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Die Zauberfarbe

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13.05.2020
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Die Zauberfarbe

Die Geschichte, die ein volles Jahr und vierzig Tage kein Ende nehmen sollte, begann mit einer weißen Leinwand, die inmitten eines kleinen Kunstateliers provisorisch im Raum befestigt war. Ein junger Mann in blauer Jeans und weißem T-Shirt stand vor ihr und betrachtete sie nachdenklich. Geduldig widmete er sich den unzähligen Farben, die auf dem kleinen Holztisch neben der Leinwand aufgereiht waren. Er fuhr gemächlich mit einem Finger Stück für Stück über die silber-gerillten Deckel der kleinen Farbtöpfe. Sein Atem ging schleppend - bis er den braunen Borstenpinsel endlich in ein kräftiges Grün tunkte.

Der junge Mann hieß Manuel Hertz und er liebte die Malerei. Seine Zwillingsschwester, Hannah Hertz, verbrachte die meisten Sonntag bei ihrem Bruder im Atelier und hatte das Grün nach genauer Anweisung für ihn zusammengemischt. Sie saß rittlings auf dem Holzstuhl vor der massiven Arbeitsplatte, der gleichzeitig die einzige Sitzmöglichkeit im ganzen Raum darstellte. Sie betrachtete Manuel amüsiert.
"Fängst du auch irgendwann mal an, oder muss ich hier sitzen bis ich schwarz werde?", fragte sie und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er schnaubte.
"Pff, du hast ja keine Ahnung. Es soll was ganz besonderes werden. Ich muss erst alle Vorbereitungen treffen."
"Du bereitest dich aber schon seit Wochen vor. Irgendwann musst du auch mal anfangen. Sonst wird das Ding nie fertig". Sie drehte sich auf dem Stuhl einmal um ihre eigene Achse.
"Oder wir gehen nach draußen Eis essen. Aber ich kann hier nicht noch länger sitzen, wenn du nicht endlich auch was aufs Papier bringst."
"Auf die Leinwand. Es ist eine Leinwand, okay? Ich versuche es ja, aber irgendwie weiß ich nicht wie ich anfangen soll." Er seufzte. "Ich habe noch vierzehn Tage bis zur Deadline und wenn ich das Stipendium diesmal wieder nicht kriege.. kann ich meine Karriere als Künstler an den Nagel hängen. Das ist mir echt wichtig, Hannah. Es muss klappen. Ich kann nicht mein Leben lang kellnern."
"Aber vielleicht ist es genau das, weißt du?". Sie hatte den Tonfall gewechselt. "Du setzt dich so unter Druck, dass du gar nicht kreativ sein kannst. Wir wissen alle, dass du nicht auf der faulen Haut liegst. Aber manche Sachen kann man eben nicht erzwingen. Und davon abgesehen würde ein kleines Eis deinem Geist bei der Hitze sicher auch nicht schaden". Sie zuckte mit den Schultern und hatte sich von dem hellbraunen Holzstuhl durch den Raum zu ihm bewegt. Sie nahm ihm langsam den Pinsel aus der Hand. "Na komm schon. Eine Stunde, dann kannst dir wieder weiter den Kopf zerbrechen. Einverstanden?". Manuel blickte sie zweifelnd an. Wieder fiel ihm auf, wie schön Hannah eigentlich war. Ihre braunen Haare fielen ihr locker auf die Schultern und durch den Sonneneinfall im Atelier trat der graue Ring um ihre Iris noch strahlender als sonst hervor. Selbst der braune Fleck in ihrem rechten Auge, der sonst für leichte Unruhe in ihrem Blick sorgte, untermalte ihre Ausstrahlung. Aber am meistem liebte er ihr Lächeln, das so gewinnend, so offen und gleichzeitig so herzlich war, dass er ihr auch an diesem Nachmittag keine Bitte abschlagen konnte.
"Na gut. Aber nur eine Stunde. Und du zahlst.". Er gab sich geschlagen.
"Jawohl! Du bist der beste!". Freudig schlang sie ihre Arme um seine Taille und lief dann zurück zum Eingang um den Inhalt ihrer Handtasche, den sie im Laufe der Stunden auf dem Tisch verteilt hatte, wieder einzusammeln. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu ihrer Lieblingseisdiele, die nur ein paar Minuten zu Fuß von Manuels Atelier entfernt war. Während Hannah vergnügt ihr Zitroneneis aß und Manuel von seinen Zukunftssorgen ablenkte, nahm Manuel weder das Zwitschern der Vögel, noch den Pfingstrosenduft wahr, der schubartig durch die Straßen waberte. Die Sonne sank langsam tiefer am Horizont. Hätte Manuel nur geahnt, dass dies sein letzter Nachmittag gemeinsam mit Hannah sein würde, hätte er ihm vermutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt.

Später sagte Manuel Hertz zu dem Polizeibeamten, er hätte wissen müssen, dass etwas nicht stimmte, weil er nie Erfolg gehabt hatte. Er war kein kompletter Loser, aber Erfolg hatte immer einen Bogen um ihn gemacht. Seine Arbeit war moderat. Nicht die Schlechteste. Er war zuverlässig, aber von Exzellenz noch weit entfernt. Und dann war da noch die Sache mit der Zauberfarbe gewesen.
"Erzählen Sie mir von der Zauberfarbe", sagte Officer Mostafa, kurz Mo, Macke. Er war einer der ermittelnden Beamten im Vermisstenfall der sechsundzwanzigjährigen Hannah Hertz und versuchte an diesem Tag - ein Jahr nach jenem rätselhaften Verschwinden - Klarheit aus den wirren Aussagen des Zwillingsbruders zu ziehen. Mo war zweiunddreißig und seine Haare lichteten sich noch nicht, weil es auf seinem Kopf schlicht und ergreifend keine Haare gab, die sich lichten konnten.
"Sie stand einfach da!", sagte Manuel. Die immer wiederkehrenden Fragen machten ihn langsam mürbe. "Wie oft muss ich das noch erklären. Ich kam, wie jeden Tag, in mein Atelier und an diesem Tag lag vor der Tür ein kleines Päckchen neben dem Blumentopf. Kein Absender. In braunes Papier gewickelt mit einer Kordel drumherum. Sie wissen schon. So eine Bastkordel, bei der man aufpassen muss, dass man sich nicht verletzt."
"Haben Sie ein Paket an diesem Tag erwartet?", fragte Mo.
"Ich bekomme nie Pakete".
"Sie haben also das Paket gesehen.. Was haben sie damit gemacht? Jede Einzelheit ist wichtig, Herr Hertz. Achten Sie auf die Details".
"Erst war ich irritiert, dachte das Paket ist vielleicht für das Café um die Ecke, aber da stand oben mein Name drauf. Sah aus wie mit schwarzem Edding geschrieben. Also nahm ich es mit rein, legte meine Tasche auf dem Holztisch rechts neben dem Eingang - woanders gab es keinen Platz - und machte es auf. In dem braunen Papier war ein kleiner Karton. Wie man ihn eben kennt, nichts besonderes. Und darin ein Glastiegel, 50 ml würde ich schätzen. Darin war die Zauberfarbe. Der Tiegel hatte die Form einer Wabe und ich weiß noch, dass ich mich gewundert habe, wie hochwertig er aussah. Und dann war da noch dieser kleine Brief. Der Tiegel stand darauf, daher hab ich ihn erst auf den zweiten Blick gesehen. Ich meine, wer schreibt denn heute noch Briefe?"
Er machte eine kurze Pause. Mo nickte ihm zu, damit er fortfuhr.
"Auf dem Umschlag stand mein Name."

"Manuel," stand da.
"Ich möchte, dass du für mich arbeitest. Du hast bis Ende der Woche Zeit. Stell dein Werk am Freitag bis zwölf Uhr in das Schließfach am Hauptbahnhof. Gemeinsam mit dem Tiegel und diesem Brief. Die Farbe reicht exakt für einen Versuch. Sie ist besonders."

"Die Schrift im Brief war rot und geschnörkelt. Und wunderschön. Ich weiß noch genau, dass ich unbedingt mit der Farbe malen wollte, wenn sie auch so schön auf der Leinwand aussehen würde. Ich hatte so ein Rot vorher noch nie gesehen. Und Sie können sich sicher vorstellen, dass ich mich mit Farben ganz gut auskenne." Er nahm einen tiefen Atemzug. "Im Umschlag war ansonsten noch der Schlüssel zu dem Schließfach und das wars."
"Haben Sie sich nicht gewundert, dass sie den Brief wieder zurückgeben sollten? Gemeinsam mit der gesamten Verpackung?", fragte Mo.
"Keine Ahnung. Alles hat mich irritiert. Das Paket. Die Farbe. Der Brief. Aber dann dachte ich mir - ich hab eh nichts zu verlieren. Außerdem steckte ich gerade mitten in einem Künstlertief und brauchte dringend ein Erfolgserlebnis. Sie können sich ja nicht vorstellen wie das ist, Sie haben ja einen Job mit Status. Genau wie mein gesamtes Umfeld. Alle hatten studiert und waren mittlerweile mehr oder weniger erfolgreich im Job angekommen, wissen Sie. Verdienten zumindest Geld und standen auf eigenen Beinen. Die ersten heirateten sogar schon! Und ich? Lichtjahre war ich von all dem entfernt. Kein Fortschritt an irgendeiner Front und privat lief es auch nicht besonders." Er seufzte leise und rieb sich die Schläfen.
"Sie haben also die Zauberfarbe angenommen", schlussfolgerte Mo. "Was haben Sie damit gemacht?"
"Na gezeichnet. Erst hab ich abwechselnd den Tiegel und dann die leere Leinwand minutenlang angestarrt. Zu dem Zeitpunkt war Hannah schon eine Woche verschwunden. Ich war krank vor Sorge und wusste nicht wohin mit mir. Hannah ist alles für mich. Nicht zu wissen, wo sie ist, wie es ihr geht, nicht mit ihr reden zu können." Manuel zögerte. Sein Kopf war mittlerweile rot angelaufen.
"Ich fühlte mich komplett leer, zugleich gelähmt und betäubt. Hatte permanent das Gefühl, als würde mir jemand ganz langsam ein riesiges Messer in meinen Oberkörper rammen. Manchmal wünsche ich mir, jemand würde es tatsächlich tun. Damit es endlich aufhört. Ich will endlich wissen, wo sie ist. Ich will wissen, wie es ihr geht, verstehen Sie?" Seine Stimme war leise geworden, er starrte auf den Tisch und knetete seine Finger. Dann blickte er kurz zu Mo auf.
"Also fing ich an, sie zu zeichnen. So hatte ich das Gefühl, sie bei mir zu haben. Erst wusste ich gar nicht, was ich da zeichnete. Bis ich nach einer Stunde ein paar Schritte zurücktrat und mich ihre blutroten Augen anblickten. Da war sogar dieser kleine, braune Fleck in ihrem rechten Auge. Früher hatte Hannah immer Angst, dass sie ein Zombie war, weil sie diesen grusligen Fleck im Auge hatte." Manuel lächelte kurz, als die Erinnerung in seinem Kopf aufflammte. "Da wusste ich, was zu tun war. Es ging so leicht. Es fühlte sich an, als hätte mein Leben auf die Zauberfarbe gewartet und die Zauberfarbe darauf, endlich Hannah abbilden zu können. Zum ersten Mal spürte ich wieder so etwas wie eine positive Regung in mir." Er hielt inne.
"Und was geschah dann?"
"Ich zeichnete eine Woche lang, schlief sogar im Atelier. Hatte die ganze Zeit über fast nichts gegessen. Und dann war es plötzlich Freitag und mich traf fast der Blitz, als ich mich daran erinnerte, dass ich das Bild bis 12 Uhr abgegeben sollte. Ich war erst um halb 12 aufgewacht. Also packte ich das Bild ganz vorsichtig ein und fuhr zum Bahnhof. Als ich es abgegeben hatte, hörte ich erstmal zwei Wochen lang nichts."
"Wie ging es Ihnen damit?"
"Na was denken Sie denn?", Manuel schrie fast. "Beschissen natürlich. Keine News von Hannah. Nichtmal irgendein Strohhalm, an den man sich klammern konnte. Nicht ein einziger Hoffnungsschimmer. Die Polizei drehte sich im Kreis mit ihren Ermittlungen" - dabei blickte Manuel vorwurfsvoll in Mos Richtung. "Meine Mutter weinte den ganzen Tag und war echt völlig am Ende mit den Nerven. War schon froh, wenn ich sie morgens mal aus dem Bett bekam. Und unser Betreuer von der Polizei war auch keine Hilfe. Kein Mensch hatte Hannah gesehen, die Hausbefragungen liefen ins Leere. Ihr Handy war weg. Überwachungsvideos nutzlos. Es war, als hätte es Hannah nie gegeben. Sie war einfach weg. Ich konnte das alles nicht ertragen. Und ich wollte es auch nicht ertragen. Also malte ich soviel ich konnte. Nicht so schön wie mit der Zauberfarbe, aber ich malte, malte, malte und ...

malte. Gerade als er seinen Pinsel tief in einem dunklen Rot versenkte, flatterte ein Brief durch den Briefschlitz seines Ateliers. Hannah hatte sich immer beschwert, dass er keinen Briefkasten an seinem Atelier anbringen wollte. Aber Manuel mochte das Geräusch, wenn seine Post vom Postboten durch den Briefschlitz gesteckt wurde und mit einem Rauschen direkt auf den Fußboden segelte. Oft kam das zwar nicht vor, weil die meiste Post noch zur Adresse seiner Mutter geschickt wurde, aber Manuel hatte die Adressen in den letzten Monaten sukzessive umgestellt. Sein ganz persönliches, leises Aufbegehren gegen die mütterliche Autorität. Sein Atelier war nicht gerade pompös, aber immerhin finanzierte er es selbst. Erst wollte er den Brief nicht aufheben, aber insgeheim wartete er nur darauf, dass irgendetwas passierte. Die drückende Stille, die Zeit, die nur minutiös langsam vergehen wollte, machte ihn wahnsinnig. Irgendetwas musste passieren. Irgendetwas, das die Stille zerriss. Dann bemerkte er die Schrift auf dem Umschlag. Das helle Rot stach ihm ins Auge und er war blitzartig hellwach. "Endlich", dachte er und musste sich zusammenreißen, um den Briefumschlag beim Öffnen vor lauter Aufregung nicht völlig zu zerfetzen. Er wirkte deutlich dicker als beim letzten Mal und als er ihn endlich geöffnet hatte, sah er auch warum. Fein säuberlich reihten sich Schein an Schein in dem Umschlag. So viel Geld hatte er in seinem Leben noch nicht in bar gesehen. Geschweige denn in der Hand gehabt.
Dann faltete er den Brief auf

"Gute Arbeit, Manuel.
Dein Werk ist 5.000€ wert.
Das Rot steht dir ausgezeichnet. Mach weiter damit.
Die nächste Abgabe ist in zwei Wochen."

Es dauerte einige Minuten, die Manuel damit verbrachte, abwechselnd auf den Brief und die Scheine zu starren, bis ihm klar wurde, was soeben passiert war. Bisher hatte er mit seiner Kunst noch keinen einzigen Euro verdient und meist ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn er an einen finanziellen Ausgleich für seine Arbeit dachte.
"Kunst ist ein Selbstzweck!" - die Worte seines damaligen Kunstlehrers hallten hohl durch seinen Kopf. Er fühlte sich schlecht bei dem Gedanken, dass er auf materialistische Anreize ansprang. Nichtsdestoweniger war kein Verdienst keine Alternative. Er musste finanziell über die Runden kommen. Auf eigenen Beinen stehen. Nach einigen Momenten, die sich zäh wie Kaugummi um ihn schmiegten, bahnte sich schließlich langsam, ganz langsam, eine Welle leiser Euphorie an. Das Gefühl kribbelte erst in seiner Brust und breitete sich dann Stück für Stück in seinem ganzen Körper aus. Es strömte wie das Blut in seinen Adern durch seinen Körper, bis er schließlich prall mit Energie gefüllt war. Er lachte auf. Erst vorsichtig, bis sein eigenes fassungsloses, lautes Lachen durch das ganze Atelier hallte. Er blätterte mit seinen farbbeschmierten Händen immer und immer wieder durch die Scheine. Kein Zweifel, es war definitiv Geld. Viel Geld. In diesem Moment konnte er Hannahs Lachen in seinem inneren Ohr hören. Er sah sie vor sich.
"Manuel, krass ... Krass!!!!". Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Nahm sich einen Schein aus dem Umschlag und baute einen kleinen Papierflieger daraus, mit dem sie ihn anschließend beschoss.
"Jetzt erobern wir die Welt", rief sie und Manuel hörte seinen empörten Aufschrei, als der Flieger ihn an der Schulter traf.
"Hey. Vorsichtig! Du verletzt hier einen zukünftigen Superkünstler, pass gefälligst auf!", er lachte und drückte sie an seine breite Schulter. Sie lehnten für einen kurzen Moment aneinander, wie sie es von klein auf gemacht hatten. Er konnte ihren Kopf auf seiner rechten Schulter spüren. "Ich bin stolz auf dich", flüsterte sie und drückte ihren Kopf noch ein bisschen stärker gegen ihn. Gerade als Manuel von seinem rechten Fuß auf den linken wollte, um sie beide hin und herzuwiegen, merkte er, dass da gar keiner war, der an ihn lehnte. Der Tagtraum entfleuchte so schnell wie er gekommen war. Er stütze sich mit einer Hand auf dem Tisch ab. Da war wieder eine eiserne Faust, die sein Herz langsam zu zerquetschen drohte.
"Na gut, dann auf ein Neues", dachte er und griff mit einem entschlossenen Blick nach seinem Pinsel. Er musste den Schmerz betäuben. Mit wenigen Strichen fing er an, die Konturen von Hannahs Körper abzubilden. Wie sie ausholte, um den kleinen Papierflieger in die Luft zu bringen. Bisher hatte er nur selten dynamische Bilder gezeichnet, aber in diesem Moment wollte nichts weiter, als seinen Tagtraum zurück in die Realität holen.

"Sie wussten also nicht, an wen ihre Bilder verkauft wurden?", fragte Mo schließlich, als die Gesprächspause unerträglich lang wurde.
"Nein, keine Ahnung."
Manuel strich sich mit einer Hand durch die blonden Haare, die ihm immer wieder ins Gesicht fielen.
"Aber ist das nicht wichtig als Künstler? Zu wissen, an wen ihr Werk geht? Wo es vielleicht ausgestellt wurde? Das muss sie doch interessiert haben."
"Klar hat mich das interessiert, aber ich hatte ja keine Möglichkeit zu fragen"
"Haben Sie keine Nachforschungen angestellt? Sie waren doch sicher neugierig." Ein schiefes Lächeln breitete sich auf Manuels Gesicht aus.
"Da können Sie Gift drauf nehmen. Ich habe das ganze Internet durchforscht. Die ganze Sache war ein Mysterium für mich. Aber ehrlich gesagt war es das Beste was mir seit langem passiert war. Vielleicht sogar, was mir je passiert ist. Die Zauberfarbe führte mich. Führte mich direkt zum Erfolg. Das hat mir gefehlt."
"Verlangte die Person von Ihnen, dass Sie ausschließlich mit dieser Farbe zeichneten?"
"Nein, aber das war auch nicht nötig. Ich merkte von Anfang an, dass die Farbe besonders war. Vielleicht war sie auch der Grund, warum ich überhaupt erfolgreich werden konnte. Das Rot wurde zu meinem Markenzeichen."
"Gut, sie haben also Geld für Ihr erstes Werk bekommen. Wo wurde es denn ausgestellt?"
Mo kratzte sich nachdenklich am Kopf. Auf diesen Künstlerfall konnte er wirklich mit bestem Gewissen verzichten. Bereits als kleines Kind wurde er von seiner Mutter gezwungen, jedes Wochenende in eine Ausstellung zu gehen und starrte stundenlang die wirren Ausartungen irgendeines kranken Geistes an.
"Ausgestellt?"
Manuel schaute ihn an. Sein Blick war verwirrt.
"Ich sagte doch schon. Es ging hier nicht ums Ausstellen. Ich habe die Bilder gemalt, sie fristgerecht abgegeben und wurde dafür bezahlt. Keines meiner Bilder ist irgendwo ausgestellt worden."
"Warum sollte jemand so viel Geld für Ihre Bilder bezahlen, wenn sie noch nicht einmal in der Künstlerszene ankommen?"
Mo wurde einfach nicht schlau aus dem Gespräch. Stunde um Stunde drehten sie sich nun schon im Kreis.
"Ich weiß es nicht. Ich. Weiß. Es nicht. Verstehen Sie doch. Ich wollte mich ablenken. Ich konnte Hannah nah sein. Und ich habe endlich Geld verdient. Alles andere war mir egal. Warum verstehen Sie mich denn nicht?" Mittlerweile klang Manuel erschöpft. Er dachte an seine Sofakissen zu Hause, die so groß und weich sind, dass man problemlos als Erwachsener darin verschwinden kann. Der Schlafmangel der letzten Wochen setzte ihm mehr und mehr zu.
"Gut, Herr Hertz. Wir belassen es für heute. Wir prüfen Ihre Aussagen und suchen weiter nach Hinweisen. Melden Sie sich, wenn Ihnen etwas auffällt. Sie haben ja meine Karte."
Manuel schloss erleichtert die Augen. Endlich durfte er gehen.

Keine zwei Autostunden entfernt schloss auch Hannah Hertz die Augen, während ein Tropfen Blut nach dem anderen auf die Farbpaste in dem wabenförmigen Glastiegel fiel. Die tägliche Blutabnahme raubte ihr jede Energie und so blieb ihr nichts, als das sachte Klicken ihrer Handschellen im Ohr, das sie zuverlässig daran erinnerte, dass sie mit jedem Tag schwächer wurde und es keinen Ausweg gab.

 

Hallo @Rob F ,

erst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!
Und natürlich für deine Adleraugen, die Kommentare werde ich natürlich einarbeiten.

Tatsächlich ist es meine allererste Geschichte, von daher bin ich wirklich noch im ganz frühen Stadium und es gibt sicher noch viel zu lernen.:)

Mit dem Ende bin ich absolut bei dir. Irgendwann hatte ich Angst, dass ich die Geschichte nie fertigbekommen würde und habe es dann - vielleicht etwas zu abrupt - beendet. Mir war wichtig, dass es doch eine "Überraschung" ist und man nicht von Anfang an ahnt, was es mit der Farbe auf sich hat, daher wollte ich nicht zu viele Andeutungen machen. Die Puzzleteile sollten sich erst am Ende zusammensetzen.

Ich werde auf jeden Fall nochmal überlegen. Es freut mich aber wirklich von Herzen, dass dir der grobe Plot gefallen hat!

Ganz liebe Grüße
Melanie

 
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Hallo MelV,

herzlich willkommen im Forum! :-)

Bei dem Titel und dem tag hatte ich ein spannendes modernes Märchen erwartet, aber dein Text geht ja in eine ganz andere Richtung. Ehrlich gesagt habe ich die Geschichte ab irgendwann überflogen und dann abgebrochen (und zwar nicht, weil ich ein anderes Genre erwartet hatte), aber vllt helfen dir ja ein paar Eindrücke.

Die Geschichte, die ein volles Jahr und vierzig Tage kein Ende nehmen sollte, begann mit einer weißen Leinwand, die inmitten eines kleinen Kunstateliers provisorisch im Raum befestigt war.
Wirklich toller erster Satz, ich mag starke Erzähler. Die Wirkung machst du aber mit dem Weiterreden kaputt, da würde ich zu Streichung raten. Da ist auch plötzlich Infodump, bevor ich überhaupt in die Geschichte einsteigen konnte, das wirkt abschreckend.
Ein junger Mann in blauer Jeans und weißem T-Shirt stand vor ihr und betrachtete sie nachdenklich.
Für den Text, soweit ich ihn gelesen bzw. zum Ende hin überflogen habe, gilt: Als Aufgabe kann ich dir raten, Beschreibungen zu üben.
1. Sind sie an der Stelle / überhaupt notwendig? Tragen sie irgendwas zur Handlung bei? Sind das Dinge, die du besser der Phantasie des Lesers überlassen solltest?
2. Passen die Worte, die du wählst, zu der beschriebenen Handlung?
3. Kann die Beschreibung - wenn sie unabdingbar ist - eleganter / subtiler in die Geschichte eingebettet werden?

Man kann schon den Versuch erkennen, nicht nur einige Adjektive aneinanderzureihen, sondern dazu zu sagen, was diese Elemente in dem Prot auslösen. Aber es wirkt noch sehr gezwungen und hölzern, weil nicht die Emotion des Prots unterlegt werden soll, sondern nur ein vorgeschobener Grund ist, einige Beschreibungen an den Leser zu bringen. Wirkt insgesamt zu forciert.

Er fuhr gemächlich mit einem Finger Stück für Stück über die silber-gerillten Deckel der kleinen Farbtöpfe. Sein Atem ging schleppend - bis er den braunen Borstenpinsel endlich in ein kräftiges Grün tunkte.
Wenn du deinem Verb vertraust, bzw. mehr Aufmerksamkeit darauf verwendest, was du eigentlich sagst, kannst du dir ein paar Adjektive/Advenbien eh sparen: etwas entlangfahren vs über etwas wischen heißt bereits, dass es langsam und bedäcthig passiert. Anstatt ein Adjektiv dranzukleben, überlege lieber etwas länger an dem Verb herum. Atem -> schleppend ist eine falsche Kollokation und keine innovative Idee, auch hier: nicht das erstbeste Wort nehmen, sondern mal überlegen, ob das alles wirklich Synonyme sind und im Kontext überhaupt richtig / passend sind.
Der junge Mann hieß Manuel Hertz und er liebte die Malerei. Seine Zwillingsschwester, Hannah Hertz, verbrachte die meisten Sonntag bei ihrem Bruder im Atelier und hatte das Grün nach genauer Anweisung für ihn zusammengemischt. Sie saß rittlings auf dem Holzstuhl vor der massiven Arbeitsplatte, der gleichzeitig die einzige Sitzmöglichkeit im ganzen Raum darstellte. Sie betrachtete Manuel amüsiert.
Gleiche Satzanfänge wirken langweilig, wenn nicht Stilmitel bei elliptischem Schreiben. Und Infodump. Eine Geschichte zu erzählen ist ja mehr als die Beschreibung eines Bühnenbildes und der Schauspieler - was du erreichen willst ist, dass der Leser nicht mehr merkt, dass er liest und alles wie in der Realität vor sich sieht (und nicht, als ob er einen Film sieht oder nacherzählt bekommt). Sitzmöglichkeit darstellt ist auch echt mit abgespreiztem kleinen Finger geschrieben, Beamtendeutsch. Das bringt einen in totale Distanz zum Erzählten.
"Du bereitest dich aber schon seit Wochen vor. Irgendwann musst du auch mal anfangen. Sonst wird das Ding nie fertig". Sie drehte sich auf dem Stuhl einmal um ihre eigene Achse.
"Oder wir gehen nach draußen Eis essen. Aber ich kann hier nicht noch länger sitzen, wenn du nicht endlich auch was aufs Papier bringst."
Da kein Sprecherwechsel stattfindet, sondern die Frau weiterspricht, muss der Zeilenumbruch weg.
Infodump. Die Figuren sagen Sachen, die sie schon wissen, es gibt keinen Grund, das alles so dezidiert aufzuführen, als wär das für sie neu. Die Frau fängt hier an, affektiert auf mich zu wirken, aber vllt wollest du sie so zeigen. Erst zickt sie ihn an, dass er endlich arbeiten soll, dann langweilt sie sich in einer Plötzlichkeit, dass das ein bissl ADHS auf mich wirkt, und wirklich sinnvoll ist ihr Vorschlag ja auch nicht. Als Vertraute nutzlos. Aber vllt soll das ja.
"Ich habe noch vierzehn Tage bis zur Deadline und wenn ich das Stipendium diesmal wieder nicht kriege.. kann ich meine Karriere als Künstler an den Nagel hängen. Das ist mir echt wichtig, Hannah. Es muss klappen. Ich kann nicht mein Leben lang kellnern."
Schon wieder Infodump. Das dürfte nicht so geballt in einem Fake-Gespräch untergebracht werden, sondern weniger massiv, und dafür schau dir mal das Prinzip show don't tell an.
Manuel blickte sie zweifelnd an. Wieder fiel ihm auf, wie schön Hannah eigentlich war. Ihre braunen Haare fielen ihr locker auf die Schultern und durch den Sonneneinfall im Atelier trat der graue Ring um ihre Iris noch strahlender als sonst hervor. Selbst der braune Fleck in ihrem rechten Auge, der sonst für leichte Unruhe in ihrem Blick sorgte, untermalte ihre Ausstrahlung.
Häh, wieso vermittelt ein Fleck im Auge Unruhe? Nichts von den Beschreibungen ihres Äußeren tun irgendwas zur Geschichte, da hilft auch nichts, wenn du zu den einfachen Beschreibungen noch ein paar Assoziationen des Prots packst. Das einzige, an das ich dabei denke, ist: Ist der scharf auf seine Schwester? Wolltest du das auslösen?
"Jawohl! Du bist der beste!". Freudig schlang sie ihre Arme um seine Taille und lief dann zurück zum Eingang um den Inhalt ihrer Handtasche, den sie im Laufe der Stunden auf dem Tisch verteilt hatte, wieder einzusammeln. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu ihrer Lieblingseisdiele, die nur ein paar Minuten zu Fuß von Manuels Atelier entfernt war.
Herrje, die ist mir sowas von unsympathisch! Er hat Streß, sie will Eisessen, sie gehen in ihre Eisdiele und dann behaupet der Erzähler auch noch, sie lenke ihn erfolgreich ab, während sie nur seinen Zeitdruck verstärkt. Useless ...
Während Hannah vergnügt ihr Zitroneneis aß und Manuel von seinen Zukunftssorgen ablenkte,
Schön, dass sie so wenig von seinen Sorgen betroffen ist ...
Nicht die Schlechteste.
Klein, da es impliziert, darauf folgte ein Substantiv.
Er war zuverlässig, aber von Exzellenz noch weit entfernt.
Wie kann man ein zuverlässieger Maler sein? Trifft er immer mit dem Pinsel die Leinwand? Auch hier: Ich mag wie gesagt starke Erzähler, aber das alles so runterzubeten macht den Text anstregend und langweilig zu lesen.
sagte Officer Mostafa, kurz Mo, Macke.
Officer? Bisher gab es keinen Indiz, dass dies nicht in Deutschland spielt. Und dann ist Macke doch deutsch .. was macht dann das Officer da?
. Mo war zweiunddreißig und seine Haare lichteten sich noch nicht, weil es auf seinem Kopf schlicht und ergreifend keine Haare gab, die sich lichten konnten.
Das sind zwei Negationen, wie er nicht aussieht. A) unnötig kompliziert, da entsteht kein Bild, b) ist das völlig unwichtig für die Geschichte.
So eine Bastkordel, bei der man aufpassen muss, dass man sich nicht verletzt."
??? :confused: Dass Bastkordeln ein Verletzungsrisiko bergen, ist mir neu. Damit wirkt dein Prot auch wie ein - sorry - totales Weichei.
"Sie haben also die Zauberfarbe angenommen", schlussfolgerte Mo.
Das ist wohl kaum ein Wort, das ein Kommissar in einer Zeugenvernehmung verwenden wurde. Auch ist das so ein Grundschulkinder-Begriff, vllt fällt dir ja was Adäquates für einen Krimi bzw. eine Erwachsenengeschichte ein.
Pfingstrosenduft wahr, der schubartig durch die Straßen waberte.
Ich sehe, was du hier versuchst zu sagen, aber das ist schlichtweg das falsche Wort. Ich würde dir raten, mehr Zeit mit deinem Text zu verbringen, und nicht nur Figuren, Setting zu beschreiben bzw. die Handlung zu entwickeln.
Früher hatte Hannah immer Angst, dass sie ein Zombie war, weil sie diesen grusligen Fleck im Auge hatte."
Tipper: gruseligen, kommt von Grusel. Irgendwie hat die schon einen an der Waffel, oder? Das finde ich total bizarr, und zwar nicht im positiven Sinne. Wenn du die Frau für den Leser interessant und besonders machen willst, sind spezielle Eigenarten zwar ein guter Ansatz, aber die müssen sinnvoll sein.
die Hausbefragungen liefen ins Leere
Die Häuser wollten sich also partout nicht äußern? ;) Es gibt Haushaltsbefragungen in der Marktforschung, ansonsten schlag nach, wie diese Tür-zu-Tür-Befragungen auf Deutsch heißen, sorry, mir fällt grad nur der Begriff aus englischen TV Sendungen ein.

So, da hab ich deine Geschichte abgebrochen, noch ein paar Mal reingelesen, einen Plot/Thema gefunden, den ich schon kannte (aus einem Text hier im Forum und einem Horrorfilm), und nichts weiter, was mich im Text gehalten hätte. Einen Spannungsaufbau oder -bogen kann ich nicht erkennen.

Sorry, dass ich nichts Positivs über deinen Einstand hier sagen kann, aber ich hoffe sehr, meine Anmerkungen helfen dir weiter.

Viele Grüße,
Katla

 

Hallo @MelV,
Für deine erste Geschichte finde ich diese Erzählung sehr gelungen. Ich bin über ein paar kleine Rechtschreibfehler gestoßen, welche mich aber beim Lesen nicht zu sehr störten.

Was mir zum Beispiel gut gefallen hat, war die Art wie du unterschiedliche Szenen verbunden hast, und für ein fließendes Lesen gesorgt hast.

Außerdem fande ich, dass deine Dialoge authentisch rüberkamen.

Mach weiter so.
lorenzf

 

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