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Erdmännchen
Erdmännchen
Jeden Dienstagnachmittag besucht Herr F. den Tierpark.
Nicht, dass er besonders gerne in den Zoo ginge oder eine Leidenschaft für Tiere hätte.
Nicht, dass er gerne auf einer Bank in der Natur säße, um andere Besucher zu beobachten – das alles ist für ihn ohne Belang.
Herr F. hat keine Kinder, die sich gerne die Tiere im Park anschauen würden, er mag auch kein Eis und hält sich sonst eher vom Trubel fern.
Der Grund ist vielmehr: Herr F. hasst Erdmännchen! Erstens gehörten Erdmännchen seiner Meinung nach nicht in deutsche Gefilde, er duldet sie allenfalls in der Kalahari. Zweitens findet Herr F., sollte man sich entscheiden, ob man auf zwei oder auf vier Beinen im Leben steht und drittens erinnern ihn die Erdmännchen in ihrer wachsamen Art an seine verstorbene Mutter. Und die hatte ihn sein Lebtag lang gedemütigt!
Nun mag man sich fragen, warum zum Teufel Herr F. in einen Tierpark geht, in dem es Erdmännchen gibt, wenn er diese so über alle Maßen hasst. Und das hat wieder einen Grund: Herr F. hat einen Plan. Er möchte sich dieser widerlichen Viecher entledigen. Sie umbringen, kaltblütig ermorden! Nur - wie?
Dienstag, 22. Juni.
Herr F. steht unauffällig vor dem Erdmännchenbau und liest die Informationen auf der Tafel. Name: Erdmännchen (Allein dieses Wort zu lesen löst bei ihm bereits Übelkeit aus!) Gewicht: 600 bis 900g (Ein nicht ernstzunehmendes Gewicht.) Lebenserwartung: 12 bis 14 Jahre (Das Alter eines Jugendlichen - die Herr F. sowieso noch nie leiden konnte!)
Eine junge Tierpflegerin schließt gerade das benachbarte Affengehege ab. Herr F. spricht sie scheinbar beiläufig an:
"Sagen Sie mal, wie viele von der Sorte sind das denn hier?"
Die junge Frau lacht und klopft sich die Blätter von ihrem Overall: "Erdmännchen haben wir genau 25, seit im Frühjahr Eva-Luna, Konni und Eric auf die Welt gekommen sind."
"Die haben Namen?" fragt Herr F. entsetzt und weicht ein Stück vom Zaun zurück, als sich eines der Tiere nähert und ihn mit einem so durchdringenden Blick anstarrt, dass Herr F. glaubt, sein Gegenüber könne jeden Moment eine Konversation über Namensgebung beginnen.
"Na klar!" Die junge Frau hebt die rechte Augenbraue ein wenig und sieht ihn kritisch an.
Herr F. macht noch einen Vorstoß, denn dies ist wichtig für seinen Plan: "Welches sind eigentlich die natürlichen Feinde der Erdmännchen?"
Die junge Pflegerin freut sich über das augenscheinliche Interesse von Herrn F. "Also, ich glaube Schlangen - Kobras oder so, Schakale und Raubvögel. Aber Sie können ganz beruhigt sein", sagt sie lächelnd, "die kommen hier nicht rein!"
Herr F. will sich gerade umdrehen und dem Gespräch entfliehen, da fragt das Mädchen neugierig: "Sind Sie Lehrer?"
Und Herr F., der Neugierde fast so sehr hasst wie Erdmännchen, entgegnet ihr knurrend: "Nein, rein privates Interesse!"
Dienstag, 29. Juni
Heute will Herr F. weiter recherchieren. Das mit den natürlichen Feinden hat er sich aus dem Kopf geschlagen. Es erscheint ihm unrealistisch, eine Kobra zu besorgen und in dem Erdmännchenbau auszusetzen. Außerdem könnte die Kobra sicherlich nicht 25 von der Sorte auf einmal verspeisen. Somit fällt auch die Schakal- oder Raubvogelvariante aus. Herr F. muss sich etwas Besseres einfallen lassen.
Die Idee „Tod durch Vergiften“ ist nicht schlecht!
"Hallo! Sind Sie wieder da?" Eine helle Stimme lässt ihn aus seinen mordlustigen Gedanken aufschrecken. Es ist die Tierpflegerin. Sie heißt Nora. Das steht auf einem Schildchen, das links über ihrer Brust an den Blaumann geheftet ist. Aber all das ist ihm völlig gleichgültig, auch dass sich schöne rote Löckchen auf ihrer Schulter ringeln und sich beim Lächeln kleine Grübchen in den Mundwinkeln zeigen.
"Ja, ich bin wieder da. Ist ja ein öffentlicher Ort, oder?" brummt er schlecht gelaunt vor sich hin.
Die junge Frau lässt sich jedoch von seiner Laune nicht beeindrucken. "Schauen Sie noch ein bisschen den Erdmännchen zu, das wird Sie aufmuntern!"
"Ja, das stimmt!" Eine alte Frau, die bis dahin unbemerkt am Zaun gestanden hat dreht sich zu ihnen um. "Seit 23 Jahren komme ich hierher und jedes Mal, wenn ich wieder gehe, bin ich gut gelaunt! Dafür bekommen meine Lieblinge auch immer einen kleinen Leckerbissen." Und da zieht die Alte ein Stückchen Marmorkuchen aus der Handtasche und krümelt es vor den Erdmännchen auf den Boden. Und das Unglaubliche geschieht: Die gesamte Mannschaft stürzt sich auf den Kuchen, sogar das Tier, das bis dahin die Funktion des Aufpassers übernommen hat.
"Sie lieben Marmorkuchen!" Die Augen der Alten leuchten.
Aber die Pflegerin ist beunruhigt. "Lass dich bloß nicht vom Chef erwischen Hilda, du weißt doch, dass Füttern hier streng verboten ist. Und Marmorkuchen ist eigentlich auch nicht das geeignete Nahrungsmittel für Erdmännchen - vielleicht schadet es ihnen sogar, wer weiß?"
Freundlich lächelt Herr F. der Alten zu, denn plötzlich hat er eine Idee. Eine geniale Idee! Frohen Mutes läuft er zum Ausgang und zwinkert der Tierpflegerin sogar übermütig zu, was er bei einer Frau noch nie zuvor getan hat.
Dienstag, 6. Juli
Heute ist es nach dem Gewitter angenehm kühl. Der Tierpark ist gut besucht, Familien mit Kinderwägen stehen vor dem Eiswagen und dem Karussell, Herr F. schüttelt den Kopf über stupide Bemerkungen einiger Mütter, die ihren frechen Rotzlöffeln seiner Meinung nach viel zu viel Aufmerksamkeit widmen.
Er ist jedoch in guter Stimmung, denn er hat sich kundig gemacht, wie er seinen Plan realisieren kann. Dazu muss er zuerst das Vertrauen der Alten gewinnen.
"Hallo, junger Mann!" (Das läuft ja wie am Schnürchen!) "Auch wieder bei den Erdmännchen zu Besuch? Und ich sehe, Ihre Laune ist gestiegen, hab ich Ihnen nicht gesagt, dass die Tiere sie glücklich machen werden?"
Die alte Frau stellt ihre Tasche offen neben Herrn F. auf die Bank und greift hinein, den Kuchen hat sie in ein Stück Alufolie verpackt. Sie wickelt ihn aus und fragt Herrn F. großzügig: "Wollen Sie sie füttern?"
"Aber nein", entgegnet er abwehrend, "sie wissen doch, dass Füttern hier verboten ist. Am Ende vertragen die Erdmännchen den Kuchen nicht!" (Bei dem Wort Erdmännchen steigt Herrn F. die Galle hoch und er hat plötzlich einen ekelhaften Geschmack im Mund).
Die Alte schaut ihn streng an: "Man kann nicht immer nur vernünftig sein im Leben, sonst kommt man zu nichts. Übrigens: Fragen sie Nora doch mal, ob sie mit Ihnen einen Kaffee trinken will, sie sagt bestimmt nicht nein!"
Jetzt ist Herr F. wieder schlecht gelaunt! Er lässt sich doch von einer Halbtoten nicht belehren, was er zu tun und zu lassen hat. Er kneift den Mund zusammen und macht sich zum Aufbruch bereit. Die Erdmännchen stürzen sich auch heute wie die Geier auf den Kuchen. Nora lächelt Herrn F. an, als er an ihr vorübergeht. Sie sieht gut aus in ihrer verschwitzten Arbeitskleidung und er stellt sich einen kurzen Moment vor, wie sie sich in einem kurzen schwarzen Kleid machen würde.
Dienstag, 13. Juli
Heute ist der perfekte Tag zum Morden! Es ist so schwül, dass außer Herrn F. fast niemand im Tierpark ist. Er geht erstaunlich gelassen auf die Bank zu und plötzlich fällt ihm ein, dass das Wetter der Alten vielleicht auch nicht gefällt und sie lieber zu Hause bleibt! Er bekommt einen Schreck, aber da sieht er sie!
"Guten Tag, junger Mann!"
"Guten Tag", entgegnet er höflich und kann es nicht fassen, als sich die alte Dame erhebt und zu ihm sagt: "Könnten Sie einen Augenblick auf meine Tasche aufpassen? Ich muss mal schnell für kleine Mädchen."
Was für ein Glück! Herr F. zieht schnell sein Stück Marmorkuchen, das er gestern extra für die Erdmännchen gebacken hat, aus seinem Jackett. Ein kleines Stückchen Kuchen, das es in sich hat und sogar doppelt so viele dieser Mistviecher auslöschen könnte. Im Gegenzug steckt er sich Hildas Stück in die Tasche. Dann lehnt er sich entspannt zurück. Er ist jetzt so fröhlich, dass er sich tatsächlich überlegt, Nora mal zu einer Tasse Kaffee einzuladen. Die roten Löckchen gehen ihm seit einer Woche nicht mehr aus dem Sinn. Als die Alte zurückkommt, fragt sie ihn wieder, ob er die Erdmännchen nicht füttern wolle, aber er lehnt dankend ab und verabschiedet sich höflich.
Auf dem Weg in Richtung Ausgang hört er noch die Stimme der Alten:
"Nora, du hast recht. Ich sollte die Tiere nicht länger füttern. Aber probier du doch mal meinen Marmorkuchen!"