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Die Prämisse

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26.02.2009
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Die Prämisse

Hinter einem Begriff, der so unangenehm klingt wie „Prämisse“, irgendwie sogar diktatorisch und Furcht einflößend, kann sich nichts Gutes verbergen.
Wer bei diesem Wort so empfindet, liegt mit seinem Gefühl gar nicht so falsch. Die Prämisse ist diktatorisch gegenüber ihrem Untertan, dem Erzähler, und sie macht dem Autor Angst, solange er sie noch nicht gefunden hat. Denn: kein guter Roman ohne Prämisse! So heißt es.
Es gibt aber auch gegenteilige Meinungen. Man kann auch ohne Prämisse eine Geschichte schreiben. Die Geschichte kann interessant und spannend sein, warum nicht. Bei der Krimimassenware, die beinahe täglich auf den Markt kommt, ist das oft der Fall. Es sind sogar Bestseller bekannter Krimi-Autoren dabei. Die „leben“ meist von den Hauptfiguren und ihrer Tätigkeit als Kommissar und Pathologe usw.
Was solchen Romanen fehlt, und der Leser spürt das am Ende, ist die Nachhaltigkeit, eine einprägsame Grundlage.
Nun, wie auch immer, dieser Streit soll hier nicht das Thema werden. Auch andere Arbeitsweisen beim Schreiben sind hier nicht relevant. Wir gehen einfach mal davon aus, dass wir eine Prämisse brauchen, um einen sauguten Roman zu schreiben.

Zunächst ein paar einfache Fragen

Kann man statt Prämisse auch Pitch sagen?
Nein. Der Pitch (in einem Exposé) ist eine radikal gekürzte Fassung der Handlung in zwei bis fünf Sätzen. Er vermittelt einen Eindruck zum Thema, dem Motiv, dem Genre und dem besonderen „Dreh“ der Story.

Kann das Thema die Prämisse ersetzen?
Das kommt darauf an, welcher „Glaubensrichtung“ man folgt. Im US-amerikanischen Raum versteht man unter „Thema“ etwas anderes als unter den Literaturwissenschaftlern des deutschsprachigen Raumes. Hier sind Thema und Motiv getrennt. Daher taugt das Thema allein nicht als Ersatz einer Prämisse (siehe – demnächst - Thema und Motiv).

Was kann eine Prämisse?
Der Autor hat die Absicht, etwas zu erzählen (zu lassen). Ziemlich am Anfang kennt er sehr wenige Details und vielleicht nur zwei oder drei Figuren seiner zukünftigen Geschichte. Aber er weiß genau, was er mit der Geschichte aufzeigen will. Er kennt den Anfang und das Ende. Die Prämisse hilft dem Erzähler, sich auf dem Weg zwischen Anfang und Schluss nicht zu verlaufen. Denn es geht immer, mit jedem Satz darum, die Aussage der Prämisse mithilfe der Geschichte zu beweisen.
So kann das Erzählte zu einer organischen Einheit werden. Die Geschichte wirkt schlüssig. Sie unterscheidet sich von den Anekdoten, die das reale Leben schreibt, dadurch, dass der Leser am Ende versteht, warum sich die Dinge so entwickelt haben. Das ist etwas, was der Leser in Geschichten sucht, weil er es im realen Leben allzu oft vermisst: die logische Erklärung für das Geschehene.

Wann ist es an der Zeit, sich über die Prämisse Gedanken zu machen?
Vielleicht macht es Spaß, sich zuerst eine total verrückte Prämisse auszudenken und dann zu versuchen, diese mittels einer Geschichte zu beweisen. Bestimmt hat es der eine oder andere schon getan. Hier geht es jedoch darum, eine Prämisse zu einer bereits im Kopf vorhandenen Roman-Idee zu finden.
Es ist nicht zwingend, die Prämisse noch vor dem ersten Satz oder Kapitel zu bilden. Man kann nur raten, nicht zu lange damit zu warten.

Nun geht’s ans Eingemachte

Wie finde ich die Prämisse zu meinem zukünftigen Roman?
Der Autor weiß zum Beispiel, dass ein „guter“ Samariter, mit beinahe krankhaftem Helfersyndrom, einem alten Mann hilft, seine Enkeltochter in einem fremden Land zu finden. Das kostet Geld, was den beiden schnell ausgeht. Inzwischen hat sich der junge Held in das Bild der Enkeltochter verliebt und geht immer höhere Risiken ein, sie zu finden. Am Ende findet der gute Samariter bei der Suche den Tod.

Diese Idee zu einer Story hat eine schöne Abwärtsspirale. Ihr konsequent zu folgen, wird dem Erzähler nicht leicht fallen. Es gibt hier zwei Aspekte, die beim ersten Hinsehen zu diesem tragischen Ende führen: die Hilfsbereitschaft eines jungen Mannes sowie seine Verliebtheit in eine Unbekannte.
Das kann leicht zu Unstimmigkeiten zwischen Autor (Ideengeber) und Erzähler (Gestalter der Geschichte) führen. Ein Erzähler verliebt sich fast zwangsläufig in seine Hauptfigur. Er möchte daher vielleicht eher eine romantisch tragische Liebesgeschichte erzählen. Der Autor hingegen hatte ursprünglich eine ganz andere Vorstellung. Er möchte eine Geschichte erzählt haben, die einen Helden mit beinahe krankhaftem Helfersyndrom gnadenlos in die Arme des Todes treibt.

Wie also, lautet die Prämisse?
„Liebe führt zum Tod“, sicherlich nicht. Für die Prämisse muss man den Anfang allen Übels benennen, und das ist hier ausnahmsweise mal nicht die Liebe.
Die Prämisse lautet: Bedingungslose Hilfsbereitschaft führt zum Tod.

Was mache ich nun damit?
Aufschreiben und gut sichtbar am Schreibplatz anbringen. Und dann wird der Erzähler die Story nach dieser Prämisse gestalten. Er wird die Verliebtheit des Helden bestenfalls als Booster für den Fortgang der Handlung nutzen. Die primäre Eigenschaft des Helden wird jederzeit seine Hilfsbereitschaft sein. Sie wird sein Handeln jederzeit bestimmen; sie wird sein Untergang sein. Und am Ende liegt eine schlüssige Geschichte vor.

Zur Übersicht „Das Exposé“

 

Hallo Asterix,

obwohl ich einsehe, dass eine früh definierte Prämisse dem Roman Struktur geben kann, finde ich es sehr schwierig diese eindeutig zu definieren. In deinem Beispiel könnte die Prämisse ja auch lauten "Bekanntschaft zu alten Männern führt zum Tod" oder "Bekanntschaft zu alten Männern, die eine hübsche Tochter haben, führt zum Tod" :D

Was mich interessieren würde ist, ob die Prämisse immer mit der Formel "X führt zu Y" zu definieren ist. Könnte man sie, wieder am obigen Beispiel, nicht auch wie folgt definieren? "Hilfbereitschaft ist eine gute Sache, auch wenn sie den eigenen Tod bedeutet." Hier gibt es kein "führt zu". Ist sowas denkbar?

 

Hallo Henrik!

obwohl ich einsehe, dass eine früh definierte Prämisse dem Roman Struktur geben kann, finde ich es sehr schwierig diese eindeutig zu definieren.
Das ist wahr.
Man kann auch ohne Prämisse eine Geschichte schreiben. Die Geschichte kann interessant und spannend sein, warum nicht. Bei der Krimimassenware, die beinahe täglich auf den Markt kommt, ist das oft der Fall. Es sind sogar Bestseller bekannter Krimi-Autoren dabei. Die „leben“ meist von den Hauptfiguren und ihrer Tätigkeit als Kommissar und Pathologe usw.
Was solchen Romanen fehlt, meiner Meinung nach, ist die Nachhaltigkeit. Diesen Geschichten fehlt eine einprägsame Grundlage. Massenware halt.

In deinem Beispiel könnte die Prämisse ja auch lauten "Bekanntschaft zu alten Männern führt zum Tod" oder "Bekanntschaft zu alten Männern, die eine hübsche Tochter haben, führt zum Tod"
Rmmpf … ja, das liegt am Beispiel. :D Gut, das du das ansprichst.
Einen konkreteren Gedanken habe ich weiter unten angeführt:
Er möchte eine Geschichte erzählt haben, die einen Helden mit beinahe krankhaftem Helfersyndrom
Das ist die konkrete Vorstellung. Dieses zwanghafte Helfen. Das werde ich noch in die Idee zur Geschichte unterbringen. Denn das ist der Konflikt des Protagonisten, der den alten Mann und dessen Tochter austauschbar macht.

Was mich interessieren würde ist, ob die Prämisse immer mit der Formel "X führt zu Y" zu definieren ist.
Ich denke, es ist der Sinn einer Geschichte, eine Entwicklung zu beschreiben.

"Hilfbereitschaft ist eine gute Sache, auch wenn sie den eigenen Tod bedeutet." Hier gibt es kein "führt zu". Ist sowas denkbar?
Das ist eine gute Prämisse (allerdings für eine andere Geschichte). Dabei wird es eine interessante Aufgabe für den Erzähler sein, die richtige Perspektive zu wählen.
Ein „Führt zu“ gibt es da auch. Wie sollte der Held sonst vom Leben zum Tod befördert werden?

Also, ich werde meine Andeutung …

Es gibt aber auch gegenteilige Meinungen.
… im Thread „Die Prämisse“ noch etwas ausbauen, damit nicht so leicht der Eindruck entsteht, die Prämisse würde hier als ein Muss hingestellt.

Dann werde ich mein Beispiel noch etwas verbessern.

Aber dazu komme ich erst Morgen. Für heute habe ich mir noch einen anderen (längst überfälligen) Beitrag vorgenommen.

Vielen Dank für deine Anregungen.

Lieben Gruß!

 

Lieber Asterix,

ich verfolge deine "Roman-Beiträge" mit grossem Interesse. Danke vielmals für deine Arbeit!

Etwas, das mich an der Prämisse immer wieder beschäftigt ist die Frage, ob sie im Roman zwingend bewiesen werden muss. Oder hätte der Roman, wenn sich die Prämisse nicht erfüllt, automatisch eine andere?

Liebe Grüsse
Raki

 

Hallo Asterix,

vielen Dank für deine Antworten!

Ich finde diese Beitragsreihe sehr gut und hilfreich, da sie die gängigsten Fragen aufgreift und dabei die Möglichkeit zur Diskussion bietet.


Gruß,
Henrik

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Raki!

Schön, dass dir diese Reihe zusagt und im Idealfall vielleicht weiterhilft.

Etwas, das mich an der Prämisse immer wieder beschäftigt ist die Frage, ob sie im Roman zwingend bewiesen werden muss. Oder hätte der Roman, wenn sich die Prämisse nicht erfüllt, automatisch eine andere?
Klar, die Prämisse übt einen Zwang aus, einen positiven. Und der Roman wird, solange man der einmal gewählten Prämisse folgt, diese auch beweisen.

Auf der anderen Seite kann es passieren, weil das Romanschreiben ein zeitlich langer Vorgang ist, dass dem Autor eine bessere einfällt oder eine, der er viel lieber folgen würde. Das ist ein schwieriger Moment. Dann muss alles bisher Geschriebene der neuen Prämisse angepasst werden.

Man kann in einem Roman nicht zwei Prämissen verwenden!

Das ist unumstößlich … bis auf eine Ausnahme: bei völlig unabhängigen Handlungssträngen, die jeweils eigene, unabhängig voneinander agierende Hauptfiguren haben. Das ist jedoch sehr selten der Fall.

Automatisch eine andere … ja, gute Romane erfüllen immer eine Prämisse, ob sie der Autor/Erzähler beim Schreiben im Kopf hatte oder nicht. Autoren, die so etwas hinkriegen, sind entweder sehr geübt oder haben eine hohe Selbstdisziplin oder einen verdammt guten Lektor.

Ich sehe schon, das Thema ist sehr präsent. Ich werde, mithilfe eurer Fragen, diese Anleitung in den nächsten Tagen noch etwas ausbauen.

Vielen Dank und lieben Gruß!

Nachtrag
Hallo Henrik Sturmbluth
Die Ergänzungen sind eingefügt.

 

Hallo Asterix

Deine Beiträge zu Romanstruktur und all den Vor- und Nebenarbeiten zeigen mir Aspekte, an die ich bisher, zumindest nicht in dieser Klarheit, gedacht habe.

Kommt irgendwie gerade zum rechten Zeitpunkt. Ich muss mich bei meinem Romanprojekt immer wieder dazu "zwingen" ein paar Schritte zurück zu gehen, das Exposé zu lesen und daran zu arbeiten. An den Charakteren sowieso. Vielleicht mache ich mir wirklich so einen Zettel mit einer Prämisse, mal sehen. Sie zu formulieren wird schon hilfreich sein.

Vielen Dank für all das, was du hier an Input gibst
und einen guten Start in die erste Frühlingswoche
Isegrims

 

Hallo Isegrims

Deine Beiträge zu Romanstruktur und all den Vor- und Nebenarbeiten zeigen mir Aspekte, an die ich bisher, zumindest nicht in dieser Klarheit, gedacht habe.
Vielen Dank!
Ich gebe mir Mühe, eindeutige Aussagen zu geben, wo selbst in der Literaturwissenschaft Uneinigkeit herrscht (von den Wissensportalen will ich gar nicht erst reden).
Das mag ein wenig diktatorisch sein, doch auf Wunsch beschreibe ich auch gerne alternative Sichtweisen, sofern sie Relevanz haben.

Lieben Gruß!

 

Hallo Asterix,

Was meinst du zum Thema Serien: Sollten alle Teile einer Romanserie dieselbe Prämisse haben? Oder etwas anderes (z.B. Das Thema), das sich als roter Faden durch die Teile zieht?

Liebe Grüsse
Raki

 

Hallo Raki

Romanreihen mit Stereotypen Figuren wie Jerry Cotton haben immer dieselbe Prämisse. Das liegt natürlich auch mit daran, dass sein Job, sein Umfeld, sein Kollege und seine Aufgaben immer dieselben sind. Das Thema lautet immer: Das Böse, das Motiv dreht sich immer um den Detektiv.

Ich kann mir aber auch eine Figur vorstellen, die in jeder Heftfolge einer anderen Prämisse folgt. Dann müssten die Situationen/Lebensbereiche unterschiedlich sein. Erster Teil: Fritzchen, der ausgebeutete Malocher; zweiter Teil: Fritzchen und seine große Liebe, usw. Da hätten wir dann einmal den Arbeitsmensch und einmal den Privatmensch. Die können durchaus unterschiedliche Prämissen aufzeigen. Gerade im privaten Lebensbereich lässt sich viel machen. Fritzchen und das liebe Geld, das Wetter, die Politik usw. Wir haben da aber auch immer unterschiedliche Themen und Motive. Somit ist auch immer die Ursache für das Abenteuer eine andere. Was führt zu was!

Der rote Faden wäre dann Fritzchen. Ein Mensch, den man nach und nach komplett kennenlernt.

Helfen dir die zwei Beispiele nicht weiter, müsste ich mehr über die Romanreihe wissen.

Lieben Gruß

Asterix

 

Ich habe tatsächlich noch nie über die Prämisse (m)eines Romans nachgedacht und empfinde die Diskussion und den Leitfaden sehr anregend und hilfreich. Danke.

Könnte das eine Prämisse sein?

"Wenn wir die Grenzen des Mensch-Seins verlassen, führt das zur Katastrophe."

Ich rede hier sowohl von kulturellen Grenzen bzw. Verhaltensregeln im Umgang miteinander, als auch von Manipulationen an unserer biologischen Grundausstattung.

 

Hallo @C. Gerald Gerdsen,
ich finde den Thread ebenfalls interessant, weil ich gerade ein Exposé vorbereite. Deine Frage soll nicht länger unbeantwortet bleiben:

Könnte das eine Prämisse sein?
"Wenn wir die Grenzen des Mensch-Seins verlassen, führt das zur Katastrophe."
Das zählt sicher schon als Prämisse. Vielleicht lässt sie sich noch etwas konkreter formulieren. Was ist denn mit der Katastrophe gemeint? So wird es einfacher, die Prämisse mit der zugehörigen Geschichte in Verbindung zu bringen.

Das ist jetzt leicht gesagt und lässt sich schwer in Worte fassen, so geht es mir zumindest. Bei der Prämisse habe ich wegen der Kürze Angst davor, etwas zu unpräzise oder gar irreführend zu formulieren. Je kürzer, umso schwieriger wird es. Ich verstehe, warum es unterschiedliche Meinungen gibt. Manchmal sind andere Komponenten aufschlussreicher, z. B. der Hauptkonflikt oder die Motivation der Hauptperson(en).
Zum Glück ist die Angabe einer Prämisse optional. Selbstverständlich hilft es, wenn man es schafft, sie in genaue Worte zu fassen und sich dann beim Schreiben daran zu halten. Aber gute Bücher bleiben ja nicht nur wegen der Prämisse in Erinnerung, sondern aus den verschiedensten Gründen.

 

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