekt. Auch Wilhelm, der hinter seiner Außentafel hervorgekommen war, wurde bleich.
Dominic stand da, und wir sahen ihn an wie einen Anführer. Es fehlte nicht viel, und wir wären alle jubelnd hochgeschossen und hätten ‚Zu den Waffen’ gerufen. Man spürte die unterdrückten Gefühlsexplosionen in unseren Körpern. Eine Energie strömte durch den Raum, ein Triumphgefühl, dem Pater Zoschke, unser Sonnenkönig, nichts entgegen zu stellen vermochte.
„Ruhe“, schrie er mit hassverzerrtem Gesicht.
Dabei hatte keiner von uns einen Ton gesagt.

Es folgte: Stille. Totenstille.
Nous faisons un dictée!“, sagte Pater Zoschke schließlich. Seine Hand zitterte.

Als es zur Pause geschellt und Pater Zoschke grußlos den Raum verlassen hatte, stupste ich Dominic an.
„Na, wenn du dir da mal keinen Feind gemacht hast“, meinte ich.
Dominic schaute mich an.
„Wen denn?“
„Na, Pater Zoschke. Wen sonst?“
„Zoschke?“, meinte Dominic gelassen. „Der ist doch harmlos.“
„Harmlos!?“, fragte ich entgeistert zurück. Mir waren schon viele Adjektive zu Pater Zoschke eingefallen, aber das von Dominic befand sich nicht darunter.
„Harmlos?! Dieser böse Hund? Wie er schreit und schimpft, wie er uns drangsaliert und misshandelt? Das findest du harmlos?“
Dominic nickte.
„Ja. Zoschke ist authentisch. Er bellt vielleicht, aber er beißt nicht. Die netten, die lieben Lehrer, die angeblichen Kümmerer, die sind gefährlich. Vor denen musst du dich in Acht nehmen. Aber Zoschke...“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
Wir standen auf und verließen gemeinsam den Klassenraum. Auf dem Pausenhof, wo ich für gewöhnlich mit den anderen Jungen an einem festen Platz stand, entschied ich, mit Dominic zu gehen.
„Woher wusstest du die korrekte Konjugation? Du sagst doch kein Wort im Unterricht.“
Dominic lächelte mich geheimnisvoll an. Wir schlenderten an den Pinien vorbei und lehnten uns an die Brüstung vor der Treppe, die runter zur Toilette führte. Als Dominic die Hände in die Hosentasche steckte und ein Knie anwinkelte, tat ich es ihm unwillkürlich nach.
„Kennst du Schloss Benedictum?“
„Die Klosterschule in Eschenlohe?“
„Genau die.“
„Ja, kenne ich. Wieso?“
„Auf dem Internat dort, da war ich, bevor ich hierhergekommen bin.“
„Aha“, erwiderte ich, erfolglos in dem Versuch, mich unbeeindruckt zu zeigen.
„Aber sie haben mich rausgeschmissen.“
Ich schwieg, weil mir nichts dazu einfiel. Ich ließ den Blick über den Pausenhof schweifen und schaute auf die tobenden, die in sich gekehrten, die gelangweilten, die euphorischen, die mutigen und die ängstlichen Jungen, die den Asphalt bevölkerten. Ich spürte, dass Dominic mir etwas erzählen wollte, und dass es dazu keiner expliziten Aufforderung bedurfte.
„Das Benedictum“, fuhr Dominic fort, „das Benedictum war die Hölle. Gottes Kaderschmiede, so haben sie es in Eschenlohe genannt, aber wirklich, es war die Hölle. Es gab nur eine Regel: absoluter Gehorsam. Jeden Tag wurden wir von den Patres gezüchtigt, von morgens fünf bis abends um sieben. Und jeder Pater versuchte, der Härteste zu sein. Untereinander überboten sie sich gegenseitig in immer drakonischeren Maßnahmen. Wenn wir nicht taten, was sie wollten, wurden wir auf den Hof gestellt, ausgezogen und mit einem Haselnussstock verdroschen. Ein Pater schlug mir einmal mit der flachen Hand so lange ins Gesicht, bis mir das Blut aus der Nase schoss. Das Schlimmste aber, das Schlimmste war die Hackordnung unter den Schülern. Die älteren Schüler waren nämlich die willigen Helfer der Patres. Manchmal wurden sie dazu abgerichtet, uns Jüngeren den Arm zu verdrehen und den Oberarm so lange zu traktieren, bis er blau anlief. Die anderen Oberstufenschüler standen dann im Kreis und johlten und grölten und lachten ...“
Dominic hielt inne. Er hob einen Kiesel vom Boden auf und kickte ihn mit dem Fuß weg.
„So war das am Benedictum. Deswegen macht mir der Zoschke keine Angst, du verstehst?“
Ich schluckte. Ich hatte Geschichten wie diese zwar schon gehört, aber immer für Gerüchte gehalten.
„Jedenfalls“, erzählte Dominic weiter, „jedenfalls gab es da diesen Jungen. Felix. Ein netter, aber zarter Junge. Zierlich, blondgelockt, ein Engelsgesicht. Er kam vorletzten September zu uns ans Benedictum. Während die meisten Patres ihn zunächst ohne Unterschied zu uns behandelten, hielt ein Pater, Pater Lürken, bald seine Hand schützend über ihn. Er sorgte dafür, dass die anderen Patres ihn in Ruhe ließen und selbst die älteren Schüler trauten sich bald nicht mehr, Felix zu drangsalieren. Am Anfang hatte ich den Eindruck, dass Felix sich über diesen besonderen Schutz freute. Mehr noch, er wurde uns gegenüber fast ein wenig herablassend und verspielte sich damit die Sympathien bei uns. Irgendwann sprach keiner mehr mit ihm und in den Pausen stand er alleine da. Dann, drei, vier Monate nach seiner Ankunft, holte Pater Lürken Felix aus dem Unterricht. Er benötige besondere Unterstützung, hieß es. Aber als ich sah, wie verstört Felix nach diesen ‚Privatstunden’ zurück in die Klasse kam, wussten wir alle, was mit ihm passiert war.“
„Was meinst du?“, unterbrach ich ihn hastig. Eine Frage, die gleichzeitig versuchte, aufzufordern und Einhalt zu gebieten. Dominic warf mir einen vielsagenden Blick zu.
„Pastor Lürken hatte einen ‚Ruf’ “, erwiderte er. „Wenn du verstehst, was ich meine?“
Ich hatte einen Kloß im Hals. Unfähig zu sprechen, nickte ich nur.
„Die meisten von uns waren ohne Mitleid für Felix. Geschieht ihm recht, meinten sie. Und ich dachte ähnlich. Aber irgendwann merkte ich, dass sich nichts ändert, wenn wir alle nur auf uns selbst achten. Ich merkte, dass Leute wie Pater Lürken genau das vermeiden wollten: Solidarität unter den Opfern. Denn wenn Opfer sich solidarisieren, dann entwickeln sie eine Kraft, die schwer kontrollierbar ist. Gut, jedenfalls nahm ich mir vor, etwas zu tun. Etwas für Felix zu tun. Als also Pastor Lürken wieder einmal zu uns in die Klasse kam, wir hatten gerade Französischunterricht, und Felix für eine ‚Privatstunde’ mitnehmen wollte, bin ich aufgestanden und habe gesagt, dass Felix keinen ‚Privatunterricht’ mehr möchte und dass wir Jungen dieses System der ‚Privatstunden’ ablehnen. Ich bin sogar aufgestanden, um das zu sagen. Ich hatte wohl gehofft, dass die anderen Jungen mir folgen würden, als sei ich Spartakus. Stattdessen war es einen Moment lang sehr still. Keiner sagte etwas, alle guckten auf Pater Lürken. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie die Wut in ihm hochstieg. Dann nahm er ein Buch vom Pult, kam auf mich zu und schlug es mir mit beiden Händen und mit voller Wucht ins Gesicht. Ich taumelte erst und fiel dann hintenüber. Dann zog er mich mit einer Hand am Ohr hoch und zerrte mich vor den Augen aller aus dem Klassenraum. Ich sehe jetzt noch die offenen Münder der Schüler vor mir. Auf dem Gang trat Pater Lürken mich und schleppte mich bis zum Karzer. Er schloss die Zelle auf, stieß mich hinein und schmiss das Buch hinterher.“
Dominic machte eine Pause. Die Ruhe, die Gelassenheit, die vermeintliche Willenskraft, die wir so an ihm bewunderten, war wie weggeblasen.
„Ich blieb für zehn Tage im Karzer. Zehn Tage bei Wasser und Brot. Zehn Tage in einem kleinen Raum aus Stein, mit einem kleinen Guckfenster. Zehn lange Tage. Ich sag dir, zehn Tage klingt nicht viel, aber bleib mal einen Tag lang in einem Zimmer, dann kriegst du eine Ahnung davon, was ich meine. Jede Sekunde ist ein Tag, jede Minute eine Woche und jede Stunde ein Jahr. Man wird verrückt. Man verwildert geistig. Keine Struktur, keine Ordnung, nur du und deine Gedanken. Und um nicht völlig verrückt zu werden, versuchte ich mich geistig abzulenken. Ich sagte wieder und wieder alle Gedichte auf, die ich auswendig kannte. Ich dachte mir Streitgespräche zwischen historischen Persönlichkeiten aus, ich maß den Raum aus, ich zählte die Steinchen am Boden. Und irgendwann fiel es mir ein: das Buch. Pater Lürken hatte mir ein Buch ‚geschenkt’. Ein ganzes Buch. Wörter, Sätze, Texte, Geschichten, Unterhaltung. Ich hob das Buch auf. Und was war es für ein Buch?“
„Der Bescherelle!“, sagte ich.
„Genau. Der verdammte Bescherelle. Keine Texte, keine Geschichten, nein, nur Konjugationen. Konjugationen! Aber mein Geist verlangte nach Beschäftigung, egal welcher Art. Und so beschäftigte ich mich eben damit. Mit Konjugationen.“
Ich unterdrückte ein Lachen. Es erschien mir unpassend. Ich hatte viele Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. Ich wollte so vieles sagen, aber ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte, vielleicht gab es aber auch einfach keine Worte für das, was ich fühlte. Und in dem Moment, wo ich tatsächlich etwas von mir geben wollte, klingelte es.
„Komm“, sagte Dominic. „Gehen wir wieder rein.“
Wir gingen wieder rein. Wir setzten uns hin. Der Unterricht ging weiter.

Und das war es. Wir sprachen nicht mehr darüber. Wir sprachen überhaupt nicht mehr miteinander. Wir wurden keine Freunde. Einen Monat später wurden wir wegen Renovierungsarbeiten als Klasse in einen anderen Raum verlegt und ich saß von da an neben Ansgar. Herr Zoschke wurde umgänglicher im Ton, aber dem Vernehmen nach nur in unserer Klasse. Zwei Jahre später verließen wir das Internat. Ich habe nie wieder etwas von Dominic gehört. Die anderen meinten, er sei bestimmt im Ausland und dort erfolgreich in der Führung eines Unternehmens tätig. Sonderbarerweise stellte ich ihn mir anders vor, nämlich arm, mittellos und verzweifelt in einer deutschen Kleinstadt. Denn als die Wahrheit nach und nach, fast vierzig Jahre später ans Licht kam, da berichteten die meisten Opfer von einem eher trostlosen Leben. Noch heute suche ich in allen öffentlichen Berichten, die ich zu diesem Thema lese, unwillkürlich nach diesen zwei Namen: Felix und Dominic.

Felix und Dominic. Dominic und Felix.

Felix. Dominic.

Aber gefunden habe ich sie bis jetzt nicht.

 

„Erziehung ist eine Zumutung, Bildung ein Angebot.“
Niklas Luhmann​

Die Kunst zu konjugieren
ist ein feiner, doppeldeutiger Titel,

sehr geehrter HerrLehrer,

der zwar seinen sprachwissenschaftlichen Inhalt meint und doch zu den Sozialwissenschaften hinüberschielt, denn alle Regelwerke incl. der Grammatik sollen Komplexität reduzieren wie auch in streng hierarchisch gebauten sozialen Gebilden von der kleinsten Gruppe (dem Paar, das Wort „Ehe“ zB ist nach seiner ursprünglichen Bedeutung ein „Vertrag“, der mit der „Ewigkeit“ verknüpft ist) bis hinauf zum größten, dem Staat (und [quasi-]militärisch oder ideologisch/religiös organisierten, überstaatlichen Menschenansammlungen). Disziplinierung erfolgt über Regeln, Strenge, Konsequenz und ggfs. Gewalt (gleich welcher Art, ob legitimiert oder missbräuchlich), wobei – da mein ich in einem ernsten Thema so etwas wie Ironie durchschimmern zu sehn, nicht erst, wenn es heißt

„Pater Zoschke hatte Bammel, sage ich euch“, warf Ansgar ein. „Er hatte Angst vor Dominic.“

Ist nämlich in unserer schönen Republik (und vielen anderen, den bürgerlichen Revolutionen seit dem 18. Jh. nachgebildeten Staaten – deren Keim allerdings im Westfälischen Frieden von 1648 gelegt ist, mit dem erstmals eine Art Völkerrecht formuliert wurde in der Unabhängigkeit der "Vereinigten Staaten der Niederlande" - und anderen das „Volk“ der Souverän, so in den religiösen Organisationen weniger das Kirchenvolk, als das Wesen, das wir lt. Dr. Murke alle verehren und gelegentlich „Gott, der Herr“ genannt wird …

Muss da nicht der Name des Rebellen „Dominik“ (dominus, der Herr) schon provozierend wirken? „Der Herr“ wird‘s schon richten!

Flusenlese

Wenn Pater Zoschke herein kam, dann war er da.
„hereinkommen“ ein Wort

Ein Flickern von Angst …
„flickern“ landsch. bedingt oder doch eher „flackern“?

..., klimperten und klackerten auf dem massiven Holz und forderten uns zum Schweigen auf.
Warum die Substantivierung, wenn doch der Infinitiv „und forderten uns auf zu schweigen“ eleganter wirkt

Die Tür ging auf, und unser Schulleiter, Pater Fredegand, stand, mit Dominik dahinter, im Türrahmen.
Die nahe zu inflationäre Kommasetzung lässt sich reduzieren – wenigstens vor der ganz gut ein Komma ersetzenden Konjunktion „und“ … und nach vier kurzen Silben wird kein Mensch Schnappatmung bekommen (und natürlich auch im Appendix durch ein wenig Möbelrücken, erwa der Art "Pater Fredegand, stand im Türrahmen mit Dominik dahinter"

Die verkrampften Mundwinkel des Pater Zoschke entspannten sich, als die Tür wieder ins Schloss fiel.
Da behandelt die Grammatik an sich alle gleich, ein Paternoster wird zusammengeschrieben, aber Herr Zoschke unterliegt selbst als heiliger Mann der Genitivbildung mit -s, also „des Paters"

„Nun“, fuhr Pater Zoschke fort, „wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, unser Spiel“.
Die gesamte wörtl. Rede musstu nochmals durchschauen und ausreißende Punkte an den angestammten Platz zurücksetzen … wie schon hier
Auch Dominic warf er einen Blick zu, als wolle er sagen: „Nur, dass du’s weißt. Ich bin hier der Chef und alles tanzt nach meiner Pfeife“.
Aber warum Konj. I, indirekte Rede „als wolle er sagen“, wo er‘s gar nicht „wollte“ (Konj. II). „Als“ leitet da meistens eine „als-ob-Situation“ ein, die unwirklich ist und bleibt

„Ein Teufelskerl!“, sagte Ansgar, der besonders ergriffen schien.
Mein Deutschlehrer auf der Realschule behauptete immer, nur die Sonne scheine, selbst der Mond habe sich nur sein Licht geliehen. Darum sei „scheinen“ wie „brauchen“ zu verwenden, von dem der Volksmund richtigerweise behauptet, wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen.
Und nicht erst seit der Ausbildung zum Chemielaboranten weiß ich, dass beide Recht haben, Deutschlehrer und Volksmund.
Ansgar schien also korrekterweise nur „ergriffen zu sein“. Die Dudenredaktion umgeht das Problem zB, indem sie oft die Vorsilbe „er“ vorm „scheinen“ verwendet.

Er machte beim ersten Schüler ein Kreuz in sein Heft.
Statt des Possessivpronomens würd ich eindeutigkeitshalber den bestimmten Artikel für Besitzverhältnisse wählen, er, Zoschke, „machte beim ersten Schüler ein Kreuz in dessen Heft.“

„Grammatische Person: 2. Plural. Verb: placer. Tempus: passé simple!
Auslaufende Gänsefüßchen … nicht vergessen!

„..., die sind gefährlich. Vor denen musst du dich in Acht nehmen. Aber Zoschke[...]…“

„Auf dem Internat dort, da war ich, bevor ich hierher gekommen bin.“
„hierhergekommen“

Und um nicht völlig verrückt zu werden, versuchte ich, mich geistig abzulenken.
Komma vorm zwoten Infinitiv weg, es zerschlägt sonst das komplexe Prädikat „abzulenken versuchen“

Wie dem auch wird, solche Leute wie D. braucht jede Gesellschaft,

findet der

Friedel

 

Lieber @Friedrichard

wie stets, vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren meines Textes. Die Flusen sind bereits ausgebessert und ich habe nun das Gefühl, einen klareren, saubereren Text vor mir zu haben. Ein gutes Gefühl, dass ich dir verdanke.

Lieber @AWM

auch dir vielen, lieben Dank fürs Lesen und Kommentieren. Nicht alle, aber viele deiner Hinweise
habe ich dankbar aufgenommen und bereits ausgebessert. Die Kürzungen tun dem Text gut, das merke ich.

Zu den inhaltlichen Kritikpunkten:

Der Zoschke ist ja kein Geist. Die hören ja, wenn er reinkommt und merken seine Anwesenheit nicht nur anhand der Reaktionen der Mitschüler.

Wenn die Tür zum Klassenraum auf ist, kann ein Lehrer geräuschlos (wie ein Geist) hereinkommen. Schüler, die einen Lehrer wie Zoschke im Blickfeld haben, ändern schlagartig Mimik und Gestik. Sie fungieren m.E. wie ein Rückspiegel für Schüler, die ihn nicht sehen. Alles eine Sache von Nanosekunden. In meiner Erfahrung.

Der Text behandelt ja Autorität und legitime Autörität. Für mich ist ein Problem deines Textes, dass du schreibst, als würden die Schüler den Leherer als legitimie Autorität wahrnehmen. Es sind seine Soldaten. Sie sind für ihn bereit. Das kann so sein. Aber ich glaube nicht, dass du das so erzählen willst, wenn ich mir den weiteren Text ansehe. Der Lehrer hat eine Autorität, die sie innerlich nicht akzeptieren, sich nicht trauen, dagegen aufzulehnen. Und dann kommt der Erlöser. Die legitime Autorität. Du zeigst mir nicht genug, dass sie Zoschke ablehnen und daher mangelt es deinem Text an Konfliktpotential. Da könnte viel mehr Reibung rein.

Nur, weil sie vor Zoschke strammstehen, nehmen sie ihn nicht zwangsweise als legitime Autorität wahr. Zoschke regiert mit Angst. Angst, die die Schüler vor ihm, aber auch der Institution, die er verkörpert, haben. Als ehemaliger Wehrdienstleistender kann ich sagen: wir haben vor so manchem Stuffz stramm gestanden, den wir für eine absolute Pfeife hielten.

Du müsstest trotz der erzählenden Erzählperspektive mehr Show wagen.

Diese komplette Öffnung Dominics, wo kommt die her? Was ist der Anlass? Er ist die ganze Zeit verschlossen und meidet Kontakt und dann kommt dieser Mononlog. Da bräuchte es irgendeinen Katalysator, eine Bindung zu deinem Prota, auch wenn sie nur von kurzer Dauer ist

Ich konzediere gerne, dass ich mich mit TELL leichter tue als mit SHOW. In diesem Fall habe ich aber noch eine andere Entschuldigung (oder Ausrede, je nach Blickwinkel). Der gesamte Text ist eine Adaptation einer berühmten Novelle, die auch sehr TELLig daher kommt und ebenso einen unerwarteten Monolog eines sich plötzlich öffnenden Sonderlings erhält. Die TELLigkeit ist also dieser Novelle geschuldet. Ich habe die Vorlage bewusst nicht erwähnt, damit der Text so ein kleines Rätsel enthält (ich bin nun mal Lehrer, ich kann da nicht aus meiner Haut).

a, Klischee, leider oft wahr. So ist das mit Klischees. Aber ich nehme das trotzdem nicht ab, dass das so offensichtlich abläuft und er ihn so offensichtlich direkt aus dem Unterricht herausholt.

Da bin ich ganz bei dir. Dann habe ich verschiedene Berichte von Opfern gelesen (z.B. ehemalige Regensburger Domspatzen) und war schockiert über die Schamlosigkeit der Täter. Noch schockierender fand ich allerdings in diesem Kontext die Eltern, die das Wort ihrer Kinder unter das Wort der Täter stellten. Ich habe zwar keinen Fall gefunden, bei dem es sich exakt so wie in meinem Text abgespielt haben, aber ich finde es angebracht um zu zeigen: alle haben es gewusst, alle haben es gesehen und trotzdem weggeschaut. Und die Täter haben durch diese radikale Vereinzelung und Isolation ihrer Zöglinge munter weitermachen können.

LG,

HL

 

Hallo @HerrLehrer,

ich weiß nicht so recht, was ich von der Geschichte halten soll. Auf der einen Seite fand ich es ziemlich erzählend und doch konnte ich nicht aufhören, sie bis zum Ende zu lesen.

Eine minimale Versteifung eines eben noch entspannten Körpers. Ein Flackern von Angst in den eben noch ruhigen Augen.
Das hat mir richtig gut gefallen, du zeigst mir als Leser die Wirkung des Paters. Das hat mir gut gefallen.

Nicht selten reizte er diesen Moment aus, ließ die Stille im Klassenzimmer die Geräusche von draußen übertönen, und lächelte maliziös. Seine Macht über uns, das war sein Lebenselixier.
Den letzten Satz würde ich streichen. Das kann ich mir als Leser selbst erschließen und wirkt hier auf mich übererklärend.

Gelang das nicht, war eine Beule sicher, ein Bluterguss wahrscheinlich und eine Platzwunde möglich.
Ich finde das ist wirklich gut geschrieben. Es klingt für mich gut.

Ich war überrascht, dass Pater Fredegand meinen Namen wusste.
Damit zeigst du das Machtgefälle noch einmal schön deutlich.

Aha!“, rief Pater Zoschke. „Aha! Ihr Elenden.“
Der Dialog ist gelungen, funktioniert gut für mich.

Sein Blick war vergleichbar mit dem eines Jungen im Zoo, der zum ersten Mal ein ihm unbekanntes Tier entdeckte. Vorsicht gepaart mit Interesse.
Hier würde ich wieder den letzen Satz streichen, das wir für mich aus deinem Vergleich schon deutlich.

Dominic, das lernte ich in der Folge, war ein sonderbarer Schüler. Er sprach wenig bis gar nicht.
Ich finde das ziemlich viel "tell", vielleicht kannst du das etwas subtiler aufzeigen?

Ich erhob meinen Kopf. Was war passiert?
Spannend, das habe ich mich auf gefragt. Das funktioniert deshalb so gut, weil du den Pater am Anfang so gut gezeichnet hast.

Seine Körperspannung war wie weggeblasen. Seine Schultern hingen herab.
Ein schöner Kontrast zum Anfang.

Eine Energie strömte durch den Raum, ein Triumphgefühl, dem Pater Zoschke, unser Sonnenkönig, nichts entgegen zu stellen vermochte.
Das kann ich mir als Leser richtig gut vorstellen, der Sonnenkönig, der von seinem Thron gestürzt wird.

„Aber sie haben mich rausgeschmissen.“
Dominic machte eine Pause. Die Ruhe, die Gelassenheit, die vermeintliche Willenskraft, die wir so an ihm bewunderten, war wie weggeblasen.
Diese Passage hat sich für mich nicht so überzeugend gelesen. Ich glaube es liegt daran, dass sich der Dialog nicht so echt liest. Ich hatte den Eindruck, dass der Dialog für mich als Leser geschrieben worden ist, damit ich deine Geschichte verstehe.

Keine Texte, keine Geschichten, nein, nur Konjugationen.
Hier musste ich kurz schmunzeln, auch wenn es natürlich eine ganz üble Situation ist.

Denn als die Wahrheit nach und nach, fast vierzig Jahre später ans Licht kam, da berichteten die meisten Opfer von einem eher trostlosen Leben.
Eine furchtbare Thematik, die du hier beschrieben hast.


Ich finde, dass du stark anfängst und ich habe deinen Text bis zum Ende gelesen. Also er ist schon fesselnd, auch wenn es immer wieder Stellen gibt, die ziemlich erzählend sind und nach meinem Geschmack noch verbessert werden können. Auf jeden Fall ein interessanter Text.


Viele Grüße,
MRG

 

Liebe/r @MRG

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Auf der einen Seite fand ich es ziemlich erzählend und doch konnte ich nicht aufhören, sie bis zum Ende zu lesen.

Dass du sie bis zum Ende gelesen hast, trotz der erzählenden Art, freut mich.

Den letzten Satz würde ich streichen. Das kann ich mir als Leser selbst erschließen und wirkt hier auf mich übererklärend.

Stimmt. Kommt weg.

Hier würde ich wieder den letzen Satz streichen, das wir für mich aus deinem Vergleich schon deutlich.

Stimmt auch.

Ich finde das ziemlich viel "tell", vielleicht kannst du das etwas subtiler aufzeigen?

Hmm, dann würde der Text meines Erachtens zusätzlich (und unnötig) verlängert.

Diese Passage hat sich für mich nicht so überzeugend gelesen. Ich glaube es liegt daran, dass sich der Dialog nicht so echt liest. Ich hatte den Eindruck, dass der Dialog für mich als Leser geschrieben worden ist, damit ich deine Geschichte verstehe.

Ich habe Situationen im Leben gehabt, wo Menschen, die ich kaum bis gar nicht kannte, relativ freimütig auch intime Dinge aus ihrem Leben erzählt haben. Manchmal, so ist meine Erfahrung, muss man nur fragen. Und hier ist die Frage: Woher kanntest du die Konjugation?


Eine furchtbare Thematik, die du hier beschrieben hast.

Ja. Wenn man Berichte darüber im Internet liest, ist es immer wieder schockierend, wie systemisch dieses Problem war/ ist und wie unverhohlen die Täter agiert haben.

LG,

HL

 

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