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Eine gute Reise!

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14.07.2015
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Eine gute Reise!

Meinen Platz habe ich schnell gefunden. Ich setze mich direkt ans Fenster und lege meine Tasche auf den freien Platz neben mir, denn ich möchte alleine sein.
Der Weg bis zum Bahnsteig war durch die drückende Hitze beschwerlich und die Menschen scheinen durch die schwüle Luft wie narkotisiert. Viele taumeln nur noch vorwärts, ihre Blicke starr und leer.
Durch die zahlreichen Sonnenbrillen kann man die Augen der Menschen nicht erkennen... aber ihre Körpersprache verrät mir, dass jeder für sich ein klein wenig leidet.
Ich schaue mir durch das Fenster an meinem Platz die vorbeigehenden Leute an.
Ich sehe junge Mädchen, die ihren dumpfen Blick auf die kleinen Bildschirme gerichtet haben, ihre Umwelt kaum mehr wahrnehmen. Ich sehe ältere Menschen, die mit wirren und ratlosen Gesichtern ihren Weg durch die Menge suchen, in einer Welt, die in den letzten Jahrzehnten wohl zu schnell und hektisch für sie geworden ist.
Es ist bereits Spätsommer und wir hatten uns gewünscht, noch einmal gemeinsam Weihnachten zu verbringen. Es hatte an Bedeutung verloren. Doch nun, wo alle Erinnerungen so wertvoll geworden sind, halte ich es zumindest für einen schönen Gedanken.
Die Türen schließen sich, die Bahn setzt sich in Bewegung. Rattern, zischen, rauschen, ein leises Grollen. Das sanfte Beschleunigen des Zuges fühlt sich angenehm an.
Ich bin in Bewegung und mit jedem zurückgelegten Meter weiter von Zuhause entfernt.
Der Abschied fiel mir nicht so schwer, wie ich es befürchtet hatte, aber wir hatten schließlich sehr viel Zeit, uns darauf vorzubereiten. Zu viel Zeit vielleicht. Wir hätten weiterleben sollen, als wäre nichts gewesen. Als wäre diese Nachricht, die uns alle veränderte, nicht wie ein Torpedo in unser unbekümmertes Dasein eingeschlagen.
So wie ich es mir gewünscht hatte, war niemand zu meiner Abreise erschienen. Ich wollte ihnen diesen schweren Moment ersparen, der sich wie eine unauslöschliche Erinnerung in sie einbrennen und ihnen bis ans Ende ihrer Tage im Gedächtnis bleiben würde.
Ich sehe alles noch einmal ganz genau vor mir: wie im Rückspiegel des Wagens mein Zuhause, meine Straße, mein Ort, mein Leben , meine Familie, kleiner wird... und ich muss mich wieder zwingen, nicht an diese Blicke zu denken, die mir nachschauen.
Die Bahn ist in Bewegung. Es ist Ruhe eingekehrt. Irgendwo spielt Musik. Rascheln von Zeitungen, hin und wieder ein Räuspern, starre Blicke, eine brennende Sonne, die bedrohlich durch die Fenster scheint.
Da ist es wieder.
Ein Krampf fährt durch meinen Körper. Ich krümme mich. Unerträgliche Schmerzen. Eine dornenbesetzte Walze kämpft sich, in meinem Magen beginnend, langsam aufwärts durch meinen Körper. Schweißausbruch. Das Denken verlässt mich. Ich verschränke die Arme vor meinem Bauch. Lehne mich nach vorne. Tränen. Fange an zu zählen. Diesmal bis 37. Dann höre ich auf... es klingt ab. Geht vorbei. Doch ich weiß, dass es wiederkehren wird. Schlimmer, heftiger, zerstörerischer.
Hoffentlich bin ich bald an meinem Ziel angelangt.
Die Bahn gibt sich Mühe, mich voran zu bringen. Sie arbeitet unaufhörlich weiter... wie mein Herz, was noch nicht aufgegeben hat. Ach,mein Herz! Was haben wir schon alles ertragen müssen...
Eine alte Dame, wenige Meter von mir entfernt, schaut mich mit sorgenvollem Blick an. Sie mustert mich mit gütigen Augen, steht langsam auf... wenige Schritte gehend, sich an den Lehnen der Sitze festhaltend und kommt langsam auf mich zu.
"Ist alles in Ordnung?.... Sie haben Schmerzen!"
"Nicht mehr lange!" Der Versuch zu lächeln.
"Kann ich Ihnen helfen?"
"Vielen Dank! Ich bin gut versorgt!"
Die alte Dame öffnet Ihre Handtasche, sucht nach etwas, holt ein Tuch hervor, moosgrün, und faltet es auseinander. Sie tupft mir vorsichtig die Schweißperlen von der Stirn.
"Vielen Dank!"
Sie reicht mir das grüne Taschentuch.
"Behalten Sie es! Sie brauchen es vielleicht noch einmal?"
"Möchten Sie sich zu mir setzen?"
Ich nehme meine Tasche von dem Sitz herunter, lege sie auf meinem Schoß nieder.
Darin schaut mich mein Murmeltier mit seinem ausdruckslosen Gesicht an. Meine Großeltern schenkten es mir, als ich noch klein war. Vor vielen vielen Jahren hauchte ich diesem mit Watte gefüllten Stoff Leben ein. Mit dem Alter verlor es an Bedeutung... und nun möchte ich es bei meinem letzten Schlaf dabei haben. Es soll mir helfen, mich daran zu erinnern, als ich noch Kind war, als alles andere als der nächste Tag so fern war.
"Ich muss leider an der nächsten Station aussteigen!"
"Schade... Ich wünschte, wir wären uns früher begegnet!"
"Ich wünsche Ihnen eine gute Reise!"
Die Durchsage kündigt den nächsten Halt an. Die alte Frau lächelt mich an und geht langsam und vorsichtig in Richtung des Ausgangs. Mir kommen die Tränen.
Die Bahn wird langsamer. Ich schaue aus dem Fenster. Die Welt rauscht nicht mehr so schnell an mir vorüber. Wir erreichen einen Bahnsteig, die Fahrt kommt zum Stehen. Menschen warten in der Hitze. Ein Ortsschild. Nie gehörter Name.
Durch die Menge der fremden Leute, die sich in der Bahn vor dem Ausgang drängen, habe ich die alte Dame aus dem Blick verloren. Zischend öffnen sich die Türen... Ich schaue umher, auf die aus dem Zug strömenden Menschen.
Ich halte immer noch das grüne Taschentuch in der Hand und falte es auseinander. Darauf gestickt ein Gänseblümchen. Ob die alte Dame es selbst gestickt hat, werde ich niemals erfahren.
Ich schaue durch das Fenster auf den sich leerenden Bahnsteig.
An der Straße direkt gegenüber ist die Werkstatt eines Steinmetzes. In einem Beet, eingefasst von einer schmiedeeisernen Umzäunung, sehe ich Grabsteine ausgestellt. Ich schaue sie mir an, während sich zischend die Türen schließen und die Maschine ihre Arbeit aufnimmt.
"Nein!", denke ich mir. "Einen Schöneren hätte ich für mich auch hier nicht finden können!"
"Oh Mann!", hörte ich meinen besten Freund sagen, als ich ihm die Auswahl zeigte.
Die Endlichkeit unseres Weges schien nun auch für ihn in Sichtweite gekommen zu sein. Spätestens hier hätte ich einen makaberen Scherz, zu dem ich stets bereit war, auflösen müssen.
"Was sagt man zu einem solchen Anlass? Gute Reise?"
"Zumindest nicht Lebewohl!" Ein letztes schmerzerfülltes Lächeln konnte ich ihm abringen.
Ein letzter Händedruck. Vor einem Jahr wäre er noch kräftiger gewesen.... doch langsam schleicht sich die Energie aus meinem Körper.
Der nächste Krampf durchfährt mich
Die Bestie kriecht wieder durch meinen Körper. Sie hat die Zeit der Ruhe ausgenutzt, um ihre Spitzen anzuschleifen. Sie hat gemerkt, dass ich noch nicht an ihr zugrunde gegangen bin und holt zum nächsten Schlag aus. Langsamer und schwerer als beim letzten Mal. Meine Güte... wie schlimm wird es diesmal werden?.. Presse die Zähne aufeinander. Immer fester. An einem Zahn platzt ein Stück Schmelz ab. Egal.... zum Zahnarzt muss ich nicht mehr. Balle die Fäuste. Bekomme Wut auf diesen Dämon, der sich in mir eingenistet hat und mich langsam auffrisst. Ein weiteres Mal bäume ich mich mich auf. Möchte nicht zulassen, was mit mir passiert. Blicke nach vorne. Versuche verzweifelt zu ignorieren, was gerade mit mir geschieht. Erinnerungen verschwimmen. Denke an nichts. Alle, die mich bis hierher begleitet haben, verschwinden hinter einem milchigen Schleier. Der Schmerz verschließt mir den Zugang zu dieser Welt. Doch in weniger als 24 Stunden kann er mir nichts mehr anhaben.
Dann gleite ich sanft, wie auf wattenen Wolken getragen, in einem warmen, hellen, mich jedoch nicht blendenden Licht, in die unbekannte Ewigkeit; fliege über mein Leben hinfort und sehe die schönsten Bilder meiner Vergangenheit an mir vorbeiziehen. Schwerelos über allem Leid und über allen Sorgen weht mein letzter Gedanke zu euch, mit denen ich zu wenig Zeit verbrachte. Ich umarme euch ein allerletztes Mal und verschwinde in einem silbrigen Licht, ohne Last und Kummer, hin zu einer Welt, in der ich ohne Hast auf euch warten werde. So stelle ich es mir vor.
Die Durchsage kündigt den nächsten Halt an.
Ich muss aussteigen. Der schlimmste Krampf kann mich jetzt nicht daran hindern, meinen letzten Weg zu gehen.
… Ich wünsche euch allen eine gute Reise.

 

Hallo remigi!

Willkommen bei den Wortkriegern.

Du beginnst deinen Text mit dem, was "ich" tut, was "ich" sieht, stinknormale Dinge. Kein guter Einstieg. Über normale Dinge zu lesen ist langweilig, und man weiß als Leser ja auch noch rein gar nichts über das "ich". Wenn man das "ich" kennen würde, wäre man vielleicht bereit, normale Dinge mit ihm zu erleben, aber so?
Später kommt dieses: "Als wäre diese Nachricht, die uns alle veränderte" - und das könnte sicher interessant sein, wenn man wüsste, worum es geht! Aber das verrätst du hier nicht, der Leser muss ins Blaue spekulieren.
Ich kämpfe mich zum Ende vor, über schmerzhafte Krankheit und "meinen letzten Weg" und erkenne hier, sehr spät, in einer Geschichte viel zu spät, das Thema, ein wichtiges Thema, ein interessantes Thema, ein berührendes Thema! Und ein Thema, das eigentlich hier im Forum Diskussionen auslösen müsste. Dass es das nicht tut (erst kürzlich gab es hier von Amelie einen Text zu diesem Thema, wenn auch in eine ganz andere Ecke gezielt), liegt sehr wahrscheinlich nur an dem Textaufbau. Die Leser steigen aus, bevor sie zum Thema kommen!
=> Also, beschäftige dich mit Textaufbau. Wichtige Dinge: Wie baue ich Spannung auf, wie ziehe ich Leser in den Text, wie stelle ich meine Charaktäre vor, so dass Leser sie begleiten wollen.
=> Das Thema ist wirklich topp, remigi! Arbeite an der Umsetzung, ich würde wirklich gerne einen guten Text zu diesem Thema lesen.

Grüße,
Chris

 

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