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Die Sünde

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04.02.2003
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Die Sünde

Die Sünde

"Oh, Herr erbarme Dich meiner, denn ich habe gesündigt!"
Bereits seit Stunden saß die junge Joanna in ihrem Gemach auf dem Stuhl am Fenster, sah auf die weiten Wiesen und Felder hinaus und wiederholte diesen Satz - immer und immer wieder. Die Hände in ihrem Schoß verkrampft, wippte sie ständig vor und zurück. Wie hatte sie nur nicht merken können, daß der Teufel sie zur Sünde verführt hatte? Jetzt würde sie dafür im Fegefeuer elende Qualen erleiden.

Drei Monate zuvor. Bei einem kleinen Fest an dem Hofe ihres Vaters unweit der Stadt Canterbury lernte Joanna Lord Warrington kennen, der ein Freund ihres zukünftigen Gatten Lord Asbent war. Sie saß neben ihm und bat den jungen Lord, über Lord Asbent zu berichten. Voller Begeisterung hing sie an seinen Lippen und hörte die Ruhmesgeschichten über den Mann, den sie im Sommer des nächsten Jahres heiraten würde. Man hatte ihr erzählt, daß er ein schöner stattlicher Mann geworden war. Seit ihrer Verlobung waren sechs Jahre vergangen, damals war er 16 und sie 9 Jahre alt gewesen. Sie konnte sich noch erinnern, daß er sie beim Fest angelächelt hatte und dieses Bild des netten Jungen hatte sie sich über all die Jahre im Herzen bewahrt. Sicher würde es eine gute Ehe werden und sie würde ihm viele gesunde Söhne gebären.

Lord Warrington wußte viel zu berichten und war ein guter Erzähler, doch immer wieder legte er seine Hand auf die ihrige. Das war ihr sehr unangenehm, denn es war nicht schicklich und sie verstand nicht, warum er das tat. Ebenso wenig verstand sie, warum der Lord im Laufe des Festes immer öfter ihre Schönheit über alle Maßen lobte.
Doch da sie mit Männern sonst nur wenig Kontakt hatte, worauf ihre Zofen streng achteten, dachte sie, daß Männer so etwas wohl immer täten - ohne unsittliche Gedanken.

Joanna wurde langsam müde und beschloß sich zurückzuziehen. Nachdem sie sich verabschiedet hatte und Lord Warrington für seine überaus interessanten Erzählungen gedankt hatte, ging sie noch für einen kleinen Spaziergang nach draußen. Der Wein und die Erzählungen über ihren zukünftigen Gatten hatten sie aufgewühlt und sie wollte in der stillen klaren Sommernacht noch etwas zur Ruhe finden. Da sie ihre Zofe Anabel nicht finden konnte, ging sie allein.
Eine so schöne Nacht, die Sterne funkelten und der Mond schien so hell wie nur selten. Gerade wollte sie sich in ihr Gemach begeben, als sie erschrak, weil sie eine Stimme hinter sich hörte: "Nun, Lady Joanna, was tut ihr hier draußen so allein. Es schickt sich nicht für eine Lady ohne Begleitung durch die Nacht zu wandern."
Ein Mann trat auf sie zu und sie erkannte Lord Warrington.
"Oh, mein Herr, ich bin gerade auf dem Weg in mein Gemach. Der Abend war so aufregend für mich, daß ich noch etwas Ruhe gesucht habe. Ihr entschuldigt mich jetzt."
"Nein Mylady, das tue ich nicht. Habt ihr vielleicht auf mich gewartet? Nun, so bin ich denn jetzt hier. Ihr seid ein wunderschönes bezauberndes Weib. Fast möchte man meinen, der Teufel hätte Euch erschaffen, um alle ehrbaren Männer auf eine harte Probe zu stellen."
Joanna wurde nervös und wollte gehen. Doch er hielt sie am Arm fest und riß sie zu sich herum. Sie wollte schreien, sie hatte Angst. Dann sah sie das Messer in seiner Hand. "Was wollt Ihr von mir Lord Warrington? Wenn Ihr mir ein Leid antut, wird Lord Asbent Euch schwer bestrafen, dessen seid Euch gewiß."
"Aber liebste Lady, ich will doch nur eine Locke Eures prachtvollen roten Haares, um es Eurem Gemahl zu bringen. Er kann es kaum erwarten, Euch endlich zur Frau zu nehmen und bittet um einen kleinen Liebesbeweis Eurerseits."
"So nehmet denn eine Strähne und laßt mich endlich gehen, ich bitte Euch!", flehte Joanna.
"Nun, wer wird sich denn so zieren, kleine Lady. Kommt, gebt mir einen Abschiedskuß. Oder wollt Ihr, daß ich Eurem zukünftigen Gemahl erzähle, daß Ihr seiner nicht würdig seid? Er würde mir alles glauben, ich bin sein engster Vertrauter." Sie fühlte das kalte Metall des Messers an ihrer Wange, den Hals hinunter gleiten und auf ihrem Busen ruhen.
Brutal zog Lord Warrington die verängstigte junge Frau an sich und küßte sie. Plötzlich stieß er sie ein Stück von sich, hielt sie aber noch immer am Arm fest. "Ihr seid kalt wie ein Fisch. Aber ich werde das Feuer in Euch schon entfachen, wartet nur." Mit dem Messer schnitt er ihr Gewand auf, warf sie nieder und drang gewaltsam in sie ein. Joanna fühlte sich als würde man sie zerreißen. Starr vor Angst ließ sie alles mit sich geschehen ohne um Hilfe zu rufen. Die schrecklichen Schmerzen und die Angst um ihr Leben nahmen ihr jeden Willen sich zu wehren. Bevor er von ihr abließ, schlug er sie ins Gesicht, zur Strafe, weil sie ihm nicht feurig genug gewesen war, wie er sagte.

Tagelang hatte man ihre Wunden pflegen müssen und immer wieder hatte man sie danach gefragt, was geschehen sei, wer der Übeltäter gewesen sei. Unter Tränen erzählte sie, was sich zugetragen hatte und daß Lord Warrington dafür verantwortlich sei. Ihr Vater erklärte ihr, daß er den Lord bestrafen lassen wolle, er wollte ihn vor Gericht anklagen lassen.
An einem Abend kam ihre Mutter zu ihr und erklärte ihr, Lord Asbent würde sie nur dann noch zum Weibe nehmen, wenn die Mitgift verdoppelt würde. Deshalb wollte der Vater vor Gericht nicht den Tod Lord Warringtons fordern, sondern eine enorme Geldsumme. Alles sah danach aus, als würde sich Warrington darauf einlassen.
Joanna war es gleich. Sie wollte nur nicht dazu gezwungen werden Warrington heiraten zu müssen. Das wäre für den Lord die einzige Möglichkeit einer Bestrafung zu entgehen. Gut, daß Lord Asbent sie trotz allem zur Frau nehmen wollte.

Doch man konnte sich nicht über die zu zahlende Summe einigen und es gingen mehrere Wochen ins Land.
Joanna fühlte sich nicht wohl, etwas stimmte nicht mit ihr, das spürte sie und so sprach sie mit ihrer Mutter darüber. Die Mutter ließ sie sogleich untersuchen und man stellte fest, daß Joanna ein Kind erwartete. Als man ihr das mitteilte, brach die junge Frau zusammen. Sie war eine Sünderin, eine Ehebrecherin und eine Dirne. Jeder wußte doch, daß eine Frau nur dann schwanger wurde, wenn sie bei der Beiwohnung Lust empfand.
Seit jenem Augenblick verließ Joanna ihr Gemach nicht mehr. Ihr Vater kam zu ihr, beschimpfte sie, sie sei eine Hure, eine Ehebrecherin und er schlug sie, etwas, was ihr Vater noch nie getan hatte. Doch sie hatte keine Tränen mehr, sie wußte, sie hatte Schuld auf sich geladen, wußte, daß ihr Vater recht hatte. Sie gehörte bestraft.

Wieder war es ihre Mutter, die ihr die Entscheidung des Vaters überbrachte. Joanna würde sterben müssen, der Vater würde sie töten. Unter Tränen berichtete die Mutter, daß Lord Asbent darauf bestand, die Ehebrecherin zu töten, am liebsten eigenhändig. Doch der Vater hatte auf sein Recht als Joannas Vormund bestanden, dies selber zu tun, da man Kunde von den brutalen Bestrafungen des Lord Asbent hatte. Der Vater wollte Joanna weitere Qualen ersparen.
Joanna verstand, sie war bereit, sie mußte bestraft werden. Sie wollte sogar bestraft werden, denn sie konnte sich ihre Sünde selber nicht vergeben.

An einem sonnigen Septembertag starb Lady Joanna durch die Klinge ihres Vaters.

 

Mein Herr,

und wieder kann ich Euch nur für Euren Kommentar danken.
Ich habe lange Zeit für diese Geschichte im Internet recherchiert, denn es war mir wichtig, daß die Fakten stimmen.
Leider besteht aber auch ein Bezug zur heutigen Zeit, denn noch immer ist es so, daß man als Frau das Gefühl hat (und auch teilweise vermittelt bekommt), an bestimmten Situationen und Dingen, die einem passieren, selbst mit Schuld zu sein. Und ist man noch so aufgeklärt, manchmal kommen derartige Gedanken einfach hoch. Vielleicht ein Erbe unserer Vorfahren?

Nun gut, nochmals danke.

Gehabt Euch wohl...
B.

 

Welch düstere Geschichte. Ich bin begeistert!

Sprachlich auf durchweg hohem Niveau. Einzig daß mit dem Munt* hat mir nicht gar so gefallen, da es ja erstens ein "neudeutsches" Wort dafür gibt und zweitens die Geschichte in ENGLAND spielt!!
In wörtlicher Rede ist es generell besser, ab und zu Mundart einzustreuen, um die Atmosphäre zu verdichten. Im Erzähltext ist das fehl am Platze, außer es handelt sich um Begriffe, die nicht vernünftig übersetzbar sind (Tribock, Cotte, Kemenate etc.).

r

 

Hallo die-magd,

auch mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen, inhaltlich sowie auch sprachlich. War schon schlimm, was die Frauen damals im MA erleiden mussten.
Ich hätte es noch schöner gefunden, wenn du ganz am Schluss, vor dem letzten Satz noch mal auf die Anfangsszene Bezug genommen hättest, in der sie in ihrem Gemach sitzt und auf ihre Hinrichtung wartet. Vielleicht: "Da saß sie nun in ihrem Gemach, stillschweigend, und wartete auf ihre Hinrichtung."
Naja, ist nur so eine Idee. Ansonsten hab ich deine Geschichte gerne gelesen.

LG
Blanca :)

 

Hallo magd,
Deine Geschichte, die Thematik, die Zeit in der sie abläuft. Fabelhaft inszeniert. Der Munt hat mich allerdings etwas gestört, da ich nicht wußte, was es bedeutet und so für einen Moment aus dem Fluß Deiner Erzählung gerissen wurde. Im Ganzen betrachtet eine wunderschön grausame Kurzgeschichte :thumbsup:
Liebe Grüße
Susie

 

Frievolle Grüße

Ich habe die Geschichte schon vor einiger Zeit gelesen, aber nicht gewußt, was ich schreiben soll. Sie ist gut, berührt. :)

Ich finde, sie könnte besser sein, die Charaktere könnten besser ausgearbeitet sein, mehr Tiefe besitzen. Ihre Handlungsmotive könnten detalierter ausgearbeitet sein. Das ist jedoch nur meine Meinung.

Kane

 

So, der Munt ist jetzt zum Vormund geworden und stört dadurch hoffentlich nicht mehr im Fluss. :)

Danke an alle für die Kommentare.

@ Kane
Eigentlich war ich der Meinung, die Charaktere durch ihre Handlungsweisen beschrieben zu haben. Wenn mir dies jedoch nicht gut genug gelungen ist, wäre ich erfreut, wenn Du mir an einem Beispiel zeigen könntest, wie ich's besser machen kann. Danke.

Bea

 

Frievolle Grüße

Wie schon gesagt, auch ich finde die Geschichte gut und berührend. Sie ist kurz, sehr beschränkt auf das Wesentliche, was eine Kurzgeschichte ausmacht.

Mein Kritikpunkt sind die beiden letzten Abschnitte. Da geht alles zu schnell. Zu schnell willigt der Vater ein, seine Tochter zu töten, zu schnell ergibt sich die Tochter in die Opferrolle. Wenngleich im Mittelalter andere Sitten herrschten, das Gefühlsleben der Menschen war das selbe wie heute. Ich bezeifle nicht das Ende Deiner Geschichte, nur bleiben mir die Protaginsten auf dem Weg dahin etwas zu schleierhaft.

Die Zerissenheit des Vaters zwischen der Liebe zu seiner Tochter und der Familienehre zum Beispiel wird nicht einmal angedeutet, dabei bietet das gutes Potential. Und was ist mit der Mutter? Frauen hatten zwar offizell wenig Einfluß, hinter den Kullissen haben aber nicht selten sie die Fäden gezogen. Kämpft sie nicht für das Leben ihrer Tochter? Joanna weiß, das sie vergewaltigt wurde und dabei keine Lurst empfunden hat. Wer hat ihr anderes eingeredet? Einfache Erklärungen mögen für dritte gereicht haben, als Betroffene aber muß sie es besser wissen. Die "Erkenntniss", eine Sünderin zu sein, fällt für sie nicht vom Himmel. Sogar vergewaltigte Nonnen im Kloster sahen sich nicht zwangsläufig als Sünderinnen, wenn sie danach Kinder bekamen. Zwar mußten sie die Kinder häufig geheim zur Welt bringen, deswegen umgebracht hat sich aber nur ein kleiner Teil, und das auch weniger wegen der eigenen Schuld, als wegen der gesellschaftlichen Folgen.

Wie auch andere Kritiken zeigen, kommt die Geschichte bei dem Leser an, transportiert die Aussage, welche Du in ihr unterbringen wolltest und erfüllt damit ihren Zweck. Meiner Meinung nach würde sie durch eine sorgfältige Überarbeitung der oben genannten Punkte aber noch gewinnen.

Kane

 

Guten Abend,

ok, die Sache mit den Eltern seh ich ein. Da lässt sich sicher auch noch was machen.
Die eigene Überzeugung der jungen Frau, eine Sünderin zu sein, ergibt sich aber meiner Meinung nach aus folgenden Sätzen:

Als man ihr das mitteilte, brach die junge Frau zusammen. Sie war eine Sünderin, eine Ehebrecherin und eine Dirne. Jeder wußte doch, daß eine Frau nur dann schwanger wurde, wenn sie bei der Beiwohnung Lust empfand.
Vielleicht ist aber auch hier eine Umformulierung sinnvoll, es einfach deutlicher formulieren. Dennoch werde ich das wohl nicht allzu sehr ausbauen.

Beim nochmaligen lesen der Geschichte muss ich Dir aber recht geben, dass das Tempo der Geschichte am Schluss zu schnell ist.

Vielleicht höre ich noch einmal was von Dir zur Überarbeitung?
Danke jedenfalls. :)

Bea

 

Hallo Die-Magd,

Deine Geschichte beschreibt treffend die Auswirkung von Aberglauben, sogar gesellschaftliche Arrangements werden ihm geopfert. Gut gefallen hat mir die schnelle Erzählweise, dadurch wird der Strudel der Ereignisse, in den die Frau gezogen wird, noch greifbarer.
Da Du die Zofen erwähnst, erscheint es mir etwas zweifelhaft, ob die Protagonistin alleine von der Gesellschaft weggegangen wäre.
Die Stelle:
"Ihr seid kalt wie ein Fisch. Aber ich werde das Feuer in Euch schon entfachen, wartet nur."

hört sich für mich nach einem Dialog in einem alten Hollywood-Film an.
Ansonsten hab ich die Story gern gelesen.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

Danke Woltochinon.

Die Stelle:
"Ihr seid kalt wie ein Fisch. Aber ich werde das Feuer in Euch schon entfachen, wartet nur."
hört sich für mich nach einem Dialog in einem alten Hollywood-Film an.

Ha, da sieht man's: ein wenig Hollywood ist in uns allen. ;)

Nee, ernsthaft jetzt mal. Ich stelle mir den Typen schon so vor, dass er sich für den größten hält. So Typen, wie es sie teilweise heute noch gibt - solche die z.B. meinen, 'ne lesbische Frau hätte ihn noch nicht im Bett gehabt, dann würde sie nur noch Männer wollen. Du weißt, was ich meine, oder?
Das sollte seine Aussage eigentlich zum Ausdruck bringen. Darum würde ich diese Sätze gerne behalten. Darf ich? :D

Bea

 

Ich weiß, was Du meinst - und natürlich bedarf es keiner Erlaubnis von mir ;)


Liebe Grüße,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Magd,

eine sehr gute Geschichte, die ich mit viel Spannung gelesen habe. Sprachlich konnte ich auch nichts finden.

Sehr schön, hast du den Charakter der Johanna geschildert. Einzig die Vergewaltigung hast du für meinen Geschmack ein wenig zu "kühl" abgehandelt - aber das ist auch mein einziger Kritikpunkt.

Gut hast du auch die damaligen Moralvorstellungen in die Geschichte eingearbeitet. Heutzutage kann man über manche dieser Dinge nur noch den KOpf schütteln und sich fragen, wie Menschen sich so etwas ausdenken konnten. Es gab ja unzählige unschuldige Opfer, wie deine Johanna.

LG
Bella

 

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