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Die Quetscherin - Geschichten aus dem öffentlichen Nahverkehr

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21.06.2019
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Die Quetscherin - Geschichten aus dem öffentlichen Nahverkehr

Ich fahre regelmäßig Bus. Regelmäßige Konfrontation mit dem gemeinen Alltags-Menschen. Die Abschirmungsmaßnahmen Handy und Kopfhörer sind stets aktiviert und dennoch, man kommt manchmal einfach nicht drumherum „Dinge“ mitzubekommen. Heute war wieder etwas sehr Be-denkliches dabei.

Thema: Diskriminierende Kausalitätsketten im öffentlichen Nahverkehr

Ich saß gedanklich recht versunken in einer dieser herrlichen 3-er Reihen. So schön ausgeliefert in der Mitte. Links neben mit saß eine etwas unscheinbare Frau, die mit dem Gesicht an ihrem Handy klebte. Ich nenne Sie Frau H. (die Handyfrau). Mehr habe ich dank guter Musik vorerst nicht wahrgenommen. Das änderte sich als eine Frau in den vollen Bus stieg und sich sehr selbstbewusst in die gegenüberliegende Mitte quetschte, mit dem Effekt, dass ihre beiden Sitznachbarin links und rechts ruckartig nach außen verlagert wurden. Es sah ganz witzig aus aber ich muss gestehen, mich triggert so etwas, zumindest wenn es mich betrifft. Da bin ich empfindlich. Ich finde es unangenehm, wenn sich fremde Menschen an mich quetschen. Mich überkommen dann Beklemmungs- und Spannungsgefühle. Das ist dann aber in erster Linie mein Problem. Sitzrecht für alle. Es beeindruckt mich auf eine Art auch.
Sich ganz selbstbewusst und selbstverständlich seinen Platz einräumen.

Mein Fokus hat sich wieder auf die Musik gerichtet. Bis sich Jemand recht lauthalsig zu Wort meldete. Eine bis Dato sehr unauffällige Frau gegenüber, die eben noch so leicht verdrängt wurde. Daher nenne ich sie Frau V. (die Verdrängte). Frau V. sagte etwas zu meiner Sitznachbarin. Neugierig wie ich bin machte ich die Musik leiser und hörte zu. Es kam zu folgendem Dialog:

Frau V. zu Frau H.:
„Ist Ihnen nicht gut? Soll ich einen Arzt rufen?“

Frau H. guckt verwirrt und sagt nichts.

Wieder Frau V. mit etwas mehr Vehemenz: „Ich glaube Ihnen geht es nicht gut. Sie rollen so mit den Augen! Soll ich einen Arzt rufen?! Das ist nur fürsorglich gemeint“

Frau H. murmelt vor sich hin und guckt mich hilfesuchend an.

Jetzt komm ich ins Spiel: „Ich glaube die Dame denkt Ihnen geht es nicht gut. Ich finde aber sie sehen ganz gesund aus.“

Frau H. antwortet ganz trocken und mit osteuropäischen Akzent „Isch hör gar nicht was sie da sagt“. Sie ergänzte, dass sie nur nachdenken würde und deswegen vielleicht mit den Augen rolle. Frau H. starrt wieder auf ihr Handy.

Frau V. betritt wieder die Bühne und stellt eine recht beeindruckende Frage. „Worüber denken Sie denn so nach? Das würde mich sehr interessieren!“

Woraufhin Frau H. wieder recht simpel mit einem „über die Arbeit“ konterte.

Welch merkwürdige Gesprächsentwicklung! Irritiert machte ich die Musik wieder laut und versuchte nicht weiter drüber nachzudenken. So ganz wollte mir das nicht gelingen und ich bemerkte, dass Frau V. sowohl Frau H. als auch mich abwechselnd durchdringend und in meinen Augen leicht verrückt anstarrte. Ich fühlte mich beinahe provoziert und beschloss Frau V. den Stempel „durchgeknallt“ aufzudrücken. Ich atmete gekonnt durch und kam dann endlich an meiner Haltestelle an. Ich konnte mir beim Rausgehen aber dennoch nicht verkneifen auch Frau V. eine Frage zu stellen, die immer noch starrend auf ihrem Sitz saß. „Brauchen Sie vielleicht einen Arzt? Sie starren die ganze Zeit so.“

Ich war nun endlich draußen und gerade im Begriff kopfkratzenderweise die Straße zu überqueren, da tippe mich jemand von hinten an. Es war Frau V.! Frau V. wollte gern kurz einmal mit mir sprechen. Oha, hab ich nur gedacht. Und jetzt kommt wieder eine merkwürdige Wendung:

Frau V. War nämlich gar nicht besorgt. Frau V. wollte auch nicht hilfsbereit sein. Zumindest nicht gegenüber Frau H. Frau V. nahm nämlich an, dass Frau H. deswegen mit den Augen rollte, weil sie sich in Wahrheit über die Dame echauffierte, die sich so beeindruckend in die Sitze quetschte. Ich nenne sie Frau Q. (die Quetscherin). Wie schon erwähnt, auch ich war beeindruckt. Frau V. ging es aber gar nicht vorrangig um das quetschen, sondern vielmehr um die Tatsache, dass Frau Q. dunkelhäutig ist. Dunkelhäutig und „beleibt“. „Ich habe genau gesehen wie die Frau (Frau H.) mit den Augen gerollt hat als sich die dunkelhäutige Frau hingesetzt hat! Die war ja auch recht beleibt. Da kann sie ja auch nichts für! Ich komme selbst aus Afrika, Süd-Afrika, und kann bei Rassismus und Diskriminierung nicht weggucken! Ich konnte das da aber nicht sagen, weil ich die Dame (Frau Q.) nicht verletzen wollte. Das wollte ich ihnen gerne noch mitteilen“.

BOOM hab ich nur gedacht. Was war das denn jetzt? Schlagartig kam mir dieser Spiegel-im-Spiegel-Effekt in den Sinn. Nur eben mit Diskriminierung bzw. Vorurteilen. Ich hielt Frau V. Für bekloppt (Irgendwie auch immer noch) und war ambivalent was das Verhalten von Frau Q. angeht. Frau V. hatte wiederum das Vorurteil, dass Frau H. fremdenfeindlich ist. Und im Grunde war sie auch Frau Q. gegenüber sehr diskriminierend, weil sie quasi davon ausgegangen ist, dass sowohl Hautfarbe als auch Körperfülle ein Problem für Frau H. darstellen und diese Attribute mit gegenüber so deutlich betonte. Frau Q. hat dank der ausgeklügelten Codierungsmaßnahmen von Frau V. nicht mitbekommen worum es eigentlich ging. Und was ist mit Frau H. ? Die hat vielleicht tatsächlich nur an ihren Chef gedacht oder fand uns einfach alle scheiße.

Ende der Fahrt

 

Hi @HannaHeart
willkommen bei den Wortkriegern. Habe gerade deine Geschichte gelesen und fand Vieles darin sehen gut, Einiges aber auch noch nicht so rund.
Dein Stil gefällt mir: Leicht ironisch, und beobachtend. Die Begebenheit ist auch gut, aber du hast leider einen Bruch in der Geschichte und rutscht ins Erklären ab.
Ab hier:

Und jetzt kommt wieder eine merkwürdige Wendung:
Das braucht es nicht. Das könntest du ja auch einfach durch den Dialog zeigen.
Frau V. War nämlich gar nicht besorgt. Frau V. wollte auch nicht hilfsbereit sein.
Ab hier erklärst du dann nur noch. Spannender wäre es, wenn sich das durch den Dialog entwickeln würde. So ist es ein Bruch. Dafür, dass der Anfang der Geschichte im Vergleich zum Ende so ausführlich ist, und die Auflösung ja das eigentlich spannende ist, fehlt mir hier die Entwicklung.
Und nun noch ein paar Kleinigkeiten:

einfach nicht drumherum „Dinge“ mitzubekommen.
Die "" braucht's meiner Meinung nach nicht.
Und du springst oft in den Zeiten.
mit saß eine etwas unscheinbare Frau,
mir
Mein Fokus hat sich wieder auf die Musik gerichtet.
richtete
Neugierig wie ich bin machte ich die Musik leiser und hörte zu.
bin, machte
Frau H. guckt verwirrt und sagt nichts.
guckte
„Ich glaube Ihnen geht es nicht gut. Sie rollen so mit den Augen! Soll ich einen Arzt rufen?! Das ist nur fürsorglich gemeint“
Das finde ich zu umständlich. In Berlin würde man wahrscheinlich hören: was glotzte so. Da es sich bei Frau V.ja um eine höfliche Person handelt, die etwas kompliziert um die Ecke denkt, ist es schon o.k. das versteckter formulieren. Aber doppelt muss es nicht sein.
Ich hoffe, der Kommentar hilft dir. Liebe Grüße von Snowmaid

 

Liebe Snowmaid,

vielen Dank für deine konstruktive Kritik. Ich habe auch Ewigkeiten nichts mehr zu Papier gebracht und habe einfach nur intuitiv geschrieben. Dass dir mein Stil gefällt find ich prima. Aber der Feinschliff fehlt noch etwas, das hatte ich auch im Gefühl. Die springenden Zeiten sind ein sehr wichtiger Hinweis, ist mir tatsächlich gar nicht aufgefallen. Das zu sehr ins Erklären kommen kann ich denke ich nachvollziehen, aber bin mir noch nicht sicher, ob ich das als störend empfinde. Muss ich mir nochmal Gedanken drum machen,

Danke für deine Mühe!

So, jetzt hab ich es nochmal gelesen und habe Einsehen, was das Erklärende angeht. Es nimmt wirklich etwas vorweg.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe(r) ragu,

danke für deine Kritik und deine Aufmerksamkeit! Das Geschehen ist eben genau so passiert. Ich hab tatsächlich nur ein Erlebnis aus dem Alltag verarbeitet und fand das Thema interessant. Das mit den Punkten, also da war ich mir auch unsicher. Kann ich nachvollziehen, dass es stört beim lesen.

Gruß
Hanna

 

Das Geschehen ist eben genau so passiert.

Hallo Hanna,

das ist einer der beliebtesten Sätze, die ein Leser von einem Autor hören kann. Ob die Geschichte auf realen Begebenheiten beruht und wie genau sie sie widergeben soll – das ist eine Frage, die bei guten Geschichten eigentlich keine Rolle spielt, und schlechte auch nicht besser macht. Klar, so ein "Nach einer wahren Begebenheit" macht schon was her, wenn man ein Buch aufschlägt, allein er sollte, finde ich, nur dann drinstehen, wenn im Nachwort auch erläutert wird, auf welches archivalisch nachgewiesene Ereignis sich diese Geschichte bezieht und wo es aus künstlerischen oder persönlichkeitsrechtlichen Gründen (Namen!) Abweichungen gibt. Einfach so wirkt deine Verteidigung wie eine defensive Rechtfertigung, die nach hinten losgeht, weil man sich selber entlarvt. gesteht, dass man nur berichtet hat, statt zu erzählen.

Mit deiner Geschichte habe ich so leider meine Probleme. Sie wirkt eben wie ein Blogpost. Augenscheinlich eine Busfahrt, und dann wechseln halt zwei Passagiere ein paar Worte, soweit nett und belanglos. Aber wo ist eine Handlung, ein Konflikt?

Meine Anregung: Forme das, was die "Frau V." der Icherzählerin noch sagt, in eine Geschichte um, hieve das Gesagte also auf die Ebene des Geschehens. Hätte-täte-Fahrradkette ist mir zu mau. Die Diskriminierungs- und Rassenthematik kannst du ja über den Disput reinbringen, die es zwischen den Figuren dann zwangsläufig geben würde.

 

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