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Ein Gute-Nacht-Kuss auf Reisen

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21.05.2003
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Ein Gute-Nacht-Kuss auf Reisen

Ein Gute-Nacht-Kuss auf Reisen

„Ohne einen Gute-Nacht-Kuss von Dir kann ich nicht einschlafen, Papa. Auf gar keinen Fall!“, sagte Klara in den Telefonhörer.
„Aber ich komme erst nach Mitternacht wieder!“
„Dann bleibe ich eben wach, bis Du wieder da bist.“
Klaras Vater seufzte und antwortete:
„Das geht nicht, Schatz, aber ich habe eine Idee. Ich schicke Dir einen Gute-Nacht-Kuss vorbei und Du darfst so lange aufbleiben, bis er bei Dir angekommen ist.“
„O.K.!“, sagte Klara, nickte und verabschiedete sich.

Sie sprang aus ihrem Hochbett heraus und lief freudig zu ihrem Dachfenster herüber. Einen klitzekleinen Spalt öffnete sie es und streckte ihre neugierige Nase in die milde Abendluft. Noch war weit und breit kein Gute-Nacht-Kuss von ihrem Vater zu sehen. Sie kroch wieder zurück ins Bett und legte sich unter ihre warme Kuscheldecke. Von hier aus hatte sie das Fenster genau im Blick und konnte Papas Kuss sofort erkennen, wenn er hereinkommen würde.

Als Klaras Vater den Hörer aufgelegt hatte, schickte er den kleinen Gute-Nacht-Kuss für seine Tochter auf die Reise.
Er ließ ihn über seine Lippen nach draußen krabbeln und pustete ihn sanft in den Abendwind.
„Flieg zu Klara!“, flüsterte er, winkte ihm zu und beobachtete, wie sich der kleine Kuss durch das geöffnete Bürofenster nach draußen zwängte. Auf dem Fensterbrett verweilte er einen kurzen Augenblick und schaute nach unten. Er erschrak. Er hatte zwar Flügel, mit denen er sich im Wind gleiten lassen konnte, zum selber fliegen waren sie jedoch viel zu kurz.
„Hoffentlich kommt ein heftiger Wind, so dass ich nicht aus dieser Schwindel erregenden Höhe unsanft auf meiner Nase lande!“, dachte der kleine Kuss und wartete, von einem Beinchen auf das andere hüpfend, auf einen geeigneten Windstoß, um seine Reise zu beginnen. Als der weiche Abendwind eine stärkere Brise schickte, hüpfte der kleine Kuss mutig in die Strömung und machte sich auf den Weg, um Klara Gute-Nacht zu sagen. Fröhlich wirbelten seine kleinen Flügel im Wind herum. Er schlug ein paar vergnügte Purzelbäume und flog über die Dächer der Stadt, die im Mondenschein silbrig glänzten, hinweg.
Doch plötzlich wurde sein Flug unsanft unterbrochen. Unerwartet purzelte der kleine Kuss in ein gefährliches Luftloch. Seine kleinen Flügelchen wedelten wild, dennoch verlor er an Höhe, Meter für Meter. Verzweifelt hielt er Ausschau nach Rettung, als er im allerletzten Moment die blättrige Krone eines uralten Kastanienbaumes erblickte. Der kleine um-Hilfe-rufende-Kuss streckte seine Flügelchen aus und blieb, trotz seiner hohen Geschwindigkeit, zwischen zwei dünnen Zweigen hängen. Geschafft. Erleichtert atmete er auf, seufzte und machte sich auf den Weg, so schnell wie es einem kleinen Gute-Nacht-Kuss nur möglich ist, den mächtige Kastanienbaum nach unten zu klettern. Mit geschickten Bewegungen schwang er seine Flügelchen von Zweig zu Ast und vom Ast zum Stamm, bis er unter dem Baume sanft in einem riesigen Blätterberg landete. Besorgt blickte er in den Himmel. Im abendlichen Glanz der Sterne stand der runde Mond bereits mittig am Himmelszelt und blickte auf die Erde nieder. Der kleine Kuss musste sich beeilen, weil Klara bald einschlafen würde und er seinem Ziel noch fern war. So sputete er sich, kroch aus seinem Blätternest heraus und hielt Ausschau nach einem anderen Weg, um in die Stadt zu gelangen.
Als ein einsamer Radfahrer pfeifend des Weges fuhr, überlegte der kleine Kuss nicht lange. Er ergriff seine Chance und hing sich im Vorbeifahren an eine Speiche des Fahrrades. Dort verweilte er, bis er in der nächsten Siedlung das gelb leuchtende Schild einer Bushaltestelle erblickte und sich ebenso erleichtert wie schwindelig von der sich ständig drehende Speiche verabschiedete. Torkelnd tapste er zum Haltestellenschild, hielt sich einen Augenblick fest und suchte nach einem Bus, der in die Stadt fahren würde. Gerade als die nahe gelegene Kirchturmuhr zur vollen Stunde schlug, bog der hell erleuchtete Bus in die Straße ein und hielt, um einige Fahrgäste abzusetzen. Unbemerkt kletterte der kleine Kuss in den Bus und versteckte sich zwischen einem Paar nach Kuhmist riechender Gummistiefel, die zu einem alten Mann in der hintersten Sitzreihe gehörten. Der kleine Kuss fuhr und fuhr, bis der Fahrer die Haltestelle „Marktplatz“ ausrief.
„Endstation!“, murmelte der kleine Kuss und stolperte hektisch die Stufen des Busses hinunter, so das er sich unsanft den Flügel stieß. Zum Jammern hatte er jedoch keine Zeit. Nur wenige Meter trennten ihn noch von seinem Ziel, das mit einem verletzten Flügel und absoluter Windstille jedoch unendlich weit zu sein schien. Vor Erschöpfung schnaubend erreichte der kleine Gute-Nacht-Kuss das rotbraune Backsteinhaus von Klaras Eltern und kroch an der rostigen Regenrinne in den zweiten Stock hinauf, in dem Klaras Dachfenster bereits geöffnet auf ihn wartete. Der kleine Kuss schwang sich mit letzter Kraft durch den Spalt des Fensters und sah, dass Klara in ihre Kuscheldecke gehüllt, halb sitzend halb liegend, kurz vorm Einschlafen war. Ihre Augen waren von ihren müden Lidern zur Hälfte bedeckt, so dass sie unmittelbar vor ihrer Reise ins Land der Träume stand.
Eilig lief der kleine Kuss zu ihr herüber, kroch zu ihrem Ohr und flüsterte ihr ein sanftes: „Gute-Nacht!“ hinein.
Ein müdes Lächeln breitete sich auf Klaras rosa gefärbten Wangen aus, auf denen sich der kleine Kuss mit einem Schmatzer niederließ und zusammen mit ihr im selben Augenblick einschlief.

 

Hallo sumsebiene,
was für eine süsse Idee mit dem fliegenden Gute-Nacht-Kuss. Ich kann ihn mir so richtig vorstellen, mit seinen kleinen Beinchen und den Flügeln.
Eine Frage, wenn er doch Flügel hat, wieso braucht er dann Wind, um fliegen zu können. Oder hat er sich die Flügel nur angeschnallt?
Na ja, ist ja auch nicht so wichtig, die Geschichte hat mir auf jeden Fall sehr gut gefallen.

LG
Blanca

 

Hallo sumsebiene!
Eine wirklich schöne Geschichte! Ich musste die ganze Zeit schmunzeln über den kleinen Gute-Nacht-Kuss.
Prima Idee! :kuss:

Gruß Ulrike

 

Vielen Dank für das positive Feedback. Ein Wort zu den Flügeln: Ich habe mir den Kuss mit klitzekleinen Flügelchen vorgestellt. Die sind natürlich zu klein zum selber fliegen. Warum er dann überhaupt Flügel hat, weiß ich auch nicht. Ich habe ihn mir einfach so vorgestellt!

Gruss
Sabine

 

Hallo sumsebiene!
Dir ist eine kleine, süße Geschichte über den beschwerlichen Weg eines Gute-Nacht-Kusses zu der Person, die den Kuss erhalten soll.
Süß, wie sich der Kuss anstrengt, so schnell wie möglich zu der kleinen Klara zu kommen. :)

Die Sache mit den Flügeln habe ich so verstanden: Der Gute-Nacht-Kuss hat ganz kleine Flügel mit denen er nicht selbst fliegen kann, sondern nur in der Luft gleiten.

bye und tschö

 

Hallo Sabine,

auch ich habe Deine Geschichte sehr gerne gelesen!
:)
Was für eine schöne Idee, die Reise eines Kusses zu beschreiben! Auch für Spannung ist reichlich gesorgt (gefährliches Luftloch, Absturz in den Kastanienbaum, und und und...)

Das Einzige, was mir nicht so gut gefiel, waren Klaras rosa gefärbte Wangen. Ich mußte da an so ein greuliches Bonbonrosa denken. Igitt! Vielleicht kannst Du da noch eine andere Formulierung finden?

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo sumsebiene!
Was bedeudet den verweilen?
Eine niedliche Geschichte wenn du mich fragst. Und das mit dem Gut-Nacht-Kuss fand ich auch eine super gute Idee.
Mach nur so weiter.

LG

Anaid(Diana)

 

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