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Eiskalt

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23.09.2018
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Eiskalt

Das Geräusch, das die Zentralverriegelung des alten Saab 9000 von sich gibt, ist träge – das widerwillige Knurren eines in seinem Winterschlaf gestörten Tiers. Mit einem kräftigen Ruck reißt Lars die angefrorene Fahrertür auf und schlüpft ins Innere. Einen Augenblick verharrt er in der stillen Dunkelheit. Sein Gesicht brennt von der Kälte. Die Zehen in den schweren Winterstiefeln schmerzen. Er schaltet die Innenraumbeleuchtung ein, überlegt kurz, sich eine Zigarette anzustecken, entscheidet sich jedoch dagegen. In Stalingrad haben sie auch geraucht wie die Schlote, schießt es ihm durch den Kopf. Er weiß nicht, woher dieser Satz kommt – ob er überhaupt stimmt. „In Stalingrad haben sie auch geraucht wie die Schlote“, sagt er zu sich selbst. Seine Stimme klingt trocken, irgendwie unecht.
Er entledigt sich der dicken Fäustlinge, öffnet das Handschuhfach, greift hinein, angelt nach dem, was er schon vor einigen Tagen dort deponiert hat. Der Griff der Makarow ist eiskalt. Lars hat keinen Zweifel, dass sie trotz des Frostes einwandfrei funktionieren wird. Zuverlässige russische Wertarbeit. Was man im Internet nicht alles bekommt.
Das Teil war sogar billiger als der Wagen. Er hätte auch den Golf für die Hälfte haben können. Wahrscheinlich wäre das die klügere Wahl gewesen, aber er wollte schon immer mal ein skandinavisches Auto fahren und wenn nur für eine Nacht.

Die Erde des unbefestigten Wegs ist gefroren. Der Saab wippt auf und ab. Lars hält das Lenkrad mit beiden Händen, die Augen auf den Lichtkegel gerichtet, den die Frontscheinwerfer in das Dunkel des nächtlichen Waldes schneiden.
Er hätte den Wagen irgendwo in der Stadt abstellen können. Es hätte vermutlich keinen großen Unterschied gemacht. Aber sicher ist sicher. Alle Risiken, die sich minimieren lassen, sollte man minimieren. Aus Selbstsicherheit geborene Nachlässigkeit, das weiß er, ist es meist, die solche Pläne am Ende doch scheitern lässt. „Den Son of Sam haben sie gekriegt, weil er zu nahe an einem Hydranten geparkt hatte“, sagt er in seiner In-Stalingrad-haben-sie-geraucht-wie-die-Schlote-Stimme und grinst ein freudloses Grinsen.
Der Tageskilometerzähler, den er vor der Abfahrt auf Null gesetzt hat, zeigt an, dass er bereits sieben Kilometer zurückgelegt hat. Noch zwei, dann sollte er an die Kreuzung kommen. Dort geht es nach links. Nach weiteren dreieinhalb Kilometern wieder links. Dann nochmal acht geradeaus.
Lars ist den Weg noch nie gefahren. Er hat ihn herausgesucht und auswendig gelernt. Hat sich keine Notizen gemacht. Keine vermeidbaren Risiken. Keine Hydranten.

Die letzten anderthalb Kilometer fährt er mit ausgeschaltem Licht. Es ist eine sternenklare Nacht, der Mond beinahe voll.
Lars parkt den Wagen am Rand der breiten Landstraße. Auf den kahlen Äckern zu beiden Seiten glitzern winzige Eiskristalle.
Jetzt zündet er sich eine Zigarette an. Er hatte erwartet, dass seine Hände zittern würden. Sie sind ganz ruhig. Er inhaliert den Rauch, stößt ihn durch die Nase aus.
In dem Haus ein Stück die Straße hinunter brennt noch Licht. Das ist gut. Er ist noch wach. Das Monster, das vier junge Frauen vergewaltigt und umgebracht hat, ist noch wach. Lars nimmt einen tiefen Zug. Die Spitze der Zigarette funkelt orangerot auf. Drei junge Frauen, korrigiert er sich in Gedanken. Es waren drei junge Frauen und ein Kind! Sein letztes Opfer war gerade einmal fünfzehn Jahre alt gewesen.
Die erste vor zwei Jahren, eine letztes Jahr, dieses zwei. Mit der Zeit werden sie gierig. Lars bläst einen dünnen Rauchstrahl gegen die Frontscheibe, auf der bereits Eisblumen zu sprießen beginnen. Aber mit der Gier kommt die Nachlässigkeit.
Jedes Mal war es in einem öffentlichen Park gewesen. Jedes Mal zur Wintersonnenwende. Er hatte seinen Opfern aufgelauert, sie in ein Gebüsch gezerrt. Nachdem er mit ihnen fertig war, hatte er sie gefesselt, geknebelt und mit Wasser übergossen. In allen drei Wintersonnenwendnächten hatten die Temperaturen im zweistelligen Minusbereich gelegen. Vielleicht haben sie noch eine Stunde gelebt. Auf keinen Fall zwei. Ein entsetzlicher Gedanke. Auf keinen Fall zwei. Er schaut zu dem Haus. „Dein Fehler war, dass du gierig geworden bist.“ Diesmal ist seine Stimme alles andere als monoton. „Ein Park in einer Nacht pro Jahr – gut. Aber zwei …“ Er drückt die Zigarette auf dem Armaturenbrett aus. „Zwei sind ein Hydrant!“

Die Hände in den Taschen des Mantels vergraben, geht er neben der Straße entlang auf das Haus zu. Die Fäustlinge hat er im Wagen gelassen. Mit der Rechten umfasst er den Griff der Makarow. Jetzt ist er warm.
Obwohl keine einzige Wolke am Himmel zu sehen ist, schweben feine Polarschneeflocken durch die eisige Mitternachtsluft.
Ein kurzer Schotterweg führt von der Straße zu dem Haus. Lars erkennt den darauf geparkten Wagen, den Wagen, der in jener Nacht auf den Parkplätzen beider Parks stand. Er zieht die Pistole aus der Tasche, lädt sie durch und löst die Sicherung.
Der Kies knirscht unter den Stiefeln.
Es gibt keine Klingel, also schlägt Lars mit dem Knauf der Waffe gegen die weiß lackierte Tür. Er atmet die kalte Luft, horcht. Schritte.
Die Tür öffnet sich. Vor ihm steht ein Mann Mitte dreißig, glattrasiert, das Haar ordentlich geschnitten. Bevor einer von beiden etwas sagen kann, hebt Lars den Arm und drückt ab. Einen grotesken Augenblick lang hält der Körper des Mannes das Gleichgewicht, wankt wie ein Betrunkener leicht vor, zurück und sackt endlich mit einem lächerlich profanen Geräusch in sich zusammen.
Lars dreht sich um und geht zurück in Richtung des Saabs. Er hat neun, vielleicht zehn Stunden, um Wagen und Waffe loszuwerden, nach Hause zu laufen, zu duschen, vielleicht ein wenig zu schlafen. Neun oder zehn Stunden, bevor er wieder hier sein muss, um mit seinen Kollegen die offiziellen Ermittlungen in diesem Fall fortzusetzten.

 

Hi @fuzzbian,

ich fange mal direkt an.

Das Geräusch, das die Zentralverriegelung des alten Saab 9000 von sich gibt, ist träge

Eine Kugel kann träge sein, von mir aus auch ein Pferd oder das morgendliche Aufstehen. Aber ein Geräusch?

Tatsächlich ist es schon schwierig, einen

Zeichensetzung.

eiskaltkalt

Hast dich sicher verschrieben.

Zuverlässige russische Wertarbeit. Was man im Internet nicht alles bekommt.

Rückblickend hätte er als Polizist auch eine ausrangierte / alte / ungenutzte Waffe auftreiben können. Außerdem habe ich keine Ahnung von Munition und Kaliber, aber wäre es so auffällig, einfach seine Dienstwaffe zu nutzen?

Die klumpige Erde des unbefestigten Wegs ist gefroren. Der Saab wippt auf und ab. Lars hält das Lenkrad mit beiden Händen, die Augen auf den matten Lichtkegel gerichtet, den die Frontscheinwerfer in das tiefblaue Dunkel des nächtlichen Waldes schneiden.

Ich finde, hier kommen in kurzer Zeit eine Menge Adjektive vor. Insbesondere den ersten Satz würde ich mir noch einmal vornehmen.

Der Tageskilometerzähler, den er vor der Abfahrt auf null gesetzt hat, zeigt an, dass er bereits sieben Kilometer zurückgelegt hat.

Der gute Lars hat ja wirklich an alles gedacht.

Auf den kahlen Äckern zu beiden Seiten glitzern winzige Eiskristalle.

Würde auch ohne reichen.

„Zwei sind ein Hydrant!“

Tolle Stelle.

Am Schotterweg, der zu dem Haus führt, angekommen

Unglückliche Vormulierung.

Lars erkennt den Wagen, der unter dem wellblechüberdachten Carport steht, den Wagen, der in jener Nacht auf den Parkplätzen beider Parks stand.

Wenn sie den Wagen erkannt haben, warum haben sie ihn dann nicht schon früher verhaftet? Oder ist Lars der Einzige, der davon wusste?

Neun oder zehn Stunden, bevor er wieder hier sein muss, um mit seinen Kollegen die offiziellen Ermittlungen in diesem Fall fortzusetzten.

Solides Ende.

Man merkt, hier hat jemand Ahnung. Ein anschaulicher, sauberer Schreibstil. Auch das ganze Wortfeld rund um Kälte und Schnee ist super, hat mich total angetan. Gefällt mir :thumbsup:.

Viele Grüße
Michel

 

Hi @Meuvind,
lieben Dank fürs Lesen und die Anmerkungen! Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Eine Kugel kann träge sein, von mir aus auch ein Pferd oder das morgendliche Aufstehen. Aber ein Geräusch?
Finde ich im übertragenen Sinne ok.

Rückblickend hätte er als Polizist auch eine ausrangierte / alte / ungenutzte Waffe auftreiben können. Außerdem habe ich keine Ahnung von Munition und Kaliber, aber wäre es so auffällig, einfach seine Dienstwaffe zu nutzen?
Heikel. Dienstwaffe auf keinen Fall. Durch das Riefen-Profil ließe sich die Waffe eindeutig identifizieren. Asservatenkammer oder ähnliches vielleicht, aber ich kann mir tatsächlich vorstellen, dass das Darknet da die einfachere Alternative ist. Außerdem wollte ich für das Szenario einfach eine alte Soviet-Knarre.

Ich finde, hier kommen in kurzer Zeit eine Menge Adjektive vor.
Das kommt davon, wenn man in Jugendtagen zu viel Lovecraft gelesen hat :hmm:

Wenn sie den Wagen erkannt haben, warum haben sie ihn dann nicht schon früher verhaftet? Oder ist Lars der Einzige, der davon wusste?
Vermutlich eine recht frische Ermittlungserkenntnis und vielleicht hat der gute Lars sie ja sogar bewusst ein wenig zurückgehalten…

Tausend Dank jedenfalls für Lob und Anmerkungen!


Hi @Zangarini Gilles ,
auch dir vielen Dank fürs Lesen und die Kommentare! Und natürlich für das Lob :)

Tieres*
Da geht soweit ich weiß beides.

Was den Schotterweg-Satz angeht, grübel und schlaf ich da nochmal drüber. Bin mir da noch nicht so sicher…

Nochmals Danke!

 

Hallo @fuzzbian,

schöne Bilder, die du mit deinen Worten baust. Es gibt viele Stellen die mir sehr gut gefallen haben. Ein paar Schnitzer sind allerdings auch dabei, meine Vorredner haben aber schon darauf hingewiesen, deswegen lasse ich die hier weg. Die Atmosphäre die du in deinem Text entstehen lässt passt sehr gut zur Handlung und dem Thema - ich mag das und ich hätte gerne mehr davon gelesen. Das Potential ist da, denn es passiert nicht viel in deiner Geschichte. Für solch düstere Verhältnisse die mir deine Sprache verspricht, läuft alles viel zu glatt. Was wäre denn, wenn die russische Wertarbeit im entscheidenden Moment nicht hält was sie verspricht, oder ein Kind neben dem Mann auftaucht bevor deine Figur tun kann, wozu sie gekommen ist? Setze deine Figur unter Druck und lass mich erleben, mit wem ich es als Leser zu tun habe. Ich will wissen wie die Figur auf Probleme reagiert und versucht ihr Ziel zu erreichen. Ich könnte mir vorstellen, dass du diese Geschichte noch richtig spannend machen kannst. Sprachlich bist du auf dem besten Weg, nur am Plot hapert es meiner Meinung noch.

LG
Lem Pala

 

Hallo @Lem Pala,
auch dir vielen Dank für die Auseinandersetzung und das Lob!

(@Zangarini Gilles )

Zu der ganzen Plot-Ausbau-Kiste:

Ich hatte die Geschichte als kleine Fingerübung angelegt. Hatte zunächst nur das Bild vor Augen, wie ein Mann in eisiger Nacht in einen Wagen steigt. Daraus ist dann mehr oder weniger beim Runterschreiben der Text geworden. Tatsächlich ging es mir mehr um die Bilder als um einen komplexen Plot oder die Figuren.
Würde ich jetzt die angeregten moralischen Komplikationen einbauen, würde der Text unweigerlich etwas sehr anderes werden (glaube ich zumindest). Vermutlich würde er sogar anfangen etwas sehr anderes als eine KG zu werden, vielleicht mutierte er gar zur Novelle und das kann ja nun wirklich niemand wollen – oder doch? Zugegeben, ich hätte schon Lust, Lars über einen längeren Zeitraum zu begleiten, seinen analytischen Verstand, der am besten unter stickstoffgekühlten Bedingungen zu laufen scheint, auch in hitzigen Situationen arbeiten zu sehen. Vielleicht setz ich mich da mal ran. Für den Moment will ich zumindest diese Geschichte lassen wie sie ist.

Trotzdem tausend Dank für die Anregung und das vermtulich ja dahinterstehende Interesse!
Wer weiß, vielleicht gibt es ja eines Tages ein Wiedersehen mit dem eiskalten Kommissaren.

 

Hallo @fuzzbian,

ich schreibe auch lieber drauf los. Ein Bild im Kopf zu haben, mit dem man startet, ist ein guter Ansatz. Tatsächlich gefallen mir die Bilder alle sehr gut.

„Den Son of Sam haben sie gekriegt, weil er zu nahe an einem Hydranten geparkt hatte“, sagt er in seiner In-Stalingrad-haben-sie-geraucht-wie-die-Schlote-Stimme und grinst ein freudloses Grinsen.
Super geschrieben. Die Sache mit Stalingrad hast du vorher ja bereits abgehakt. Dass der Hydrant nach dieser Textstelle nochmal vorkommt, macht die Sache außerordentlich rund. Du streust Informationen und greifst sie an anderer Stelle wieder auf und lässt so den Leser mitdenken.

Er überlegt kurz eine Zigarette zu rauchen, entscheidet sich dann aber dagegen.
Vorschlag: "Er überlegt kurz, sich eine Zigarette anzustecken, [...]"
In jedem Fall muss nach dem kurz ein Komma.

Im dritten Absatz kommt dann der Ach-darum-gehts-Moment, wo du mit dem Vergewaltiger und Mörder die eigentlich Handlung einleitest. Bis dahin ist ja noch nichts passiert. Dieser Moment kommt aber etwas spät. Wie wäre es, wenn du schon zu Beginn schreibst, worum es geht? Auf diese Weise würdest du dem Leser die Chance geben, auf die Begegnung mit dem Monster hinzufiebern. So, wie es jetzt da steht, taucht der Kerl am Ende auf und wird kurz darauf getötet. Die emotionale Bindung fehlt. Auch bin ich mir nicht sicher, was den Protagonisten genau dazu gebracht hat, ihn umzulegen. Offensichtlich ist er aus beruflichen Gründen vor Ort, nach dieser Straftat gehen die offiziellen Ermittlungen los und alles wird vertuscht. Aber warum brachte er ihn um? Außer Verachtung gibt es da nicht viele Gefühle, mit denen man als Leser arbeiten kann.

Saab 9000 also, verstehe. Nettes Modell. Dennoch bin ich leider nicht in der Lage, mir das Auto dauerhaft vorzustellen. Eine unnötige Information also. Wer sich gar nicht auskennt, könnte das auch fälschlicherweise für einen Hightech-Besen à la Harry Potter halten oder für den Namen einer künstlichen Intelligenz aus 'nem alten Science Fiction-Streifen, der den Weg in deine Welt gefunden hat.

Wie einigen anderen fehlt es mir hier auch noch etwas an Tiefe, da dein Schreibstil sehr gut zur Handlung passt. Da geht aber noch mehr, vorallem im Bezug auf das Ende.

Liebe Grüße,
N. Ostrich

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @fuzzbian,

und ein Willkommen hier.
Ich habe die Kommentare nicht gelesen und steige mal sofort ein.

Der Anfang gefällt mir gut.

Einen Augenblick verharrt er in der stillen Dunkelheit. Sein Gesicht brennt von der Kälte. Die Zehen in den schweren Winterstiefeln schmerzen. Dann schaltet er die Innenraumbeleuchtung ein.
Das "dann" finde ich hier überflüssig. Es bezieht sich auch auf eine Handlung, die schon drei Sätze her ist, hat also keinen direkten Bezug auf den/die Sätze zuvor. (Handlung. Beschreibung. Beschreibung. Fortführende Handlung.)

Dann schaltet er die Innenraumbeleuchtung ein.
Er überlegt kurz eine Zigarette zu rauchen, entscheidet sich dann aber dagegen.
Hier ein weiterer Grund, warum "dann" weg könnte.

In Stalingrad haben sie auch geraucht wie die Schlote, schießt es ihm durch den Kopf. Er weiß nicht, woher dieser Satz kommt – ob er überhaupt stimmt. „In Stalingrad haben sie auch geraucht wie die Schlote“, sagt er zu sich selbst. Seine Stimme klingt trocken,
irgendwie unecht.
Ich persönlich finde das nicht gut, einen Gedanken zunächst durch den Kopf schießen zu lassen und ihn dann wortwörtlich auch noch in wörtlicher Rede wiederzugeben. Der zweite Teil könnte komplett weg.

Tatsächlich ist es schon schwierig, einen im Vergleich zu einer Zigarette so großen Gegenstand mit den Handschuhen anständig zu fassen.
Dieser Vergleich macht mich stutzig, ich überlege, wo der Unterschied liegt, ob ch nun eine Kippe oder etwas Größeres anfasse - und schon werde ich beim Lesen gebremst.

Tatsächlich ist es schon schwierig, einen im Vergleich zu einer Zigarette so großen Gegenstand mit den Handschuhen anständig zu fassen. Also zieht er den Fäustling doch mit den Zähnen herunter und holt die Makarow mit der bloßen Hand heraus.
Zu viel Erklärung.
Handlung A funktioniert nicht, deshalb muss er B tun. Wegen weil.
"Also / doch"- und alle anderen Füllwörter würde ich vermeiden, dann wird es knackiger, prägnanter.

Streiche dir mal alle "also, doch, trotz" usw. an.
Ich habe es mal getan und komme auf 45 Füllworte.
aber, auch, beinahe, bereits, doch, jedoch, schon, sicher, sogar,
überhaupt, vermutlich, vielleicht, wahrscheinlich.

Mein Tipp: Kürze die 45 auf maximal fünf. Du wirst sehen, dass dies dem Text sehr gut tun wird.

Lars hat jedoch keinen Zweifel,
Wieso bringst du den Namen erst jetzt?
Wenn er unwichtig ist, kannst du ihn auch ganz weglassen.

Er ist den Weg noch nie gefahren. Er hat ihn im Netzt herausgesucht und auswendig gelernt. Hat ihn über das freie W-Lan eines Straßencafés recherchiert, auf einem eigens dafür gekauften und bar bezahlten Notebook, dessen formatierte Festplatte jetzt auf dem schlammigen Grund eines Waldtümpels ruht. Keine vermeidbaren Risiken.
Keine Hydranten.
Er, er. Warum nicht Lars?
Netzt --> Netz
Finde ich übertrieben, das mit der Route, dem freien W-LAN, dem neuen Notebook etc.
Außerdem: Wenn man die Festplatte finden sollte, könnten Techniker die Daten rekunstruieren. Pures Formatieren reicht da nicht.
Aber mal im Ernst: Der hätte sich eine Falk-Karte für 6 Euro an der Tanke kaufen sollen für die Wegbeschreibung, anstatt ein Notebook ...

Lars bläst einen dünnen Rauchstrahl gegen die Frontscheibe, auf der bereits Eisblumen zu sprießen beginnen.
Sprießen, also "keimen und wachsen". Kann Zigarettenrauch an der Scheibe das?

Aber zwei…
"Aber zwei …" Leerzeichen, da das Wort vollsltändig ist. Ohne Leerzeichen nur, wenn Wort unvollstän...

„Zwei sind ein Hydrant!“
Was soll das bedeuten?

Am Schotterweg, der zu dem Haus führt, ...
Nur den kurzen Weg, der vom Haus zur Straße führt.
Doppelung.

Neben den vielen Fullworten verwendest du auch viele Adjekive.
Einige Beispiele:

des alten Saab 9000
den schweren Winterstiefeln
die dicken Fäustlinge
mit der bloßen Hand
dem wellblechüberdachten Carport
Ist es wichtig, wie alt der Wagen ist, dass die WInterstiefel schwer, die Fäustlinge dick sind?
Das Dach des Carports tut nichts zur Sache. Nur, wenn es außergewöhnlich und wichtig für die Story wäre, sollte man die Beschaffenheit beschreiben, so meine Meinung.
Dass die Hände "bloß" sind ist außerdem klar, da er die Fäustlinge zuvor ausgezogen hat.

Vom Ansatz gefällt mir die Geschichte gut. Mir fehlen aber Hindernisse auf dem Weg des Protas, seine Gefühle, Ängste. Alles verläuft zu glatt, zu probemlos.
Der Titel passt gut, da zweideutig.

Bin jetzt beim Scrollen über die anderen Kommentare auf dies hier von Lem Pala gestossen, das ich nur unterschreiben kann:

Was wäre denn, wenn die russische Wertarbeit im entscheidenden Moment nicht hält was sie verspricht, oder ein Kind neben dem Mann auftaucht bevor deine Figur tun kann, wozu sie gekommen ist? Setze deine Figur unter Druck und lass mich erleben, mit wem ich es als Leser zu tun habe. Ich will wissen wie die Figur auf Probleme reagiert und versucht ihr Ziel zu erreichen.

Fühle ich mich an diese Geschichte hier erinnert, die ähnlich mit deiner ist. ;)

Hoffe, du kannst mit meinen Hinweisen etwas anfangen und wünsche dir noch viel Spaß hier.

Liebe Grüße, GoMusic

 

Hey @N. Ostrich ,
dake fürs Lesen und die Anmerkungen!

Vorschlag: "Er überlegt kurz, sich eine Zigarette anzustecken, [...]"
Ja, finde ich auch besser. (Werd am WE ne Überarbeitung machen.)

Bis dahin ist ja noch nichts passiert. Dieser Moment kommt aber etwas spät. Wie wäre es, wenn du schon zu Beginn schreibst, worum es geht?
Tatsächlich passiert alles Interessante ja nur auf der Erkenntnisebene des Lesers und nicht innerhalb der Geschichte. Gewissermaßen ein Stück für Stück "Ach, darum geht es". Das ist sicherlich etwas, das man als Schwachpunkt ankreiden kann (und das wurde ja auch berechtigterweise getan). Warum eine Geschichte erzählen, in der eigentlich gar nichts groß passiert. Andererseits ist sie ja nicht gerade lang und es ging mir wie gesagt auch eher um die Stimmung.

Dennoch bin ich leider nicht in der Lage, mir das Auto dauerhaft vorzustellen. Eine unnötige Information also.
Der Saab gehört als schwedisches Fabrikat (genauso wie die Makarow) zum assoziativen Umfeld des Kältthemas.

Wer sich gar nicht auskennt, könnte das auch fälschlicherweise für einen Hightech-Besen à la Harry Potter halten oder für den Namen einer künstlichen Intelligenz aus 'nem alten Science Fiction-Streifen
:lol: Da trau ich meinen Leserinnen und Lersern dann doch ne Ecke mehr zu.

Jedenfalls nochmal danke!


Hallo @GoMusic ,

tausend Dank für die ausführliche Auseinandersetzung!

Ich geh jetzt nicht auf alles einzeln ein, sondern werd mich am WE da mal intensiv ransetzen.

Insbesonder hieran:

Mein Tipp: Kürze die 45 auf maximal fünf. Du wirst sehen, dass dies dem Text sehr gut tun wird.
Das klingt sehr vernünftig!

Zur konfliktlosen Handlung und den Adjektiven hatte ich mich an anderer Stelle schon geäußert.

Fühle ich mich an diese Geschichte hier erinnert, die ähnlich mit deiner ist.
Und auch das werde ich mir am WE gönnen. ;)

Soweit erstmal.
Allerbeste Grüße!

 

Hallo @fuzzbian,

ich tu mich immer ein bisschen schwer, Geschichten zu kommentieren, die schon ein paar Kommentare haben, weil die Gefahr groß ist, einfach nur schon Gesagtes zu wiederholen. Trotzdem möchte ich dir einen kurzen Eindruck dalassen.

@GoMusic hat dich ja bereits auf die Füllwörter hingewiesen, und ja, da da solltest du unbedingt kürzen, das raubt der kalten, einsamen Stimmung, die du durch das Setting und die kurzen Sätze heraufbeschwören möchtest ein wenig die Härte.

Tatsächlich ist es schon schwierig, einen im Vergleich zu einer Zigarette so großen Gegenstand mit den Handschuhen anständig zu fassen.

Der Satz gefällt mir leider gar nicht - "einen im Vergleich zu einer Zigarette so großen Gegenstand", brr, eine ziemlich ungelenke Formulierung, wie ich finde.

auf null gesetzt

Bin mir nicht sicher, aber hätte da eher "auf Null" geschrieben.

Er ist den Weg noch nie gefahren. Er hat ihn im Netzt herausgesucht und auswendig gelernt. Hat ihn über das freie W-Lan eines Straßencafés recherchiert, auf einem eigens dafür gekauften und bar bezahlten Notebook, dessen formatierte Festplatte jetzt auf dem schlammigen Grund eines Waldtümpels ruht.

Hier hakelt es ein bisschen, wie ich finde. Das liegt sowohl am doppelten "Er"-Einstieg als auch an der ... Umständlichkeit des letzten Satzes. Der passt nicht in den bisherigen klaren, knappen Rhythmus, finde ich. Meines Erachtens könntest du die Information "auf einem eigens dafür gekauften und bar bezahlten" komplett streichen und ich würde nichts vermissen. Notebook reicht. Achja - "Netzt" :Pfeif:

Die letzten anderthalb Kilometer fährt er mit ausgeschaltem Licht. Es ist eine sternenklare Nacht und der Mond beinahe voll.

Grundsätzlich ein stimmungsvolles Bild, aber der zweite Satz wirkt wieder wie Infodumping, fände es knapper schöner - "Die letzten anderthalb Kilometer fährt er mit ausgeschaltetem Licht durch die sternenklare Nacht. Der Mond leuchtet ihm den Weg." oder so vielleicht

Jetzt zündet er sich eine Zigarette an.

Ich fühle mich gerade unglaublich kleinlich, und weil ich es noch nicht gesagt habe - nimm dir, was du brauchst, den Rest hau in die Tonne. Aber in der Form wirkt das auf mich wie ... Keine Ahnung, ein Drehbuch oder so. Jetzt zündet er sich eine Zigarette an. Weiß nicht ... Vielleicht kannst du das mit den anderen Sätzen verknüpfen:

"Lars parkt den Wagen am Rand der breiten Landstraße und zündet sich eine Zigarette an. Er hatte erwartet, dass seine Hände dabei zittern würden. Sie sind ganz ruhig. Er inhaliert den Rauch, stößt ihn durch die Nase aus, lässt seinen Blick schweifen. Auf den kahlen Äckern zu beiden Seiten glitzern winzige Eiskristalle."

Er ist noch wach. Das Monster, das vier junge Frauen vergewaltigt und umgebracht hat, ist noch wach.

Hab dich ja schon gewarnt, sehr kleinlich, das alles, aber das beißt sich ein wenig - Er ist noch wach - Das Monster. Vielleicht fällt dir was anderes ein - "Er ist noch wach. Der Bastard, ..." oder so. Und dass er noch wach ist, hab ich schon beim ersten Mal verstanden.

Das Ende der Zigarette funkelt orangerot auf.

"Das Ende der Zigarette", hm, ich weiß nicht ... Warum nicht einfach "Die Glut der Zigarette"?

Die erste vor zwei Jahren, eine letztes Jahr, dieses zwei.

Das macht Sinn, liest sich aber nicht gut, wie ich finde.

Jedes Mal war es in einem öffentlichen Park gewesen. Jedes Mal zur Wintersonnenwende. Er hatte seinen Opfern aufgelauert, sie in ein Gebüsch gezerrt.

Bin kein Zeitenexperte, aber vielleicht eher "Er lauerte seinen Opfern auf, zerrte sie in ein Gebüsch"? Zumal du hier eh einen "hatte"-Overkill hast:

Er hatte seinen Opfern aufgelauert, sie in ein Gebüsch gezerrt. Nachdem er mit ihnen fertig war, hatte er sie gefesselt, geknebelt und mit Wasser übergossen. In allen drei Wintersonnenwendnächten hatten die Temperaturen im zweistelligen Minusbereich gelegen. Vielleicht (haben) sie noch eine Stunde gelebt. Auf keinen Fall zwei.

Da fällt dir bestimmt was eleganteres ein.

Lars will nicht darüber nachdenken. Trotzdem denkt er noch einmal

Hm ...

„Dein Fehler war, dass du gierig geworden bist.“ Diesmal ist seine Stimme alles andere als monoton. „Ein Park in einer Nacht pro Jahr – gut. Aber zwei…“ Er drückt die Zigarette auf dem Armaturenbrett aus. „Zwei sind ein Hydrant!“

Das ist jetzt die dritte Erwähnung der Hydrantensache, ja, das ist ein cooles Ding, aber mir persönlich war schon der zweite Hinweis darauf zu unrund. Und dieser hier wirkt wie ein Witz. Zwei sind ein Hydrant! Nee, das gefällt mir gar nicht, sorry. Außerdem: Leerzeichen vor Auslassungspunkten, das macht man nur, wenn ein Wort unterbr...

Die Hände in den Taschen des Mantels vergraben geht er neben der Straße entlang auf das Haus zu.

Komma nach "vergraben", wenn ich mich nicht täusche

Am Schotterweg, der zu dem Haus führt, angekommen zieht er die Pistole aus der Tasche,

Und hier nach "angekommen", wenn ich mich nicht schon wieder täusche, wobei das dann ein ziemliches Kommamassaker wäre ... Hm ...

lädt sie durch und entsichert sie.

Vielleicht: "und löst die Sicherung"? Kann man das so sagen? Jedenfalls hättest du dadurch das doppelte "sie" weg.

Einen grotesken Augenblick lang hält der Körper des Mannes das Gleichgewicht, wankt wie ein Betrunkener leicht vor, dann zurück und sackt endlich mit einem lächerlich profanen Geräusch in sich zusammen.

Vielleicht eher: "wankt wie ein Betrunkener nach vorne"? Außerdem würde ich ein Komma nach "dann zurück" setzen und: Den "grotesken" Augenblick würde ich noch durchgehen lassen, aber in Kombination mit dem "lächerlich profanen Geräusch" ist mir das zu viel.

Netter Twist am Ende, dass der Rächer der Cop ist, der sich um den Fall kümmern muss, wobei ich mich kurz wundere, dass er dafür zuständig ist, wenn er zehn Stunden mit dem Auto entfernt wohnt. Aber nuja.

Mann, wenn du keinen Bock auf den ganzen Kleinscheiß hast, wirst du mich jetzt wahrscheinlich hassen, ich hoffe aber, dass es dir ein bisschen hilft, auch für die Zukunft. Oftmals sind es nur kleine sprachliche Details, die den Unterschied zwischen "Top!" und "Meh!" machen, denn davon abgesehen habe ich das gerne gelesen. Ja, zugegeben, wahnsinnig innovativ ist es nicht, dieses Stimmungsbild, aber das muss man ja auch erst Mal hinbekommen, so eine Atmosphäre hinaufzubeschwören. Ich habe jedenfalls ein gutes Bild von der Szene vor mir gehabt, besonders die Eiskristalle haben mir gefallen, und klar, ein bisschen Zigarettenrauch schadet nie, um diese ... erwartungsschwangere Stimmung zu erschaffen :Pfeif:

Bin gespannt auf weitere Geschichten von dir.

Bas

 

Hallo @Bas,
auch dir ganz herzlichen Dank für die intensive Auseinandersetzung!

Mann, wenn du keinen Bock auf den ganzen Kleinscheiß hast, wirst du mich jetzt wahrscheinlich hassen
Ganz und gar nicht. Zum einen bin ich ja hier, um an meinen Texten zu arbeiten und daher für jeden Hinweis dankbar, zum anderen interpretiere ich die Fokussierung auf "Kleinscheiß" mal als Indiz dafür, dass es keinen allzu schlimmen Großscheiß gibt. ;)

Wie bereits gesagt, werd ich mich wohl am wieder WE an den Text setzen.

Ach so …

wobei ich mich kurz wundere, dass er dafür zuständig ist, wenn er zehn Stunden mit dem Auto entfernt wohnt
Er wohnt nicht zehn Stunden entfernt, sondern hat zehn Stunden Zeit, um alle Spuren zu verwischen, bis er wieder zur Arbeit (bzw. dann dienstlich zum Tatort zurück) muss.

Nochmals besten Dank!

 

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