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Dort unten

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12.02.2004
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Dort unten

Es riecht nach Sandelholz. Die Nadeln, eben noch in den Fingern der Therapeutin, pieksen sich durch Ellens Haut. Erst fühlen sie sich fremd an; nach ein paar Sekunden entfachen sie eine pulsierende Wärme, die sich bereit macht zu fließen. Das Fenster ist groß und nachlässig geputzt, findet Ellen. Jetzt sind die Jalousien in der Farbe von Lindenholz herunter gelassen, um ihren nackten Körper vor Blicken von draußen zu schützen.

Die Therapeutin murmelt auf Chinesisch vor sich hin, während sie die Nadeln erhitzt, mit geübten Händen den Bewegungen in dem 45-jährigen Körper nachspürt, der mit all den Nadeln in seiner üppigen Fülle einem Kaktus ähnelt.

All das wäre nicht von Bedeutung, wenn nicht wider Erwarten etwas GESCHEHEN würde: Gerade jetzt erlebt Ellen nämlich eine Serie von Entladungen, Hitzewallungen, Strömungen, die sich brutal den Weg aus dem Unterbauch zum Beckenboden bahnen, über den Rücken nach oben und wieder zurück schwappen, bis hinunter zu den großen Gesäßmuskeln. Sie ächzt. Die Haut färbt sich rot, sondert Schweiß in dicken Tropfen ab. Immer wieder keucht sie: „Oh mein Gott!“

Die Therapeutin nickt befriedigt, als hätte sie ein Düsentriebwerk auf Touren gebracht. Beim Entfernen der Nadeln und der Behandlung der Haut mit einer wärmenden Lotion raunt sie Ellen zu, dass der Motor dort unten immer laufen muss. „Die ganze Zeit. Verstehen Sie?“
Ellen versteht, legt eine Hand wie zur Bestätigung auf die tropische Feuchte zwischen den Beinen, taucht den Mittelfinger in die HItze.

***​

Auf dem Parkettboden liegt ein Orientteppich. Auf dem Teppich steht ein lederbezogener Ruhesessel. Auf dem Sessel sitzt ein grauhaariger Mann mit Brille. Auf dem Mann liegt eine großformatige Zeitung.
„Hallo Franz“, sagt Ellen, schaut ihn kurz an, achtet auf die Lotion auf der Haut und das Jucken zwischen den Beinen - um sich zu vergewissern. Er sieht aus wie eine gutmütige Schildkröte. Er sagt: „In der Küche sind noch gefüllte Paprika und Kartoffelpüree. Hab nicht alles geschafft.“

Sie nickt, ein Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. Während sie den Mantel aufhängt und noch einen Blick auf ihren Mann wirft, denkt sie: Wann haben wir eigentlich das letzte Mal gefickt? Muss eine Weile her sein.
Die seltenen Gelegenheiten bei denen dies geschieht, sind wie die gefüllten Paprika und das Kartoffelpüree in der Tupperbox: Nahrhaft, aber furchtbar fade. Ellen geht mit der Plastikschüssel und einer Gabel zurück ins Wohnzimmer, achtet bei jedem Schritt darauf, den ganzen Fuß aufzusetzen, versucht beim Gehen, den Beckenboden zu beanspruchen.

An der Wand im Flur hängt ein großes Foto von ihrer Tochter. Die ist bereits verheiratet und hat eigene Probleme. Der Sohn ist ebenfalls seit kurzem weg, um zu studieren. Sein leeres Zimmer hat er zurück gelassen.

Mit einem Plumps lässt Ellen sich auf die Couch fallen. Hinter der Zeitung kommt das Gesicht ihres Mannes zum Vorschein. Er sagt: „Und, wie war es bei der Therapeutin? Hat es was gebracht?“

Sie betrachtet ihn versonnen, wie mit Röntgenaugen, fragt sich, wann er das letzte Mal einen richtigen Ständer hatte. Das ist so gemein! Wenn du jung bist und die Männer ES von dir wollen, kommt dir alles andere wichtig vor: Arbeit, heiraten, ein Haus kaufen. Alles ist wichtiger als deine eigenen Bedürfnisse. Dann wirst du älter. Deine Haut verliert an Elastizität. Du bist füllig, beinahe unförmig, hast Falten, erste graue Haare, die du färbst, große und wogende Brüste, für die sich kein Interessent findet. Vor allem brauchst du es noch immer. Mehr denn je.

Sie sagt: „Diese Behandlung hat etwas in mir ausgelöst.“

Er nimmt es zur Kenntnis. Sex war nie wichtig, in ihrer Beziehung. Und was soll sie jetzt bitteschön tun? Soll sie eine Pizza bestellen, einen Bademantel anziehen, hoffen, dass wieder der hübsche junge Pizzabote kommen wird, den Bademantel ganz beiläufig öffnen? Er würde mich zurückweisen. Mich der Lächerlichkeit preisgeben. Und dann?

Franz hat in seiner Zeitung etwas entdeckt: „Heute kommt diese neue Show mit Thomas Gottschalk im ZDF. Wollen wir uns die ansehen?“
Ellen zerteilt die glänzend-weiche Haut einer Paprika, spießt ein Stück auf, nimmt Püree dazu. Schmeckt gut.

Andere Männer über fünfzig sind sehr potent. Nehmen wir zum Beispiel Udo Jürgens oder den (wie hieß er noch?) ... Alexis Sorbas. Die sind aber nicht hier. Schade eigentlich. Soll ich rüber gehen und meinem Mann zwischen die Beine fassen? Besser nicht. Es würde ihn überfordern.

Ellen trägt die Plastikschüssel zurück in die Küche und spielt zum ersten Mal mit dem Gedanken, den Rubikon zu überqueren.

***​

Ein ruhiger Nachmittag in der Hurenberatungsstelle. An der Wand hängen Plakate: Anzeigepflicht bei Geschlechtskrankheiten, Hilfe für Frauen, die den Ausstieg planen. Die Blondine an der Info-Theke trägt den Gesichtsausdruck des gewohnheitsmäßigen Opfers. Ihr Lippenstift ist etwas zu rot, das Makeup etwas zu dick, vielleicht, um die Haut darunter vor etwas Schrecklichem zu schützen, das ihr schon widerfahren ist.

„Was kann ich für dich tun?“

Vor der Theke steht Ellen. Sie sieht aus, als käme sie gerade von einem Kaffeekränzchen: Dezenter Mantel, langes dunkles Haar, die Haut sehr weiß, Falten um die Augen, der Körper üppig und mütterlich. In diesem Körper kribbelt es. Diesmal nicht in der Vagina, sondern in der Ritze zwischen den mächtigen Gesäßbacken. Sie hält die Idee selbst für verrückt. Sie rechtfertigt sich vor sich selbst mit der Behauptung: Ich will mich nur informieren. All das reizt und fasziniert sie.

Die wässrigen Augen der Beraterin weiten sich und der Mund öffnet sich unwillkürlich, als Ellen ihr darlegt, dass sie darüber nachdenkt, gegen Bezahlung mit Männern zu schlafen, damit gewisse Teile nicht wieder in den depressiven Dämmerzustand verfallen, der ihr jahrelang die ganze Energie geraubt hat.

„Wie mache ich das jetzt? Ich kann ja nicht gut in eines dieser Häuser gehen und fragen, ob ich dort arbeiten kann.“

Im Prinzip funktioniert es aber so. Die Beraterin kennt einen Puff, wo gerade Frauen gesucht werden. Es ist dort plüschig und schmuddelig, aber du kannst auf eigene Rechnung arbeiten. Ohne Zuhälter oder so.

***​

„Da kommt die Neue“, sagt eine der Frauen auf der großen Ledergarnitur, die sich im Aufenthaltsraum um einen großen Tisch gruppiert.
Einige von ihnen rauchen. Sie alle sind auf eine Weise angezogen, die mehr zeigt als sie verhüllt. Lackierte Zehennägeln in hochhackigen Schuhen. Einige kauen Kaugummi. Gelangweilt wirken sie alle. Ihre liebsten Gesprächsthemen sind Stars und Kunden.

„Hallo, ich bin die Ellen. Wo finde ich denn hier das Zimmer Nummer 15?“

Eine der Frauen deutet die Treppe hoch. Sie schaut Ellen an und fährt verbissen fort, auf ihrem Kaugummi herumzukauen.

***​

Es dauert, bis der erste Kunde kommt. Es ist ein nüchtern aussehender Mann in mittleren Jahren. Im Aufenhaltsraum fragt er, ob Ellen noch frei ist.

Im Zimmer sagt Ellen: „Was willst du machen?“

Ein Verkaufsgespräch wie an einer Wursttheke beginnt. Der Mann will eine ganze Stunde. Noch kommt Ellen sich vor wie eine Schauspielerin: „Das kostet 120 Euro. Du kannst auch mit Kreditkarte bezahlen.“
Ellen schickt ihn unter die Dusche. Er zieht sich aus, mit einigen Gesten der Verlegenheit. Er ist vielleicht fünf Jahre älter als sie. Auch Ellen zieht das Kleid aus, schält die schweren Brüste aus dem BH, legt die Strumpfhose säuberlich über die Sessellehne. Der Mann freut sich, als er sie nackt sieht.

Seine Eichel glänzt violett. Ellen nimmt den Penis in die Hand, drückt ihn, bis er weiter anschwillt. Es folgt ein Herumschnipseln an der Verpackung eines Kondoms. Sie zieht es über das willige Ding, freut sich dass es klappt, nimmt den heißen Schwanz unter dem Latex in den Mund. Der Mann stöhnt. Er knetet ihre Brüste, als wären sie aus Brotteig.

Sie setzt sich auf ihn. Er dringt in sie ein. Der gierige Schlund zwischen ihren Beinen verschluckt ihn. Oh Gott! Ich lasse mich von einem völlig Fremden ficken und der bezahlt mich dafür! Sie reitet auf ihm. Stöhnen. Saugen. Heftige Stöße, die etwas Heißes entfachen. Hämmerndes Pulsieren in ihr!

Der Rest der Stunde vergeht mit einer Massage und Small Talk: „Ich bin der Kurt“, „Was arbeitest du?“, „Es wird gleich Regnen. Hast du einen Schirm mit?“

Es geht vorbei. Ellen begreift mit zitternden Knien, dass das hier schwere körperliche Arbeit ist. Der Mechanismus dort unten läuft. Die Besuche in Zimmer Nummer 15 werden bald etwas Alltägliches für sie. Etwas, das sie nicht erregt, aber das Bedürfnis befriedigt - wie Würstchen und Kartoffelsalat den Hunger stillen können. Nicht gerade toll, aber man wird satt.

An ihrem ersten Tag verdient Ellen 500 Euro. Seltsamerweise ist es vor allem das Geld, das sie erregt. Dazu kommen der Reiz der Demütigung und der Unterwerfung, die Verachtung der Öffentlichkeit, ein Hauch von Verruchtheit ...

***​

Zwei Monate später in einem Cafe sagt eine Freundin: „Du machst das immer noch? Wir dachten alle, es sei nur eine Laune von dir.“
„Man gewöhnt sich dran. Der Verdienst ist auch nicht schlecht.“

Ellens Freundin blickt nachdenklich auf ein Stück Sahnetorte.

„Und von Franz hast du dich getrennt?“
„Das musste leider sein.“

Das Gespräch kreist um Tortenstücke und Kaffeetassen wie ein Wolfsrudel, das noch nicht wagt, anzugreifen. Schließlich kommt der Vorstoß aber doch: Ellens Freundin versteht nicht, wie eine Frau mit Selbstachtung sich von jedem x-beliebigen benutzen lassen kann. Die Erniedrigung! Die Gefahr! Und was machst du, wenn ein wirklich ekliger Typ zu dir kommt, ein Schläger, ein Besoffener ...

„Och, das passiert nicht oft“, sagt Ellen.

Schon komisch, wie schnell diese vorgefassten Meinungen auftauchen, wenn Ellen über ihren neuen Job spricht: Kommerzialisierung der Lust, Herabwürdigung der Frau. Immer derselbe Dreck, den sie irgendwo aufgeschnappt haben - und der natürlich stimmt.

„Ich mag Männer. Auch die Hässlichen, die Naiven, die Unbeholfenen, die Schüchternen, die Neunmalklugen und diejenigen, die sich für etwas besseres halten. Ich mag auch die armen Dummköpfe, die ihn nicht hochkriegen und das für eine Katastrophe halten. Fast jeder hat etwas, das mich interessiert oder amüsiert“, sagt Ellen - und schafft es doch nicht, wiederzugeben, wie es ist, in einer Branche zu arbeiten, die fast ausschließlich von der Vorspiegelung falscher Tatsachen lebt.

 

Die Geschichte beruht auf einer Anekdote, die ich zufällig gehört habe. Ich hoffe, sie wirkt wenigstens teilweise glaubhaft.

 

Hallo Berg!
Dein Schreibstil gefällt mir, besonders glaubwürdig finde ich die Geschichte jedoch nicht.
Eine Frau denkt "Ach, ich langweile mich so und habe zu selten Sex, deshalb werde ich jetzt ne Nutte". Na ja.
Sätze wie

Der Mann freut sich, als er sie nackt sieht.
wirken irgendwie naiv auf mich, fast wie von einem Kind geschrieben.
Etwas, das sie nicht erregt, aber das Bedürfnis befriedigt
Wie geht das denn? Wenn eine Frau nicht erregt ist, kann der Sex für sie doch nicht schön sein und sie kann auch nicht befriedigt werden.
Nichts für ungut, aber ich glaube mit deinem stylistischen Talent könntest du was Besseres zustande bringen.
Liebe Grüsse merettschen

 

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