Was ist neu

Eine alte Geschichte

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27.08.2007
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Eine alte Geschichte

Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.
Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.

Text by Heinrich Heine (1797-1856)

Warum, so fragte sich Teresa jetzt, hatte sie Sebastian nicht einfach an der Tür abgefertigt? Nun stand er unschlüssig in ihrem Jungmädchenzimmer herum und blickte wartend aus dem Fenster.
Dasselbe Fenster übrigens, aus welchem ihre Freundin Melanie vor nicht allzu langer Zeit einen Blick geworfen und: „Oh, Gott, da kommt er schon wieder!“, gerufen hatte. Mit einem: „Halte ihn ein paar Minuten auf!“, war sie zum Hinterausgang davongelaufen. Es machte ihr Spaß, daran bestand kein Zweifel. Sebastian lief Melanie schon seit zwei Wochen wie ein liebeskranker Dackel hinterher und obwohl ihr seine Gefühle mehr oder weniger gleichgültig waren, genoss sie diese inständige Verehrung doch zu sehr, um ganz darauf zu verzichten. Seitdem spielte sie Katz und Maus mit ihm und Teresa spielte die gute Freundin mit den klugen Ratschlägen, wie man den lästigen Verehrer wieder loswerden konnte. Auch wenn ihr dabei bald das Herz brach.

„Wann kommt sie denn?“, fragte Sebastian jetzt.
„Bald“, erwiderte Teresa vage. Sein weinroter Schal war ihm lässig um den Hals geschlungen, seine kurzen braunen Locken leicht zerzaust. Wusste er eigentlich, wie gut er aussah? Ihre Mutter war auf sein Klingeln hin sofort neugierig aus der Küche gekommen und hatte Teresa hinter seinem Rücken ein Zeichen des Wohlwollens signalisiert. Eigentlich ein Grund, ihn sofort zu hassen. Nur, dass sie genau das eben nicht konnte.
Sein Blick fiel auf das Klavier. „Spiel doch mal was!“, sagte er abwesend.
Sie schob sich in die Nähe des Instruments und begann, in einem Notenheft zu blättern.
Mit der plötzlichen Aufforderung konfrontiert, hatte Teresa die Qual der Wahl. Was genau schwebte ihm denn vor? Ragtimes? Der Flohwalzer? Eine von Bachs wohltemperierten Fingerübungen?
Sie entschied sich für die Mondscheinsonate. Tragisch, schmachtend und beeindruckend.

Die ersten Takte schwebten leise und doch gewichtig durch das Zimmer. Sebastian sah stumm zum Fenster hinaus. Dann drehte er sich wieder um. „Schön“, kommentierte er und schaute sie das erste Mal richtig an.
„Ein Käffchen für den jungen Mann?“ Teresas Mutter platzte mit einem Tablett mitten in die Mondscheinidylle hinein. „Und vielleicht auch ein paar Kekse?“
„Mam!“ Teresa spürte, wie ihre Wangen anfingen zu brennen. War es immer noch illegal, die eigene Mutter zu erdrosseln?
„Nein, danke“, erwiderte Sebastian mechanisch und verrenkte sich den Hals, um auf die immer noch leere Straße zu blicken, wohl in der Hoffnung, Melanie möge sich an einem unbestimmten Punkt hinter den Mülltonnen materialisieren.
„Na, dann!“ Teresas Mutter zwinkerte ihrer Tochter komplizenhaft zu und verschwand wieder.

„Melanies Mutter hat gesagt, dass sie hier ist“, wandte sich Sebastian ratlos an Teresa. „Ich verstehe gar nicht, wo sie bleibt.“
Teresa zuckte mit den Schultern.
„Deine Freundin ist echt nicht leicht zu durchschauen!“ Sebastian lächelte versonnen. Wollte er jetzt etwa Melanies perverse Psyche mit ihr bereden? Was gab es da nicht zu verstehen – Melanie behandelte ihn wie einen dummen August! Teresa fing einfach wieder an, Klavier zu spielen.
Die Töne perlten durch das Zimmer. Teresas Finger streichelten die Tasten, ihr Oberkörper schwang leicht vor und zurück. Sebastian stellte sich, von den Tönen angelockt an das Klavier und hörte endlich auf, die öde Straße zu beobachten. Er stand jetzt so nahe neben ihr, dass sie den leichten Aprikosengeruch seiner Lederjacke wahrnehmen konnte.
Sieh mich an, schrie es in ihr. Siehst du nicht, dass ich viel besser für dich bin, als die flatterhafte Melanie?

„Ich wusste gar nicht, dass du so gut spielen kannst“, sagte er leise. Ihre rechte Hand improvisierte einen Ausflug zum hohen C und berührte dabei seinen Arm. Wenn du wüsstest, was ich sonst noch alles so kann, dachte sie. Er verfolgte die Noten auf dem Papier und blätterte im entscheidenden Moment die Seite um.
„Du kannst ja Noten lesen“, bemerkte Teresa überrascht.
„Ich spiele Violine“, antwortete Sebastian. Sie hatten also eine Gemeinsamkeit, was an sich schon Grund zur Freude war, aber mehr noch erfreute Teresa die Tatsache, dass dies seine erste an sie gerichtete Bemerkung war, die nichts mit Melanie zu tun hatte. Seine schlanken Finger hielten den Rand ihres Notenheftes umfasst und warteten auf den nächsten Einsatz zum Umblättern. Wie wäre es, wenn diese Finger ihr übers Haar streichen würden? Das Adagio hauchte seinen letzten Ton aus und sie hielt eine Sekunde lang inne, bevor sie sich an die Bearbeitung des Allegretto machte. Er stand so nahe neben ihr und doch wie hinter kugelsicherem Glas. Seine linke Hand hatte er auf der Stuhllehne abgestützt, millimeterweit von ihrer Schulter entfernt. Würde er sich wehren, wenn sie einfach anfinge, ihn zu küssen?
Ihr Handy klingelte und sie zuckte zusammen.

„Hallo?“
„Ist er weg?“, schrie Melanie lachend in ihr Ohr. Im Hintergrund hörte Teresa undeutlich eine Art Wiehern, das von einem anderen Mädchen zu kommen schien. Wen hatte Melanie da im Schlepptau?
„Sebastian wartet hier auf dich“, antwortete sie lauter, als notwendig war.
„Er ist immer noch da?“ Melanie verschlug es offenbar die Sprache. „Sowas Hartnäckiges“, sagte sie schließlich. Das Wesen im Hintergrund lachte schrill.
„Kommt sie jetzt?“, fragte Sebastian ungeduldig. Seine Augen hatten einen geradezu hungrigen Glanz und in diesem Moment begriff Teresa, dass sie mehr als nur ihre Liebe zur Musik gemeinsam hatten. Sie waren beide rasend in jemanden verliebt, der sich absolut nichts aus ihnen machte, und je gleichgültiger man sie behandelte, umso heftiger wurde ihre unerwiderte Zuneigung.
„Melanie kommt gleich“, sagte sie schlaff und begann, das Allegretto in die Tasten zu dreschen, den Soundtrack zu seiner hündischen Liebe.

Alte Geschichten blieben eben doch immer neu und brachen immer noch die Herzen derer, denen sie just passierten.

 

Hallo sammamish,

ich liebe Geschichten, in denen ich mitfiebern darf, ob sie sich kriegen oder nicht. :)
Wahrscheinlich hat meine Hedwig Courths-Mahler lesende Großmutter mir was in die Gene mit reingepackt, dass ich auf solche Storys abfahre.
Wie auch immer, mir hat der Plot dieser Geschichte gefallen. Das Ende hätte natürlich happyendiger sein dürfen, aber da ist ja nur die olle Romantikerin in mir, die sich da was wünscht.
Das Ende ist schon ok.

Deine Sprache ist gut dem Thema angepasst und ich hatte bei der wörtlichen Rede nie den Eindruck, dass etwas unnatürlich wirkte. Also rundum gut gemacht, diese Story.

Aber ein bisschen Kritik fühle ich mich doch bemüßigt, zu üben und zwar war ich mir wegen des Alters der jungen Dame nicht so ganz im Klaren.

Wie wäre es, diese Finger auf ihrem Körper zu spüren?
Hm...denkt das ein Mädchen, das eigentlich eben noch verlegen darauf bedacht ist, sich wegen ihrer Zuneigung nicht zu erkennen zu geben?

Teresa ist mir am Ende der Story viel zu abgeklärt:

Sie jagten beide einem Phantom hinterher, teilten eine blindwütige Zuneigung, die sich in direkter Proportion zu der ihnen entgegen gebrachten Ablehnung vermehrte.
Das ist ein derartig zusammengeraffter weiser Erkenntnissatz, den traue ich ihr nicht zu, allenfalls einem älteren Menschen. Das kannst du vom Fazit her auch schlichter mädchensprachehafter darstellen.
Vielleicht werden es dann ein paar Sätze mehr, aber das schadet nicht.


Diesen Satz würde ich entweder auch in ihren Worten darstellen oder mit einem gehörigen optischen Abstand als quasi Abspannsatz hinstellen, denn auch solche Gedanken sind in dieser Konsequenz für ein Mädchen schon sehr weise und wirken deswegen unnatürlich altklug.

Alte Geschichten blieben eben doch immer neu und brachen immer noch die Herzen derer, denen sie just passierten.

Aber sonst wars ne kurzweilige, gut zu lesende Geschichte.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Lakita, danke fuer deine Anmerkungen! Ja, Romantisches mit happy end gibts bei mir nie! Den Satz mit den Fingern habe ich etwas abgemildert und auch die "Erkenntnis", da hast du voellig Recht. Den abschliessenden Satz aber lasse ich so, denn das ist ja das, worauf sich der Titel bezieht, also nicht Teresas Ueberlegung, sondern so eine Art Ausklang. Es klingt so altmodisch, weil es sich auf das Heine Gedicht bezieht, dass ich jetzt zum besseren Verstaendnis noch vorgestellt habe. Das Gedicht hat mir schon immer so gut gefallen, dass ich dachte, ich mache mal eine moderne Abwandlung davon. Danke fuer's Lesen, gruss, sammamsih

 

Liebe sammamish,

mit dem vorangestellten Gedicht wirkt der letzte Satz deiner Story noch runder.

Ich hatte dir ja zu diesem Satz alternativ vorgeschlagen, ihn ein wenig von der Geschichte abzusetzen, also wenigstens einen Absatz zu machen. Das schlage ich immer noch vor und finde es schöner, wenn das Gedicht noch ein Stückchen näher an die Geschichte herangezogen wird. Sind nur optische Veränderungen, aber sie haben gewiss Wirkung.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo sammamish!

Dieser Sebastian ist schon ein ziemlicher Tölpel, wenn er nicht merkt, dass seine Angebetene nicht auf ihn steht, ist ja offensichtlich. ;)

„Mutti !“ Teresa spürte, wie ihre Wangen anfingen zu brennen.
Teenager, denen ihre Mutter peinlich ist, nennen sie wohl eher Mam oder Ma als Mutti. Überhaupt passt die Mutter nicht so recht in die Geschichte. Sie gibt höchstens Auskunft über das ungefähre Alter der Personen, hat aber sonst keine Funtion.

So, jetzt hab ich nichts mehr zu meckern. Ansonsten gefällt mir die Geschichte gut. Das Gedicht von Heine find ich auch sehr schön.

Grüsse merettschen

 

Hallo merretschen ( ich will immer Merrettich schreiben ...),
danke dir fuer's Lesen.

Dieser Sebastian ist schon ein ziemlicher Tölpel, wenn er nicht merkt, dass seine Angebetene nicht auf ihn steht, ist ja offensichtlich.

Ja, wo die Liebe hinfaellt ... Fools in Love wird es wohl immer geben!

Teenager, denen ihre Mutter peinlich ist, nennen sie wohl eher Mam oder Ma als Mutti.

Echt? das habe ich nicht gewusst. Zu meiner Zeit sagte man noch Mutti , habe nicht gedacht, dass die "Amerikanisierung" des Deutschen schon so weit fortgeschritten ist. Daran merkt man, dass man nicht mehr die Juengste ist, was!
Das werde ich natuerlich gleich aendern. Die Mutter dient eigentlich nur dazu, die ohnehin schon peinliche Sitation noch zu vertiefen, in ihrer Annahme, Sebastian sei vielleicht wegen ihrer eigenen Tochter gekommen.

Vielen Dank fuer deinen Kommentar,
gruss, sammamish

 

Hallo sammamish,

jaja, die ewig alte geschichte ...
Mit deiner kg bietest du nichts neues, aber das hast du natürlich auch nicht vor. Du trittst in die Fußstapfen all jener, die vom Liebesglück verschmäht wurden und darüber gedichtet haben.

Mit dem einleitenden Gedicht Heines ist ja eigentlich klar, was den Leser erwartet. Einerseits finde ich dieses Gedicht sehr passend, da es den Titel rechtfertigt und einen auf die GEshcichte vorbereitet, andererseits nimmst du damit natürlich auch die Spannung aus der Geschichte.
Es wäre doch mal etwas anderes gewesen, wenn du Heine widersprochen hättest. Deine Moral am Ende des Textes (die wirklich nur durchgeht, weil du das Gedicht voran gestellt hast) hätte dann eben das Gegenteil verkündet. Das wäre für mich der Funken gewesen, der deinem Text aus der Schublade "einedieserGeschichten" herausgeholfen hätte.
Das klingt jetzt sehr kritisch und beanstandet etwas, das ja gar nicht in deinem Sinne lag, ich weiß. Darum: so, wie du die kg geschrieben hast, ist sie natürlich auch gut zu lesen. Der richtige Ton getroffen, geht flüssig runter. Gut.
Aber am Ende bekommt man eben genau das geliefert, was man erwartet hat. Andersrum hätte die Geschichte in meinen Augen auf jeden Fall an Punkten gewonnen.

Ja, Romantisches mit happy end gibts bei mir nie!
sowas würde ich lieber nicht in komms schreiben. Damit fährt die Erwartung natürlich sehr eingleisig. Und außerdem, wer weiß ... ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Weltenlauefer, ja da hast du einen interessanten Gedanken aufgeworfen - den Spiess umdrehen und das Heine Gedicht "widerlegen" waere mal eine witzige Idee. Allerdins kann ich nur wieder sagen, ich bringe es einfach nicht so fertig, eine Liebesgeschichte mit happy end zu schreiben. Es ist, als ob mich da, aus Angst vor dem Kitsch, eine regelrechte Larhmung ergreift. Denn ich finde bei "gut endenden" Lovestories segelt man immer haarnadelscharf am Kitsch vorbei, das muss man erst mal drauf haben. Vielleicht wage ich es ja mal ...
Das Heine Gedicht hatte ich am Anfang gar nicht dabei, sondern nur den Letzten Satz, als kleine Referenz, da ich dachte, jeder kenne das Gedicht. Dann habe ich es aber -zum Verstaendnis des letzten Satzes - vorangestellt.
Insofern nimmt es alles voweg, das stimmt.
Danke dir fuers Lesen,
gruss, sammamish

 

Es ist, als ob mich da, aus Angst vor dem Kitsch, eine regelrechte Larhmung ergreift.
wenn du meinen Rat hören möchtest *keine Wahl lass*: stelle dich der Angst. In dem Punkt Kitsch muss ich dir übrigens widersprechen. Auch im realen Leben gibt es mitunter glückliche Beziehungen - habe ich mal gelesen ;)
Das hier ist der entscheidene Punkt:
das muss man erst mal drauf haben
yeah - also, ran an die Tastatur. Wie sich entwickeln, wenn immer das sichere Gleis befahren?! :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo sammamish,

Alte Geschichten auf eine frische Art rüber zu bringen ist oftmals ziemlich schwierig - aber hier ist es geglückt. Die Dialoge wirken authentisch, die Personen (also die beiden anwesenden) sympathisch.
Ein wenig verwunderlich fand ich nur, wie offensichtlich Sebastian seine Verliebtheit in Teresas Gegenwart zeigt - die beiden scheint ja keine enge Freundschaft zu verbinden.

Na ja, und ein wenig unpassend erschien mir dies:

Sie schien ihre Freude über dieses herrliche Schwiegersohnmaterial kaum zügeln zu können.
An sich zwar nett, aber, da das Ganze ja aus der Perspektive Teresas geschildert wird, zu distanziert sarkastisch. Das "Schwiegersohnmaterial" trieft ja schon vor einer bitteren Ironie, für die der Protagonistin in diesem Moment die Ruhe fehlen dürfte und die gemeinhin nicht so recht zu ihr zu passen scheint.


Gruß,
Abdul

 

Hallo weltenlaeufer,
nun gut, ich werde es mal wagen. Watch this space!


Hallo Abdul,
danke dir auch fuer's Lesen.
Das mit dem Schwiegermuttermaterial, da hast du Recht, wenn ich es mir jetzt noch mal durchlese. Da ist zu sehr die Stimme der Autorin zu hoeren, ich glaube, das nehme ich raus. Ansonsten - die drei sollen sich schon so ein bisschen kennen, aus der Schule oder einem aehnlichen Rahmen, gut genug, um das Gespraech zu fuehren. Ich wolle da aber nicht zu sehr ins Detail gehen.
viele Gruesse,
sammamish

 

Hallo sammamish!
Ich habe deine Geschichte gern gelesen. Fand die Darstellung der Situation total nachvollziehbar. Auch die Mutter passt dabei herrlich ins Bild- entlockte mir einige Schmunzler.
"Sie küssten sich und lebten glücklich bis....." wäre auch nicht falsch gewesen für mich
aber so passts auch - das ist das Leben ;)

wünsch dir noch einen schönen Tag

kröte

 

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