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Die Zeit heilt keine Wunden

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24.02.2008
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Die Zeit heilt keine Wunden

Jetzt, wo ich dem Sterben nahe bin, das Leben aus mir herausrinnt, weil diese gnädige Krankheit im Endstadium ist, jetzt, wo der Tod mich in Kürze aus diesem Dasein befreien wird, jetzt endlich habe ich die Kraft, die Wahrheit aufzuschreiben. Ich habe mich kurz gefragt, für wen ich das mache. Es ist keiner mehr da, den die Wahrheit wirklich interessieren könnte.
Die Antwort ist einfach.
Ich schreibe für mich.
Ich überlege heute manchmal, was er eigentlich verbrochen hatte und was mich dazu gebracht hatte, ihn zu töten. Allein die Tatsache, dass er ein egoistisches, charakterloses Schwein war, darf mein Handeln nicht rechtfertigen. War es verspätete Rache? Oder einfach Lynchjustiz?
Rechtlich war er jedenfalls nicht zu belangen für das, was er getan hatte.
Vielleicht hilft mir das Schreiben weiter.
Ich starre auf die gelb getünchte Wand des Untersuchungsgefängnisses, in dem ich einsitze. Der Farbton erinnert mich an den halb verdauten Auswurf meines Hundes, wenn er sich wieder etwas vom Tisch stibitzt hatte. Er ekelt mich an.
Gelb war eigentlich meine Lieblingsfarbe, frisch, optimistisch, strahlend. So strahlend wie meine Tochter Christine.

Ich sehe sie im Garten spielen, in ihrem gelb geblümten Frühlingskleid, die Haare offen, die Füße nackt. Ihre ansteckende Fröhlichkeit verbreitete sich augenblicklich, wenn man sie sah. Das Leben war schön und es lag vor ihr.

Als ich die zwei Schüsse abgab, fühlte ich, dass das Leben doch noch einen Sinn für mich hatte. Vorher hatte ich mich oft gefragt, was mir durch den Kopf gehen würde, wenn ich es tat.
Jetzt wusste ich es.
Es war eine gewisse Art der Genugtuung, nicht mehr. Ein bisschen mehr Gerechtigkeit in einer absurden Welt ohne Gott. Es war die Skepsis einer himmlischen Gerechtigkeit gegenüber und die Einsicht in die Ohnmacht menschlichen Handelns.
Und doch hätte ich es immer wieder getan.
Ich blickte in die erstaunten Augen des Mannes, den ich einmal geliebt hatte, und der jetzt langsam zu Boden sank. Verständnislosigkeit war wohl das Letzte, was er auf dieser Welt wahrnahm. Eine undefinierbare Leere blieb, denn ich wusste ja, dass ich seinen Tod nur für kurze Zeit überleben würde. Der spitze Aufschrei der Hausangestellten, die in den Eingangsbereich zurückgelaufen kam, durchbrach die sich anschließende Stille in der Halle der Jugendstilvilla. Die knallrote Blutlache bildete einen comicartigen Kontrast zum schwarz-gelben Steinmosaik.
Langsam entglitt der Revolver meinen Fingern und polterte zu Boden.
Liebevoll strich ich mit meiner Hand über das hölzerne Treppengeländer, das ich immer so bewundert hatte, und setzte mich gedankenverloren auf eine Stufe.
„Rufen Sie die Polizei“, sagte ich leise.

Wenn sie den Raum betrat, veränderte sich die Atmosphäre sofort. Keiner konnte sich ihrem Charme entziehen. Am wenigsten die jungen Männer. Ich sehe noch die strahlenden Augen ihres Tanzpartners auf dem Abschlussball ihrer Schule. In seiner naiven Art war er der glücklichste junge Mann auf der Welt. Nur, weil er mit ihr zusammen sein konnte.

Es war mein schwerster Gang, als ich das Unfassbare akzeptieren musste.
Christine war tot.
Als der Rechtsmediziner das weiße Tuch von ihrem Gesicht hob, war ich sehr gefasst. Sie lag da, weiß, starr, mit geschlossenen Augen. Die dunkelbraunen Strangulationsmale am Hals hoben sich schrecklich krass von der bleichen Hautfarbe ab.
„Sie hat sich eindeutig selbst das Leben genommen“, sagte der Arzt leise und emotionslos.
Ja, sie war es. Unbegreiflich, aber sie war es.
Christine, meine Tochter.

Sie riss die Tür auf und wedelte mit einem Brief von der Universität Tübingen. Es war die lang ersehnte Zusage für ihren Studienplatz. Sie sprang mir um den Hals und küsste mich auf die Wange.
„Mutter, ich bin ja so glücklich!“

Mein Zusammenbruch kam später.
Die Weinkrämpfe wollten nicht aufhören, sie wurden nicht kürzer. Selbst Tage nach der Beerdigung kam ich nicht zur Ruhe. Das nächtliche Dahindämmern, unterbrochen von Schweißausbrüchen und Schreianfällen, zehrten meinen Körper aus. Kein Sinn war mehr im Leben. Weggerissen wie von einer riesigen Lawine aus Leid und Unverständnis.
Gott war abwesend. Oder gab es für mich doch noch einen Sinn in meinem Dasein?
Wie konnte es dazu kommen? Welche verdammten Umstände hatten dieses frische Leben beendet? Wie verzweifelt musste Christine gewesen sein? Ich musste es wissen, musste es herausfinden!
Langsam hatte ich wieder die Kraft dazu. Und sie wuchs von Tag zu Tag.
Hektisch durchwühlte ich ihre Sachen. Seit einigen Jahren wohnte sie in Tübingen, um zu studieren. Bei mir war sie nur noch selten, obwohl ich nicht weit entfernt lebte. Zu meinem ehemaligen Mann, ihrem Vater, hatte sie keinen Kontakt mehr. Ich war schon mehr als fünfzehn Jahre von ihm geschieden und wusste auch nicht, wo er sich aufhielt.
Sie war genauso unordentlich wie als Kind.
Ihr Zimmer glich der unendlichen Leichtigkeit des Seins.
Was hatte sie in den Tod getrieben? Was hatte sie zum Schluss geschrieben? Gab es einen Abschiedsbrief?
Diese Fragen hämmerten pausenlos in meinem Kopf.
Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man.
Das ist eine Lüge, erfunden, um jemanden zu trösten, der nicht zu trösten ist. Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, als ich ihr Tagebuch in einem unscheinbaren Kästchen fand und die letzten Eintragungen Christines mit zitternden Händen las. Das Bild des Mannes, der auf dem eingeklebten Foto zu sehen war, hatte sich in meiner Seele festgebrannt.
Ich kannte den Mann.

Ich erinnere mich nicht daran, dass sie ihn jemals erwähnt hatte, wenn sie mich besuchte. Sie hatte sicherlich ihre Freunde gehabt, das wusste ich, aber alles Studenten in ihrem Alter.
Er ist mein Dozent in Philosophie, schrieb sie. Sein Wissen hat etwas Erotisches für mich, dem ich mich nicht entziehen kann. Heute hat er mich zum Essen eingeladen.
Ich zittere vor Aufregung.

Genau das hatte ich damals auch gespürt.
Damals, als ich ihn nach dem Abitur auf einer Rucksackreise durch Spanien kennen gelernt hatte. Ich liebte seine feingliedrigen Hände, sein fröhliches Lachen, seinen umfassenden Intellekt.
Ich war ihm von da an verfallen.
Bedingungslos.
Lange ging ich bei ihm ein und aus, wohnte schließlich mit ihm in der Villa seiner Eltern, gegen den Willen meines Vaters. Es war die glücklichste Zeit meines Lebens, glaubte ich damals.

Ich kann es nicht fassen! Meine Beine beben vor Erregung. Meine Gedanken explodieren wie Feuerwerkskörper. Sein Geruch betäubt meine Sinne.
Ich will mehr!
Aber keiner darf es erfahren.
Er ist verheiratet.
Es stört mich nicht.


„Tun Sie es nicht! Werfen Sie Ihr junges Leben nicht weg!“
Ich drehte mich vorsichtig um. Die ältere Dame kam langsam aus dem Fahrstuhl. Sonst befand sich niemand auf dem alten Aussichtsturm.
„Bitte kommen Sie nicht näher, bitte“, flüsterte ich zitternd und wischte mir mit einer Hand die Tränen aus den verheulten Augen. Die Dame blieb stehen. Die Zeit dehnte sich zur Unendlichkeit.
„Er hat dich abgelegt, nicht wahr? Abgelegt wie eine flüchtig durchgeblätterte Illustrierte. Er ist es nicht wert, glaube mir, Kindchen. Die Zeit heilt alle Wunden.“
Ich glaubte ihr.

Die Zeit heilt keine Wunden, schrieb Christine auf der letzten Seite. Man muss die Wunden selbst versorgen, damit sie heilen oder an ihnen sterben.
Verzeiht mir.

Die Wunden selbst versorgen, dröhnte es in meinem Kopf.
Wie lange hätte ich dazu noch Zeit bei meiner Krankheit? Lohnte es sich noch?
Ich traf die Entscheidung wohlüberlegt, als ich wieder zu Hause war. Eine gewisse innere Ruhe stellte sich augenblicklich ein.
Langsam zog ich die Schublade meines hölzernen Schreibtischs auf und griff nach der alten Pistole aus dem Nachlass meines Vaters.

 

Hallo xeranda!

Die erste Version „Die Zeit heilt keine“ hab ich inzwischen gelöscht, wie du sicher gemerkt hast. Ich hätte die Überschrift auch einfach geändert, wenn du mich danach gefragt hättest.

Nun zu deiner Geschichte. Mal sehen, ob ich da alles auf die Reihe bekomme.

Die Protagonistin wurde von ihrem Liebsten verlassen. Sie wollte daraufhin vom Turm springen, wurde aber von einer alten Dame daran gehindert.
Später, der gleiche Herr, die nächste Dame, in diesem Fall ihre Tochter Christine, passierte das Gleiche, nur dass ihre Tochter die Selbsttötung vollziehen konnte. Woraufhin die Ich-Erzählerin den umtriebigen Herrn erschoss.
Jetzt sitzt die Protagonistin in U-Haft, ist todkrank, und sinniert über ihr Verbrechen.

Besonders gegen Ende wird es schwierig, sich durch die Zeitebenen zu finden und diese gedanklich zu sortieren. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass durch die verwendeten Zeitformen nicht immer klar wird, welche Zeit (aus Sicht der Erzählerin) gerade gemeint ist.

Auch sind Gedanken manchmal kursiv gesetzt und andermal nicht.

Also, da kann noch einiges für den Leser leichter gemacht werden.
Ich meine, das lohnt sich, ist es doch eine interessante Geschichte um den Unterschied zwischen Recht und (gefühlter) Gerechtigkeit.

Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,
zunächst einmal vielen Dank, dass du meine falsche Eingabe gelöscht hast und dass du dir die Zeit genommen hast, die Geschichte zu lesen und zu kommentieren.
Ich mag Geschichten, die sich im Kopf des Lesers zusammensetzen. Du hast den Inhalt treffend zusammengefasst. Der Leser soll gedanklich gefordert werden. Das bringt natürlich die von dir angesprochenen Zeitprobleme durch die verschiedenen Zeitebenen mit sich. Auch ich habe mich beim Schreiben gefragt, ob die Story vom Aufbau her diesem Anspruch gerecht wird, oder ob man sie für den Leser nicht "leichter" machen sollte. Jetzt, wo du es ansprichst, will ich mir die einzelnen Teile noch einmal ansehen.
Vielen Dank nochmals für deinen Kommentar.
Liebe Grüße, xeranda

 

Hallo xeranda, deine Geschichte gefällt mir. Lieben Gruss, Marry

 

Hallo Marry,

herzlich willkommen hier!

Hallo xeranda, deine Geschichte gefällt mir. Lieben Gruss, Marry
Schön, dass du dich gleich ans Kommentieren machst, aber so kurze und allgemein gehaltene Beiträge helfen dem Autor nicht weiter und werden seinem Bemühen nicht gerecht.
Auch ist ein Geschichtentext eine sehr komplexe Sache, die man nicht einfach pauschal mit :thumbsup: oder :thdown: ermessen kann.

Wäre schön, wenn du ein paar Ergänzungen hinzufügtest (über Button „bearbeiten“). Was hat dir gefallen? Die Sprache, der Aufbau, das Thema, die Figuren, usw.

Gruß

Asterix

 

Hallo xeranda,

auch mir hat deine Geschichte gefallen. Der Aufbau ist dir sehr gut gelungen. Ich hatte keine Schwierigkeiten, der Geschichte durch die unterschiedlichen Erzählzeiten zu folgen. Ich gebe Asterix aber recht, dass die formale Ausgestaltung nicht konsequent ist. Mal sind es die Gedanken deiner Protagonistin, die kursiv gesetzt sind, mal sind es die Tagebucheinträge der Tochter, während die Gedanken der Protagonistin nicht kursiv gesetzt sind. Das ist sehr uneinheitlich und kann den Leser verwirren. Und das sollte nie das Ziel eines Autors sein. Zum Nachdenken anregen - ja, gern, aber nicht verwirren.
Dagegen scheinst du dich aus inhaltlichen Gesichtspunkten für den Kursivsatz entschieden zu haben, trifft es das? Alles, was direkt mit der Tochter zusammenhängt, steht kursiv, der Strang der Protagonstin nicht. Aber da ist eine Trennung oft schwierig, zum Beispiel wenn die Prot in der Wohnung der Tochter ist und die Rede davon ist, dass sie (die Tochter) nun studiert, den Vater nicht mehr sieht etc.

Der erste Satz ist sehr gut gewählt, er macht sofort neugierig - Zweck erfüllt. Und schön: Diese Neugier wird nach und nach befriedigt, was vor allem am nicht chronologischen Aufbau liegt. So bleibt man bis zum Schluss am Ball. Die Geschichte ist angenehm kurz, schleppt keinen unnötigen Ballast mit sich herum, bringt aber alles mit, was sie braucht. Eine echte Empathie für die Protagonistin wollte bei mir aber nicht aufkommen. Das mag an eben dieser Kürze liegen, in der mir die Prot nicht nahe genug kommen kann, um mit ihr zu fühlen, oder an der Distanz, aus der erzählt wird - trotz Ich-Perspektive.

Ein bisschen Klein-Krittelkram:
Die Zeilenumbrüche sind oft sehr willkürlich gesetzt und es sind defnitv zu viele im Text.
Stellenweise häufen sich Adjektive und Adverben. Ich würde mal ausprobieren, auf welche man verzichten kann, ohne an Aussage zu verlieren. Ich bin mir sicher, dass der Text dadurch sogar noch an Intensität gewinnen kann.

Insgesamt sehr gern gelesen.

Viele Grüße
Kerstin

 

Hallo Katzano,

Vielen Dank,dass du dir die Zeit genommen hast, eine ausführliche Kritik zu dem Text zu schreiben.
Ja, es stimmt, dass ich aus inhaltlichen Gesichtspunkten kursiv geschrieben habe. Die Gedanken der Protagonistin sollten zunächst rückblickend die Erinnerungen an ihre Tochter wiedergeben. Als sie dann das Tagebuch findet, erfolgt der Wechsel zu den Eintragungen, die Gedanken treten da in den Hintergrund.
Das habe ich schon bewusst so geschrieben, allerdings in der Hoffnung, dass der Umbruch für den Leser verständlich bleibt. Aber deine Kritik hat Hand und Fuß, der Leser könnte verwirrt sein. Asterix hat ja schon auf diesem Umstand hingewiesen. Aber wie könnte ich das Problem lösen, ohne die grundsätzliche Struktur über den Haufen zu werfen? Ich werde mir den Text diesbezüglich noch einmal genau ansehen.
Dein Hinweis auf die eher willkürlich und zu häufig gesetzten Zeilenumbrüche werde ich zunächst in Angriff nehmen.
Liebe Grüße, xeranda

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Xeranda

Vorab, es hat mir Spass gemacht.

Rechtlich war er jedenfalls nicht zu belangen. Darüber stolperte ich, der wirren Meinung, die Rede sei vom Prot. Dass es eine Frau ist, die im Untersuchungsgefängnis einsitzt, ergab sich später. :D


Die Zeit heilt keine Wunden, schrieb Christine auf der letzten Seite. Man muss die Wunden selbst versorgen, damit sie heilen oder an ihnen sterben.
Verzeiht mir.
Den fett zitierten Textteil würde ich nicht Kursiv setzen, da dies erklärend steht und nicht Aussage von Christine ist.

Bei den verschiedenen Ebenen stutzte ich, kam dann aber glatt darüber hinweg. Anscheinend hattest du diese ja auch geglättet, wie ich den nachfolgenden Kommentaren entnahm. Meine Gedanken als Leser wurden aber gefordert, wie du es beabsichtigtest.

Wenn die deduktive Form der Geschichte das Ende auch vorab nahm, barg die Auflösung doch noch so einige Überraschungen, die mir die Handlung der Mutter verständlich machte. Sehr geschickt war die kurze Erwähnung des Vaters von Christine. Ich vermutete in ihm den Auslöser zu den Taten. Aber es kam anders.

Ich fand es spannend und angenehm zu lesen. ;)

Gruss

Anakreon

 

Hallo Anakreon,
vielen Dank für deine Kritik. Ich freue mich, dass du Spaß an der Geschichte gehabt hattest.
Dein Hinweis ist richtig, der erklärende Satzteil darf nicht kursiv geschrieben werden. Habe ich soeben korrigiert.
Liebe Grüße, xeranda

 

Hallo xeranda!

Der Komm ist zu deiner überarbeiten Version vom 4.2.

Oh, übrigens, Komms: Es wäre nett, wenn du auch mal deine Meinung zu Texten anderer sagen, bzw. schreiben würdest. So ein Forum wie dieses funktioniert nur auf Basis von Geben und Nehmen. Also: Gib! Nicht nur deine Texte, sondern auch deine Meinung.

Im Inhalt kommen viele Phrasen, die lesen sich nicht gut.
Beispiel, hier so was wie aus einem Glückskeks: "Das Leben war schön und es lag vor ihr." => Das ist ein Allgemeinplatz, der dem Leser überhaupt nichts gibt. Vor einem Kind liegt immer noch das Leben, solange es nicht stirbt. Zeige dem Leser, was an diesem Kind Besonderes ist, nur dann kann der Leser wirklich mitfühlen.
Zweites Beispiel:
"Vorher hatte ich mich oft gefragt, was mir durch den Kopf gehen würde, wenn ich es tat.
Jetzt wusste ich es."
=> Hundertprozentig klar. Nachdem er geschossen hat, weiß er, was ihm dabei durch den Kopf gegangen ist. So klar, dass es keinen Sinn macht, das so niederzuschreiben.
=> Komm weg von den Phrasen, werde individueller.

Du benennst auch oft Farben, aber gleichzeitig erzählst du nur vage, wo sich dein Protagonist befindet, wen er da erschießt und so. Du legst also den Fokus auf die (aus Lesersicht) falschen Details. => Denke an die "w"s: Wer, wo, wie, was. Das warum hast du drin, okay.

Wenn du einen Krimi schreibst, musst du recherchieren, wie das mit Polizeiarbeit und so abläuft, was eben in deinem Text vorkommt.
"Als der Pathologe das weiße Tuch" => Der "Pathologe" ist ein krasser Fehler deinerseits. Der Mann, den du für deinem Text brauchst, ist ein Rechtsmediziner, das ist etwas anderes.

"Mutter, ich bin ja so" => Komischerweise dachte ich bis hierhin, dass der Protagonist ein Mann ist. Ich weiß nicht, ob du den Eindruck des Lesers beeinflussen könntest, aber denk mal drüber nach.

"Sie war genauso unordentlich wie als Kind.
Ihr Zimmer glich" => Wieder die wer-wo-wie-was-Frage. Bring dem Leser die Situation näher, auch räumlich. In was für 'nem Zimmer ist die Mutter jetzt? In 'nem Wohnheim, WG oder wo? Dabei solltest du auch daran denken, dass die Mutter dort vielleicht mit Leuten spricht (Mitbewohner, die Mutter muss die Wohnung auflösen ...), das würde den Text auch interessanter, weniger eintönig machen. Ein Gespräch mit Freunden der Tochter könntest du auch einbauen, die Mutter wird sicherlich herumfragen, nach dem Motiv. Dass das Tagebuch alles erklärt, ist ja schon fast langweilig.

"Tun Sie es nicht! Werfen Sie Ihr junges Leben nicht weg!"
=> Dieser gesamte Absatz kommt vollkommen aus dem Sinn gerissen zum Leser. Wo befinden wir uns jetzt? Wann? Was für ein Aussichtsturm? Damit der Leser mitkommt, braucht es dringend mehr Infos! (Für den Leser ist ja nicht mal ersichtlich, in welchen Land die Szene gerade spielt!)
=> Den Leser gedanklich zu fordern ist etwas anderes, als ihn zu verwirren und ihm nur einzelne Puzzlestückchen hinzuwerfen und zu erwarten, dass er sich das Bild selbst malen soll. Ein Bild, von dem er nicht mal weiß, wie es aussehen soll.

Von der Idee her ist der Text interessant, ohne Frage. Aber du könntest viel mehr draus machen. Das Spannendste von allem, die Konfrontation mit dem Professor, fehlt ja leider völlig.
Sorry, ich finde es nunmal auch ziemlich an den Haaren herbeigezogen, dass die Tochter an denselben Mann gerät wie die Mutter vor zwanzig (oder so) Jahren, als wenn Europa nur ein Dorf wäre. => Wenn dem so ist, bzw., sein soll, solltest du es ausbauen, damit der Leser das wirklich nachvollziehen kann, damit es glaubhaft wird.

So, das wär's.

Grüße
Chris

 

Hallo Chris,
leider komme ich erst jetzt dazu, auf deinen Kommentar zu antworten. Zunächst einmal vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit genommen hast, eine ausführliche Kritik zu schreiben.
Mir ist der Sinn unseres Forums schon klar. Wie du sicherlich gesehen hast, habe ich die letzte Geschichte (aus Krankheitsgründen) vor ca. 2 Jahren eingestellt. In dieser Zeit habe ich auch eine Geschichte kommentiert. Leider ließ meine Krankheit nicht mehr zu. Ich habe nicht vor, wichtige Geschichten unkommentiert zu lassen.
Für deinen Hinweis, dass es sich um einen Rechtsmediziner handeln muss, nicht um einen Pathologen, bin ich dir dankbar. Hier habe ich eindeutig zu oberflächlich gearbeitet. Den Fehler habe ich bereits korrigiert.
Wenn du den Satz „Das Leben war schön und es lag vor ihr“ so interpretierst, wie du es getan hast, hast du recht, es ist ein Allgemeinplatz. Ich habe ihn aber bewusst so geschrieben, weil ihn eine bestimmte Person aus einer bestimmten Sicht sagt, eine Person, deren Leben bald zu Ende ist und die gleichzeitig an ihr eigenes Lebens denkt, als sie in der gleichen Situation war.
Auch dein zweites Beispiel wird doch klar, wenn du das, was du weggelassen hast, liest: Ein bisschen mehr Gerechtigkeit in einer absurden Welt ohne Gott usw. Insofern hat dieser Satz schon seine Berechtigung. Die Farben in der Geschichte haben natürlich symbolische Bedeutung.
Doch kommen wir zum Kern deiner Kritik.
Natürlich liegt es mir fern, den Leser zu verwirren. Allerdings liegt es mir auch fern, ihm alles auf einem silbernen Tablett (Wer, wie, wo, was…) zu servieren. Dieses Prinzip habe ich übrigens auch bei einigen anderen Geschichten angewandt. Zunächst dachtest auch du, dass es sich bei dem Protagonisten um einen Mann handelt. Genau das war so geplant. Alle Details werden dem Leser nach und nach klar, was ja auch einige Reaktionen auf die Geschichte bestätigen. Ich will nicht verleugnen, dass ich mir im Vorfeld natürlich Gedanken darüber gemacht habe, wie weit ich damit bei dieser Struktur des Textes gehen kann. Es war mein größtes Problem, denn die Story sollte ja verständlich bleiben. Aber auch kurz und komprimiert. Deshalb auch keine Erklärungen zu WGs oder Wohnheimen oder Gesprächen mit Mitbewohnern. Das trifft auch auf eine mögliche Konfrontation mit dem Professor zu. Genau das wäre m. E. eintönig, nicht die gebotene Kürze.
Das Land oder besser gesagt die Gegend, in dem die Szene mit dem Aussichtsturm spielt, ist, so glaube ich, klar. Die ganze Geschichte spielt nicht irgendwo in Europa, sondern in überschaubarem Rahmen von Tübingen. Aus diesem Grund ist sie auch nicht „an den Haaren“ herbeigezogen, wie ich meine.
Ich danke dir nochmals für deine kritischen, sachlichen und wichtigen Denkanstöße.
Liebe Grüße,
xeranda

 

Moin xeranda.

Ach, ich liebe solche Geschichten, die der Prot erlebt hat und im Nachhinein erzählt.
Schritt für Schritt baust du hier die Spannung auf und ich saugte die Sätze förmlich in mich hinein. Leider war ich dann am Ende ein wenig enttäuscht; bitte verstehe mich nicht falsch, die Geschichte als solche ist wirklich toll geschrieben und spannend, aber sie bleibt mir doch zu sehr an der Oberfläche.
Ganz besonders hätte ich mir eine größere Passage in Bezug auf den Professor gewünscht; zumal dieser ja eine durchaus tragende Rolle in der Geschichte spielt. Gern hätte ich ihn "näher" kennengelernt. Mit Sicherheit hätte ich die Intention, die Gefühle der Protagonistin noch mehr nachvollziehen können.
So habe ich eine kleine, spannende Geschichte mit einer kranken Mutter, einer toten Tochter und einem "bösen" Professor, der beide um den Finger gewickelt hat.
Du könntest zum Beispiel die Tagebucheinträge der Tochter ausbauen und diese mit den Erinnerungen der Mutter verknüpfen. Halt irgendwas in dieser Art ;)

Hat aber trotzdem Spaß gemacht, deiner Geschichte zu lesen.

Gruß! Salem

 

Hallo Salem,
ich komme leider erst jetzt dazu, dir auf deinen Kommentar zu antworten, denn ich war im Urlaub.
Zunächst finde ich es sehr schön, dass du ebenfalls rückblickend erzählte Geschichten magst. Ich liebe diese Art genau wie du. Hast du vielleicht eine Empfehlung für mich, vielleicht eine deiner eigenen Geschichten?
Nachdem du, ähnlich wie Chris, auch kritisiert hast, dass im Grunde eine Konfrontation mit dem Professor fehlt, werde ich eine neue Sequenz schreiben und in die Struktur einbauen. Vielleicht noch einmal zur Erkärung: Ich habe im Vorfeld natürlich überlegt, ob ich diese Konfrontation mit einbauen soll oder nicht. Ich habe mich aus zwei Gründen dagegen entschieden. Erstens schreibt die Protagonistin für sich, wie sie am Anfang darlegt. Sie kennt den Professor wie keine andere. Für den Leser sollte sich dieses "charakterlose Schwein" selbst im Kopf entwickeln, bei jedem Leser unterschiedlich. Und zweitens war das Thema für mich das Scheitern der Protagonistin an dem Satz: Die Zeit heilt alle Wunden. Das wollte ich in den Vordergrund stellen.
Aber ich kann die Kritik nachvollziehen und glaube, es ist einen Versuch wert, den Text diesbezüglich zu verändern.
Vielen Dank nochmals für deine Bewertung.
Liebe Grüße,
xeranda

 

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