Eine kleine Familie
“Herr Kleist , Herr Hermann Kleist?!“ ruft der Chef der Auto Fabrik durch den großen Reparatursaal, in dem ich arbeite.
Ich strecke meinen Kopf unter einem Auto hervor:
“Hier bin ich Chef!“ rufe ich. Der Chef bleibt verwundert stehen und sieht sich in der Halle um, bis er mich entdeckt.
“Ah, gut! Ich habe ihnen etwas zu sagen Herr Kleist... aber kommen sie dich bitte erst einmal aus dem Auto hervor!“ gehorsam lege ich den Schraubstock, den ich gerade in der Hand gehalten habe bei Seite und ziehe mich aus dem Auto hervor. Dann klopfe ich den Staub von meiner blauen Arbeiterkleidung ab. Erst jetzt merke ich, dass meine Finger ganz rot und klamm von der Kälte sind.
Wo man auch in der Stadt hinschaut, wird einem das heutige Weihnachtsfest angekündigt. Als ob man es vergessen könnte!
Es ist nicht so, dass ich viel mit Weihnachten am Hut habe. Ich weiß nicht einmal welchen Wochentag wir heute haben. Für mich ist jeder Tag gleich ein Arbeitstag, nur die Abende zu Hause sind bei mir etwas besonderes.
“Herr Kleist...“, beginnt mein Chef von neuem, als ich vor ihm stehe.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Chef mir kündigen will. Ich bin, ohne dabei eitel werden zu wollen, der fleißigste Arbeiter dieser Werkstatt. Ich arbeite von morgens bis spät nachmittags jeden Tag, auch am Samstag und manchmal auch an Sonntagen. Einem Arbeiter, der so viel Überstunden wie ich macht, kann man nicht einfach kündigen.
“Herr Kleist, sie sind ein sehr fleißiger, hervorragender Arbeiter meiner Werkstatt. Ich muss sie wirklich loben, aber haben sie überhaupt schon gemerkt das wir heute Weihnachten haben? Bei ihren vielen Überstunden muß ihnen das Fest der Freude doch sicherlich entgangen sein!“
Ich lächele und schüttele den Kopf:
“Nein, wie soll einem bei dem Medientrubel entgehen das heute Heilig Abend ist?!“
ein anerkennendes Lächeln erscheint auf dem Gesicht meines Chefs.
“Und in Anbetracht dessen, dass sie so ein fleißiger Abeiter sind, gebe ich ihnen den Rest des Tages frei!“ mit diesen Worten klatscht er seine beiden Hände zusammen und sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er fragen wollte: “Na, ist das nicht eine schöne Überraschung, gar ein schönes Weihnachtsgeschenk von mir?!“ als meine Freude ausbleibt, löst sich der gütige Gesichtsausdruck meines Chefs.
“Das wäre nicht nötig gewesen , Chef, sie hätten mich ruhig über die Weihnachtstage arbeiten lassen können...“,
“Ich weiß, das Weihnachtsfest dürfte für sie recht einsam werden und vielleicht auch ein bißchen schmerzlich, in Anbetracht dessen, was ihnen am letzten Heilig Abend passierte, aber sie werden doch sicher zu Verwandten fahren , oder?“ unterbricht mich mein Chef. Ein, für meinen Chef undefinierbares Lächeln erscheint auf meinem Gesicht.
“Nein, das Fest wird für mich nicht einsam werden– nicht so sehr. Schließlich habe ich doch meine “kleine Familie“ mit der ich feiere und ich habe für sie alle auch schon Geschenke besorgt...“,
“Gut, dann feiern sie schön mit ihrer “kleinen Familie“! Ich wünsche ihnen auf jeden Fall von ganzem Herzen ein schönes Fest!“ sagt mein Chef , etwas mitleidig und schlägt mir freundschaftlich auf die Schulter. Ohne jegliche Widerworte nehme ich meinen Beutel, indem mein wichtigstes Werkzeug und mein Vesper ruht und mache mich auf den Weg nach Hause.
Ich wohne nicht weit von der Werkstatt fort. Es ist nur ein kleiner Fußmarsch an einem Fluß entlang durch die Stadt.
Wenn ich auch lieber arbeite, als zu Hause zu sein, so bedeutet das nicht das ich nicht ungern zu Hause bin. Ich mag mein zu Hause.
Ein winziges Backsteinhaus umgeben von lauter großen , gelben Wohnblocks.
Und schließlich wartet zu Hause auch meine Familie. Meine zwei kleinen Söhne Tim und Tom und meine liebe Frau Kassandra, die ich oft liebevoll Kassy nenne.
Ich erinnere mich daran , wie Tim und Tom mir verständnisvoll ihre Köpfe auf meine Knie legten und mich trösteten , als es wieder Nacht wahr und ich begann mich einsam zu fühlen.
Durch sie und Kassy ist mein Leben aufgeblüht. Wenn ich zu Hause bin, verbringe ich jede Minute mit ihnen. Ich spiele mit meinen Söhnen. Ich schmuse mit meiner Frau,
ich bin sogar ein fabelhafter Koch für sie, denn man kann und will nicht gerade behaupten das Kassy gut kochen kann und Tim und Tom sind viel zu klein um die Herdplatte zu erreichen.
Ich bin auch froh darüber, dass wir uns alle so gut verstehen. Kassy und meine Söhne und ich.
Es ist immer lustig, wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme und sobald ich die Haustüre aufmache springen mir meine Söhne entgegen und einen nehme ich manchmal auf den Arm und wirbele ihn durch die Gegend und ich kann an seinen treuen Augen sehen, wie sehr er mich liebt und er weiß auch, dass ich ihn sehr lieb habe.
Meine Familie! Was wäre ich ohne sie? Ich glaube, ohne sie wäre ich gar nicht mehr!
Ich merke gar nicht mehr, wie meine Schritte schneller werden und ich fast nach Hause renne.
Gleich werde ich bei ihnen sein. Gleich werde ich zwischen ihnen sitzen und ihr Dasein genießen... gleich...
Ich schließe die Haustüre auf und es ist so wie immer, wenn ich die Haustüre aufschließe: Meine Söhne Tom und Tim kommen mir entgegen gesprungen und bellen und kleffen aus Herzenslust, weil ich nun endlich zu Hause bin und an diesem kalten Weihnachtstag bei ihnen sein werde und meine Frau Kassy streicht graziös um meine Beine herum und schnurrt, als ich sie am Nacken kraule.
Mein Blick schweift den Kamin, auf dem die Photos meiner richtigen Familie stehen. Meiner Frau und meiner zwei Söhne, die heute genau vor einem Jahr den Tod in den Flammen eines Hausbrandes fanden.
Tom sieht mich fast vorwurfsvoll aus seinen schwarzen Hundeaugen an, als ich wieder vor Traurigkeit und Einsamkeit in mich zusammen sinke. Dann streichele ich sein Fell und er schleckt mir das Gesicht ab und ich fühle wieder die Geborgenheit in dieser “kleinen Familie“.
Es mögen vielleicht nur Tiere sein– aber für mich sind sie mehr als das.
©by Lisa Fellinger