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Ein Bagger stört ja nicht.

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05.10.2016
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Ein Bagger stört ja nicht.

Eine Woche zuvor war ich gerade zehn geworden. Mehr als 40 Jahre ist das jetzt schon her. Manchmal denke ich auch heute noch darüber nach. Damals habe ich nicht verstanden, wie lange er mich doch begleiten wird, in meinem Leben.

Grossvater würde jetzt sagen: "Ein schöner Tag um zu verduften". Obwohl er es einigen ausgesuchten Anwesenden durchaus gegönnt hätte, wenn der Himmel über dem Friedhof etwas weniger strahlend blau ausgefallen wäre. Andererseits - bei allzu schlechtem Wetter wäre am Ende das Publikum nicht so zahlreich erschienen ? Das halbe Dorf ist da. Allen voran der Gemeinderat. Der "Plauder-Verein", vollzählig versammelt. Respekt vor der Obrigkeit, erst recht vor denen, die man "Würdenträger" nennt, das war nicht Grossvaters Disziplin. Eigentlich hatte er in dieser Hinsicht glaub ich nicht viele Disziplinen. Neben dem Gemeinderat, in Tränen aufgelöst, Tante Martha, Grossvaters letze noch lebende Schwester. Meine Patentante. Ausgerechnet. In ihren schwarzen Kleidern und dem grossen Hut wirkt sie noch unsympatischer als sonst. Obwohl das schwer vorstellbar ist. Wenigstens vergisst sie meinen Geburtstag nie, und sie bringt mir immer ein Geschenk mit. Ich mag sie trotzdem nicht.

Der Pfarrer spricht. Aber ich hör nur einen lauten Pfeifton. Der Friedhofsgärtner hilft, und unser Pfarrer wendet sich erneut an die Versammelten. Laut liest er Grossvaters Lebenslauf vor. Wozu eigentlich ? Wer Grossvater nicht kannte, wird auch nicht an der Beerdigung teilnehmen, oder ? Und wer ihn kannte, der weiss das, was der Pfarrer da herunterliest, shcon lange. Manchmal sind die Erwachsenen komisch. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, sind meine Gedanken schon lange bei Grossvater. Schade, dass er jetzt schon sterben musste. Obwohl, er war doch immerhin schon 83. Nach den Worten meiner Mutter "ein schönes Alter". Wie meint sie das ? Ein schönes Alter zum Sterben ? Also, ich möchte 100 Jahre alt werden. Ob es dann noch schöner ist zu sterben ?

Der Pfarrer erzählt etwas vom Glauben. Ich muss an meinem Religionsunterricht denken. Gerne geh ich da nicht hin, da gibt es immer wieder so Dinge, die ich nicht verstehe. Wie letztes Jahr, als unser Pfarrer davon gesprochen hat, "dass Glauben - Nicht wissen" heisse. Auch so etwas, das ich nicht verstanden habe. Wäre es nicht besser, wir wüssten sicher, ob es diesen Gott gibt ? Denn wenn es keinen gibt, dann müsst ich nicht mehr in den Religionsunterricht. Das wär gar nicht mal so schlecht. Auf der anderen Seite, das vom Paradies, wo man mal hinkommt, das find ich jetzt ok.

"Glauben heisst - Nicht wissen" verkündete ich beim nächsten im Altersheim. Ich war stolz auf mich, dass ich diese Worte so gut behalten konnte. Und natürlich wollte ich jetzt von Grossvater wissen, ob ich denn da so falsch liege, wenn ich es für besser halte, wenn man etwas weiss, anstatt es nur zu glauben. Grossvater hörte mir wie immer sehr aufmerksam zu. Dabei ging eine seiner Augenbrauen immer auf und ab, bevor er zu erzählen begann. Das war so, wie bei einem Filmschauspieler. Aber seinen Namen hab ich vergessen. Ein Deutscher, glaub ich, wars. Oder ein Amerikaner, das könnte auch sein. Auf jeden Fall war das bei Grossvater ganz genau so. "Nun, du denkst also, es wäre besser für uns ,wenn wir über Gott Gewissheit hätten ?". Das klang aber nicht so, als ob ich gleich recht bekommen würde. Eigentlich war ich mir sicher, dass Grossvater meine Meinung teilen würde. Ich begann, vorsichtig nachzufragen. "Na ja, weisst du, wenn es diesen Gott gibt, dann wird doch das vom Paradies auch stimmen ? Weil, da möcht ich eigentlich auch irgendwann mal hin ...". Grossvater lächelte. "Ja, da hast du recht. Du hast aber schon daran gedacht, dass dann das, was man sich über die Hölle erzählt, wohl auch so hinkommt ?". Das war einleuchtend. Aber nicht das, was ich gerne gehört hätte. Deutlich kleinlauter als bei meinem Auftauchen im Altersheim stotterte ich Grossvater etwas vor. "Dorthin möcht ich jetzt aber schon grad gar nicht". Noch heute höre ich Grossvater lachen. "Vielleicht ist es dann ja doch nicht so schlecht, wenn wir über diese Dinge nicht so genau Bescheid wissen".

Mir scheint, der Pfarrer ist fertig mit reden. Es ist plötzlich so still auf dem Friedhof. Die Mitglieder des Kirchenchors drängen sich um Grossvaters Sarg. "Die bringen jetzt ein letztes Ständchen", hör ich meine Mutter sagen. Also doch noch. Alles rechnete damit, dass sie nicht singen würden. Grossvater und der Kirchenchor hatten sich schon vor Jahren überworfen. Für viele im Dorf war er einfach ein komischer Kauz. Und doch mochten sie ihn. Krumm genommen haben Sie ihm nur, dass er nach mehr als dreissig Jahren aus dem Kirchenchor ausgetreten ist. Von einem Tag zum andern. Nicht etwas aus Altersgründen, nein. Er hatte wohl nur wieder ein wenig zu quer gedacht. Das Programm des Kirchenchors zeitgemässer zu gestalten, das war dann doch etwas zu viel verlangt in einem Dorf, in dem der Stammtisch noch regelmässig besetzt und der Frauenverein keine Nachwuchsprobleme zu verzeichnen hatte. Als er dann auch noch öffentlich im "Löwen" bekannte, die Mitglieder des Kirchenchores brächten mehr Staub als Töne hervor, verspielte er seinen letzten Kredit. Nun aber singen sie. Am lautesten hört man den "Tiri-Tari". "Das kommt vom Bier", hatte Grossvater einmal gesagt. Tiri-Tari, was für ein lustiger Spitzname. Passt irgenwie zu seiner grossen, roten Nase. Jetzt singen sie schon das zweite Lied. Mir ist langweilig.

Was macht denn der Friedhofsgärtner da ganz hinten an der Mauer ? Und was ist das für eine Maschine ? Da scheint irgend etwas verrutscht zu sein, eine Plane glaub ich. Die Bemühungen des Friedhofgärtners, diese wieder über die wunderliche kleine Maschine zu ziehen führen zu einem Missgeschick, das zu seinem Glück kaum beachtet wird. Die Abdeckung rutscht jetzt vollends zu Boden, zum Vorschein kommt ein winzig kleiner Bagger. "So einen hab ich ja noch nie gesehen. Wozu der wohl gebraucht wird ? Einen Bagger braucht man doch, um Löcher zu graben. Löcher ... Gräber ! die heben die Gräber tatsächlich mit einem Bagger aus !" Einen Augenblick lang bin ich sprachlos, was nicht eben oft vorkommt. Aber eigentlich ist es ja auch egal. Grossvater wird es bestimmt nicht stören. Schliesslich hat er ein Leben lang auf Baustellen gearbeitet ?

Der Gesang verstummt. Ich glaub, die Beerdigung ist bald zu Ende. Um mich herum, in der Verwandtschaft, entsteht plötzlich eine grosse Unruhe. Es beginnt ein hektisches Tuscheln und Flüstern. Ich verstehe nur bruchstückhaft, worum es geht. Scheinbar hat Tante Simona die Liste vergessen, auf der vermerkt worden ist, wer jetzt gleich mit zum Essen eingeladen wird. Und wer nicht. Wobei das "wer nicht" der wichtigere Teil der Liste ist. "Typisch meine Schwester". Meine Mama ist sichtlich aufgebracht. Nicht etwa, dass man einem Teil der Anverwandten aus finanziellen Gründen die Teilnahme hätte verweigern wollen. Was hätten auch die Leute gesagt, Gott bewahre. Aber es geht ja schliesslich auch darum, dass im angemieteten Saal im "Löwen" nur eine beschränkte Anzahl Sitzplätze vorhanden sind. Und da gilt es eben, die Gäste mit der gebotenen Sorgfalt auszusuchen. Sagt meine Mama.
Die Männer vom Kirchenchor verabschieden sich. Jetzt gehts quer über die Strasse, schon mal voraus in den "Löwen". Singen macht durstig. Das Programm ist übrigens bis heute fast unverändert. Alles läuft nun dem Pfarrer hinterher, in die Kirche. Mama weint. Und Tante Simona sucht weiter nach der Liste. So weit ich noch mitbekomme, ohne Erfolg.

Ich gehe nicht mit den anderen, ich schlender lieber noch etwas über den Friedhof. Jetzt, wo es so still geworden ist, fällt mir das erste Mal auf, dass ich Grossvater nie habe weinen sehen. Lachen, laut und lange, das schon. Aber Tränen habe ich nie keine gesehen. Kann es sein, dass Grossväter nicht weinen ? Nur einmal, da war Grossvater ganz anders als sonst. So ruhig, und ganz still. Das war vor zwei Jahren, im Sommer, da ist meine Oma gestorben. Und schon damals habe ich mich über manches gewundert. Die ersten paar Tage habe ich mich nicht getraut, aber dann hab ich einfach gefragt: "Wohin ist Oma denn jetzt gegangen. Ist sie jetzt im Himmel ?". Ich glaube, irgendwie habe ich gleich danach gewünscht, doch besser nichts gesagt zu haben. Grossvater drehte sich mitsamt seinem alten Bürostuhl zu mir. Er hatte so grosse, braune Augen, dieselben wie mein Vater. Aber jetzt waren sie irgendwie anders, kleiner. Ich glaube, Grossvater hatte nicht gut geschlafen. Er sah so müde aus. Nicht wie sonst. Grossvater nahm mich in den Arm und drückte mein Gesicht ganz fest an seine Backe. Das tat er oft und gern. Besonders aber dann, wenn er sich mehrere Tage nicht rasiert hatte. Das kratzte so früchterlich. Und dann lachte er. Ganz laut. Noch heute spüre ich manchmal, wie seine grosse, warme Hand durch meine Haare streicht.

Und jetzt ist Grossvater auch gegangen. Für mich wird es langsam Zeit. Aber vorher muss ich ihm noch erzählen, was ich letzte Woche auf dem Schulweg gesehen habe. Wenn ich meine Augen schliesse, wird Grossvater mir sagen, was das wohl zu bedeuten hat. So, wie immer.

 

Hallo FritzKuh,
ich fange mal mit dem an, was ich gut fand: Der Text verbirgt eine gewisse Witzigkeit (oder Ironie oder Sarkasmus?) und zweitens erinnert die Sprache mich stellenweise an die eines Kindes (was zum Protagonisten passen würde, wäre er ein Kind).
Das wirft gleichzeitig auch zwei Probleme auf:
Erstens der Text verbirgt seine Witzigkeit, d.h. ist nicht wirklich witzig, kommt mir aber unterschwellig ironisch vor. Wenn du etwas lustiges schreiben wolltest, hat das nicht funktioniert.
Zweitens: Ich denke der Typ ist jetzt 40 Jahre älter, also 50. Da redet und erzählt man doch nicht mehr wie ein Kind!

Da sind wir auch schon beim nächsten Problem: Du schreibst im Präsens. Ich denke, der Typ erzählt ein Erlebnis aus der Vergangenheit?

Eine Woche zuvor war ich gerade zehn geworden. Mehr als 40 Jahre ist das jetzt schon her.
Diese Satzkonstruktion holpert außerdem. Als Leser kannte ich mich einen Moment nicht mehr aus, wie alt er ist/war und was wie lange her ist.

Gewichtiger ist: Ich verstehe deine Intention und den Protagonisten nicht?
Sein Großvater ist gestorben. Warum ist der Junge nicht traurig? Ich denke, er mochte seinen Großvater. Von Trauer spüre ich aber nichts. Dem fließt keine Träner runter, der kuschelt sich nicht an seine Mama, der denkt sich nicht einmal, warum musste mein Großvater sterben?

Du schreibst zwar

Schade, dass er jetzt schon sterben musste.
aber das allein transportiert für mich noch keine Emotion und gleich danach relativierst du das wieder:
Obwohl, er war doch immerhin schon 83.
Mochte er ihn etwa nicht? Das wäre eine Möglichkeit, kommt aber auch nicht rüber.

Ich gehe nicht mit den anderen, ich schlender lieber noch etwas über den Friedhof.
Mein Großvater wurde gerade beerdigt. Ich bin 10. Also das Letzte, was ich da gebraucht hätte, wäre Einsamkeit, sondern eher Rückhalt in der Familie und tröstende Worte.

Die Zwischenschauplätze, die Sänger, die den Opa gar nicht mochten, der Gemeinderat, zu dem der Großvater nie Kontakt hatte - all das lässt mich an Heuchelei denken, an die Pharse einer Beerdigung zu der man geht und schnell eine Träne hervorquetscht, obwohl man den Toten eh nicht mochte.
Aber dann muss der Protagonist diese Leute hassen, die vielleicht sogar besoffen zur Berdigung kommen und das passiert ja auch nicht!

Und außerdem: Was hat der Bagger mit der ganzen Sache zu tun?

Tipp: Überlege dir, was du mit deinem Text aussagen willst und dann arbeitest du das heraus und den Rest lässt du weg.

Ich hoffe du empfindest das nicht als zu hart (und mich nicht als zu arrogant, nachdem das mein erster Tag hier ist)

Viel Erfolg und viele Grüße
amf

 

Hallo FritzKuh,

zunächst sind mir beim Lesen ein paar Rechtschreibfehler aufgefallen.

Und wer ihn kannte, der weiss das, was der Pfarrer da herunterliest, schon lange.

Ich muss an meinen Religionsunterricht denken.

Nicht etwa aus Altersgründen, nein.

Aber Tränen habe ich nie gesehen.

Aber wenn du da noch mal kurz drüber gehst, sind die ja auch schnell ausgebessert.

Der Text ist meist im Präsens geschrieben. Viele machen das ja, weil die Situation dann wirklicher wirken soll. Ich finde es in diesem Text in Ordnung. Allerdings hätte ich am Ende noch etwas aus der Perspektive "40 Jahre danach" geschrieben, damit der Kreis sich wieder schließt. Ich finde, dass sonst der Anfang, in dem klar wird, dass es ein Rückblick ist, an Bedeutung verliert.

Dass der Protagonist nicht traurig ist, finde ich logisch, denn er hat bei seinem Großvater, der ja anscheinend eine Art Vorbild für ihn ist, nie Tränen gesehen und denkt vermutlich auch, dass der jetzt im Himmel ist, also warum traurig sein. Alleine sein möchte er vielleicht gar nicht, aber noch viel weniger möchte er bei den anderen sein, die sein Großvater ja nicht leiden konnte.

Für mich geht es in dem Text um den Gegensatz zwischen der dörflichen Kleingeisterei und einer Person, die über die Dinge nachdenkt. Deshalb wollte der Großvater zum Beispiel auch im Chor ein paar Neuerungen einführen, was aber nicht gut ankam. Der Protagonist hat sich an seinem Opa orientiert und kann daher mit den anderen wenig anfangen.

Viele Grüße,
Sebastian

 

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