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Eine verhängnisvolle Nacht

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15.12.2009
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Eine verhängnisvolle Nacht

Ich versinke. Knietief stecke ich im Schlamm fest, der erbarmungslos an meinen Lederstiefeln saugt. Ich habe mehr als nur Angst. Wie konnte ich nur in diese schreckliche Situation geraten?
Da war plötzlich dieser Mann gewesen, dieser furchteinflößende Mensch. Nach der ersten Schrecksekunde bin ich einfach losgerannt, hinein ins Gestrüpp, in den rettenden Wald. Ich war total hysterisch, bis der Sumpf meine Flucht abrupt stoppte.
Ich versuche noch einmal mich zu befreien, doch sinke nur weiter. Der Dreck reicht nun annähernd bis zu meiner Hüfte. Mist!
Ich halte still, atme tief durch, sammel Kräfte.
Ich will nicht hier sterben, als Moorleiche, auf ewig unter der Erde konserviert. Ich will nicht erst in tausend Jahren gefunden werden. Tote reden nicht, also würden sie mich aufschneiden und anstarren, um ihre Fragen beantwortet zu bekommen. Gruselige Vorstellung.
Bilder von schrumpligen, äußerst unansehnlichen Skeletten mit dunkler Lederhaut strömen zu Hauf auf mich ein.
Ein Ast knackt.
Ich halte die Luft an, fragt mich nicht warum. Ich bewege mich keinen Millimeter, abgesehen davon, dass ich Stück für Stück tiefer sinke. Meine Gedanken panikieren.
Der Schein einer Taschenlampe streift die Gewächse im Umkreis. Schritte kommen mir so nah, dass ich schweren Atem zu hören glaube.
Doch ich habe Glück, oder wie man es eben sieht, und werde nicht entdeckt.
Erst einmal wieder atmen, nun, zurück zu meinem kleinen Problem.
Was weiß ich über Sumpf und Moorleichen?
Tückisch. Sollte man, wenn möglich umgehen. Ach echt? Da spricht wohl die Intelligenzbestie aus mir. Was noch? Sumpf gleich Insekten. Luft meist schwül. Stickig. Stinkig. Mumifizierung. Ötzi. …
Oh Mann, das bringt mich auch nicht gerade weiter.
Warte mal, habe ich im Ferseh nicht mal was darüber gehört? Wie hieß die Sendung noch?
Ich hab's. GALILEO, die Sendung für Blöde mit Themen wie «Wer macht die größte Bratwurst» und «Fake Check». Aber wenn man essen will läuft halt nie etwas Gutes in der Glotze.
Zurück zu meinen Missgeschick, in dem ich stecke.
Der Schlamm hat meine Hüften schon fast verschlungen. Viel Zeit mich zu befreien bleibt mir demnach nicht mehr. In Galileo machte ein Reporter den Selbstversuch. Angeseilt ging er in das Moor, ein Seil wäre jetzt toll, genau wie ein Eis... Der Typ sank ein und probierte sich zuerst intuitiv zu befreien, so wie ich. Er strampelte unkoordiniert herum, vergeudete wertvolle Kräfte und sank so tief, dass er von Helfern herausgezogen werden musste. Dann bekam er Tipps vom Profi und die probiere ich jetzt in, nennen wir es meinen Selbstversuch, aus.
Er legte sich auf den Rücken.
Ist ein ziemlich ekliges Gefühl. Igitt, pfui. Ich habe Dreck im Mund. Schmeckt der scheußlich.
So, jetzt muss ich nur mit den Armen ein Bein nach dem anderen greifen – gar nicht so einfach- und es herausziehen.
Verdammt! Ich bin eindeutig zu fett. Mein rechtes Bein wiegt ja schon einzeln mindestens eine Tonne.
Ich brauche eine Pause. Durchatmen. …
Ok. Weiter! Letzte kurze Anstrengung. … Geschafft.
Nächstes Bein. … Schleimige Scheiße! Meine Finger rutschen ständig ab.
Weiter, ich schaffe das. ...
Puuh, das war schwer. Jetzt muss ich theoretisch eine große Auflagefläche bilden und dann sollte ich eigentlich nicht mehr einsinken. Also drehe ich mich auf den Bauch und versuche zum Rand zu robben. Hoffentlich funktioniert das.
Ungeschickt, aber vorsichtig bewege ich mich voran und schaffe es tatsächlich. Erschöpft lege ich mich ins Gras. Im Innern jubel ich und mache Freudensprünge. Äußerlich bin ich vollkommen fertig. Ich bin schmutzig und stinke. Meine Frisur ist ruiniert und meine Fingernägel sind abgebrochen.
In der Nähe knackt ein Ast.
Ich erschrecke und kreische und erschrocken vom eigenen Kreischen stürme ich davon, wie ein aufgeschrecktes Reh, lautstark wie ein zentnerschwerer Elefant. Äste peitschen in mein Gesicht, lassen mich am Boden liegend, taumeln und manche von oben schlagen mich fast KO.
Wurzeln behindern mein Laufen. Manche Steine liegen meinen Füssen im Weg und die kalte Nachtluft lässt meine Augen tränen. Aber vielleicht bin ich auch am Weinen, das weiß selbst ich nie so genau.
Ohne dass ich es direkt realisiere, habe ich den Wald verlassen. Ungefähr 100 m entfernt kann ich mein Auto stehen sehen. Meine Rettung.
Ich laufe blind, mit einem Grinsen im Gesicht darauf zu, so schnell wie meine Beine mich noch tragen und meine Lunge Luft zum Atmen hat.
Ein lautes Hupen von links ertönt und ich schwöre mein Herz bleibt stehen. Ich kann nur in diese bedrohlichen Scheinwerfer sehen, bevor ich versuche, à la Hollywood zu agieren. Ich setze zum Sprung an und noch während ich das tue wird mir klar, dass ich zu langsam bin, viel zu langsam. Von wegen, man sieht slow-mo in brenzligen Situationen. Ich sehe normal und ich kann es nicht schaffen. Das Auto weicht aus, kommt ein paar Meter weiter zum Stehen. Ich lande unsanft auf hartem Asphalt, auf einer Schulter aus Glas. Splitternde Schmerzen jagen zeitgleich durch meinen erschöpften und geschundenen Körper. Ich schreie auf und fange leidenschaftlich an zu fluchen.
Was für ein beschissener Tag!
Genervt stehe ich auf.
Der Fahrer des Wagens steht ratlos am Straßenrand.
Der soll bloß seine Klappe halten und weiterfahren. Ich will nur noch zu meinem Auto.
Der Fahrer fährt.
Da ist er, mein wunderschöner Ford Mustang, meine Rettung. Wovor nochmal?
Ah ja, der Mann. Oh Gott, ich muss hier weg. Wo sind nur meine Schlüssel? Hoffentlich habe ich die nicht im Wald oder gar im Sumpf verloren. Da sind sie ja.
Meine Hände zittern, aber meine Schlüssel fallen nicht und ich finde sogar das Schlüsselloch.
Erleichtert lasse ich mich in weiße Ledersitze fallen. Dann muss ich wohl morgen das Auto waschen oder waschen lassen. Mal schauen.
War da nicht noch was gewesen? Ein weiteres Hindernis? Es fällt mir ein, als ich die Schlüssel ins Zündschloss stecke. Mein Tank ist leer. Das hatte ich in der ganzen Aufregung vollkommen vergessen.
Verdammt! Und was jetzt? Wieder da raus?
Währenddessen kommt ein Mann von mir unbemerkt aus dem Wald, in schnellem Schritt. Er kommt fast gelaufen. Ich sehe ihn erst, als er wie ein Verrückter auf mein Fenster einhämmert und spätestens da ticke ich wirklich aus. Ich reiße die Tür auf. Damit hat er wohl nicht gerechnet. Er wird mit stärkster femininer Kraft konfrontiert und landet auf seinem Allerwertesten. Meinen Fuß positioniere ich bedrohlich auf seinen Weichteilen.
«Was willst du von mir», schreie ich.
«Helfen», stammelt er, «ich wollte nur helfen.»
«Von wegen. Sie haben mich angeschrien und verfolgt.»
«Wie bitte? Können Sie lauter sprechen?»
«Angeschrien und verfolgt, sagte ich.»
«Ich höre nicht gut, daher schreie ich vermutlich häufiger. Ich weiss nicht und verfolgt habe ich Sie nur, weil sie in den Wald gelaufen sind. Das ist nicht ganz ungefährlich, müssen Sie wissen. Da gibt es Sümpfe und man kann sich leicht verirren, selbst tagsüber.»
«Ach echt», sage ich eher zu mir selbst, als zu ihm und lasse ihn los.
Meine rechte Schulter tut höllisch weh und die zahlreichen Schnittwunden in meinem Gesicht und auf den Armen brennen.
«Wohnen Sie hier in der Nähe», brülle ich dem Fremden zu.
Er deutet in eine Richtung. Ich sehe die vagen Umrisse eines Gebäudes.
«Haben Sie vielleicht einen Kanister Benzin oder ein Telefon?»
Er nickt und geht voran. Ich folge dem Unbekannten durch die Dunkelheit, zu seinem trauten Heim.

 

Hallo Darinka,

herzlich willkommen hier!

Dein Text lässt sich flott lesen. Die Dialoge sind originell. Die Geschichte ist … ähm, da find ich keine eindeutige Aussage.

Lese ich den Text als Spannungsgeschichte, ist er stellenweise ein wenig unglaubwürdig und presst etliche, in diesem Fall spannungstötende, Lacher hervor.

Im zweiten Durchgang, dann als humorige Story gelesen, gefiel mir der Text besser; konnte ich doch nun entspannt lächelnd solche Stellen genießen:
"Was weiß ich über Sumpf und Moorleichen?
Tückisch. Sollte man, wenn möglich umgehen. Ach echt? Da spricht wohl die Intelligenzbestie aus mir. Was noch?"

Der gesamte Text scheint mir mit einem frechen Grinsen geschrieben. Nun weiß ich nicht, war dieser Stil deine Absicht, oder hat sich da dein unbewusster Schreibstil in den Vordergrund gedrängt?

Gruß

Asterix

 

Hi Asterix,
nun, ich wusste nicht, in welche kategorie ich den text stecken sollte. Dass er nicht so recht als spannungsreicher Text taugt, das hatte ich mir schon gedacht. Er soll ja auch nicht wirklich ernst genommen werden.
Der humoristische Schreibstil war auf jeden Fall beabsichtigt, zumindestens ist es nicht aus Versehen passiert.
Die Geschichte dreht sich halt um eine tollpatschige, selbstironische junge Frau, die zudem sehr schreckhaft ist, aber auch sehr naiv.

Danke für deine Kritik
Darinka

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Darinka,

also ich fand deine Geschichte spannend! Erst gegen Schluss zu bemerkte ich, dass sie ironisch gemeint war und der "gefährliche Unbekannte" nur schwerhörig war und die Tussi davor bewahren wollte, ins Moor zu fallen.

Gruß
Leia4e

 

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