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- 09.12.2019
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Ein Grummler
Ihr Vater stand vor dem Panoramafenster seines Arbeitszimmers und blickte hinaus. Durch das Schneetreiben waren die Lichter der Stadt kaum zu sehen.
„Vater?“ Anna betrat den Raum. Die Schritte auf dem Parkett durchdrangen die Stille.
„Welche Termine habe ich morgen?“, fragte er nach einigen Sekunden.
„Keinen. Auch nicht in den nächsten Tagen.“ Sie versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. Als er nicht antwortete, fügte sie hinzu: „Du musst es akzeptieren, es gibt andere Aufgaben …“
„Nein!“ Sein Schrei ließ sie zusammenzucken.
Er drehte sich zu ihr. Seine Wangen gerötet, die Augen zusammengekniffen. Erst jetzt sah sie das Glas in seiner Hand.
„Ich habe diese Stadt zu dem gemacht, was sie ist. Seit mehr als zwei Jahrzehnten, sie gehört mir. Finde einen Beweis für diesen Betrug. Wofür bist du Anwältin?“
Sie blickten sich an, seine Erwartung schwebte wie etwas Greifbares zwischen ihnen.
„Die Wahlzettel wurden bereits nachgezählt. Ich … kann es nicht ändern.“ Ihre Stimme begann zu zittern.
„Dir wird etwas einfallen“, zischte er und trank von seinem Whisky. Kniff die Augen noch enger zusammen und sah wieder aus dem Fenster.
Sie verließ den Raum, er würde sie nicht weinen hören.
Anna stand vor dem Fenster ihres Wohnzimmers, ein Glas Rotwein in der Hand.
„Nicht“, sagte sie, als ihr Mann die Hand an ihre Hüfte legte.
Er wich zurück. „Halte dich von ihm fern, bis er sich beruhigt. Er wird es einsehen.“
„Du kennst ihn bisher nur, wenn er die Macht hat. Alles nach seinem Willen läuft. Niemand weiß, was er nun nach seiner Niederlage machen wird.“ Sie trank vom Rotwein. „Auch ich nicht.“
„Du bist nicht für ihn verantwortlich. Merkst du nicht, was er macht?“
„Er hat meiner Mutter und mir ein sorgenfreies Leben ermöglicht. Natürlich muss ich ihm helfen.“
Sie schwiegen. Ihr Mann stellte sich neben sie und blickte ebenfalls in die vom Schnee erhellte Dunkelheit.
„Er hat früh ein Vermögen geerbt und davon etwas abgegeben. Er macht kaum etwas anderes, als dir die Rechnung vorzuhalten“, sagte er schließlich.
„Hör auf!“ Annas Hand zitterte, als sie das fast leere Glas erneut zum Mund führte.
„Das ist keine Leistung. Väter, die jede freie Minute mit ihren Kindern verbringen, mit ihnen auf den Spielplatz gehen, zum Sport …“
Er sah Anna an. Ihr Gesicht war angespannt, die Lippen zusammengepresst.
„Löse dich von ihm, du bist nicht seine Angestellte. Ich gehe ins Bett.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Und, was hast du?“, fragte ihr Vater. Er saß hinter seinem Schreibtisch aus dunklem Edelholz und rauchte eine Zigarre.
„Es gibt nur eine Möglichkeit. Du weißt, mit wem du eine Koalition bilden musst, um an der Macht zu bleiben“, antwortete Anna.
Er sah sie einige Sekunden an und lehnte sich zurück. Zog erneut an der Zigarre, bevor er antwortete. „Ich wollte von dir rechtliche Vorschläge, um eine Neuwahl zu erreichen. Nicht so einen Unsinn. Wie soll ich mit einer rechten Partei zusammenarbeiten, selbst wenn ich das wollte? Mehr möchtest du nicht für mich erreichen?“
„Lass das.“
„Was soll ich lassen? Du nimmst von mir alle Privilegien entgegen und speist mich mit so einer Antwort …“
„Ich mache schon, was ich kann! Siehst du das nicht?“
„Ja? Du lebst dein bequemes Leben und …“
„Hör auf!“ Sie wusste nicht, ob ihre Ohren durch die Lautstärke ihres Schreis klingelten, oder durch ihre Wut.
Ihrem Vater wäre fast die Zigarre aus der Hand gefallen. Aber er blieb ruhig und beobachtete sie.
„Hör auf.“ Diesmal flüsterte sie es und versuchte erst gar nicht, die Tränen zurückzuhalten. Es war schon lange an der Zeit, dass er sie als Mensch erlebte. „Mehr habe ich nicht“, fügte sie hinzu und verließ den Raum.
Sie war häufig auf der Brücke, wenn sie spazieren ging. Diesmal saß sie auf dem Geländer, die Füße über dem Fluss. Passagier- und Frachtschiffe fuhren unter ihr entlang.
Passanten, die wahrscheinlich ihre Mittagspause machten, gingen hinter ihr vorbei. Niemand schien sie zu beachten. War sie schon mal so nah dran, alles hinzuschmeißen? Nicht mehr an ihrem Leben zu hängen?
„Hey, da dürfen Sie nicht sitzen!“
Anna drehte den Kopf. Ein Junge mit blonden, kurzen Haaren stand neben ihr am Geländer. Sie blickte ihn irritiert an, als hätte er in einer fremden Sprache gesprochen.
„Ich glaube, das Wasser ist ziemlich kalt. Ich würde woanders schwimmen gehen.“
Sie schüttelte leicht den Kopf und konnte ein Lächeln nicht verhindern. „Ja … ist wahrscheinlich nicht so angenehm.“ Als hätte der Junge sie dazu aufgefordert, hob sie erst ein Bein über das Geländer, drehte sich und zog dann das andere nach. Sie rutschte herunter und blickte den Jungen an. „Bist du alleine hier? Wo sind deine Eltern?“
„Bin auf dem Weg nach Hause und wollte noch bei der Eisdiele vorbei. Die haben den leckersten Kakao überhaupt.“
Anna überlegte kurz. „Dann begleite ich dich ein Stück und gebe dir den Kakao aus, für deinen wertvollen Ratschlag.“
„Cool!“
„Wie heißt du?“
„Konrad.“
„Freut mich. Ich bin Anna.“
Sie wollte den Kakao zum Mitnehmen kaufen, aber Konrad ging in die Eisdiele und setzte sich an einen Tisch.
„Was hast du vor?“, fragte Anna.
„Ein Bananasplit kann ich doch nicht im Gehen essen, bei der Kälte.“
„Ach, doch kein Kakao? Na, meinetwegen.“ Sie nahm ebenfalls Platz und bestellte das Eis für Konrad und für sich einen Cappuccino.
„Und gehst du gerne zur Schule? Wie alt bist du?“, fragte Anna.
„Dreizehn. Sport macht Spaß, aber bei allem anderen muss man immer so aufpassen.“
„So ist das, aber auch beim Sport musst du achtsam sein, oder nicht?“
„Nö, das kann ich einfach.“
Sie lachte. „Na, das ist doch gut! Vielleicht wirst du Profisportler?“
„Ja! Tischtennis, Schwimmen, Judo, Basketball und … Turmspringen. Hauptsache, ich werde nicht so langweilig wie meine Eltern.“
Die Bedienung brachte die Bestellung, Konrad begann direkt zu essen.
„Und was machen sie?“
„Papa arbeitet in einer Bank“, antwortete er mit vollem Mund. „Zieht immer einen Anzug an und sieht aus wie die Men in black. Mama hilft schon mal in irgendeinem Laden, weiß nicht genau wo. Und deine?“
Wieder lachte Anna. „Meine? Meine Mutter lebt schon seit einigen Jahren in einem anderen Land, sie schreibt Romane. Mein Vater ... na ja, ist schwer zu erklären. Er ist sozusagen der Chef unserer Stadt und verbringt fast jede Minute mit seiner Arbeit.“
„Ein Grummler!“
„Was ist denn ein Grummler?“
„Na, Grummler halt! Das sind Leute, die den ganzen Tag nur arbeiten und grummeln!“
Anna dachte an ihren Vater, wie er mit seiner Zigarre hinterm Schreibtisch saß.
„Mein Schuldirektor ist auch einer. Und die Frau Merkel und der Herr Tramp! Obwohl die Frau Merkel nicht so schlimm ist. Ich stelle mir bei Grummlern immer das Krümelmonster vor.“
In ihren Gedanken verwandelte sich ihr Vater, bekam blaues Fell. Und hatte einen Teller mit Keksen vor sich. Diesmal lachte sie so laut, dass sie sich die Hand vor den Mund hielt.
Auf dem Rückweg zum Büro ging sie wieder über die Brücke. Betrachtete die Stelle, an der sie zuvor auf dem Geländer gesessen hatte. Die Kälte kroch in ihren Körper, als sie hinab zum Wasser sah. Schneebedeckte Schiffe zogen ihre Bahnen. Und dann kommt ein Junge vorbei und schlägt vor, besser ins Schwimmbad zu gehen, dachte sie kopfschüttelnd.
Sie ging weiter, aber nicht direkt zu ihrem Büro. Vorher würde sie etwas bei einer Bäckerei kaufen. Und nochmal ihren Vater besuchen.
Er telefonierte, als sie das Büro betrat. „Was ist mit den Briefwahlstimmen, können wir hiergegen vorgehen?“, sprach er in den Hörer.
Anna ging zum Schreibtisch, stellte einen Teller mit Keksen ab. Ihr Vater sah sie fragend an. Sie lächelte und ging wieder zur Bürotür.
„Was soll ich damit?“, rief er, kurz bevor sie den Raum verließ.
„Falls du Hunger hast. Krümel nicht so viel!“
Anna atmete tief durch, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dachte an Konrad und lächelte.
Sie stand wieder vor dem Wohnzimmerfenster, diesmal ohne ein Glas in der Hand.
„Hey“, sagte ihr Mann, als er spät von der Arbeit kam.
„Selber hey“, antwortete sie und drehte sich um. „Wie war dein Tag?“
„Zumindest habe ich heute mal eine normale Mittagspause geschafft. Hoffentlich wird es ab Januar ruhiger.“
„Bietet deine Firma immer noch die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten?“
„Grundsätzlich schon. Also wenn entsprechende Stellen ausgeschrieben sind, aber im Moment sind es glaube ich recht viele. Warum fragst du?“ Er kam zu ihr, legte die Hände an ihre Hüften.
„Na ja, die Welt ist groß, vielleicht ist es woanders auch schön.“
„Und was ist mit deinem Job?“
„Da finden wir schon eine Lösung“, antwortete sie und küsste ihn.
„Hey, Konrad“, rief Anna.
Er drehte sich um, in etwa an der Stelle, an der sie sich das erste Mal getroffen hatten.
„Hallo! Waren Sie schwimmen?“
Anna lächelte, er hatte einfach ein Talent dafür. „Nein, das lasse ich lieber. Wie wär´s mit einem Kakao, oder nochmal ein Eis?“
„Klar!“
Sie gingen zur Eisdiele und setzten sich wieder an den gleichen Tisch.
„Womit hab ich das verdient?“, fragte er, nachdem sie bestellt hatten.
„Ach, war eine spontane Idee, als ich dich eben gesehen habe. Und ich fand deine Erzählung von den Grummlern interessant. Hast du noch mehr solche Ideen?“
Die Bedienung brachte die beiden Eis.
„Klar, jede Menge!“
„Na dann, erzähl mal.“
„Vater?“ Anna betrat den Raum. Die Schritte auf dem Parkett durchdrangen die Stille.
„Welche Termine habe ich morgen?“, fragte er nach einigen Sekunden.
„Keinen. Auch nicht in den nächsten Tagen.“ Sie versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. Als er nicht antwortete, fügte sie hinzu: „Du musst es akzeptieren, es gibt andere Aufgaben …“
„Nein!“ Sein Schrei ließ sie zusammenzucken.
Er drehte sich zu ihr. Seine Wangen gerötet, die Augen zusammengekniffen. Erst jetzt sah sie das Glas in seiner Hand.
„Ich habe diese Stadt zu dem gemacht, was sie ist. Seit mehr als zwei Jahrzehnten, sie gehört mir. Finde einen Beweis für diesen Betrug. Wofür bist du Anwältin?“
Sie blickten sich an, seine Erwartung schwebte wie etwas Greifbares zwischen ihnen.
„Die Wahlzettel wurden bereits nachgezählt. Ich … kann es nicht ändern.“ Ihre Stimme begann zu zittern.
„Dir wird etwas einfallen“, zischte er und trank von seinem Whisky. Kniff die Augen noch enger zusammen und sah wieder aus dem Fenster.
Sie verließ den Raum, er würde sie nicht weinen hören.
Anna stand vor dem Fenster ihres Wohnzimmers, ein Glas Rotwein in der Hand.
„Nicht“, sagte sie, als ihr Mann die Hand an ihre Hüfte legte.
Er wich zurück. „Halte dich von ihm fern, bis er sich beruhigt. Er wird es einsehen.“
„Du kennst ihn bisher nur, wenn er die Macht hat. Alles nach seinem Willen läuft. Niemand weiß, was er nun nach seiner Niederlage machen wird.“ Sie trank vom Rotwein. „Auch ich nicht.“
„Du bist nicht für ihn verantwortlich. Merkst du nicht, was er macht?“
„Er hat meiner Mutter und mir ein sorgenfreies Leben ermöglicht. Natürlich muss ich ihm helfen.“
Sie schwiegen. Ihr Mann stellte sich neben sie und blickte ebenfalls in die vom Schnee erhellte Dunkelheit.
„Er hat früh ein Vermögen geerbt und davon etwas abgegeben. Er macht kaum etwas anderes, als dir die Rechnung vorzuhalten“, sagte er schließlich.
„Hör auf!“ Annas Hand zitterte, als sie das fast leere Glas erneut zum Mund führte.
„Das ist keine Leistung. Väter, die jede freie Minute mit ihren Kindern verbringen, mit ihnen auf den Spielplatz gehen, zum Sport …“
Er sah Anna an. Ihr Gesicht war angespannt, die Lippen zusammengepresst.
„Löse dich von ihm, du bist nicht seine Angestellte. Ich gehe ins Bett.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Und, was hast du?“, fragte ihr Vater. Er saß hinter seinem Schreibtisch aus dunklem Edelholz und rauchte eine Zigarre.
„Es gibt nur eine Möglichkeit. Du weißt, mit wem du eine Koalition bilden musst, um an der Macht zu bleiben“, antwortete Anna.
Er sah sie einige Sekunden an und lehnte sich zurück. Zog erneut an der Zigarre, bevor er antwortete. „Ich wollte von dir rechtliche Vorschläge, um eine Neuwahl zu erreichen. Nicht so einen Unsinn. Wie soll ich mit einer rechten Partei zusammenarbeiten, selbst wenn ich das wollte? Mehr möchtest du nicht für mich erreichen?“
„Lass das.“
„Was soll ich lassen? Du nimmst von mir alle Privilegien entgegen und speist mich mit so einer Antwort …“
„Ich mache schon, was ich kann! Siehst du das nicht?“
„Ja? Du lebst dein bequemes Leben und …“
„Hör auf!“ Sie wusste nicht, ob ihre Ohren durch die Lautstärke ihres Schreis klingelten, oder durch ihre Wut.
Ihrem Vater wäre fast die Zigarre aus der Hand gefallen. Aber er blieb ruhig und beobachtete sie.
„Hör auf.“ Diesmal flüsterte sie es und versuchte erst gar nicht, die Tränen zurückzuhalten. Es war schon lange an der Zeit, dass er sie als Mensch erlebte. „Mehr habe ich nicht“, fügte sie hinzu und verließ den Raum.
Sie war häufig auf der Brücke, wenn sie spazieren ging. Diesmal saß sie auf dem Geländer, die Füße über dem Fluss. Passagier- und Frachtschiffe fuhren unter ihr entlang.
Passanten, die wahrscheinlich ihre Mittagspause machten, gingen hinter ihr vorbei. Niemand schien sie zu beachten. War sie schon mal so nah dran, alles hinzuschmeißen? Nicht mehr an ihrem Leben zu hängen?
„Hey, da dürfen Sie nicht sitzen!“
Anna drehte den Kopf. Ein Junge mit blonden, kurzen Haaren stand neben ihr am Geländer. Sie blickte ihn irritiert an, als hätte er in einer fremden Sprache gesprochen.
„Ich glaube, das Wasser ist ziemlich kalt. Ich würde woanders schwimmen gehen.“
Sie schüttelte leicht den Kopf und konnte ein Lächeln nicht verhindern. „Ja … ist wahrscheinlich nicht so angenehm.“ Als hätte der Junge sie dazu aufgefordert, hob sie erst ein Bein über das Geländer, drehte sich und zog dann das andere nach. Sie rutschte herunter und blickte den Jungen an. „Bist du alleine hier? Wo sind deine Eltern?“
„Bin auf dem Weg nach Hause und wollte noch bei der Eisdiele vorbei. Die haben den leckersten Kakao überhaupt.“
Anna überlegte kurz. „Dann begleite ich dich ein Stück und gebe dir den Kakao aus, für deinen wertvollen Ratschlag.“
„Cool!“
„Wie heißt du?“
„Konrad.“
„Freut mich. Ich bin Anna.“
Sie wollte den Kakao zum Mitnehmen kaufen, aber Konrad ging in die Eisdiele und setzte sich an einen Tisch.
„Was hast du vor?“, fragte Anna.
„Ein Bananasplit kann ich doch nicht im Gehen essen, bei der Kälte.“
„Ach, doch kein Kakao? Na, meinetwegen.“ Sie nahm ebenfalls Platz und bestellte das Eis für Konrad und für sich einen Cappuccino.
„Und gehst du gerne zur Schule? Wie alt bist du?“, fragte Anna.
„Dreizehn. Sport macht Spaß, aber bei allem anderen muss man immer so aufpassen.“
„So ist das, aber auch beim Sport musst du achtsam sein, oder nicht?“
„Nö, das kann ich einfach.“
Sie lachte. „Na, das ist doch gut! Vielleicht wirst du Profisportler?“
„Ja! Tischtennis, Schwimmen, Judo, Basketball und … Turmspringen. Hauptsache, ich werde nicht so langweilig wie meine Eltern.“
Die Bedienung brachte die Bestellung, Konrad begann direkt zu essen.
„Und was machen sie?“
„Papa arbeitet in einer Bank“, antwortete er mit vollem Mund. „Zieht immer einen Anzug an und sieht aus wie die Men in black. Mama hilft schon mal in irgendeinem Laden, weiß nicht genau wo. Und deine?“
Wieder lachte Anna. „Meine? Meine Mutter lebt schon seit einigen Jahren in einem anderen Land, sie schreibt Romane. Mein Vater ... na ja, ist schwer zu erklären. Er ist sozusagen der Chef unserer Stadt und verbringt fast jede Minute mit seiner Arbeit.“
„Ein Grummler!“
„Was ist denn ein Grummler?“
„Na, Grummler halt! Das sind Leute, die den ganzen Tag nur arbeiten und grummeln!“
Anna dachte an ihren Vater, wie er mit seiner Zigarre hinterm Schreibtisch saß.
„Mein Schuldirektor ist auch einer. Und die Frau Merkel und der Herr Tramp! Obwohl die Frau Merkel nicht so schlimm ist. Ich stelle mir bei Grummlern immer das Krümelmonster vor.“
In ihren Gedanken verwandelte sich ihr Vater, bekam blaues Fell. Und hatte einen Teller mit Keksen vor sich. Diesmal lachte sie so laut, dass sie sich die Hand vor den Mund hielt.
Auf dem Rückweg zum Büro ging sie wieder über die Brücke. Betrachtete die Stelle, an der sie zuvor auf dem Geländer gesessen hatte. Die Kälte kroch in ihren Körper, als sie hinab zum Wasser sah. Schneebedeckte Schiffe zogen ihre Bahnen. Und dann kommt ein Junge vorbei und schlägt vor, besser ins Schwimmbad zu gehen, dachte sie kopfschüttelnd.
Sie ging weiter, aber nicht direkt zu ihrem Büro. Vorher würde sie etwas bei einer Bäckerei kaufen. Und nochmal ihren Vater besuchen.
Er telefonierte, als sie das Büro betrat. „Was ist mit den Briefwahlstimmen, können wir hiergegen vorgehen?“, sprach er in den Hörer.
Anna ging zum Schreibtisch, stellte einen Teller mit Keksen ab. Ihr Vater sah sie fragend an. Sie lächelte und ging wieder zur Bürotür.
„Was soll ich damit?“, rief er, kurz bevor sie den Raum verließ.
„Falls du Hunger hast. Krümel nicht so viel!“
Anna atmete tief durch, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dachte an Konrad und lächelte.
Sie stand wieder vor dem Wohnzimmerfenster, diesmal ohne ein Glas in der Hand.
„Hey“, sagte ihr Mann, als er spät von der Arbeit kam.
„Selber hey“, antwortete sie und drehte sich um. „Wie war dein Tag?“
„Zumindest habe ich heute mal eine normale Mittagspause geschafft. Hoffentlich wird es ab Januar ruhiger.“
„Bietet deine Firma immer noch die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten?“
„Grundsätzlich schon. Also wenn entsprechende Stellen ausgeschrieben sind, aber im Moment sind es glaube ich recht viele. Warum fragst du?“ Er kam zu ihr, legte die Hände an ihre Hüften.
„Na ja, die Welt ist groß, vielleicht ist es woanders auch schön.“
„Und was ist mit deinem Job?“
„Da finden wir schon eine Lösung“, antwortete sie und küsste ihn.
„Hey, Konrad“, rief Anna.
Er drehte sich um, in etwa an der Stelle, an der sie sich das erste Mal getroffen hatten.
„Hallo! Waren Sie schwimmen?“
Anna lächelte, er hatte einfach ein Talent dafür. „Nein, das lasse ich lieber. Wie wär´s mit einem Kakao, oder nochmal ein Eis?“
„Klar!“
Sie gingen zur Eisdiele und setzten sich wieder an den gleichen Tisch.
„Womit hab ich das verdient?“, fragte er, nachdem sie bestellt hatten.
„Ach, war eine spontane Idee, als ich dich eben gesehen habe. Und ich fand deine Erzählung von den Grummlern interessant. Hast du noch mehr solche Ideen?“
Die Bedienung brachte die beiden Eis.
„Klar, jede Menge!“
„Na dann, erzähl mal.“
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