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Die vergessene Kolonie

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11.04.2001
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Die vergessene Kolonie

Der Tag war wunderschön, das Wetter war mild, die Temperaturen würden nicht über die 25 Gradmarke steigen.

Auf einem Wiesenstück nahe der leeren Straße lag ein mit Ge-päck beladenes Fahrrad. Nicht weit davon im Gras ruhte sich eine Frau von den Strapazen der bisherigen Fahrt aus, während sie ihren Begleiter aufmerksam beobachtete. Er war etwas korpulenter als sie und mühte sich gerade mit dem Vorderrad seines Rades ab, welches einen Platten hatte.

Er fluchte leise vor sich hin während er mit dem Schrauben-schlüssel hantierte. Dies war nun schon das zehnte mal, daß einer der Reifen seines Rades einen Platten hatte - und sie waren erst knapp zwei Tage unterwegs.
Er blickte kurz zu seiner "Partnerin" hinüber, die es sich im hohen Gras gemütlich gemacht hatte. Sie hatte sich bereits zum wieder-holten Male über ihn, den Terraner, lustig gemacht, der zwar durch den Weltraum fliegen könne aber bei etwas so simplen wie dem Fahrradfah-ren versagte, da er weder Glassplittern noch spitzen Steinen auszuweichen verstand. Daß sie dabei auch noch Recht hatte verstärkte seine Aggressionen nur noch.
Sie schien die Zwangspause zu genießen, während er schuften mußte. An ihrem Rad waren bislang keine Defekte aufgetaucht. Mittlerweile glaubte er schon fast an Sabotage oder eine Verschwörung gegen ihn. Aber wahrscheinlich lag es tatsächlich nur an der schlechten Wegstrecke.
Auf diesem Planeten gab es keine Antigravstraßen oder ähnliches. Selbst einfache befestigte Straßen waren nur selten vorhanden. Meist handelte es sich um einfache Lehmwege, die sich bei Regen in Schlaglöcher verwandelten.
Er zog den reparierten Schlauch inklusive Mantel wieder auf die Felge des Rades, zum Glück war es diesmal das Vorderrad gewesen, so mußte er sich nicht mit der komplizierten Montage der Schaltung am Hinterrad abgeben.
Dieser rückständige Planet brachte ihn noch mal um den Verstand, aber was sollte er tun? Er und die anderen waren hier gestran-det. Sie mußten sich nun mit den "Eingeborenen" verständigen. Eingeborene, er ließ das Wort nochmals in Gedanken auf seiner Zunge zergehen während er seine Partnerin eingehend betrachtete.
Die Wissenschaftler waren fest davon überzeugt, daß es sich hier um Nachkommen einer der ersten Kolonisierungswellen Terras oder um Nachkommen der Mannschaft eines gestrandeten Raumschiffes handelte, obwohl der endgültige Beweis bislang noch nicht erbracht war. Die genetischen Codes der Eingeborenen und der terranischen Menschen waren sich zu ähnlich um getrennt entstanden zu sein.
Allerdings waren auf den ersten Blick auch Unterschiede zu erkennen. Im Durchschnitt überragten die Argilaner, so nannten sie sich selbst, die Terraner um gut dreißig Zentimeter. Dies war wohl eine Folge der etwas geringeren Gravitation dieses Planeten. Außerdem war die normale Hautfarbe eines gesunden Argilaners mit einem kleinen Grün-stich versehen, eine Folge der gegenüber der irdischen Sonne etwas anders zusammengesetzten Sonnenstrahlung und deren Langzeitauswirkung auf die Haut der Argilaner.
Wobei wir allerdings wieder beim Thema wären, dachte er. Gesunde Argilaner - vor 5 Standardjahren waren sie das noch - bevor die Terraner kamen. Der Kontakt mit ihnen brachte ihnen Seuchen und Hun-gersnöte. Die Terraner hatten durch mangelnde Vorsicht Krankheitserreger eingeschleppt, die sowohl unter den Menschen wie auch unter dem Vieh und den Pflanzen auf Argila wüteten. Niemand hatte damit gerech-net, obwohl es in den Vorschriften für den Erstkontakt mit fremden Welten eigentlich zur Standardprozedur gehörte gerade den Bereich der Mikroorganismen besonders zu untersuchen.
Nun, da hier Menschen lebten und dies bereits seit langer Zeit, hielt man solche Untersuchungen für überflüssig - mit verheerenden Fol-gen. Andererseits, was hatten die Terraner für eine Wahl? Sicherlich hätten sie sich gegen eine Kontaktaufnahme entscheiden können, nur dann wären sie tot gewesen. Ihr Schiff war havariert, sie hatten keine andere Chance als zu landen.
Nun sie versuchten zu helfen, zum Teil konnten sie das auch. Allerdings war ihre Hilfe nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Es waren einfach zu viele Patienten, es gab zu wenige Medikamen-te und nur einen Arzt an Bord des Erkundungsschiffes.
Dann schlug der Planet zurück. Aus bislang ungeklärter Ursache entstand eine Krankheit für die auch die Terraner anfällig waren. Bislang hatte es immer geheißen, daß ein Mensch ihrer Zivilisation nur an Altersschwäche oder durch einen Unfall sterben konnte - gegen alles andere gab es Medikamente.

Gegen die Glasknochen gab es keine.

Durch die Mutation irgendeines Krankheitserregers entstand ein Virus welches die Zellstruktur der Knochen angriff. Die Folge war, daß die Knochen bei ungünstig auf sie wirkenden mechanischen Kräften so-fort splitterten. Je nach Fortschritt der Krankheit konnte es bereits bei der plötzlichen Belastung der Beinknochen beim Aufstehen von einem Stuhl passieren. Im Endstadium reichte es bereits ein mit Wasser gefülltes Glas von der Tischplatte an den Mund zu heben. Die belasteten Knochen split-terten einfach weg.
Der Arzt war machtlos. Die Medizin der Argilaner hatte noch weniger zu bieten, sie hatten auf allen Gebieten einen furchtbaren Rück-schritt gemacht und befanden sich nunmehr auf der Stufe einer vorindus-triellen, landwirtschaftlich ausgeprägten Gesellschaft.
Mittlerweile war fast jeder Argilaner und auch fast jeder Terraner infiziert. Der Ausbruch dieser Krankheit auf globaler Ebene war le-diglich noch eine Frage der Zeit. An die zehn Prozent der Bevölkerung war bereits erkrankt und mußte gepflegt werden. Die restlichen neunzig Prozent befanden sich in diversen Vorstufen, welche sich vor allem durch ein ausgemergeltes Aussehen bedingt durch einen stark reduzierten Stoffwechselaustausch bemerkbar machten. Dies war besonders schlimm für die Kinder.
Ein wenig Hoffnung schien allerdings doch zu bestehen. Die Krankheit verlief nicht bei allen gleich. Viele Infizierte durchliefen die Vorstadien der Krankheit binnen weniger Wochen, bei anderen hatte es in den Jahren seit dem ersten Auftreten der Krankheit zwar geringfügige Verschlechterungen gegeben, ein richtiger Ausbruch der Krankheit war bei diesen allerdings noch nicht zu verzeichnen - jene waren jedoch die wenigsten. Für die Betroffenen bedeutete dies zudem keinen Trost.

Die Reparatur des Rades war abgeschlossen. Er blickte zu seiner Partnerin auf. "Wir können weiter," seine Worte rissen sie aus einem Halbschlaf.

"Sollen wir nicht lieber noch ein wenig Pause machen, damit auch du dich erholen kannst?" fragte sie während sie ihn forschend ansah.

"Wir haben noch einen weiten Weg vor uns," war seine kurze Antwort. Sie hatte zwar eigentlich Recht, aber er konnte und durfte sich nichts anmerken lassen. Schließlich war auch er, wie sie, mit der Krankheit infiziert, aber ihre Aufgabe war zu wichtig um sich hier auszuruhen. Sie mußten weiter.

"Bist du sicher, Harry?" Sie wußte wie er sich fühlte, auch sie war am Ende ihrer Kräfte. Er andererseits schien sich für das Desaster welches der Kontaktaufnahme folgte irgendwie fast persönlich schuldig zu fühlen - aus diesem Grunde drängte er unermüdlich weiter.

"Ich bin sicher, komm." Mit diesen Worten schwang er sich auf das Rad und trat in die Pedalen.

Sie folgte ihm etwas langsamer, er würde schon wieder in einen vernünftigen Rhythmus verfallen nachdem sie einige Zeit unterwegs waren. Ein so mörderisches Tempo konnte niemand auf Dauer einhalten. Er war schon ein merkwürdiger Mensch ganz anders als alle anderen Männer die sie kannte, sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung vor zwei Ta-gen...


II


Das Dorf war nicht groß, eigentlich verdiente es diesen Namen gar nicht. Ungefähr zwanzig kleine, überwiegend aus Holz erbaute Hütten standen am Ufer des kleinen Flusses. Was dieses Dorf dennoch zu einer - traurigen - Berühmtheit hatte werden lassen, das war das Raumschiff, welches auf einem der Felder in der Flußbiegung gelandet war.

Seltsam, der Begriff Raumschiff war sehr schnell in den Sprach-gebrauch der Argilaner übergewechselt, wie auch so einige andere Begriffe der Fremden. Vor ungefähr sieben argilanischen Jahren waren sie hier angekommen. Zuerst wußte niemand womit man es zu tun hatte, als man jedoch erkannt hatte, daß es sich um Wesen aus Fleisch und Blut handelte, noch dazu um Menschen, die Hilfe benötigten, kannte die Gastfreund-schaft der Argilaner keine Grenzen mehr.
Man verstand zwar das Prinzip ihrer Reisen durch das "Weltall" nicht, aber das war auch nicht notwendig, sie waren Schiffbrüchige, gestrandete aus einer anderen Welt. Nur das zählte - und sie mußten versorgt werden.
Kurze Zeit später begannen die Seuchen.

Shemin schritt langsam über die durch das Dorf führende Straße. Hier also war der Ausgangspunkt allen Übels. Hier also war der Grund für das unsagbare Unglück zu suchen. Das Unglück des Planeten Argila im allgemeinen und ihr Unglück im besonderen. Die Krankheit hatte ihren Mann und ihr kleines Kind das Leben gekostet. - Letzteres war auf der Reise hierher gestorben. Es kostete sie ungeheure Überwindung den Gedanken daran zu verdrängen. Ras war tot, so wie viele andere. Ihr konnte sie nun nicht mehr helfen, aber vielleicht konnte sie anderen durch ihr Wissen die Rettung bringen.
Sie schritt stärker aus und hielt auf die zentrale Hütte des Dorfes zu, in welcher sie die Krankenstube vermutete.
Die Sonne begann langsam unterzugehen, das für Argila so typi-sche Zwielicht warf lange Schatten.
Sie trat ohne auf eine Antwort auf ihr Klopfen zu warten in die Hütte ein. Sie hatte Recht gehabt, im großen Hauptraum der Hütte hatte man an die zwanzig Bettgestelle aufgebaut in denen die Bedauernswerten Kranken lagen. Auch hier dasselbe Bild wie in den vielen Dörfern die sie bislang durchquert hatte - dasselbe Bild welches auch Ras abgegeben hatte, bis zur Unkenntlichkeit abgemergelt, die Beinknochen an mehreren Stellen gesplittert - sie zwang sich erneut dazu nicht daran zu denken.

Ein stark ausgemergelter Mann erhob sich von einem Stuhl in der Nähe des einzigen Fensters, welches in der Rückseite der Hütte in die Wand eingelassen war. Auch ihn hatte die Krankheit schon stark gezeichnet, wenn auch der Hauptschub noch nicht zum Ausbruch gekommen zu sein schien.

"Sei gegrüßt Fremde, du hast dir einen schlechten Zeitpunkt zum Besuch unserer Gemeinde ausgesucht," sagte er mit einer Geste auf die Kranken deutend. "Wir können dir kein Nachtlager bieten, weder hier noch in den anderen Hütten. Wir haben alles mit Kranken belegt."

Sie nickte, auch davon hatte sie gehört. Die Fremden sollten Schuld an allem haben, sie taten jedoch auch ihr Bestes um zu helfen - auch wenn dies kaum etwas nutzte. "Auch ich grüße dich," antwortete sie. "Mir reicht etwas Wasser und Brot. Ich bin es mittlerweile gewohnt in Feld und Flur zu schlafen." Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf den auf ihrem Rücken festgeschnallten Rucksack, welcher Decken zu beinhal-ten schien.
"Ich bin auf der Suche nach den Menschen von den Sternen, ich muß sie sprechen!" ihre Stimme verlieh ihren Worten Nachdruck.

"Du wirst noch etwas warten müssen, sie sind alle auf den Feldern, zumindest alle die noch hier sind," fügte er etwas leiser hinzu. "Hier ist dein Wasser."

"Danke," sie nahm einen tiefen Schluck. "Was tun sie auf den Feldern?"

"Sie verrichten dort unsere Arbeit, die Ernte muß eingebracht werden, wenn wir nicht wollen, daß sie verfault. In ungefähr zehn Tagen werden die Regenfälle kommen. Wir können froh sein, daß sie uns helfen, alleine würden wir es nicht schaffen."

"Auch mit ihrer Hilfe werden wir es nicht schaffen, Krom. Sie sind zu wenige und zudem auch krank. Vielleicht schaffen wir es noch über den Winter - aber dann?" die Stimme gehörte einer Frau, die vorsichtig ihren Kopf in Richtung der beiden Sprecher gewandt hatte. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Ihr Gesicht war früher sicherlich einmal hübsch gewesen - nun war es wie der ganze Körper von der Krankheit entstellt.

"Rede nicht so, du weißt genau, daß man nicht aufgeben darf. Das sagt der Doktor jedesmal..."

"Der Doktor, der Doktor, er ist auch nur ein Mensch und kein Wunderheiler. Er kann uns nicht helfen, Krom. Das weißt auch du. Er kann uns Mittel zur Linderung der Schmerzen geben - mehr nicht und auch das nicht mehr lange - er ist auch krank!"

"Die Fremden sind auch krank?" Shemins Stimme klang ungläubig, sollten ihre Informationen falsch sein? Dann erinnerte sie sich jedoch wieder, daß der kranke Mann nicht von diesen Fremden gesprochen hatte, sondern..., sie unterbrach ihre Gedanken als sich die Tür öffnete und mehrere Gestalten eintraten.

"Wie geht es hier, Krom?" fragte der vorderste, in robuste Far-merkleidung gekleidete Mann. "Irgendwelche Zwischenfälle?"

"Nein, Doc, keine Probleme. Allen Patienten geht es noch ge-nauso wie heut morgen..."

Shemin hörte nicht mehr hin. Dies waren also die Leute von den Sternen. Vier Männer und zwei Frauen - und der lange, fast die Größe eines Argilaners erreichende Mann war der Arzt. Shemin studierte die Gestalten. Sie alle wiesen Spuren der Krankheit auf. Zwar nicht so stark wie die auf den Betten liegenden Argilaner aber immerhin - sie waren krank!

"Wir freuen uns über jeden Besuch, woher kommen sie, wie sieht es dort aus?" Der Arzt stand vor ihr, wie er dorthin gekommen war entzog sich ihrer Kenntnis, sie hatte nicht mehr auf ihn geachtet, nachdem sie die Anzeichen der Krankheit an den Fremden entdeckt hatte.

"Ich komme aus einem kleinen Dorf, weit im Norden. Der Name würde ihnen nichts sagen," antwortete sie. "Es ist von Wald umgeben, wenige Wegstunden entfernt in nordöstlicher Richtung liegt der Berg..."

Der Arzt unterbrach ihren Redeschwall. "Nein, das meinte ich nicht. Ich habe wohl noch immer Probleme mit ihrer Sprache. Ich wollte wissen wie es der Bevölkerung dort geht. Grassiert die Krankheit dort genauso wie hier?" Seine Stimme klang irgendwie gebrochen. In seiner ganzen Haltung drückte sich eine schwer auf ihm ruhende Last aus.

Shemin sah ihn lange an bevor sie antwortete. Sie hatte ihn absichtlich mißverstanden. Nun merkte sie, daß dies nicht fair gewesen war. Dieser Mann sorgte sich wirklich um die Kranken. "Es tut mir leid, es sieht dort genauso aus wie hier. Es sind fast alle krank."

Der Arzt sah nicht so aus als hätte er eine andere Antwort erwar-tet. Erschöpft wandte er sich seinen Patienten zu. "Ich muß mich jetzt um sie kümmern, entschuldigen sie mich bitte." Er ging zu den Betten hin-über und kniete am ersten nieder. Was er mit den Kranken sprach war nicht zu hören.

"Er hat sechzehn Stunden mit den anderen auf den Feldern gear-beitet, jetzt wird er sich noch ungefähr vier Stunden um sie kümmern bevor er sich für den Rest der Nacht schlafen legt. Er meint so könne er wenigstens etwas wieder gutmachen." Die Stimme gehörte Krom. Er hatte seinen Kopf zu Shemins Ohr gebeugt, damit die anderen Fremden nicht verstehen konnten was er sagte. "Er und sieben weitere Fremde, das sind alle die geblieben sind um uns zu helfen. Die anderen sind entweder tot oder haben es nicht eingesehen hier dahinzusiechen. Sie versuchen sich durch Weglaufen vor der Krankheit in Sicherheit zu bringen. Er hat versucht sie zum Bleiben zu bewegen, dachte wenn sie nur alle zusammenhalten dann könnten sie einen Ausweg finden..."

"Er hatte Unrecht, Krom," einer der anderen Fremden hatte wohl doch etwas mitbekommen. "Man kann nichts tun. Es gibt kein Gegenmit-tel. Mit etwas Glück verläuft die Krankheit beim einen oder anderen etwas langsamer - aber das ist auch schon alles." Der Mann zog einen Stuhl zum in der Ecke stehenden Tisch. "Vielleicht hatten sie ja Recht, die Kranken hätten isoliert werden müssen..."

"Du weißt ja nicht was du da sagst," erst später sollte sie erfah-ren, daß der Sprecher Harry hieß. "Doc hat sein Möglichstes getan, wenn alle zusammengehalten hätten dann hätten wir es evtl. doch schaffen können. Die Stuart hatte ihre Laborausrüstung zur Untersuchung von Bodenproben. Außerdem waren da noch einige andere helle Köpfe an Bord. Wenn die alle hiergeblieben wären anstatt ihr Heil in der Flucht zu su-chen..."

"Regt euch nicht auf, es bringt eh nichts. Ist alles rein hypothe-tisch was ihr da quatscht. Legt euch lieber hin, morgen ist ein schwerer Tag." Eine der beiden Frauen griff beschwichtigend in das Gespräch ein. Sie ergriff Shemins Arm und zog sie in Richtung Tür. "Kommen sie mit nach draußen, die Luft hier drin ist schlecht. Vielleicht können sie mir noch etwas von ihrem Bergdorf erzählen."

Shemin war irgendwie froh einen Vorwand zu haben aus der Hütte hinauszukönnen, die Stimmung dort drinnen war zu gedrückt. Das rief wieder Erinnerungen an Ras hervor und an ihren Mann.


III


Und nun war sie mit Harry unterwegs. Noch am selben Abend hatte sie den Mut gefunden der Frau die Geschichte des Mannes zu erzählen, der sich halbtot in ihr Dorf geschleppt hatte. Dieser Mann hatte von gesunden Fremden und deren gesunden argilanischen Dienern erzählt, die tief im Süden lebten. In ihrer Not hatte sie ihm geglaubt. Ihr Mann war gerade gestorben, Ras ging es schlecht, bei ihr waren die Anzeichen für die Krankheit noch nicht sehr ausgeprägt zu sehen, wiewohl kein Zweifel daran bestand, daß auch sie krank war.
Es war eine Hoffnung, eine Hoffnung für Ras. Wie oft mußte sie an sie denken. An das kleine lebenslustige Mädchen, sie hatte keine Chance gehabt!

Doc wurde sofort von der Frau benachrichtigt, dieser hielt es gar nicht für so undenkbar, daß die Geschichte wahr sein könnte. Einige Gruppen der ursprünglich rund hundert Menschen zählenden Besatzung des Forschungsschiffes hatten sich in Richtung Süden abgesetzt. Sie hat-ten die Gleiter genommen und darüber hinaus auch noch so manches technische Gerät. Sie wollten damals auch Doc überzeugen mitzukom-men, einen Arzt konnten sie wohl gut brauchen, doch er sah das anders, er wollte den Argilanern helfen.
Am übernächsten Morgen brach sie mit Harry zusammen auf. Harry war derjenige von ihnen, der noch am gesündesten war, aus diesem Grunde wurde er dafür ausgesucht.
Sie blickte auf, er hatte keinen allzu großen Vorsprung mehr, er konnte das Tempo nicht durchhalten. Innerhalb kurzer Zeit würde sie ihn wieder eingeholt haben.
Ein Gedanke quälte sie besonders, was war, wenn das Ganze nur ein Gerücht war? Was, wenn es keine gesunden Menschen im Süden gab? - Doc hatte gesagt, das mache dann auch nichts mehr, er sei ihr aber dankbar für den Funken Hoffnung den sie verbreitet hatte. Seine Patienten konnten ihn brauchen.


IV


Zwei Wochen, und unzählige Pannen später fuhren sie spät abends in ein kleines Dorf. Überraschenderweise schien es bewohnt zu sein, aus den Fenstern drangen Lichtscheine nach draußen. Seit einer Woche hatten sie keinen Kontakt mehr zu Menschen gehabt. Die Dörfer oder Gehöfte, die sie passiert hatten waren allesamt verlassen - und dies schon seit einigen Jahren.

Harry stellte sein Rad vor einem der hellerleuchteten Fenster des "Zentralgebäudes" ab.
"Ich schätze dies ist wohl das hiesige Äquivalent zu einem Gasthof, vielleicht können wir ja hier etwas Abwechslung in unseren Speiseplan bringen. Diese ständigen Konzentratrationen aus den alten Bestän-den des Raumschiffs gehen mir mittlerweile ganz schön auf die Nerven."

"Womit willst du bezahlen?" fragte Shemin während auch sie ihr Rad abstellte. Für sie war dieses Ding immer noch ein Wunderwerk der Technik. Wohl auch aus diesem Grunde ging sie sehr sorgfältig damit um, jedenfalls sorgfältiger als Harry das tat. Er hatte ihr zwar bereits oft von den wirklichen Wunderdingen berichtet, die sich ursprünglich an Bord des Raumschiffs befanden, mittlerweile aber von den verschiedenen Gruppen der Fremden, die sich in "Sicherheit" bringen wollten mitgenommen wurden. Das Prinzip eines "Gleiters" konnte sie jedoch nicht nachvollziehen. Ein Fahrrad hingegen war ein Wunderwerk der Technik, welches verstanden werden konnte.

"Ich hoffe auf die bei euch so hochgepriesene Gastfreundschaft," erwiderte er mit einem Schmunzeln. "Darüber hinaus war es bei uns auf der Erde früher so üblich die Zeche mit Spülen abzuarbeiten."

Als sie die Gaststube betraten drehten sich wie auf Kommando alle Köpfe der Anwesenden in ihre Richtung. Shemin und Harry blieb der Atem stehen. Bereits auf den ersten Blick konnten sie erkennen, daß den Leuten etwas besonderes anhaftete - sie schienen nicht krank zu sein!
Shemin drängte ihren Begleiter in die Ecke rechts neben der Eingangstür. An dem dort einsam stehenden Tisch ließen sich die beiden nieder. Langsam keimten die Gespräche der anderen Gäste untereinander wieder auf. Trotzdem schien irgendeine unnatürliche Stimmung im Rau-me zu hängen. Die Gesichter der Anwesenden sahen bedrückt aus, ihre Gesten ließen keinerlei Fröhlichkeit erkennen.

"Irgend etwas stimmt hier nicht," Shemin flüsterte obwohl der mittlerweile wieder angestiegene Lärmpegel ohnehin verhindert hätte, daß die nächsten, an der Theke stehenden Gäste ihre Worte hätten hören kön-nen. "Achtung da kommt der Gastwirt." Sie deutete mit dem Kopf auf einen sich nähernden Mann mittleren Alters.

"Wir beherbergen nur selten Abgesandte der Sterne," leitete er seine Begrüßung der Neuankömmlinge ein, während er unterwürfig vor dem Tisch niederkniete. "Womit kann ich dem Abgesandten und seiner Gespielin dienen?" fragte er ohne den Blick vom Boden aufzurichten. Im Gastraum war es wieder still geworden.

Harry und Shemin wechselten Blicke des Erstaunens, mit einer solchen Begrüßung hatten sie nicht gerechnet. Harry faßte sich als erster. "Bitte stehen sie doch auf," bat er den Mann. "Wir haben eine lange Reise hinter uns und suchen eigentlich lediglich ein Nachtquartier und etwas zu essen. - Leider können wir nicht bezahlen," fügte er mit Bedauern hinzu. "Aber evtl. ist es ja möglich die Schuld abzuarbeiten."

Der Wirt kniete noch immer wie vom Donner gerührt vor ihnen. Es hatte den Anschein, als müsse er erst seine Fassung wiedergewinnen bevor er antworten konnte. "Aber Herr, ich verstehe nicht ..... Ihr seid mir jederzeit willkommen. Habe ich etwas falsch gemacht? Der Tribut ist entrichtet worden. Sagt mir wie ich euch wieder zufriedenstellen kann..." Er stammelte nur noch unverständliches Zeug vor sich hin.

"Bring' uns etwas zu essen," Shemin nahm Harry das Handeln ab. "Aber schnell, wir haben Hunger!" Der Wirt sprang förmlich auf und raste in die Küche um das Gewünschte zu besorgen.

"Was soll das alles? Abgesandte der Sterne, Tribut und vor allem diese Angst und diese Unterwürfigkeit? Ich verstehe das nicht." Harry war fassungslos.

"Ich weiß es auch nicht, aber ich glaube es ist das Beste, wenn wir das Spiel vorerst mitspielen," entgegnete Shemin.

Das Essen war gut und reichlich. Es überraschte vor allem die Tatsache, daß es Fleisch in Hülle und Fülle zu geben schien. In der Gegend um den Landeplatz des Raumschiffes war die Tierhaltung bereits seit einiger Zeit aufgegeben worden, da die Verletzungsgefahr für die Menschen beim Einfangen der Tiere zu groß war.
Für die Nacht erhielten die beiden das persönliche Schlafgemach der Wirtsleute im ersten Stock des Hauses. Um nicht noch mehr Argwohn zu erwecken als ohnehin bereits geschehen, gingen sie kommentarlos auf das Angebot ein.

Am folgenden Morgen schlich sich Shemin alleine in die Gaststube hinunter um etwas mehr Informationen zu sammeln. Sie vertrat die Ansicht, daß Harrys Anwesenheit nur störend auf die “Einheimischen” wirkte - womit sie nicht Unrecht hatte, wie sich kurze Zeit später herausstellte.
Zitternd vor Erregung kam sie nach ungefähr einer halben Stunde zu Harry ins Zimmer zurück.
Harry saß stumm auf der Bettkante des Doppelbettes und blickte ihr erwartungsvoll entgegen. "Und," fragte er ungeduldig. "Hast du etwas erfahren können?"

Sie legte jedoch ihren Zeigefinger über ihren Mund und deutete damit an, daß er sich still verhalten solle. Gleichzeitig packte sie schnell die wenigen Habseligkeiten wieder in die Satteltaschen der Fahrräder und bedeutete ihm ihr dabei zu helfen. Stumm und mit einem fragenden Gesichtsausdruck kam er ihren Anweisungen nach.

Die Taschen unter die Arme geklemmt schlichen beide in den Flur hinaus. Am Treppenabsatz verhielten sie kurz, unten schien alles still zu sein. Die Holztreppe knarrte verräterisch. Aus der Gaststube drangen plötzlich laute Stimmen. Die Argilanerin verharrte ohne jede Vorwarnung mitten in der Bewegung als sich die Tür zum Gastraum unvermittelt öffnete. Harry, der hinter ihr die Treppe heruntergeschlichen war, prallte gegen sie und brachte sie damit aus dem Gleichgewicht. Shemin stürzte zu Boden.

Aus der Gaststube traten fünf Personen, vier davon Argilaner und ein Terraner, unschwer an seinem kleineren Wuchs zu erkennen. Alle trugen diese roten, Baseballkappen nicht unähnlichen Mützen aus den alten Raumschiffbeständen. Ansonsten unterschied sich ihre Kleidung in nichts von der in diesem Landstrich anscheinend üblichen, aus einem aus einer Pflanzenfaser gewonnenen Stoff hergestellten, robusten Farmerkleidung.
Die Mützen und das Gebaren der Gruppe vermittelte einem außenstehenden sofort die Assoziation, hier eine paramilitärische Einheit vor sich zu haben.

"Na, wen haben wir denn da?" fragte der unschwer als Anführer der Gruppe auszumachende Terraner. "Harry Mills, wenn ich mich nicht irre! So frisch wie früher, und in angenehmer Begleitung," er deutete auf Shemin, die sich mittlerweile wieder hochgerappelt hatte. Sie schien unverletzt zu sein, was bei einem solchen Sturz angesichts der auch bei ihr fortschreitenden Krankheit keine Selbstverständlichkeit war.

"Tom, Tom Holt," stammelte Harry vor sich hin. "Was geht hier vor?"

"Merkst du das denn nicht selber, Harry?" Shemin ließ sich auf die untersten Treppenstufen sacken, während die kleine Truppe von Argi-lanern beide derart umringte, daß ein Entkommen ausgeschlossen war. "Das sind deine Freunde, Harry. Die haben hier die Macht übernommen - mit Mitteln die man wohl mindestens zweifelhaft nennen muß haben sie die in diesem Landstrich demokratisch gewählte Regierung gestürzt und selbst ein Schreckensregime errichtet, die Küchenhilfe hat's mir erzählt."

"Danke für diese Information, um die Frau werden wir uns später kümmern." Tom Holt grinste süffisant über sein ganzes Gesicht während er seinen Untergebenen per Kopfnicken des Befehl gab die Gefangen nach draußen zu führen. "Ich denke wir haben uns noch viel zu erzählen Harry. Jetzt aber los, der Gleiter wartet."

"Ihr seid alle gesund, scheint mir." Harry machte Anstalten den Gehorsam zu verweigern, beugte sich dann jedoch doch der angedeuteten Gewaltbereitschaft der kleinen Schlägertruppe.

"Auch und vor allem darüber werden wir ausführlich mit dir reden wollen, Harry. Aber alles zu seiner Zeit. Jetzt werden wir uns erst mal zu unserem Hauptquartier begeben, dort können wir dann über alles reden, überleg` dir schon mal deine Fragen," fügte der Terraner weiterhin grinsend hinzu.

Vor dem Haus wartete einer der ursprünglich zur Erkundung fremder Welten konzipierten Gleiter mit einem weiteren ehemaligen Besatzungsmitglied an den Steuerungskontrollen.

"He, Camille, sieh mal wen wir hier haben," Tom Holt ließ seine Kollegin gar nicht erst antworten, sondern fuhr gleich weiter fort. "Du weißt schon, Harry Mills, einer der wenigen standhaften, die den Schaden, den wir im Norden angerichtet haben wieder gut machen wollten. - Jetzt ist er hergekommen, wird sich uns wohl anschließen wollen, was bleibt ihm auch anderes übrig. Sag' mal, Harry," fuhr er an den Gefangenen gewandt fort, "haben die da oben eigentlich inzwischen alle schon das Zeitliche gesegnet? - Würde mich nicht wundern, die hatten ja nicht unse-re Möglichkeiten..."

"Du quatschst zuviel, Tom. Steigt jetzt ein. Jorge ist sicher schon ungeduldig."

Der Gleiter erhob sich leise auf seinen Antigravpolstern bis in ca. zwei Meter Höhe und beschleunigte dann weich gen Südosten in die immer noch aufgehende Sonne hinein.

V


Der Flug dauerte nicht allzu lange an. Nach ungefähr einer halben Stunde waren sie am Ziel. Für diese Strecke, hätten Harry und Shemin mit ihren Fahrrädern allerdings sicherlich noch eine weitere Woche gebraucht.

Aus der Luft bot sich ein recht armseliger Anblick des so gepriesenen Hauptquartiers. Es handelte sich um nichts weiter als um eine festungsartige Anlage, fast durchgängig aus Holz erbaut, obwohl hier auf Argila durchaus Steinbauten die Regel waren. Aus zeitlichen Gründen hatte man jedoch wohl auf den leichter zu verarbeitenden Rohstoff zu-rückgegriffen.
Ein hoher, mit allerlei elektronischem Gerät versehener Turm war weithin über die die Anlage umgebende Savanne zu sehen. Im Fes-tungshof ging der Gleiter neben fünf weiteren, dort geparkten Gleitern nieder.
Die Gefangenen wurden in einer Art Gefängnis untergebracht. Die Tür fiel ins Schloß, das Licht in dem gerade mal drei Quadratmeter großen Raum wurde gelöscht. Shemin und Harry waren von totaler Fins-ternis umgeben.

Stunden nachdem man sie allein gelassen hatte öffnete sich die Tür wieder. Das einfallende Licht blendete die Gefangenen anfänglich stark.
Eine Silhouette war in der geöffneten Tür zu erkennen. Eine der vor der Tür stehenden Personen schaltete auf Weisung des in der Türöffnung stehenden Mannes das Licht im Kerker wieder ein. Harry und Shemin hatten gerade noch Zeit ihre Augen zu schließen. Nun blinzelten sie im grellen Licht der starken Deckenleuchte um ihr Gegenüber zu identifizieren.

Der untersetzte Mann, welcher noch immer in der Türöffnung verharrte, ließ ein höhnisches Lachen hören. "Na, habt ihr euch schön amüsiert? Viel Platz hattet ihr ja nicht, ich hoffe, der Boden war euch nicht zu hart?" Ein weiteres Lachen rundete seine kurze Rede ab.

"Jorge, Jorge Diaz! Auf dem Schiff zuständig für die innere Sicherheitsabteilung - sprich Polizei." Harrys Worte waren an Shemin gewandt um dieser den Mann vorzustellen, der vor ihnen stand. "Jorge Diaz, ich hatte nie viel mit ihm zu tun..."

"Richtig Harry, ich bin's. Im Namen des Reiches der Abgesand-ten der Sterne heiße ich dich willkommen, deine nette Gespielin selbst-verständlich auch," sein Dauergrinsen richtete sich nunmehr Shemin zu, während seine Augen an ihrem Körper auf und ab wanderten. "Nicht schlecht Harry, du hast Geschmack, wenn sie mir auch ein wenig zu groß wäre. - Aber kommen wir zum geschäftlichen. Bitte folge mir." Jorge Diaz drehte sich um und entfernte sich aus der Türöffnung. Harry und Shemin sahen sich kurz an und folgten ihm dann.

"Halt, sie nicht! Ein neben der Tür stehender Posten stieß Shemin zurück in den Raum.

"Jorge, was soll das?" rief Harry empört.

"Jorge, was soll das?" äffte der bereits einige Meter weiter gehende Mann Harry nach. "Das soll heißen, daß ich mit dir sprechen will - und nicht mit deiner Dienerin! Sie kann hier warten, von mir aus laßt ihr das Licht an - und laßt sie in Ruhe. Ich glaube Harry empfindet ein wenig mehr für sie als normalerweise üblich, wir wollen ihn doch nicht verärgern! Nun komm schon Harry!"

Shemin nickte ihm zu, während einer der Posten die Tür schloß.

Vier mit Strahlern bewaffnete, stämmige Argilaner begleiteten Jorge und Harry in einen kleinen Garten, in welchem ein kleiner Pavillon stand.

“Dies ist mein Domizil, Harry. Fühle dich wie zu Hause..."

"Was geht hier vor, Jorge? Die Situation hier ist doch nicht nor-mal."

"Normal, normal. Was ist schon normal?" Jorge Diaz seufzte tief und ließ sich auf einer grob aus einem Baumstamm geschnittenen Bank nieder. "Du wirst dich ein wenig umstellen müssen, aber ich bin sicher du wirst das Leben hier mögen.
Wir haben hier den Himmel auf Erden, Harry. - Solange wir uns an die richtigen Spielregeln halten, und du warst auf dem besten Wege dazu sie zu mißachten!
Zeche abarbeiten! Wie bist du auf diese Idee gekommen? Zum Glück hatten wir Spitzel in dem Ort, die unseren nächsten Posten benach-richtigten."

"Jorge, was soll das alles hier bedeuten? Die Leute hier sind gesund! Was habt ihr herausgefunden? Warum teilt ihr es nicht mit allen? Was geht hier vor Jorge?"

"Jetzt kehr' mal nicht den Moralapostel raus. Was soll hier schon groß vorgehen? - Ja wir haben das Geheimnis der Glasknochen geknackt. Die Stuart ist mit ihrer Mannschaft fündig geworden, Gott sei ihrer Seele gnädig. So sagte man doch früher, oder?"

"Sie ist tot?"

"Ja, kurze Zeit nach ihrem Triumph ist sie dann doch an der Krankheit gestorben - schade ich hätte sie gut brauchen können.
Aber weiter, und unterbrich mich nicht ständig.
Also, wir haben den Stoff, das Gegenmittel! Leider hält eine Injektion nicht allzu lange vor. Maximal ein Vierteljahr, danach ist eine auffrischende Impfung fällig. Sogar die bereits eingetretenen Schäden können unter Langzeitanwendung des Impfstoffes rückgängig gemacht werden.
Und bevor du wieder explodierst, wir geben das Medikament an alle ab, natürlich nur im Austausch gegen entsprechende Entgelte, Marktwirtschaft, du verstehst?"

"Die Gegenleistungen bestehen aus absolutem Gehorsam?"

"Du lernst schnell, Harry. Ja, absoluter Gehorsam. Ihnen bleibt nichts anderes übrig. Nur wir können den Impfstoff herstellen.
Nun Harry, ich kann hier jeden Terraner brauchen, wir haben zwar versucht möglichst viele unserer ehemaligen Schiffskameraden aufzunehmen, aber leider wollten sich uns nicht alle anschließen. Allerdings gibt es jetzt nicht mehr viele autonome Gruppen von Terranern hier auf dem Kontinent. Lediglich drüben auf der anderen Seite des Planeten gibt es eine größere Gruppe von uns, aber auch sie werden nicht mehr lange leben - sie haben das Medikament nicht!
Du mußt dich entscheiden. Hier hast du ein Leben ohne große Sorgen. - Dort wo du herkommst erwartet dich der Tod!"

VI


"Du hast zugestimmt?" Shemin konnte es nicht fassen. "Er ist ein Diktator, ein Mensch, den andere Menschenleben nicht interessieren, ihm geht es nur um Macht!"

"Du profitierst auch davon, Shemin," Harry flüsterte mehr als das er sprach und blickte verlegen auf den Boden ihres gemeinsamen Gemaches in Jorges Pavillon. "Auch du hast eine Injektion erhalten."

"Und das nur weil ich zu dir gehöre! Wenn ich das nicht täte, wäre ich leer ausgegangen, ich hätte die Injektion nicht bezahlen können, wie so viele andere meines Volkes auch!
Harry, was seid ihr für Menschen? Ich hatte eigentlich eine andere Meinung von dir gewonnen.
Weißt du eigentlich, daß die Stuart liquidiert wurde, weil sie nicht bei dieser Sache mitmachen wollte? Weißt du das Harry?
Weißt du, das der Impfstoff nur aus dem Blut von Kindern gewonnen werden kann? Menschlichen Kindern, Harry! Sie sperren sie in enge Verliese und nehmen ihnen über Monate hinweg immer mehr Blut ab, bis die Kinder nicht mehr können - dann geben sie sie ihren Eltern zurück, zum sterben!"

"Die Kinder..." Harry begann zu stammeln.

"Die Kinder kommen freiwillig, ja, um die Schulden ihrer Eltern zu bezahlen, die diese für die Injektionen aufnehmen mußten. Harry das ist schlimmste Sklaverei! Und du machst da auch noch mit!" Shemin wandte sich entrüstet ab.

"Ich habe doch keine Wahl," flüsterte Harry leise. "Was hätte ich denn tun sollen? Er hätte mich doch liquidiert, wie auch vor mir schon einige andere. Ich hatte doch keine Wahl," wiederholte er nochmals.

"Doch, du hattest und hast noch immer eine Wahl! Es gibt genug Möglichkeiten. Ein Aufstand unter der Bevölkerung, ein Putsch unter den Sicherheitskräften, eine Invasion von außerhalb..."

"Das ist alles absolut unrealistisch, Shemin. Die Sicherheitskräfte sind auf ihn eingeschworen. Die Terraner, die für einen Putsch in Betracht kämen, hat er mit “Lehensgütern” weit entfernt von hier befriedigt, sie sind dort ihre eigenen Herren. Die Bevölkerung ist abhängig von ihm. - Er hat hier die einzige Produktionsstätte. - Er ist der Diktator, ja da hast du recht, ich glaube er ist einer der wirklich absoluten Herrscher der Ge-schichte. Niemand kann etwas gegen ihn ausrichten!"

"Ich glaube doch, er hat Angst, Harry, große Angst!"

"Wovor?" fragte der Angesprochene ungläubig.

"Das weiß ich selbst nicht, aber er hat Angst. Das hat mir eine seiner Leibsklavinnen berichtet. Er kontrolliert persönlich mehrmals täglich die elektronischen Anlagen im Turm. Ich weiß nicht warum, aber es hat etwas mit dem Turm zu tun."

"Der Turm," sinnierte Harry, "der Turm beinhaltet Teile der ursprünglichen Fernaufklärungsanlage des Raumschiffes, das konnte ich von außen erkennen - weshalb sollte er das fürchten?"

"Fernaufklärung, was ist das?" fragte Shemin.

"Wir benötigten diese Anlagen um aus der Umlaufbahn um uner-forschte Planeten Daten von deren Oberfläche zu gewinnen..."

"Er fürchtet jemand, der weit entfernt ist, Harry. Vielleicht den Doktor und euer Schiff?"

"Das Schiff ist defekt, ein Wrack, mittlerweile total ausgeschlachtet. - Nein, von dort droht keine Gefahr, eher schon von einer anderen, größeren Gruppe von Terranern. Jorge hatte erwähnt, daß es noch ein paar solcher Gruppen gibt."

"Eine andere Gruppe von Terranern! Wir müssen sie informie-ren! Wenn er sie fürchtet wird er allen Grund dazu haben."

"Wir haben keine Chance Shemin. Wie wolltest du es anstellen? Sie sind auf der anderen Seite dieses Planeten. Du kannst nicht einfach hinlaufen! - Nein wir müssen uns arrangieren, vielleicht können wir mit der Zeit etwas bewirken, ich bin jetzt müde, komm laß' uns schlafen ge-hen."


VII


Harry wurde unsanft aus dem Schlaf gerissen. Jemand stürmte in sein Schlafzimmer, schaltete das Licht an und rüttelte ihn wach. Zwei Leibgardisten Jorges standen vor seinem Bett, zerrten ihn ohne jede Erklärung hoch und schleppten ihn mit. Es ging in Richtung Turm über den vom Mondschein erhellten Innenhof der Festung. Auch im Turm war alles hell erleuchtet.
Harry, mittlerweile einigermaßen wach, stieg selbständig die Treppenstufen in das oberste Stockwerk hinauf. Oben erwartete ihn eine grausame Szene.

Ein Leibgardist Jorges lag auf der Schwelle zu einem mit Schiffselektronik vollgestopften Raum. Aus seiner Brust ragte ein langes Küchenmesser heraus. Der Boden rings um ihn herum war blutgetränkt.

Im Zimmer saß Jorge, umgeben von vier weiteren seiner Leib-wächter. Vor ihm halb auf dem Boden liegend, halb an die Wand gelehnt, befand sich die übel zugerichtete Shemin.
Ihre Beine standen in unnatürlichen Winkeln ab, sie waren gebrochen worden, ihr Körper blutete an den unterschiedlichsten Stellen. Sie war aufs grausamste verprügelt und gefoltert worden.

"Da bist du ja endlich, Harry." Jorges Gesichtsausdruck war haß- und angsterfüllt zugleich. "Ich wußte von Anfang an, daß ich ihr nicht trauen durfte, hätte ich dir nur nicht nachgegeben! Sie hat versucht mit drüben Kontakt aufzunehmen, Harry, sie sagt uns nicht ob und wenn ja was sie berichtet hat. - Wir haben bereits alles versucht. Wir kriegen nichts aus ihr raus. - Versuch du dein Glück! Na los, du hast uns das schließlich auch eingebrockt!"

Harry kniete neben Shemin nieder und strich ihr eine Haarsträhne aus dem blutverschmierten Gesicht. Ihre Augenlieder flackerten, sie versuchte Harry anzusehen.

"Was hast du getan, Shemin? Was hast du getan?" flüsterte er.

"Ras," hauchte sie, fast unhörbar für die Umstehenden. "Ras! Ich war es ihr schuldig..."

Lautes Heulen aus der Luft kündigte plötzlich sich mit aufs unmenschlichste überansgrengten Motoren nähernde Gleiter an.
Jorge schrie seiner Leibgarde Befehle zu. Die Gardisten rannten die Treppe hinunter. Harry blickte auf die sich im Raum befinden Apparaturen. Jemand, vermutlich Shemin, hatte hier ganze Arbeit geleistet. Fast alle Geräte waren zerstört. Lediglich auf einem, den Innenhof der Festung wiedergebenden Bildschirm war etwas zu sehen.
Zwei, drei Gleiter landeten im Innenhof, weitere schwebten über der Festung. Vereinzelt waren Schüsse zu hören.
Mittlerweile waren Harry und Shemin allein im Turmzimmer. Shemin öffnete wieder die Augen und suchte Harrys Blick. "Wir haben es geschafft, Harry. Sie sind da, nicht wahr? Deine Freunde von der anderen Seite der Welt. Geh' zu ihnen Harry. Sag' ihnen, daß sie nicht der Versuchung erliegen dürfen, das Regime von Jorge nach seinem Sturz fortzu-setzen. Es muß einen anderen Weg geben die Seuche zu besiegen, ohne diese schrecklichen Folgen. Sorge dafür daß Terraner und Argilaner sich wieder offen in die Augen sehen können. - Ich kann es nicht mehr."

"Shemin," er schrie den Namen mehr als das er ihn sprach.

Schwere Schritte waren auf der Treppe zu hören, die Tür wurde aufgestoßen. Zwei Terraner, offensichtlich von der Krankheit gezeichnet, mit Handfeuerwaffen bewaffnet, stürmten in den Raum.

"Harry, du hier?" Harry kannte die Frau, fast hätte er einmal mit ihr..., aber das war lange her, in einer anderen Welt. Die beiden kamen auf ihn zu, die Waffen auf ihn gerichtet.

"Nein, laßt ihn, er hat mir geholfen," Shemins Stimme war schwach, aber fest. "Er gehört zur richtigen Seite." Shemins Kopf sackte langsam zurück, sie hatte nicht mehr die Kraft ihn zu halten.

"Helft mir, jemand muß ihr doch helfen." Harry blickte die bei-den anderen Menschen verzweifelt an. Doch auch in seinem Inneren hatte er bereits eingesehen, daß für sie jede Hilfe zu spät kam. Jetzt konnte nur noch anderen geholfen werden - und das war in ihrem Sinne.

 

Schöne Geschichte, gefällt mir! Wenn es was zu kritisieren gibt, dann der Stil. Aber das wäre jetzt unverschämt von mir, bin ich doch selber kein großer Stilist. Ahem...
Die Beziehungen zw. den Menschen und den Eingeborenen hättest du vielleicht noch etwas näher beschreiben können, denn das würde mich besonders interessieren und ich glaube, damit stünde ich nicht alleine da.

 

Hallo Rainer,

freut mich, daß mich mal endlich jemand wirklich kritisiert, aber was meinst Du konkret mit Stil? Ohne konkretere Angaben kann ich daran nicht feilen.

Gruß

 

Tja, das ist eine schwierige Frage, auf die ich dir keine konkrete Antwort geben kann. Und ich wäre auch die falsche Auskunftsperson, weil ich bei fast jeder Geschichte einen eigenen Stil verwende, der mal ganz kurz und lakonisch ist, mal ausschweifend und im Grunde nichtssagend - einfach der Situation angepasst und der Emotion, die ich dabei fühle.

Na, vielleicht doch ein Bsp.:

Das Dorf war nicht groß, eigentlich verdiente es diesen Namen gar nicht. Ungefähr zwanzig kleine, überwiegend aus Holz erbaute Hütten standen am Ufer des kleinen Flusses. Was dieses Dorf dennoch zu einer - traurigen - Berühmtheit hatte werden lassen, das war das Raumschiff, welches auf einem der Felder in der Flußbiegung gelandet war

MIR persönlich gefällt so was nicht. Ich komme jetzt nicht mit dem erhobenen Zeigefinger und sage zB, dass der Erzähler keine persönlichen Kommentare einfließen lassen sollte, weil es sich um einen "objektiven" Erzähler handelt, also nicht aus der Ich-Perspektive erzählt wird.
Ach, weißt du, du solltest gar nicht auf mich hören, habe ich doch selber, wenn überhaupt, nur negative Kritiken auf meine Stories erhalten. Ich bin da wohl kein guter Kritiker, kann ich es doch keinesfalls besser.
Lass mich deshalb noch mal feststellen, dass ich deine Story ansprechend fand, weit überdurchschnittlich. Nimm dieses Lob einfach mal so hin! ;)

 

Hallo Rainer,

danke für die Blumen, aber Kritik ist immer angebracht. Nobody is perfect! Insofern bin ich für jeden Hinweis dankbar. Also keine Scheu, ich nehme mir auch negative Kritik nicht so sehr zu Herzen.

Also, wenn ich Dich richtig verstehe, dann bist Du der Meinung, daß der Erzähler absolut keine Wertung einbringen sollte. Die Wertung, wenn ich mal bei dem von Dir zitierten Beispiel bleiben darf, war von mir jedoch beabsichtigt, um auf kurzem und knappem Raum dem Leser Informationen rüber zu bringen. Hätte ich diese Information durch einen Protagonisten einstreuen lassen, so hätte dies mehr Raum in Anspruch genommen und vor allem mehr wörtliche Rede. Diese versuche ich, wo es eben geht einzudämmen, da ich an anderer Stelle bereits mehrfach auf die sehr stark vertretene wörtliche Rede hingewiesen worden bin.

Werd mir aber Deine Anmerkung mal durch den Kopf gehgen lassen.

Gruß

 

Bitte! Das mit dem Erzähler war nur das, was dir ein "echter" Kritiker vermutlich vorwerfen würde. Grau ist alles Theorie, meist auch grausam langweilig: Es gibt den Gott-Erzähler, der alles weiß, alle Gedanken und Gefühle lesen kann, also allmächtig ist. Und es gibt den Ich-Erzähler, der logischerweise nur aus seiner Perspektive erzählen kann.
Aber nimm das jetzt bitte nicht für bare Münze! Schreib so, wie es DIR gefällt. Es wird immer Leute geben die dir sagen, wie du etwas zu machen hast.
Die Story selbst fand ich nämlich wirklich gut und flott zu lesen, Respekt!

 

Da schau her... Und ich finde GERADE so eine nicht-subjektive Erzählweise des Erzählers gut... ;) Das ist nämlich mal was anderes, als immer dieses staubtrocken-Neutrale... ;)

Griasle
stephy

 

Wie gesagt: Ich sprach von THEORIE! Mir persönlich ist es egal, ob etwas objektiv oder subjektiv verfasst ist, Hauptsache, es ist spannend. Kritisch wird´s dann, wenn ein Ich-Erzähler "weiß", was andere denken oder gerade tun. Das wäre ein typischer Anfänger-Fehler! :)

Aber Axels Geschichte ist natürlich nicht die eines Anfängers und überdies gut, wenn auch teilweise etwas holprig für meinen Geschmack geschrieben.

Stephy: Keinen Widerspruch! :D

 

Die vergessene Kolonie trägt bei mir die Nummer 29 und ist aus dem Jahr 1995. Mittlerweile bin ich im Jahr 2001 mit Nummer 48 angelangt, ich hoffe die ist dann´nicht mehr so holprig.

ad astra

 

Frag mich das bitte bei der Nummer 204 im Jahre 2077 nochmal! :D

 

Wenn es im jetzigen Tempo weitergeht, werd ich das nicht schaffen. Weder mit dem Schreiben noch mit dem Leben.

ad astra

 

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