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Die trojanische Wespe
„Also“, sprach Agamemnon eines morgens halb acht, „heute will ich den Sieg. Unentschieden zählt nicht. Es muß doch gelingen, dieses Troja nach neun Jahren einzunehmen.“
Zustimmendes Gemurmel wurde laut. Die Krieger hatten sich im Kreise um den König gescharrt und begannen unruhig mit den Kriegsgeräten zu rasseln.
„Männers!“, Agamemnon merkte, daß er heute gut ankam. „Wir hatten Niederlagen, wir hatten die Pest und andere Seuchen, uns überfielen Amazoninnen, wir beweinten viele tapfere Helden, einmal hatten wir sogar drei Wochen lang keinen Wein im Lager, doch die Götter sind mit uns und heute wird uns der entscheidende Sieg gelingen.“
„Jo!“ die Männer waren voll bei der Sache. Bis auf einen.
„Odysseus, was machst du da?“
„Ich baue ein Roß.“
„Aus Holz?“
„Ja, da rostet es nicht. Außerdem kann es dann auch schwimmen.“
„Oh weiser Odysseus“, sprachen die Krieger ehrfürchtig. „warum aber baust du dieses Roß?“
„Es ist für meinen Sohn Telemach. Er hat sich so ein Schaukelpferd schon immer gewünscht.“
Da lachten die Krieger.
„Odysseus“, verspotteten sie ihn. „Dein Sohn ist mittlerweile ein junger Mann. Er wird es nicht gebrauchen können.“
Da fiel dem Helden wieder ein, wie viele Jahre er in diesem Kriege verbracht hatte. Die Wucht der Erinnerung übermannte ihn und ermattet setzte er sich auf einen Stein, um die Situation zu überdenken. Er dachte an seine Familie, die wahrscheinlich nicht mehr damit rechnete ihn wiederzusehen. Wie würde Penelope sich entscheiden? Schon immer hatten die Männer um sie gebuhlt. Würde sie ihrem Drängen nachgeben?
Währenddessen hatte die Schlacht mal wieder begonnen. Mit unverminderter Härte schlugen die Männer aufeinander ein. Stumpfe Schwerter prallten auf verbeulte Schilde. Viele Lanzen zerbrachen schon im Fluge. Ein jeder merkte, daß der Kampf nun schon viel zu lange dauerte. Doch keiner wollte sich geschlagen geben.
Von weitem betrachtet ein Insekt das Geschehen mit mäßigem Interesse. Was es an diesem Ort schon seit längerem vermißte, waren saftige Wiesen voller bunter Blumen und andere andersgeschlechtige Insekte. Doch das einzige was es sah, waren müde, zweibeinige Gestalten eingehüllt in eine Staubwolke, die sich ächzend abmühten, dem anderen Schaden zuzufügen.
Brummend flog das kleine Tier umher und suchte ein schattiges Plätzchen und siehe da, etwas glitzerndes erregte seine Aufmerksamkeit. Kurz darauf war der Schatten gefunden und obwohl es etwas muffig roch, fühlte sich das Insekt wohl, jedoch nicht für lange.
Nicht das Odysseus kriegsmüde war... Er hatte es gründlich satt dieses Gemetzel! Am liebsten wollte er ....
Irgend etwas störte ihn. War es der Kriegslärm? Nein. Daran hatte er sich gewöhnt. Auch die Sonne, die dafür sorgte, daß das Wort Schatten in der Region ein Fremdwort blieb, war es nicht, die den Helden beunruhigte. Es mußt etwas kleines, unscheinbares, nebensächliches... Da! Etwas stieß gegen seinen Bauch. Der Held sah nach, doch das einzige, was ihm entgegenblinkte, war die sorgfältig polierte Fläche seines Brustpanzers. Odysseus rechtes Augen begann nervös zu zucken. Da war etwas. Ohne Zweifel. Schließlich konnte man ein leises Brummen hören. Außerdem gab es immer ein feines Ploing, als wenn von innen etwas gegen das Metall stieß. Sollten es die Flöhe sein, die langsam... Aber nein, es mußte etwas größeres, gefährlicheres sein.
Das Gebrumm schwoll an. Da wurde doch nicht etwa jemand sauer?
Instinktiv griff der Krieger zum Schwert. Das hatte er sich antrainiert all die Jahre. Drohte Gefahr, war der Griff zur Waffe das einzig richtige. Doch was sollte er damit tun? Odysseus überlegte nicht, sondern handelte. Systematisch versetzte er seinem Panzer von oben ausgehend einige Schwerthiebe und hielt mehrere Male inne, um zu Lauschen, was der Eindringling darauf erwiderte. Scheinbar wurde er durch die Geräusche noch mehr in Panik versetzt. Das Summen schwoll an und ab und zu schien sich der Angreifer eine Weile auszuruhen, um sich einen günstigen Platz zum Stechen...
Panik erfaßte Odysseus. Er sprang auf, schüttelte sich. Er heulte, er schrie. Er warf sich auf die Erde, er schlug Purzelbäume. Nichts half. Mit einem markerschütternden Schrei lief er los. Stolperte, fiel. Rappelte sich auf. Rannte weiter. Er sah und hörte nichts. Mit dem Schwert in der Hand wirbelte er umher. Drehte sich in die eine Richtung, stieß auf ein Hindernis, drehte sich zurück. Er schlug, er stieß. Die ganze Zeit nur auf dieses Krabbeln auf der Brust achtend, das sich verzehnfachte, verhundertfachte, daß ihn dazu trieb sich immer schneller zu bewegen. Immer wenn er erlahmte, wenn seine Bewegungen langsamer wurden, spürte er dieses Vibrieren, das ihn vorrantrieb, das ihn pushte. Er wollte, er mußte, Nein! Nicht! Hilfe ...AAAHHHHHH.
Ein kalter Wasserschwall warf ihn zu Boden. Das Schwert entglitt ihm. Die Hände waren frei. Mit fliegenden Fingern öffnete er seinen Panzer und streckte die Brust in die Richtung.
„Hierher!“, schrie er und wurde prompt von einer weiteren kalten Wasserladung getroffen.
Mit geschlossenen Augen lenkte er seine Aufmerksamkeit auf seine Körpervorderseite. Nur ein kühler Wind, der an den Wassertropfen leckte, strich über sein Haut. Glückseligkeit durchflutete den Helden.
Er lebte. Er atmete. Niemand hatte ihn gestochen. Er öffnete die Augen. Da standen sie. Agamemnon, Menelaos, Aias und glotzten ihn an.
„Was ist?“, fragte er und richtete sich auf. „Was glotzt ihr so?“
„Wir haben gewonnen.“, erwiderte Agamemnon mehr staunend als feststellend. „Du hast sie verjagt. Du hast die Schlacht entschieden. An ihrem schwächsten Flügel hast du angegriffen und um dich geschlagen, getreten, gebissen. Alles was sich bewegte. Einige unserer Leute waren auch darunter. Aber was zählt, ist der Sieg. Du hast sie in die Flucht geschlagen Held Odysseus. Du hast es geschafft.“
Es folgte andächtiges Schweigen. Sie wollten hören, was der Mann zu sagen hatte, der die Schlacht ganz allein entschied. In diese Stille brach ein feines Brummen, daß nur einer hörte.
„Beim Zeus nein!“, schrie der Held und rannte strampelnd auf das offene Meer zu.
Etwas abseits schaute eine ziemlich nasse Fliege verwundert zu, wie ein Zweibeiner hochsprang und wild um sich schlagend auf´s Meer zurannte.