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Gemeinsam
Als David Lesitzki das Licht der Welt erblickte, regnete es. Die Regentropfen kullerten am Fenster des Marienhospitals herunter. Um den kleinen Schreihals standen alle nahen Angehörigen gespannt und fröhlich herum. Das waren Peter, Monika und deren erstgeborene Tochter Ilse. Seine bereits drei Jahre alte Schwester, Ilse, schaute mit großen Augen auf ihren kleinen Bruder. Der Arzt Dr. Polchi hielt es für eine gute Idee, die Familie in den Geburtsvorgang mit einzubeziehen.
„So, jetzt legen wir den kleinen David in den Brutkasten“, erklärte die Hebamme mit ruhiger Stimme. Peter reagierte geschockt. „Warum denn das?“
„Nun, ihr Sohn ist ein Frühchen und zur Beobachtung und Kontrolle ist es angemessen, die Vitalwerte noch einen Monat zu überwachen“, entgegnete sie.
Peter hatte völlig vergessen, dass die Bekanntgabe der Schwangerschaft erst acht Monate zurückgelegen hatte. Monika, völlig erschöpft von der Geburt, ließ einen Seufzer verlauten und ließ sich mit allen Gliedmaßen in das Krankenbett fallen. Die bisherigen acht Monate waren für Sie anstrengend genug und nun vergisst ihr Mann auch noch die wichtigsten Details! Er blickte beteuernd zu ihr und fragte: „Kann meine Frau das Kind denn wenigstens vorher in den Armen halten?“
„Gewiss!“, entgegnete der Arzt und bedeutete mit einer Handbewegung in Richtung Krankenbett der Hebamme, das Kind der Mutter in die Arme zu reichen. Lächelnd schaute diese auf den 2200 Gramm schweren Sohn und nahm ihn am Kopf mit der rechten und am Gesäß mit der linken Hand auf ihren Schoß.
„Mami, Mami, darf ich auch mal“, rief Ilse. Peter nahm sie auf den Arm, ging am Nachttisch, auf dem frisch blühende Sonnenblumen in einer gläsernen Karaffe standen, vorbei. „Halte ihm doch deine Hand entgegen.“ sprach er. So tat sie es, jedoch reagierte David nicht. Er war bereits eingeschlafen. Enttäuscht ließ sie die Hand absinken und wandte sich wieder Ihrem Vater zu. „Sei nicht enttäuscht! Hier, nimm ihn!“
Eine kurze Weile verstrich, ehe Dr. Polchi anmerkte: „So, jetzt ist Zeit für den Brutkasten“. Mit behäbigen Schritten ging er um das Bett auf Ilse zu und nahm David entgegen. „Sie können Ihr Kind morgen in der Brutstation im Erdgeschoß besuchen kommen. Wir geben es in erfahrene und gute Hände. Mein Team wird sich um das Wohl ihres Kindes kümmern.“ Die Hebamme nickte energisch und folgte dem Arzt langsam zur Tür.
„Das geht in Ordnung“, erwiderte Peter und setzte sich auf den mit orangegefärbtem Leder gesattelten Sessel neben den Plastiktisch an der gegenüber des Bettes liegenden Wand. Mit den Augen folgte er, ebenso wie Ilse und Monika dem Weg des Krankenhauspersonals. Als beide das Krankenzimmer verlassen hatten, schloss die Hebamme ohne sich umzudrehen leise die Tür. Fassungslos schaute Peter auf die nun geschlossene weiße Tür. „Kannst du dem Arzt nicht mal vertrauen?“, fragte Monika zornig. Peter dachte kurz nach. Bei Ilse ist die Geburt damals reibungslos verlaufen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, wieso es David so eilig hatte. Er wandte seine Augen von der Tür ab zurück zu seiner Frau und starrte sie mit leerem Blick an. Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte er. Er versuchte sich jedoch nichts anmerken zu lassen. Seine Frau neigte den Kopf zur Seite, wobei sich der gebundene Zopf ihres blonden, welligen Haares löste und die Haare ihre zierlichen Schultern hinabfielen. Sie strich das Haar wieder zurück, sodass es hinter ihrem Nacken zusammenfand. Dabei neigte sie den Kopf zur anderen Seite. Peter liebte es, wenn sie das tat, wusste aber zugleich, dass sie ihm signalisierte, dass sie seine Sorge erkannt hatte. Es war nicht immer leicht mit ihm gewesen. Schließlich war sie diejenige, die ihn vor zehn Jahren als Cannabis-Abhängiger von der Straße geholt hatte. Nach einer einjährigen Abstinenz ging es für das Paar wieder bergauf, Peter erlangte einen gut bezahlten Job in der Verpackungsfabrik im Nachbarort Schwerin und mauserte sich schnell zum Fabrikleiter hoch. Doch selbst nach 10 Jahren war Monika die einzige Person auf der Welt, in die er vollstes Vertrauen schöpfen konnte. Er hatte in seiner Vergangenheit auf der Straße vieles erlebt. Doch diesmal war er sich ganz sicher. Der Arzt kam ihm ungeheuer eigenartig vor. Er stand auf und wollte zur Brutstation eilen.
„Wo gehst du hin?“ ächzte ihm Monika hinterher.
Er drehte sich um. „Bin gleich wieder zurück.“.
Nach einer Weile des Sich-Durch-Fragens im Krankenhaus fand er den Arzt in seinem Büro. Er erkundigte sich, weshalb sein Sohn etwas früher als die normalen neun Monate zur Welt kam.
Alle lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.