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Für den Mann, der den Rauch erfand

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28.12.2009
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Für den Mann, der den Rauch erfand

Meine Pfeifen reinige ich immer in einer bestimmten Reihenfolge. Die Brebbias, die Savinellis, dann die Dunhills. Ich besitze über siebzig Pfeifen. Regelmäßig rauche ich nur zwei, vielleicht drei. Sie haben sich in Jahren der Routine durchgesetzt. Ich mag sie aus unterschiedlichen Gründen. Die Form schmeichelt der Hand oder das Holz hat eine besondere Maserung. Drüben im Wohnzimmer stehen Dutzende Einmachgläser voller unterschiedlicher Tabaksorten. Ich habe jedes davon sorgfältig beschriftet. Vor einiger Zeit habe ich es dran gegeben, die Gläser leeren zu wollen. Ich rauche nur noch den Motzek Strang, eine Mischung aus Kentucky, Burley und hellen Virginias, die zu einem dunklem, daumendicken Tabakseil zusammengedreht werden. Ich schneide mit einem scharfen Buckknife dünne Scheiben davon ab, lasse sie eine halbe Stunde lang trocknen und zerteile sie danach in kleine Quadrate.

Meine Frau hatte eine sehr empfindliche Nase, deswegen habe ich schon immer in der Küche geraucht. Ich setze mich jeden Abend mit einem frisch aufgebrühten Kaffee an das Fenster und rauche eine Füllung Motzek. Das Fenster kippe ich an, damit der Rauch abziehen kann, außerdem mag ich die kühle, klare Luft. Für einen mittelgroßen Kopf brauche ich anderthalb Stunden, ich rauche langsam, atme mit der Pfeife. Währenddessen höre ich auf einem Weltempfänger einen Radiosender aus Lubbock, der Cool Jazz und akustischen Blues spielt. Lubbock liegt in Texas. Ich war noch nie in den Vereinigten Staaten, aber ich stelle mir Texas als heiße und leere Wüstenlandschaft vor, flach, braun und ausgedörrt. Ich habe immer davon geträumt mit einem alten Cadillac den Highway entlang zu fahren, Dave Brubeck tönt aus den Boxen und Lina sitzt mit einer Dose Budweiser in der Hand neben mir. Wir fahren einfach so in die Nacht hinein, bis wir nicht mehr können, dann halten wir an irgendeinem billigen Motel an, essen fettige Burger und schlafen in Kingsize-Betten ein.

Die Schicht in der Klinik gegenüber wechselt. Ein paar der Krankenschwestern stehen noch im Hof zusammen und rauchen, die Glut leuchtet im Halbdunkel. Dem Küchenfenster gegenüber liegt ein langer, grauer Balkon, auf dem manchmal ein Arzt steht und dünne Zigarillos pafft. Ich glaube, der Mann ist Kardiologe. Wir nicken uns stumm zu, wenn sich unsere Blicke kreuzen. Die Wohnung ist zu groß für mich allein, das weiß ich, aber es ist mir egal.

Es ist ein altes Haus, im Jahr 1895 gebaut. Es hat zwei Weltkriege unbeschadet überstanden. Vier Parteien und ein großer Garten. Letzten Sommer ist die Familie unter mir ausgezogen. Sie haben über zehn Jahre hier gewohnt und dann noch einmal Nachwuchs bekommen. Drei Zimmer reichten ihnen nicht mehr. Die Wohnung ging an einen jungen Mann, der die Räume allein bezog und die meiste Zeit zu Hause arbeitete. Ich habe ihn in den ersten Monaten so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Er machte kaum Geräusche im Treppenhaus oder in der Wohnung. Manchmal leerte er tagelang seinen Briefkasten nicht. Umschläge und Zeitungen wurden vom Regen durchnässt, bis ich sie aus dem Schlitz zog und zum Trocknen auf die Treppen legte.

Ich schlafe kaum noch. Ich wache meistens gegen zwei, halb drei auf, liege für eine Weile im dunklen Zimmer und stehe dann auf. Es ist eine schöne Zeit, vielleicht die schönste. Kaum Verkehr unten auf der Straße, das Krankenhaus liegt im kalten Licht still da und die Luft erholt sich langsam. Ich öffne die Küchenfenster so weit es geht und lehne mich hinaus, die Hände auf dem Sims, atme ein, atme aus. Dann setze ich frisches Kaffeewasser auf und stelle leise den Weltempfänger an. In Lubbock ist es jetzt nachmittags. Ich höre ein paar Songs und trinke in aller Ruhe eine große Tasse schwarzen Kaffee.

Ich kratzte gerade Tabakreste aus einer Dunhill Cumberland, ein Geschenk von Lina zu meinem sechzigsten Geburtstag, als ich die Geräusche vor der Wohnungstür hörte. Ein mechanisches Klicken, unterbrochen von kurzen Pausen, dann setzte es wieder ein. Ich griff nach dem Zigarrenmesser, das auf dem Tisch neben der Tabakdose lag. Vom Ende des Flurs aus konnte ich Schemen vor dem Milchglas erkennen. Immer noch waren da diese Geräusche. Ich klappte das Messer auf, machte einen Schritt auf die Tür zu und rief: “Wer ist da?”
Das mechanische Geräusch stoppte. Dann ein tiefes Brummen. Jemand klopfte gegen den Türrahmen.
“Wer ist da?”, wiederholte ich und drehte die Klinge in meiner Faust nach unten. Ein Körper sackte gegen die Wand des Hausflurs, ein schweres, dumpfes Geräusch, das Parkett vibrierte kurz. Danach ein langgezogenes Seufzen und eine Stimme, die leise Nein, Nein sagte. Ich kann nicht genau sagen, warum ich die Haustür geöffnet habe.

Er lehnte am Treppengeländer - groß, schlank, mit vollen, lockigen Haaren. Ich roch den stechend scharfen Geruch von hochprozentigem Alkohol an ihm.
“Ich glaube, Sie haben sich im Stockwerk geirrt.”
Er sah mich nicht an. Er nickte und steckte den Schlüsselbund in seine Jackentasche.
“Sie sind eins zu weit oben.”
“Ja”, sagte er und wischte sich mit der Hand über den Mund. “Ich weiß, ich … Tut mir leid.” Er richtete sich auf. “Ich wollte Sie wirklich nicht aufwecken, es ist nur … keine Ahnung, das mit den Stockwerken, ich wohne noch nicht lange hier, und na ja …”
“Sie haben mich nicht aufgeweckt, alles gut.”
Er zeigte auf das Messer in meiner Hand. “Ich mach’ schon keinen Ärger.”
“Es ist drei Uhr morgens”, sagte ich und klappte das Messer zu.
Er holte tief Luft und sagte: “Ja, na klar, klar, verstehe ich.”
“Sie sollten sich vielleicht öfter um ihre Post kümmern.”
“Ach so, Sie waren das immer. Wirklich nett von Ihnen. Ich hab’ zur Zeit einfach viel um die Ohren, und …” Er zuckte mit den Schultern. Er hatte sich bereits umgedreht und einen Schritt in den dunklen Hausflur gemacht, als ich ihn fragte, ob er nicht einen Kaffee wolle. Ich hatte seit Wochen mit niemandem ein Wort gewechselt.

Als er sich ans Ende des Tischs setzte, auf Linas Stuhl, stand ich einen Moment lang vor der Anrichte und wusste nicht weiter. Ich wollte etwas sagen, doch irgendetwas hielt mich zurück. Vielleicht erinnerte er mich an sie, wie er da so betrunken und verloren am Tisch saß, ohne Hoffnung und uneins mit dem Leben. Dann fragte er auf einmal: “Gutes Mahlwerk?” und blickte an mir vorbei auf die Küchenzeile.
Ich nickte. “Aus der Schweiz.”
“Die machen auch gute Schokolade. Hab’ einen Onkel, der lebt in Zweisimmen, ist ein kleines Dorf in den Bergen. Er ist Zahnarzt und verdient ‘n Menge Kohle.” Er schüttelte den Kopf. “In der Schweiz ist es so, dass man einfach auf ein Amt gehen kann und da nachsehen, was der Nachbar verdient.”
“Ja?”
Er nickte.
“Schwarz?”
“Schuss Milch, wenn Sie haben.”
Ich reichte ihm das Milchkännchen und setzte mich wieder. Er nahm die Tasse mit beiden Händen, nippte einmal vorsichtig, setzte sie wieder ab und goss einen Schluck Milch dazu. “Schmeckt gut.”
“Danke”, sagte ich. “Ist das einzige, wofür ich noch Geld ausgebe.”
“Mein Opa hat auch Pfeife geraucht”, sagte er und strich über den Holm der Dunhill. Danach nahm er meinen Blick auf und sagte schnell: “Entschuldigung, das wollte ich nicht.”
Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann räusperte er sich, setzte sich aufrecht auf den Stuhl und sagte: “Ist schon seltsam, oder? Hier zu sitzen, morgens um was, drei Uhr? Und ich meine, wir kannten uns vorher ja nicht, obwohl wir eigentlich …” Er hob seine Hand und ließ sie langsam wieder sinken.
“Ich schlafe selten durch”, sagte ich. “Eines der schönen Dinge des Alters.”
Er lachte und trank einen Schluck Kaffee. “Mein Opa meinte immer, Pfeife rauchen sei eine Kunst.”
“Ist was dran.”
“Wohnen Sie schon lange hier?”
“Dreißig Jahre.”
“Dreißig Jahre”, wiederholte er und hob die Augenbrauen.
“Fast ein halbes Leben.”
“Wenn das hier der dritte Stock ist, dann müssten Sie Herr Ippendorf sein?”
Ich nickte.
“Hans und Katharina Ippendorf”, sagte er und lehnte sich zurück. “Steht jedenfalls unten auf dem Klingelschild, das habe ich mir gerade noch merken können.” Dann beugte er sich über den Tisch, legte seinen Zeigefinger über die Lippen und redete leise weiter. “Hoffentlich wecken wir hier ihre Frau nicht auf, sorry.”
“Nein, sie hat einen tiefen Schlaf. Keine Sorge.”
Er lächelte und nahm die Tasse vom Tisch.
“Was gab es zu feiern?”, fragte ich ihn und drehte den Holm von der Dunhill.
“Nichts zu feiern … manchmal brauch ich das einfach, Festplatte löschen, so nenne ich das. Immer wenn man nicht weiterkommt, dann … na ja.” Er pustete auf den Kaffee. “Nur ein paar Bier und ein paar Schnaps, ich vertrage nicht mehr so viel wie früher.”
“Ja, das kenne ich auch.”
Wir lachten.
“Wie lange wohnen Sie jetzt hier?”
“Ich glaube, schon seit März, ja, im März bin ich eingezogen.”
“Vier Monate … habe ich gar nicht richtig mitbekommen, ich meine, man hört und sieht Sie kaum. Die Familie, die vor Ihnen in der Wohnung gelebt hat, die hatten zwei Jungs, da war immer was los.”
“Kannten Sie die Familie gut, ich meine …”
“Haben etwas über zehn Jahre hier gelebt. Was heißt kennen? Man hat sich gegrüßt.”
“Ich hör’ Sie manchmal, wenn Sie den Jazz aufdrehen.”
“Oh”, sagte ich und rührte mit einem Löffel in meiner Tasse schwarzen Kaffee. “Und ich dachte, es ist noch Zimmerlautstärke.”
Er winkte ab. “Nein, das ist ja gut so, sehr gut sogar. Dann weiß ich, dass noch jemand da ist.”
Ich musste lachen. Dann nahm ich einen Schluck Kaffee und sah ihn mir genauer an. “Was machen Sie - ich meine, beruflich, ihr Beruf. Wenn ich fragen darf?”
“Natürlich dürfen Sie fragen”, antwortete er und schüttelte den Kopf. “Ich bin Übersetzer, ich übersetze Texte aus verschiedenen Sprachen, meistens Italienisch oder Englisch.”
“Texte, was für Texte?”
“Von uns verlange nicht die Formel, die dir die Welten erschließt, eher schon eine krumme Silbe, trocken wie ein Zweig.” Er sah mich an und lachte. “Ossi di seppia - Die Knochen des Tintenfisches. Das erste Buch eines italienischen Dichters, der eigentlich Opernsänger werden wollte, aber festgestellt hat, dass er Publikum hasst.”
“Vermutlich ist dann Dichter tatsächlich die bessere Berufswahl”, sagte ich und schob den Holm zurück in den Pfeifenkopf. “Sind es denn gute Gedichte?”
“Der Mann hat mal geschrieben, dass man einen großen Dichter daran erkennt, dass er früh gestorben ist, deswegen sei er eben nur ein kleiner Dichter.”
“Wie alt ist er geworden?”
“Vierundachtzig.”
Für einen Moment sahen wir schweigend auf die glänzende Oberfläche des Kaffees. Dann sagte er: “Ja, es sind gute Gedichte. Sie sind so gut, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann … weil ich nach dem Wort suche, dem einen, richtigen Wort. Es ist, ich weiß auch nicht …”, er zuckte mit der Schulter und beugte seinen Oberkörper zur Seite, “man will dem Mann gerecht werden, man will dem Werk gerecht werden, und das ist nicht so einfach, wie man denkt.”
“Ich verstehe.”
“Manchmal denke ich, ich habe das Wort gefunden, dann weiß ich, ja, es stimmt, es passt, der richtige Klang, die richtige Bedeutung, alles fügt sich zusammen und ich bin mir sicher, aber eine Stunde später kommen die Zweifel. Es ist wie ein Kartenhaus, das in sich zusammenfällt, ein kleiner Luftstoß reicht schon, das reicht vollkommen, und …” Er klatschte in die Hände. “Ist schwer zu erklären. Und heute, heute hat es einfach gereicht, da musste ich raus.”
“Die Festplatte löschen.”
Er nickte. “Hier in der Kneipe um die Ecke. Musste sein.”
“Wird das gut bezahlt, ihre Arbeit, meine ich?”
“Das letzte Filet Mignon ist schon was länger her.”
“Ich war Uhrmacher”, sagte ich. “Ich habe auch nie viel verdient. Geld ist nicht alles, oder? Zumindest war ich immer der Meinung.”
“Aber ohne Geld ist alles nichts.” Er trank einen Schluck Kaffee. “Letztes Jahr habe ich von ‘nem Stipendium gelebt, die Kulturstiftung war mal großzügig. Nennt sich dann Exzellenzstipendium, weil man sich angeblich mit so anspruchsvollen Sachen beschäftigt.” Er winkte ab. “Da habe ich noch in Berlin gewohnt, ist auch nicht mehr wie früher, billige Mieten und all das, gibt’s nicht mehr. Und, na ja, Sie wissen, wie das ist, ist halt ‘ne große Stadt, man lässt sich ablenken, hier hin, da hin, und am Ende … aber muss ja irgendwie weitergehen.”
“Jetzt sind Sie in der Provinz, da gibt es keine Ablenkung.” Ich lehnte mich zurück. “Doch, diese eine Eckkneipe gibt’s.”
“Es ist so, man sitzt monatelang da, monatelang alleine, man denkt über jedes Wort nach, zerdenkt alles und fängt von vorne an, und wenn man es dann hat …” Er sah mich an und hob langsam die Augenbraue. “Wenn ich bei der Post ein Einschreiben abgebe, dann hat mich noch niemals jemand angesehen, wenn er meinen Namen gelesen hat, verstehen Sie?”
Wir tranken den Kaffee. Ein paar Krankenschwestern redeten auf dem Balkon miteinander, ihre Stimmen gedämpft und undeutlich, dann ein lautes Lachen.
“Mein Opa hat immer Tabak geraucht, der nach Vanille gerochen hat … haben Sie so was auch? Ich weiß nicht, ich habe wirklich lange gedacht, alle Pfeifenraucher rauchen denselben Tabak, ist natürlich Blödsinn, aber als Kind … ich erinner’ mich da gerne dran, er saß immer auf dem Balkon, meine Oma hatte ihm das Rauchen im Haus verboten, und na ja, dann saß er eben da und hat gelesen.”
Ich drückte die Dunhill in das Pfeifenkissen und stand auf. “Warten Sie einen Moment.”
Im Wohnzimmer machte ich das Licht am Regal an. In der hintersten Reihe entdeckte ich das Glas mit dem Roll-Cake. Der Tabak roch immer noch nach warmem Gebäck.

Ich stellte das Glas auf den Tisch. Im Radio lief ein Stück von Charlie Haden. “Lebt ihr Großvater noch?", fragte ich und nahm ein paar Coins aus dem Glas.
Er schüttelte den Kopf. “Krebs.”
“Ein guter Freund von mir ist auch an Krebs gestorben. Leber. Kein schöner Tod.”
“Mein Großvater lag die letzten Wochen im Hospiz, bis oben hin voll mit Morphium. Irgendwann ist er einfach eingeschlafen. Ich war die ganze Zeit bei ihm.”
“Dann müssen Sie ihn gemocht haben.”
“Ja”, sagte er. “Ja, ich habe ihn sehr gemocht.”
Ich stapelte die Coins übereinander, legte sie in den Pfeifenkopf und verteilte ein paar Tabakreste auf der obersten Schicht. Er beobachtete mich die ganze Zeit über, jede einzelne Bewegung. Wie ich das Feuerzeug mit dem langen Hals vom Tisch nahm, wie der Tabak sich nach dem Anzünden ausdehnte, und dann, nachdem ich die erste Glut mit dem Stopfer geglättet hatte, atmete er tief ein und schloss die Augen.
“Ja, genau”, sagte er. “Genau so, wirklich.”
Ich lehnte mich zurück, streckte die Beine aus und schob mir die Pfeife in den Mundwinkel.

Den Tabak hatte ich bei Peter Heinrichs in Köln gekauft, ich erinnerte mich genau an den Tag, es war ein Freitag. Lina liebte es, in den Secondhand-Läden am Hansaring nach Schallplatten zu stöbern. Sie mochte George Brassens und obskurere Musiker wie John Fahey. An diesem Abend überraschte sie mich mit einer neuen Ausgabe der Anthology of American Folk Music. Mein eigenes Exemplar hatte ich vor langer Zeit einem guten Freund ausgeliehen, dann war es über die Jahre in Vergessenheit geraten, wie es so oft der Fall ist. Doch an diesem Abend legte ich die erste der Scheiben auf, stopfte mir eine Pfeife, und wir saßen zusammen am Küchentisch und hörten der Musik zu, den alten Melodien, die ungeschliffen von einer anderen Welt erzählen, von einem anderen Leben, das mir immer näher, echter, größer vorkam. Und auf einmal war alles wieder da. Als stünde Lina in einer dunklen Ecke des Raumes und würde nur darauf warten, dass ich meinen Kopf hebe und wir uns endlich wieder ansehen, ein kurzer, wissender Blick.
“Ich glaube, ich gehe jetzt besser”, sagte er dann und räusperte sich. Ich nickte schweigend. Er stand auf, schob den Stuhl unter den Tisch und blieb in der Tür stehen.
“Danke”, sagte er leise. “Danke nochmal.”

Kurz nach dem Sommer, ein paar Monate später, zog er wieder aus. Ich habe ihn in dieser Zeit weder gesehen noch etwas von ihm gehört. Er lebte dort unten wie ein Geist. Im späten Frühjahr lag ein an Hans und Katharina Ippendorf adressierter Umschlag im Briefkasten. Es war ein Buch mit dem Titel Die Knochen des Tintenfisches. Auf der ersten Seite eine kurze Widmung. Ich habe alle Gedichte gelesen und ich lese sie immer wieder. Bevor ich abends meine Pfeife anzünde, lege ich das Buch auf den Tisch und beschwere die Seiten mit dem Zigarrenmesser. Dann lese ich Wort für Wort und erinnere mich an diese Nacht.

 

Hallo @jimmysalaryman ,

feine Stimmung, die du da in deiner Geschichte verbreitest. Ruhiges Tempo, klare Figuren und bis zum Ende im Thema des Pfeiferauchens geblieben. Hat mir gut gefallen.
Und auch, dass ich automatisch etwas über das mir völlig fremde Pfeiferauchen erfahre.


Ich habe jedes davon sorgfältig beschriftet und in ein Regal geräumt.
Ich würde hier kürzen, wie wäre es nur mit: Jedes davon sorgfältig beschriftet.
Ich schneide mit einem scharfen Buckknife dünne Scheiben davon ab, lasse sie eine halbe Stunde lang trocknen und zerteile sie danach in kleine Quadrate.
Wusste nicht, dass letztendlich doch relativ viel Aufwand betrieben wird.
Für einen mittelgroßen Kopf brauche
Das Wort Kopf, das sicherlich im Fachjargon perfekt gewählt sein dürfte, bringt mich etwas raus, weil ich natürlich sofort an den Menschenkopf gedacht habe. Vielleicht gibt es dafür noch ein anderes Wort?
, flach, braun und ausgedörrt.
Zu Texas fiele mir anstelle von braun, sandig ein.
Budweiser in
Das "i" steht kursiv.
, Dave Brubeck tönt aus den Boxen un
Hier habe ich das als Zitat rausgesucht, weil ich diesen ganzen Absatz einfach gut gelungen finde. Da stimmt alles, die Musik, das Pfeiferauchen, die Atmosphäre und das ihn quasi der Rauch in übertragendem Sinne in ein anderes Land versetzt. An dieser Stelle ist es fast so als sei dies die Erklärung für das Pfeiferauchen des Protagonisten. Er kann damit entspannen und sich wegdenken woanders hin. Gefällt mir sehr gut. Einer der intensivsten Absätze dieser Geschichte.

Die Wohnung ist zu groß für mich alleine, das weiß ich, aber es ist mir egal.
Hier stutzte ich und dachte: ey wieso er allein? Aber dann löst du das ja relativ rasch auf, dass sie gar nicht mehr lebt.

“Ach so, Sie waren das immer. Wirklich nett von Ihnen. Ich hab’ zur Zeit einfach viel um die Ohren, und …” Er zuckte mit der Schulter. “Sie wissen schon, was ich meine.”
Sie wissen schon... würde ich streichen. Das ist etwas drüber.

Ich hatte seit Wochen mit niemandem ein Wort gewechselt.
Der nächste Hinweis, der stutzig macht. Und du baust damit Spannung auf. Jetzt möchte ich nämlich unbedingt wissen, was los ist.

Ich reichte ihm die Milchkanne
Sagt man Milchkanne? Ich verstehe darunter diese großen Blechkannen, in denen die Bauern ihre Milch vor die Tür zum Abholen stellen oder die etwas kleinerern Literblechkannen, die man früher nahm, um sog. frische lose Milch zu holen. Ich würde Milchtüte, Milchdose oder wenn er wirklich vornehme sich das umschüttet, dann Milchkännchen sagen.
“Nein, sie hat einen tiefen Schlaf. Keine Sorge.”
Das mag ich an deinen Texten und ist mir ein Vorbild. Du schaffst es in einem einzigen Satz ganz viel mitzuteilen. Wie tief wohl noch der Schmerz in ihm ist, dass er nicht drüber reden mag, denkt man nun. Denn würde er wahrheitsgemäß sagen, dass Lina nicht mehr lebt, würde dieser Nachbar das nicht übergehen. Genau das meidet dein Protagonist und man spürt, dass er immer noch nicht drüber weg ist.
Er lebte dort unten wie ein Geist, gefangen in einer Art Fieber, stets auf der Suche nach dem richtigen, dem endgültigen Wort.
Das ist zu viel Resümee. Ich würde einfach nur sagen: Er lebte dort unten wie ein Geist.

auch an Lina, die immer noch in einer dunklen Ecke auf mich wartet.
der letzte Satzteil spricht mich nicht so an und zwar "in einer dunklen Ecke" das finde ich störend, missvergnüglich irgendwie. Ich denke, ich könnte damit leben, wenn er einfach nur an Lina denkt, ohne sie irgendwo zu verorten. Wie wär es, wenn du schreibst: " ... an diese seltsame Nacht mit ihm und Lina." Das würde mir reichen. Denn während weiter oben das mit der dunklen Ecke und Lina stimmig klingt und passt, empfinde ich es hier als Fremdkörper.
Der Leser erinnert sich an die Erinnerungen des Protagonisten, darauf kannst du vertrauen.

Wieder mal eine stimmige Geschichte von dir, die ich sehr gern gelesen habe.

Lieben Gruß

lakita

 

Hallo @jimmysalaryman,

naja, es geht doch! Eine gute Geschichte, kann ich nicht anderes sagen. Kein reißerisches Mitleidsfeuerwerk wie in der letzten, sondern leise, feine Töne, wenige Worte und vieles dazwischen. Ich habe die sehr gern gelesen.
Besonders gelungen finde ich die Figur des Übersetzers. Seine Einsamkeit, sein Kampf um das eine richtige Wort und, sein Frust über die mangelnde Anerkennung seiner Arbeit sind sehr schön rübergekommen.

Viele Grüße
Ruess

 

Guten Morgen, @jimmysalaryman,

danke für Deine ruhige, stimmungsvoll und anmutig erzählte Geschichte. Sie hat fast etwas Soghaftes, denn sie nimmt einen mit auf eine Entdeckungsreise. Ich suche zwischen den Rauchwolken und Jazzklängen nach den wenigen Fetzen Realität, und ich erfahre sie dann scheibchenweise: Lina, mit der er sein halbes Leben, seine Musik, seine Träume geteilt hat, ist tot. Und er noch lange nicht drüber weg, vielleicht wird er es auch nie mehr sein. Draußen geht das Leben unbeteiligt weiter, auf dem Balkon der Klinik lacht man, raucht Zigarillos. Und nickt sich unter Rauchern wissend zu, als kenne man das Leben des andern. Doch man weiß so gar nichts von der Tragik, die in einem Leben stecken kann. Das, was Du da zwischen den Zeilen offenbarst, ist kaum auszuhalten. Da kann man nur zur Pfeife greifen und sich einnebeln …

Über zwei Steinchen bin ich dann doch gestolpert:

„Währenddessen höre ich auf einem Weltempfänger einen Radiosender aus Lubbock, der Cool Jazz und akustischen Blues spielt. Lubbock liegt in Texas. Ich war noch nie in den Vereinigten Staaten, aber ich stelle mir Texas als heiße und leere Wüstenlandschaft vor, flach, braun und ausgedörrt. Ich habe immer davon geträumt mit einem alten Cadillac den Highway entlang zu fahren, Dave Brubeck tönt aus den Boxen und Lina sitzt mit einer Dose Budweiser in der Hand neben mir. Wir fahren einfach so in die Nacht hinein, bis wir nicht mehr können, dann halten wir an irgendeinem billigen Motel an, essen fettige Burger und schlafen in King Size Betten ein.“

… das war mir dann doch zu viel Klischee. Ich hatte sofort ein Bild vom Lonesome Rider, der mit seiner Puppe durch die Staaten rockt und unentwegt Jazzmusik hört – ein Traum alt werdender Männer, die ihrem ungelebten Leben hinterherweinen. Vielleicht geht das nicht nur mir so. Du betrittst mit dem Süden der Staaten einen Raum, der bereits voller Assoziationen steckt. Und das nimmt Deinem Protagonisten ein Stück seiner Authentizität weg.

Bei dem späten Gast, Deinem zweiten Lonesome Cowboy, habe ich mich gefragt, wie betrunken er wirklich ist. Wer sich an seiner Wohnungstür irrt und sich mit dem Schlüssel daran zu schaffen macht, hat wohl mehrere Promille intus. Als Dein Protagonist auf den Mitbewohner stößt, kommt sein Zustand auch glaubwürdig rüber:

„Ich roch den stechend scharfen Geruch von hochprozentigem Alkohol, der ihm aus allen Poren drang. (…) Er sah mich nicht an. Er nickte und steckte den Schlüsselbund in seine Jackentasche. (…) “Ja”, sagte er und wischte sich mit der Hand über den Mund. “Ich weiß, ich … Tut mir leid.”
Man hört den unerwarteten Gast lallen und stammeln. Doch dann wird er plötzlich und unerwartet klar:
“Ach so, Sie waren das immer. Wirklich nett von Ihnen. Ich hab’ zur Zeit einfach viel um die Ohren …“
Und weiter unten redet er, wie nur ein nüchterner Mensch um drei Uhr nachts zu sprechen vermag. Ein Beispiel:
“Hans und Katharina Ippendorf”, sagte er und lehnte sich zurück. “Steht jedenfalls unten auf dem Klingelschild, das habe ich mir gerade noch merken können.”

Und schließlich rezitiert er aus einem Gedichtsband, den er übersetzt hat. Ich weiß nicht: so viel Geistesklarheit, so gute Gedächtnisleistungen bei einem, der seine Wohnung nicht mehr findet?

Und noch ne Kleinigkeit:

„Drüben im Wohnzimmer stehen Dutzende Einmachgläser voller unterschiedlichem Tabak.“

… das müsste „voll unterschiedlichen Tabaks“ oder „unterschiedlicher Tabaksorten“ heißen.

Aber sonst eine wirklich schöne und anregende Geschichte, die ich gerne gelesen habe.

Liebe Grüße,

A. Martin

 

feine Stimmung, die du da in deiner Geschichte verbreitest. Ruhiges Tempo, klare Figuren und bis zum Ende im Thema des Pfeiferauchens geblieben.

Moin Lakita,

erstmal danke ich dir für deinen Kommentar. Ich war und bin mir bei dem Text sehr unsicher, da die ja auch fast vollkomen plotlos ist, manchmal ist das schwierig, das solche Texte dann von der Atmosphäre alleine leben (müssen). Das Pfeifenrauchen ist ja hier ein Ritual, das Vergangenheit und Gegenwart vereint, weil es etwas ist, das er schon immer so gemacht hat, eine Art Verbindung. So auch die Musik.

Wusste nicht, dass letztendlich doch relativ viel Aufwand betrieben wird.
Oh, ich denke, die Vorbereitung eines Tabaks ist sozusagen der halbe Spass.

Das Wort Kopf, das sicherlich im Fachjargon perfekt gewählt sein dürfte, bringt mich etwas raus, weil ich natürlich sofort an den Menschenkopf gedacht habe. Vielleicht gibt es dafür noch ein anderes Wort?
Leider ist es wirklich das korrekte Wort, ich überlege, wie ich den Satz ändern kann.
Gefällt mir sehr gut. Einer der intensivsten Absätze dieser Geschichte.
Ja, ein andere Leser fand den zu klischee-haft. Ich verstehe beides. Natürlich ist das eine Trope, die für sich steht - die USA, Cadillac, das Fahren in der Nacht, Walt Whitman und Jack Kerouac, Roadtrip. Die Deutschen betrachten Nordamerika ja auch vollkommen unter einem romantischen Vergrößerungsglas, man sucht eben genau diese Bildnisse. Man könnte so argumentieren, dass das auch der Erzähler weiß. Er weiß um die Klischeehaftigkeit und erzählt es genau deswegen; es ist ein Traum, und fast ja schon so etwas wie ein kleiner Jungen Traum. Man sollte das vielleicht nicht so ganz ernst nehmen. Und: Andere Autoren reiten permanent auf älteren deutschen Herren und ihre Reisen nach Italien herum - da darf ich meine alten Säcke auch nach Texas oder in den Deep South schicken!

Wie tief wohl noch der Schmerz in ihm ist, dass er nicht drüber reden mag, denkt man nun.
Ich glaube, das ist ein wenig auch der Kern dieses Textes. Er lügt, aber das wird nicht weiter reflektiert, sonst entlarvt er sich selbst, es ist auch die Aufgabe des Lesers, das zu transferieren. Sicher gibt es auch hier wieder mehrere Möglichkeiten, wie man das auslegen kann, aber es muss ja keine rationale Aussage getroffen werden, er lügt einfach, er verschweigt etwas, er wird Gründe haben. Müssen wir das so genau wissen?

Denn während weiter oben das mit der dunklen Ecke und Lina stimmig klingt und passt, empfinde ich es hier als Fremdkörper.
Du hast Recht. Mit dem Ende bin ich auch nicht so zufrieden, ich kaue da mal etwas drauf herum. Gib mir etwas Zeit.

Ja, danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar, da ist viel Gutes drin, ich lasse mir alles durch den Kopf gehen und bearbeite dann alsbald.

Gruss Jimmy

wird fortgesetzt

 

Besonders gelungen finde ich die Figur des Übersetzers. Seine Einsamkeit, sein Kampf um das eine richtige Wort und, sein Frust über die mangelnde Anerkennung seiner Arbeit sind sehr schön rübergekommen.

Danke auch dir, @Ruess.

Ja, schön, wenn es so passt für dich. War mir nicht sicher, ob die ganze Figur nicht zu intellektuell daherkommt, aber hey, wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Hallo @A.Martin,

danke dir für deine Zeit und deinen Kommentar.

danke für Deine ruhige, stimmungsvoll und anmutig erzählte Geschichte.
Anmutig klingt gut. Hatte ich noch nie gehört bezüglich meiner Texte.

Das, was Du da zwischen den Zeilen offenbarst, ist kaum auszuhalten. Da kann man nur zur Pfeife greifen und sich einnebeln …
Ich glaube, genau darum geht es auch hier, diese stoischen Rituale im Angesicht aller Vergeblichkeit und Tragik.
Ich hatte sofort ein Bild vom Lonesome Rider, der mit seiner Puppe durch die Staaten rockt und unentwegt Jazzmusik hört – ein Traum alt werdender Männer, die ihrem ungelebten Leben hinterherweinen. Vielleicht geht das nicht nur mir so. Du betrittst mit dem Süden der Staaten einen Raum, der bereits voller Assoziationen steckt. Und das nimmt Deinem Protagonisten ein Stück seiner Authentizität weg.
Ist erstmal gekauft. Ob das jetzt unbedingt mit dem amerikanischen Süden zusammenhängt, sei mal dahingestellt. Die USA sind für die meisten Europäer ein Brennglas, durch das dann alles Mögliche gesehen wird; selten so, wie es tatsächlich ist. Meint auch: natürlich haben wir überproportional viele Bilder im Kopf, die alle irgendwie für die USA stehen und auch für eine gewisse Form der Freiheit, ein Lebensgefühl, was es nur dort zu geben scheint, so meinen wir. Das ist kein Klischee, sondern doch auch die Wahrheit. Ich war auch in Kalifornien unterwegs auf den Spuren Henry Millers am Big Sur und in L.A auf denen von Wallace Berman. Und außerdem! Ich höre damit auf, wenn alle anderen deutschen Autoren mit ihren Italienreisen aufhören! Haha, nein, im Ernst, ich warte mal ab und überdenke die Passage.
Und schließlich rezitiert er aus einem Gedichtsband, den er übersetzt hat. Ich weiß nicht: so viel Geistesklarheit, so gute Gedächtnisleistungen bei einem, der seine Wohnung nicht mehr findet?
Ist ein sehr guter und im Text auch ein unbefriedigender Aspekt. Ich denke, wenn er einfach nur betrunken ist und sich in der Etage irrt, aber nicht unbedingt versucht, das Schloss aufzuschließen, dann würde es eventuell besser passen. Vielleicht, so denke ich, könnte es auch sein, dass diese ganze Aktion nur ein Vorwand ist - schließlich ist auch unser Montale-Übersetzer recht einsam. Aber ich sehe den Punkt total und werde das auch ändern.

Aber sonst eine wirklich schöne und anregende Geschichte, die ich gerne gelesen habe.
Danke dir dafür!

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

Naja, der Titel müsste eigentlich direkt nach der „Zähmung“ des Feuers (und zugleich seiner Entfesselung als Waffe und Rauchmittel) durch den nackten Affen beginnen und wirkt doch wie ein gelungenes Stillleben, nur das es nicht an der Wand hängt, sondern vorm Leser geschrieben steht/liegt – da kann sich sogar ein Nichtraucher in mehr oder weniger süßlichem Pfeifenrauch wohlfühlen – und Ortega wird sich wundern, dass der eine oder die andere in der „einsamen“ Masse pri-vate Reser-vate pflegt … und zugleich Bessie Smith’s “Nobody Knows You, When You’re Down and Out“ oder Lennon’s schrillere Variation über den eigenen Tod “Nobody Loves You (When You’re Down And Out)“ widerspricht, denn bekanntermaßen geht man nicht nur im Rheinland und näherer Umgebung „niemals so ganz“.

Freilich, Bemerkungen wie

“Der Mann hat mal geschrieben, dass man einen großen Dichter daran erkennt, dass er früh gestorben ist, deswegen sei er eben nur ein kleiner Dichter.”
sind gewagte Behauptungen,

lieber Jimmy,

womit wir mit der Flusenlese … you know my name!, ... noch einiges vor uns haben

Ich habe immer davon geträumtKOMMA mit einem alten Cadillac den Highway entlang zu fahren, Dave …
„entlangfahren“ auch in Infinitiefen ein Wort (ich hab immer noch nicht raus jenseits der allgemeinen Feststellung zur Zusammenschreibung »Die Bestandteile von Wortgruppen werden getrennt geschrieben. // Die Bestandteile von Zusammensetzungen werden zusammengeschrieben.« (https://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/getrennt-und-zusammenschreibung)

Danach ein langgezogenes Seufzen und eine Stimme, die leise Nein, Nein sagte.
Sicherlich willstu etwas bestimmtes mit der eher plakativen Großschreibung bewirken, aber der Bestimmtheit in der „leisen“ Stimme bleibt doch m. E. nur in der gramm. korrekten Schreibweise „nein, nein“ erhalten (das korrekte abschließende Symbol wäre m. E. das Ausrufezeichen!)
Ein Ruf kommt nicht unbedingt laut daher und der Ruf, der einem vorauseilt oder hinterherläuft wird ja selten laut vorgetragen, außer -
jemand verspricht sich was vom Lob ...

“Sie sollten sich vielleicht öfter um ihre Post kümmern.”
“Ach so, Sie waren das immer. Wirklich nett von Ihnen.
Warum die einseitige Höflichkeit?, und

hier deren Abschaffung?

“Was machen Sie - ich meine, beruflich, ihr Beruf. Wenn ich fragen darf?”

“Lebt ihr Großvater noch?", fragte ich und nahm ein paar Coins aus dem Glas.

Er zuckte mit der Schulter.
Rechte oder linke? Sähe aber schräg aus ... Warum also nicht „mit den Schultern“?

Ich wollte etwas sagen, ihn fragen, warum er sich einfach auf den Stuhl meiner verstorbenen Frau setzt, warum er nicht fragt, ob und wo er sich setzen dürfe, aber irgendetwas hielt mich zurück.
Warum indirekte Rede im unausgesprochenen ("ich wollte ...) Gedankenstrom?

“Die machen auch gute Schokolade. Hab’ ‘n Onkel, der lebt in Zweisimmen, ist so ein kleines Dorf in den Bergen. Er ist da Zahnarzt und verdient ‘n Menge Kohle.”
Bissken Zusammenführung (hab’n) und Erweiterung (verdient ‘ne []) kann nicht schaden ...

“Was machen Sie - ich meine, beruflich, ihr Beruf. Wenn ich fragen darf?”
...
“Wird das gut bezahlt, ihre Arbeit, meine ich?”

und schließlich die einzige reine Flüchtigkeit
Ich weiß nicht, ich habe wirklich lange gedacht, alle Pfeifenraucher rauchen denselben Tabak, ist natürlich Blödsinn, aber als Kind … ich erinner’ mich da gerne dran, er saß immer auf dem Balkon, auf einem alten Schaukelstuh, ‘n richtiges Klischee - …

Gern gelesen vom

Friedel

 

@Friedrichard

danke dir für deinen Kommentar, den ich aber leider kaum lesen kann. Was ist da passiert? Kannst du das noch irgendwie ändern, geht das? Sonst wird mir schwindelig und ich kippe um. Das kann keiner wollen!

Besten Gruss, Jimmy

 

Hoppela, sieht ja aus, als hätte ein Zeichen (etwa ein S) sich verselbständigt und als S + Strich (CtrI+S) zum Boykott aufgerufen.

Ich probier mal, von hier aus wegzukriegen, ansonsten müsste el Jefe mal schauen ...

Bis gleich!

fw

Bei mir siehts ungestrichen, also natürlich aus (so weit Schrift was Narürliches ist ...)

Bis bald!

Friedel

 

Hallo @jimmysalaryman ,

eine sehr organische, melancholische Geschichte, sie liest sich sehr gut und sie lebt auch von der Stimmung, die du erzeugst. Ist auch keine Stimmung eines unbedingt gewollten Gentlemans Club, in dem zur Pfeife noch der Whiskey und chromfarbene Automobilmodelle herumgereicht werden (ich hoffe, du verstehst, was ich meine), sondern eine, die aus dem Handeln und Denken des Ich-Erzählers erzeugt wird. Kein Realismus, den ich mit irgendeiner eigenen Erfahrung abgleiche, sondern einer, in dem aus dem Text eine Figur glaubhaft handelt.

Andererseits lese ich auch eine starke Sehnsucht aus dem Verlust, den er erlitten hat, ein Fernweh nach Texas oder einer Vorstellung über Texas - das er einen Weltempfänger benutzt und kein Digitalradio empfinde ich als ein sehr stimmiges Detail.

Lina. Du erwähnst an zwei Stellen sehr direkt, dass sie verstorben ist - ich glaube, du kannst Lina noch zurückhaltender präsentieren. Sie bestimmt ja sein Handeln und Denken. Die wenigen Stellen, an denen Lina überhaupt erwähnt sind, erzeugen eine starke Wirkung.

Ich habe ein paar Stellen aufgelistet, die mir aufgefallen sind. Es ist definitiv der Feinschliff; andererseits wirkt dein Text so "geschlossen" und "sauber geschrieben", dass auch kleine Formulierungen sehr auffallend wirken.

Diese Exemplare haben sich in Jahren der Routine durchgesetzt.
Ja, Exemplar, bei diesem Wort bin ich mir unsicher. In Verbindung mit einer Sammlung triggert mich das in ein Museum, in dem auf eine bestimmte, rationale Methode etwas Bestimmtes geordnet und sortiert wird. Du sprichst aber in deinem Text, finde ich, stärker das Emotionale an, das fein, beruhigende, unkitschige Gefühl des Pfeiferauchens, das "Sonnenuntergangsfeeling", das Melancholische.
Vor einiger Zeit habe ich es dran gegeben, die Gläser leer machen zu wollen.
Hm, klingt für mich sehr umgangssprachlich, machen zu wollen, da schwingt die Grammatik das Hackebeil.
Währenddessen höre ich auf einem Weltempfänger einen Radiosender aus Lubbock, der Cool Jazz und akustischen Blues spielt. Lubbock liegt in Texas.
Du hast ja in einem Antwortkommentar geschrieben, dass du "beides" verstehst - Klischee oder passend. Ich habe das nicht als Klischee empfunden, auch, weil es hier um die Beschreibung einer Sehnsucht geht, eines fernen Punktes, den ein Mensch sich erhofft und vorstellt. Da wird eben Texas das Aussehen annehmen, das man sich als Mitteleuropäer zusammenpuzzelt. Soll es eben ein Klischee sein, ist doch egal.
Meine Frau hatte eine sehr empfindliche Nase, deswegen habe ich schon immer in der Küche geraucht.
Ich finde diese Einführung Linas sehr gelungen.
Die Schicht in der Klinik gegenüber wechselt. Ein paar der Krankenschwestern stehen noch im Hof zusammen und rauchen, die Glut leuchtet im Halbdunkel. Dem Küchenfenster gegenüber liegt ein langer, grauer Balkon, auf dem manchmal ein Arzt steht und dünne Zigarillos pafft.
Diese Szenerie habe ich, glaube ich, bei dir schon mal gelesen, oder? Oder irgendwo anders, aber mir kommt der Schichtwechsel eines Krankenhauses sehr bekannt vor.
Siebenundzwanzig davon mit Lina. Die Wohnung ist zu groß für mich alleine, das weiß ich, aber es ist mir egal.
Hier fällt mir die direkte Ansprache an Lina auf. Das wirkt ein wenig unrund, finde ich. Klar, ist deine Sache. Aber hier erhalte ich eine sehr konkrete Vorstellung von seinem Verlust, so konkret, wie nur eine mathematische Gleichung "30-27=3" sein kann.
Manchmal leerte er Tage lang seinen Briefkasten nicht.
tagelang
Ich öffne die Küchenfenster so weit es geht und lehne mich hinaus, die Hände auf dem Sims, atme ein, atme aus.
Bin mir über das "atmen" unsicher. Vielleicht aber auch, weil ich es zu oft als Anzeiger zur Selbstberuhigung einer Figur gelesen habe und mich das immer etwas triggert. Die Szene bestimmt hier die emotionale Lage der Figur.
Ich griff nach dem Zigarrenmesser, dass auf dem Tisch neben der Tabakdose lag.
das
“Ich wollte Sie wirklich nicht aufwecken, es ist nur … keine Ahnung, dass mit den Stockwerken, ich wohne noch nicht lange hier, und na ja …”
das
Ich wollte etwas sagen, ihn fragen, warum er sich einfach auf den Stuhl meiner verstorbenen Frau setzt, warum er nicht fragt, ob und wo er sich setzen dürfe, aber irgendetwas hielt mich zurück.
Auch das würde ich streichen. Linas Stuhl reicht vielleicht. Oder ihren Platz. Ich glaube sogar: Es ist völlig egal, ob die Frau verstorben ist oder ob sie ihn verlassen hat. Im Kern deiner Geschichte versucht ein Ich-Erzähler, den Verlust und Abschied einzuordnen, damit zu leben - warum es zum Verlust kam, spielt, behaupte ich frech, keine Rolle.
Er lehnte am Treppengeländer - groß, schlank, mit vollen, lockigen Haaren. Ich roch den stechend scharfen Geruch von hochprozentigem Alkohol, der ihm aus allen Poren drang.
Kurz zurück: Aus den Poren dringen ... ja, das liest man oft. Ich weiß nicht, ob das so passend ist. Aber hier kann ich nur aus Sprachgefühl argumentieren :-D
Ich nickte. “Aus der Schweiz.”
“Die machen auch gute Schokolade. Hab’ ‘n Onkel, der lebt in Zweisimmen, ist so ein kleines Dorf in den Bergen. Er ist da Zahnarzt und verdient ‘n Menge Kohle.” Er schüttelte den Kopf. “In der Schweiz ist es so, dass man einfach auf so ein Amt gehen kann und da nachsehen, was der Nachbar verdient.”
“Ja?”
Er nickte.
“Schwarz?”
“Schuss Milch, wenn Sie haben.”
Ich finde den Dialog sehr gelungen. Sehr realistisch. Man erzählt etwas über andere Länder und meist wird das mit irgendeinem wunderlichen Detail kombiniert. "In Finnland kostet eine Flasche Wodka 50 Euro und trotzdem trinken alle mehr als in Deutschland". Das lautsprachliche "hab' 'n" ... hm ... er ist ja Übersetzer, er weiß sich auszudrücken. Ich denke nicht, dass er so sprechen wird oder das so in deinem Text angezeigt werden sollte.
“Hans und Katharina Ippendorf”, sagte er und lehnte sich zurück. “Steht jedenfalls unten auf dem Klingelschild, das habe ich mir gerade noch merken können.” Dann beugte er sich über den Tisch, legte seinen Zeigefinger über die Lippen und redete leise weiter. “Hoffentlich wecken wir hier ihre Frau nicht auf, sorry.”
“Nein, sie hat einen tiefen Schlaf. Keine Sorge.”
Diese kleine, große Lüge. Du machst sehr wenig aus der Lüge - du führst es ja nicht weiter aus, du erhöhst hier nicht die Spannung - und das ist für mich eine große Stärke deines Textes. Das ist ja auch eine Flucht, die er betreibt, aber er sieht in dem Gespräch mit dem Übersetzer die Möglichkeit, aus der Realität zu fliehen und sich etwas vorzustellen, was er will oder was er möchte. Und natürlich akzeptiert der Übersetzer das, es ist ja eine vollkommen logische Situation für ihn. Finde ich sehr geschickt gemacht.
Den Tabak hatte ich bei Peter Heinrichs in Köln gekauft, ich erinnerte mich genau an den Tag, es war ein Freitag. Lina liebte es, noch bei SATURN am Hansaring in den Schallplattenregalen zu stöbern. Sie mochte Jaques Brel, George Brassens, aber auch obskurere Musiker wie John Fahey oder Jim Sullivan. Abends überraschte sie mich mit einer neuen Ausgabe der Anthology of American Folk Music.
Zu Beginn deines Textes hätte mich eine solche Menge an Informationen gestört.

Mehr habe ich nicht!
Lg ins Rheinland
kiroly

 

Hallo @Friedrichard

danke dir, jetzt konnte ich alles lesen. Übrigens, das Zitat von dem jungen Dichter, ist ein Originalzitat von Montale. Ein bescheidener Mann durch und durch, das verdient Respekt, wie ich finde.

Die restlichen Flusen lese ich auf, was würde ich nur ohne dich machen!

Hallo @kiroly


Ist auch keine Stimmung eines unbedingt gewollten Gentlemans Club, in dem zur Pfeife noch der Whiskey und chromfarbene Automobilmodelle herumgereicht werden (ich hoffe, du verstehst, was ich meine), sondern eine, die aus dem Handeln und Denken des Ich-Erzählers erzeugt wird

Damit würde ich auch eher Zigarre verbinden. Ich bin auch begeisterter Zigarrenraucher, und ich kenne die einschlägigen Lounges und die dortige Atmo, deswegen rauche ich 99% meiner Zigarren auch bei mir im Garten während des Lagerfeuers. Pfeife hat etwas Altes, Urtümliches, es ist auch der König des Rauchens, weil du wissen musst, was du tust, du musst dein Rauchgerät kennen und die Eigenheiten des Tabaks, ob Flake, Ribbon, Coin, das muss alles bedacht werden. Ich denke, hier ist es eher die Ritualform, das Rituelle an sich, was zur Organität (gibt es den Begriff?) des Textes beiträgt.
Diese Szenerie habe ich, glaube ich, bei dir schon mal gelesen, oder? Oder irgendwo anders, aber mir kommt der Schichtwechsel eines Krankenhauses sehr bekannt vor.
In der That. Es ist einfach so, dass ich tatsächlich einem Krankenhaus gegenüber wohne, und mein Küchenfenster, aus dem ich rauche, genau vor diesen Balkonen liegt. Vielleicht schleicht sich da zu viel real life in meine Texte, haha.

Hier fällt mir die direkte Ansprache an Lina auf. Das wirkt ein wenig unrund, finde ich. Klar, ist deine Sache. Aber hier erhalte ich eine sehr konkrete Vorstellung von seinem Verlust, so konkret, wie nur eine mathematische Gleichung "30-27=3" sein kann.
Ja, ich habe deine Vorschläge alle mal gekauft bezüglich Linas Tod. Das "hatte" am Anfang, so denke ich jetzt, reicht vollkommen aus. Ich dachte mir, bei all den verkürzten, komprimierten Texten, die ich in letzter Zeit verfasst habe, könnte ich mal etwas expliziter werden. Es ist interessant zu beobachten, wie scharfkantig hier im Forum gelesen wird, bezüglich der Preisgabe von Informationen, von Plot, von Verortung, wenn ich das so mit vielen im Fölitang besprochenen Titeln vergleiche, die dann auf den ersten drei Seiten einfach alles sofort verraten ... ich finde das ist ein großes Plus dieses Formuns, und der Art, wie wir hier an Texten arbeiten, dass man genau hinsieht, seine Charaktere nicht verrät, sauber und subtil arbeite, versucht, intelligente Texte zu verfassen - intelligent in dem Sinne, dass sie nicht sofort durchschaubar sind, sondern ihre Stärke und Tiefe auch durch den Transfer des Lesers entfalten.
as ist ja auch eine Flucht, die er betreibt, aber er sieht in dem Gespräch mit dem Übersetzer die Möglichkeit, aus der Realität zu fliehen und sich etwas vorzustellen, was er will oder was er möchte. Und natürlich akzeptiert der Übersetzer das, es ist ja eine vollkommen logische Situation für ihn. Finde ich sehr geschickt gemacht.
Ja, beide erfüllen ja diese Leere mit dem jeweils Anderen, es ist eine gegenseitige Übereinkunft. Übrigens ist diese Situation tatsächlich passiert, ein Nachbar stand vor ein paar Jahren mal hier besoffen vor der Tür und hat versucht, die aufzuschließen ... die Lüge steht natürlich auch ein wenig als Symbol für seine andauerne Trauer, dass er nicht darüber hinweggekommen ist, eine Art Stillstand, aber es sollte nicht aufdringlich wirken, sondern organisch, ohne das Nachfragen entstehen könnten, als Tatsache, als Fakt.

Zu Beginn deines Textes hätte mich eine solche Menge an Informationen gestört.
Ich glaube, ich dünne das auch noch aus. Mir ist das selbst zu viel Namedropping, ich überlege mir da noch eine bessere Alternative.

Was soll ich sagen, toller, wohl überlegter, konstruktiver Kommentar von dir, das freut mich sehr und hilft auch. Besten Dank für deine Zeit, kiroly, und Grüße zurück aus dem Rheinland nach Leipzig.

Gruss, Jimmy

 

Hi @jimmysalaryman !

Tja, sehr viel kann ich nicht mehr beitragen, außer zu sagen, dass dein atmosphärischer Text auch mir zugesagt hat. Dein unaufgeregter Schreibstil ist genau mein Ding. :D

Zwei Mal bin ich gestolpert:

Vor einiger Zeit habe ich es dran gegeben, die Gläser leeren zu wollen.
Klingt für mich grammatikalisch fragwürdig, vielleicht umgangssprachlich.
das Parkett vibrierte kurz.
Das war mir fast etwas zu übertrieben ...

Viele Grüße
Tarkus

 

danke dir, jetzt konnte ich alles lesen. Übrigens, das Zitat von dem jungen Dichter, ist ein Originalzitat von Montale. Ein bescheidener Mann durch und durch, das verdient Respekt, wie ich finde.
...
Die restlichen Flusen lese ich auf, was würde ich nur ohne dich machen!

Wahrscheinlich nix anderes als zuvor,

jimmy,

und mit Sicherheit fiele der nun folgende „herzliche Glückwunsch“ und ein „Dank an @lakita zur Empfehlung“ aus, von dem allerdings keiner was wüsste.

Es wäre wie Rau(s)ch & Sch(w)all -

und Dank für den Hinweis auf Montale - ist schon komisch, von Churchill (unglaublich, aber wahr: auch Literatur- Nobelpreisträger!) ziemlich viel und Dylan ziemlich alles gelesen und (natürlich) gehört (und einmal wahrscheinlich bekifft erlebt) zu haben - aber Montale dann eher durch diesen glücklichen Zufall zu "entdecken".

Tschüss und schönes Wochenende aus'm Pott in den Nahen Süden vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @jimmysalaryman

ein stiller Text. Umrahmt von warmen Alltagsbildern, dem liebevollen Zelebrieren des Pfeiferauchens, dem freundliche Gruß zum unbekannten Kardiologen …
Dann diese Begegnung, eine Momentaufnahme, dieses berührende Kennenlernen. Das gnadenlose Einsamkeit zeigt, ohne eine Zeile darüber zu verlieren.

Drüben im Wohnzimmer stehen Dutzende Einmachgläser voller unterschiedlicher Tabaksorten.
Mir würde es ohne „Drüben“ besser gefallen.
Vor einiger Zeit habe ich es dran gegeben
Da mußte ich überlegen was das heißt: Aufgegeben oder?
Ich setze mich jeden Abend mit einem frisch aufgebrühten Kaffee an das Fenster und rauche eine Füllung Motzek. Das Fenster kippe ich an, damit der Rauch abziehen kann, außerdem mag ich die kühle, klare Luft.
Hier dachte ich: Das Fenster gekippt, damit der Rauch abziehen kann.
Als ich dann weiter las, fiel mir auf, dass dieses häufige „Ich“ (als Stilmittel) bewußt gewählt war.
Drei Zimmer reichten ihnen nicht mehr.
Auf das Ihnen könnte ich auch verzichten
Ich hatte ihn bis zu dieser Nacht fast vergessen.
Das verstehe ich nicht: wenn er doch die Post zum Trocknen auslegt?
Ich schlafe kaum noch. Ich wache meistens gegen zwei, halb drei auf, liege für eine Weile im dunklen Zimmer und stehe dann auf. Es ist eine schöne Zeit, vielleicht die schönste. Kaum Verkehr unten auf der Straße, das Krankenhaus liegt im kalten Licht still da und die Luft erholt sich langsam. Ich öffne die Küchenfenster so weit es geht und lehne mich hinaus, die Hände auf dem Sims, atme ein, atme aus
Macht ihn mir sympathisch. Er findet es nicht schlimm, Nachts aufzuwachen …

Wer ist da?”, wiederholte ich und drehte die Klinge in meiner Faust nach unten.
Wirklich? Die Klinge!
die leise Nein, Nein sagte. Ich kann nicht genau sagen, warum ich die Haustür geöffnet habe. I
Würde mir auch nicht fehlen.
der ihm aus allen Poren drang.
Der unangenehme Geruch nach dem Alkoholgenuss kommt von den Fuselölen und das stinkt aus dem Mund und nicht aus den Poren. (Soviel ich weiß.)
Vielleicht erinnerte er mich an sie, wie er da so betrunken und verloren am Tisch saß, ohne Hoffnung und uneins mit dem Leben.
Hier habe ich mich gefragt ob seine Frau auch getrunken hat?
In der Schweiz ist es so, dass man einfach auf ein Amt gehen kann und da nachsehen, was der Nachbar verdient.”

Danke”, sagte ich. “Ist das einzige, wofür ich noch Geld ausgebe.”
Für Kaffee und Tabak:)
Und ich meine, wir kannten uns vorher ja nicht, obwohl wir eigentlich …” Er hob seine Hand und ließ sie langsam wieder sinken.
Ja und hier sehe ich diese vielen Hochhäuser und diese Anonymität.
Steht jedenfalls unten auf dem Klingelschild, das habe ich mir gerade noch merken können.”
Warum gerade noch? Ich halte diesen Übersetzer für einen klugen Menschen.
“man will dem Mann gerecht werden, man will dem Werk gerecht werden, und das ist nicht so einfach, wie man denkt.”
“Ich verstehe.”
man will dem Dichter gerecht werden, wäre für mich passender.
Wenn ich bei der Post ein Einschreiben abgebe, dann hat mich noch niemals jemand angesehen, wenn er meinen Namen gelesen hat, verstehen Sie?”
Ist das richtig mit dem „dann“?
Als hätte sich Lina in einer dunklen Ecke des Raumes versteckt und würde nur darauf warten,
Warum versteckt? Als wäre Lina hier und würde nur darauf warten …

Schön, wie dieser Text nachwirkt. Ich bin am überlegen, wie viele Zufallsbekanntschaften ich hatte, mit welchen Gefühlen ich diese verbinde und wie wertvoll sie waren. Ich werde jetzt Tommy Dorsey hören und in Erinnerungen schwelgen.

Danke für diesen Text.
Liebe Grüße
CoK

 

Hey @jimmysalaryman

gefällt! Sehr sogar. Wäre eigentlich (für mich) auch eine schöne Challengegeschichte gewesen. Hat doch was warmes, wohliges, wenn die beiden am Tisch sitzen und sich die Einsamkeit vertreiben. Aber gut, deine Entscheidung. Hab mich zwar zwischendurch gefragt, wie der Nachbar erst so sturz-blau sein kann, dass er seine Wohnung nicht mehr findet und kurz darauf ziemlich klar und überlegt redet, also ich hab da immer sehr viel länger für gebraucht :D

Meine Pfeifen reinige ich immer in einer bestimmten Reihenfolge. ...
Der ganze erste Absatz, wo so gar nichts passiert und man auch keine Ahnung davon bekommt, wo sich die Geschichte hinentwickeln könnte, der hat so etwas ganz eigenes. Ich mag den gern. Die Langsamkeit, dieses Ritual , all das beruhigt deinen Prot. und mich gleich mit.

Für einen mittelgroßen Kopf brauche ich anderthalb Stunden, ich rauche langsam, atme mit der Pfeife.
Das hat eigentlich was schönes, wenn er sich jeden Abend für eineinhalb Stunden ans Fenster setzt und nix tut, als rauchen, Kaffeetrinken und Radio hören. Der Mann hat keine Alltagshektik mehr im Leben. Der hat Zeit. Und so schön wie das ist, Zeit ist ja der neue Luxus, so einsam ist es eben auch. Man ahnt, er ist viel allein.

Ich habe immer davon geträumt mit einem alten Cadillac den Highway entlang zu fahren, Dave Brubeck tönt aus den Boxen und Lina sitzt mit einer Dose Budweiser in der Hand neben mir. Wir fahren einfach so in die Nacht hinein, bis wir nicht mehr können, dann halten wir an irgendeinem billigen Motel an, essen fettige Burger und schlafen in King Size Betten ein.
Ein schöner Traum. Und manchmal ist auch gut, wenn sie sich nicht erfüllen. Denn wenn sie gelebt werden, kann man sie nicht mehr träumen. Ich habe auch so zwei, drei davon, die ich mir gut erfüllen könnte, es aber nicht tue, damit ich mich weiterhin in sie flüchten kann, wenn ich sie brauche.

Dem Küchenfenster gegenüber liegt ein langer, grauer Balkon, auf dem manchmal ein Arzt steht und dünne Zigarillos pafft. Ich glaube, der Mann ist Kardiologe.
Ich seh auch ne Klinik, wenn ich aus dem Fenster gucke und ich seh auch die Schwestern rauchen. Aber was sie da in den Händen halten, ob Zigarillo oder Kippe, das kann ich nicht ausmachen. Das mit dem Zunicken, das ist schön.

Ich habe ihn in den ersten Monaten so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Er machte kaum Geräusche im Treppenhaus oder in der Wohnung. Manchmal leerte er Tage lang seinen Briefkasten nicht.
Das ist mal ein Satz, der so viel über diesen Menschen aussagt. Mega! Da weißte gefühlt irgendwie alles über den. Na ja, zumindest ziemlich viel über seine Leben.

Ich wache meistens gegen zwei, halb drei auf, liege für eine Weile im dunklen Zimmer und stehe dann auf. Es ist eine schöne Zeit, vielleicht die schönste.
Ich mag den. Der heult da nicht rum. Der zieht sich was Schönes draus. Der hat sich irgendwie arrangiert. Und er wirkt sehr geerdet auf mich, in sich ruhend.

Danach ein langgezogenes Seufzen und eine Stimme, die leise Nein, Nein sagte. Ich kann nicht genau sagen, warum ich die Haustür geöffnet habe. Ich verließ mich auf mein Bauchgefühl.
Das ist mega pingelig, aber die Haustür ist die Tür zum Haus. Er öffnet ja die Wohnungstür. Mich irritiert so was immer kurz. Tür wäre für mich auch genug an der Stelle, ist ja klar, um welche es sich handelt.

Ich hatte seit Wochen mit niemandem ein Wort gewechselt.
Der Satz tut auch echt weh.

Als er sich ans Ende des Tischs setzte, auf Linas Stuhl, stand ich einen Moment lang vor der Anrichte und wusste nicht weiter. Ich wollte etwas sagen, doch irgendetwas hielt mich zurück.
Das verstehe ich total gut. Der gehört da nicht hin, Linas Platz kann niemand einnehmen. Der bleibt für immer leer. Schätze jedenfalls, dass er das so sieht und ich glaub, er wird ihn auch nicht neu besetzen wollen.

In der Schweiz ist es so, dass man einfach auf ein Amt gehen kann und da nachsehen, was der Nachbar verdient.”
Echt?

Ich reichte ihm das Milchkännchen und setzte mich wieder.
Das Milchkännchen hat sich ja in mein Herz geschlichen. Ich sag mal, zu 95% kriegt man die Milchpackung hingestellt, aber er - Milchkännchen. War ich gleich ganz verliebt.

“Ich schlafe selten durch”, sagte ich. “Eine der schönen Dinge des Alters.”
Sag ja, die meisten würden es eine Bürde nennen.

Dann beugte er sich über den Tisch, legte seinen Zeigefinger über die Lippen und redete leise weiter. “Hoffentlich wecken wir (hier) ihre Frau nicht auf, sorry.”
Ich brauche es echt nicht.

“Nein, sie hat einen tiefen Schlaf. Keine Sorge.”
Er stellt das nicht richtig oder zumindest so, dass man das gut mißverstehen kann. Sprich, über Lina will er mit ihm nicht reden. Das Thema gehört nicht an einen Küchentisch mitten in der Nacht mit einem Unbekannten. Lina ist Privatsache. Sein Schmerz ist Privatsache.

Das erste Buch eines italienischen Dichters, der eigentlich Opernsänger werden wollte, aber festgestellt hat, dass er Publikum hasst.”
:)

“Der Mann hat mal geschrieben, dass man einen großen Dichter daran erkennt, dass er früh gestorben ist, deswegen sei er eben nur ein kleiner Dichter.”
: ))

“Ja, es sind gute Gedichte. Sie sind so gut, dass ich nachts nicht mehr schlafen kann … weil ich nach dem Wort suche, dem einen, richtigen Wort. Es ist, ich weiß auch nicht …”, ...
“Manchmal denke ich, ich habe das Wort gefunden, dann weiß ich, ja, es stimmt, es passt, der richtige Klang, die richtige Bedeutung, alles fügt sich zusammen und ich bin mir sicher, aber eine Stunde später kommen die Zweifel.
Das ist soooo schön! Das ist so zärtlich, so voller Respekt und Hingabe. Die Verantwortung dem Werk gerecht werden zu wollen und die Bürde, die man sich damit auferlegt.

Als hätte sich Lina in einer dunklen Ecke des Raumes versteckt und würde nur darauf warten, dass ich meinen Kopf hebe und wir uns endlich wieder ansehen, ein kurzer, wissender Blick, wie eine warme Berührung auf der weichen Haut, wie etwas, das sich tief im Inneren regt, eine große Sehnsucht, ein Versprechen, nach dessen Erfüllung wir vergeblich suchen.
Allein für diesen Moment, hat sich der Abend doch gelohnt.

Ich habe alle Gedichte gelesen und ich lese sie immer wieder. Bevor ich abends meine Pfeife anzünde, lege ich das Buch auf den Tisch und beschwere die Seiten mit einem Flaschenöffner. Dann lese ich Wort für Wort und erinnere mich an diese seltsame Nacht.
So ein schönes Ende.

Die geschichte ist ja irgendwie traurig, aber auch versöhnlich. Der eine trifft seine Lina wieder und der andere findet später seine Worte. Ach ... das ist einfach traurig schön.

Liebe Grüße!
Fliege

 

und Dank für den Hinweis auf Montale - ist schon komisch, von Churchill (unglaublich, aber wahr: auch Literatur- Nobelpreisträger!) ziemlich viel und Dylan ziemlich alles gelesen und (natürlich) gehört (und einmal wahrscheinlich bekifft erlebt) zu haben - aber Montale dann eher durch diesen glücklichen Zufall zu "entdecken".
Moin Friedel,

was, Drogen? Und wieso wahrscheinlich bekifft? Entweder oder! :D Montale habe ich auch nur durch Zufall kennengelernt, durch einen Freund, der in Italien gelebt hat und auch literarisch begeistert ist. Ist auch eine wohl seltsame und umstrittene Wahl damals gewesen, weil den niemand so richtig auf dem Plan hatte. Ich mag seine Art, eine vollkommen bodenständige Persönlichkeit, der nie viel Gewese um sich selbst gemacht hat; mir imponiert so etwas, wenn ich mir unsere deutschen Großschriftsteller dagegen so ansehe, die am liebsten hätten, dass man jeden Furz, den sie tun, noch ausführlich inspizieren.

ein stiller Text. Umrahmt von warmen Alltagsbildern, dem liebevollen Zelebrieren des Pfeiferauchens, dem freundliche Gruß zum unbekannten Kardiologen …
Dann diese Begegnung, eine Momentaufnahme, dieses berührende Kennenlernen. Das gnadenlose Einsamkeit zeigt, ohne eine Zeile darüber zu verlieren.
Hallo @CoK

und danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit. Ja, still, ich weiß nicht. Ich habe gerade einen Roman beendet, in dem quasi nichts passiert. Wenn mich jemand fragen würde, worum es da geht, oder besser: was genau passiert, müsste ich antworten: eigentlich nichts. Natürlich gibt es ein Thema, aber das liegt irgendwo ganz weit hinten im Wahrnehnumgsraum, und für mich wird es da gerade im Moment erst richtig interessant, wenn ein Text eher ein Gefühl transportiert als sich direkt zu offenbaren. Ich lese gerade die Stories von Robert Olen Butler, und da geht es in einer um einen Papagei, den der Großvater der Protagonistin schon besessen hat, es sind Vietnamesen, sie lebt schon lange in den USA, aber der Papagei (die können ja hundert Jahre alt werden) spricht Worte in Vietnamesisch, an die sie sich erinnert, die ihr Großvater dem Tier beigebracht hat, und so wird auch sein Geist quasi heraufbeschworen. Es passiert nichts in dem Text, aber es wird eine ganze Ahnengeschichte erzählt, wenn man das will, wenn man sich darauf einlässt.

Zu den einzelnen Passagen, die du angemerkt hast: die sehe ich mir bei der nächsten Überarbeitung genau an und pinne dich dann bei der neuen Version an. Ich hoffe, das ist okay so.

Wäre eigentlich (für mich) auch eine schöne Challengegeschichte gewesen. Hat doch was warmes, wohliges, wenn die beiden am Tisch sitzen und sich die Einsamkeit vertreiben. Aber gut, deine Entscheidung.
Hallo @Fliege,

danke auch dir für deinen Kommentar. Hatte ich mir fast überlegt, aber war mir nicht sicher, ob das Ende auch wirklich happy im Sinne von Happy End ist. Weißt du, was ich meine? Kann man aber auch noch in die Challenge packen, ich würde die Entscheidung jedoch ganz neutral jemand anderem überlassen.

Der ganze erste Absatz, wo so gar nichts passiert und man auch keine Ahnung davon bekommt, wo sich die Geschichte hinentwickeln könnte, der hat so etwas ganz eigenes. Ich mag den gern. Die Langsamkeit, dieses Ritual , all das beruhigt deinen Prot. und mich gleich mit.
Ich glaube, der Einstieg wirkt insgesamt ruhig, vielleicht wird deswegen auch die ganze Geschichte so wahrgenommen. Quinn hat mal sinngemäß gesagt, wenn ein Erzähler erst einmal richtig etabliert ist, dann nimmst du ihm fast alles ab, und das stimmt auch. Wenn du einmal diese Instanz als glaubwürdig eingeführt hast, kannst du den Leser mit in Höhen und Tiefen nehmen, das sind dann die Bücher, wo du dich am Ende fragst, was habe ich hier eigentlich gelesen, WAS zur Hölle ist da gerade passiert?
Ein schöner Traum. Und manchmal ist auch gut, wenn sie sich nicht erfüllen. Denn wenn sie gelebt werden, kann man sie nicht mehr träumen. Ich habe auch so zwei, drei davon, die ich mir gut erfüllen könnte, es aber nicht tue, damit ich mich weiterhin in sie flüchten kann, wenn ich sie brauche.
Gab es ja unterschiedliche Meinungen drüber. Ich kann das verstehen, ist vielleicht auch ein eher maskuliner Traum, Roadtrip und so, man hat da direkt irgendwelche Renter auf Harleys im Kopf, Route 66, oder so Männer, die eigentlich noch Jungs sind und unbedingt Kerouac huldigen wollen, verstehe ich. Allerdings haben 90% der deutschen Autoren einen ausgesprochenen Italien-Fetisch, da wird immer an der Toskana geschlemmt oder die schönen Menschen in Rom bewundert, und solange das so ist, halte ich mit Nordamerika dagegen, schon aus reaktionärem Prinzip!

Das ist mal ein Satz, der so viel über diesen Menschen aussagt. Mega! Da weißte gefühlt irgendwie alles über den. Na ja, zumindest ziemlich viel über seine Leben.
Ich sehe das auch so. Manche Menschen sind ja wirklich so, die gehen fast ungesehen und ungehört durchs Leben, schon seltsam irgendwie. Das fällt nie auf, bis man sich das mal selbst fragt, was bekommen eigentliche andere von einem mit und was bekommen wir von anderen mit?
Er stellt das nicht richtig oder zumindest so, dass man das gut mißverstehen kann. Sprich, über Lina will er mit ihm nicht reden. Das Thema gehört nicht an einen Küchentisch mitten in der Nacht mit einem Unbekannten. Lina ist Privatsache. Sein Schmerz ist Privatsache.
Ja, so denke ich auch. Im Grunde weiß man ja immer noch nichts Genaues, aber er lässt da eben auch nichts zu, diese Tür bleibt geschlossen.
Das ist soooo schön! Das ist so zärtlich, so voller Respekt und Hingabe. Die Verantwortung dem Werk gerecht werden zu wollen und die Bürde, die man sich damit auferlegt.
Ich finde, das wird viel zu wenig gewürdigt. Übersetzer werden ja mittlerweile schon genannt. aber es gibt eben auch wirklich viel Schlechtes, weil die Übersetzungen schnell passieren müssen und da wird oft nicht richtig auf den Tonfall und den Sound geachtet, und das ist eben wirklich komplex, weil man alles beachten muss, Regiolekte, stehende Begriffe, Slang, alles. Das ist, wie ich finde, hochkompliziert und individuell, und es wird zu wenig honoriert.

Die geschichte ist ja irgendwie traurig, aber auch versöhnlich. Der eine trifft seine Lina wieder und der andere findet später seine Worte. Ach ... das ist einfach traurig schön.
Schön, wenn du es so liest. So war es gedacht. Ja, danke nochmal für deinen tollen Kommentar!

Gruss, Jimmy

 

Guten Morgen @jimmysalaryman

ich habe Deine Geschichte sehr sehr gerne gelesen. Sie verströmt eine Große Ruhe und Gelassenheit. Das Tempo ist gemächlich, der Text hat seine ganz eigene Melodie. Ich mag die fein gezeichneten Charaktere und das anheimelnde Setting. Mit Pfeifen kenne ich mich gar nicht aus, aber das Thema vermittelt Gemütlichkeit. Da ist keine Hektik, der Protagonist nimmt sich Zeit, genießt. Du transportierst Melancholie, die Einsamkeit der beiden Sehnsucht. Dennoch hab ich beim Lesen das Gefühl, dass der Pfeifenraucher mit sich im Reinen ist. Alles ist sehr präzise formuliert. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Ich mag es, wie subtil Du große Emotionen rüberbringst. Die Geschichte und auch die Charaktere sind absolut glaubhaft. Beim Lesen entsteht eine große Nähe und Verbundenheit mit den beiden.

Hier ein paar Leseeindrücke:

Ich öffne die Küchenfenster so weit es geht und lehne mich hinaus, die Hände auf dem Sims, atme ein, atme aus. Dann setze ich frisches Kaffeewasser auf und stelle leise den Weltempfänger an. In Lubbock ist es jetzt nachmittags. Ich höre ein paar Songs, trinke in aller Ruhe eine große Tasse schwarzen Kaffee,

Das ist so eine schöne Szene. Wie er da ganz bei sich ist, seine Rituale pflegt. Ich kann mir alles sehr gut vorstellen.

“Nein, sie hat einen tiefen Schlaf. Keine Sorge.”

Uff. Da kriegt man Gänsehaut.
Ich finde es übrigens toll, dass Du so subtil andeutest, dass sie tot ist. Mit dem "hatte" war mir alles klar und hier dachte ich, ich kanns total nachvollziehen, dass er in dem Moment nicht drüber reden möchte.

“Mein Opa hat immer Tabak geraucht, der nach Vanille gerochen hat … haben Sie so was auch? Ich weiß nicht, ich habe wirklich lange gedacht, alle Pfeifenraucher rauchen denselben Tabak, ist natürlich Blödsinn, aber als Kind … ich erinner’ mich da gerne dran, er saß immer auf dem Balkon, auf einem alten Schaukelstuhl, ein richtiges Klischee - meine Oma hatte ihm das Rauchen im Haus verboten, und na ja, dann saß er eben da und hat gelesen.”

Sehr schön diese Erinnerungssequenz an den Opa. Auch das vermittelt Gemütlichkeit, Ruhe.

Doch an diesem Abend legte ich die erste der Scheiben auf, stopfte mir eine Pfeife, und wir saßen zusammen am Küchentisch und hörten der Musik zu, den alten Melodien, die ungeschliffen von einer anderen Welt erzählen, von einem anderen Leben, das mir immer näher, echter, größer vorkam.

Sehr schön geschrieben. Ich mag es, wie Du auch die Träume nach der Ferne und die Musik in Deine Geschichte einbindest.

Und auf einmal war alles wieder da. Als hätte sich Lina in einer dunklen Ecke des Raumes versteckt und würde nur darauf warten, dass ich meinen Kopf hebe und wir uns endlich wieder ansehen, ein kurzer, wissender Blick, wie eine warme Berührung auf der weichen Haut, wie etwas, das sich tief im Inneren regt, eine große Sehnsucht, ein Versprechen, nach dessen Erfüllung wir vergeblich suchen.

Auch eine Gänsehautstelle. Ich finde es schön, dass die nächtliche Begegnung das auslöst.

Kurz nach dem Sommer, ein paar Monate später, zog er wieder aus. Ich habe ihn in dieser Zeit weder gesehen noch etwas von ihm gehört. Er lebte dort unten wie ein Geist. Im späten Frühjahr lag ein an Hans und Katharina Ippendorf adressierter Umschlag im Briefkasten. Es war das Buch mit dem Titel Die Knochen des Tintenfisches. Auf der ersten Seite eine kurze Widmung, sie bestand nur aus einem einzigen Wort: Saudade. Ich habe alle Gedichte gelesen und ich lese sie immer wieder. Bevor ich abends meine Pfeife anzünde, lege ich das Buch auf den Tisch und beschwere die Seiten mit einem Flaschenöffner. Dann lese ich Wort für Wort und erinnere mich an diese seltsame Nacht.

Das berührt! Geht total ans Herz.

Herzlichen Dank für den wundervollen Text und einen schönen Tag.

Liebe Grüße,
Silvi

 

Salü @jimmysalaryman,

ich kann gar nicht viel schreiben, weil ... was gibt es da zu schreiben? Hab den Text ausgedruckt, mich an den Küchentisch gesetzt, zwei Tassen Kaffee getrunken während des Lesens und dachte am Ende: Kacke! Schon fertig? Warum?

Oder anders ausgedrückt: Ich bin eingetaucht in den Kosmos dieser kleinen Welt. Stück für Stück hat er sich geöffnet, wurde dreidimensionaler, ging in die Tiefe. Als bekäme ich nach jedem zweiten Satz von irgendwoher ein noch besseres Teleskop, um nicht nur die erdnahen Planeten zu entdecken, sondern darüber hinaus festzustellen, dass wir, klein und unscheinbar, in einem Gebilde namens Milchstraße stecken und das wiederum in einer Lokalen Gruppe und ... ja, und so weiter. Aber doch können wir in einer Stillen Stunde den Deckel dieses Kosmos öffnen und nach und nach alles erfassen. Alleine durch Lesen, Zuhören und Schreiben. Für mich persönlich der Sinn des Menschseins.

So war das vor paar Tagen in der Küche.

Grüße
Morphin

 

ich habe Deine Geschichte sehr sehr gerne gelesen. Sie verströmt eine Große Ruhe und Gelassenheit. Das Tempo ist gemächlich, der Text hat seine ganz eigene Melodie. Ich mag die fein gezeichneten Charaktere und das anheimelnde Setting.

Hallo @Silvita und danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit. Anheimelnd ist ein gutes Wort. Ja, ist ein ruhiger Text.
Uff. Da kriegt man Gänsehaut.
Ich finde es übrigens toll, dass Du so subtil andeutest, dass sie tot ist. Mit dem "hatte" war mir alles klar und hier dachte ich, ich kanns total nachvollziehen, dass er in dem Moment nicht drüber reden möchte.
Ja, na ja, subtil ist immer so eine Sache. Na klar ist das auch eine Konstruktion, dass er ihn jetzt nach dem Klingelschild fragt, so kommt die Sache ja ins Rollen, man könnte natürlich argumentieren, dass das alles so vom Autor gewollt ist, was richtig ist, aber es könnte auch in einer Unterhaltung genau so passiert sein, eine kleiner small talk mit größeren Folgen, oft was man nicht genau, was bei seinem Gegenüber eigentlich los ist. Ich könnte mir diese Szene aus filmisch vorstellen, ein wenig wie Robert Altmann in Short Cuts oder anderen Episodenwerken, Jim Jarmusch vielleicht, wo zwei wunderliche Charaktere aufeinandertreffen und sich dann ganz langsam eine eigene Welt entspinnt.
Das berührt! Geht total ans Herz.
Ja, freut mich sehr, wenn es dich berührt, dafür schreiben wir ja Geschichten, oder?

Gruss, Jimmy

 

Ich bin eingetaucht in den Kosmos dieser kleinen Welt.
Moin @Morphin,

ja, mag ich total, diese Sichtweise. Kleine Welt, kleiner Kosmos, taugt mir. Ich habe für mich ja diese Theorien entwickelt, was Erzählungen im Allgemeinen angeht, das Raum-Prinzip: Zwei Menschen in einem Raum, oder das Feld-Prinzip: Menschen oder Mensch in der Natur, und ich glaube, was mich wirklich interessiert, sind so diese fast unmerklichen Entwicklungen, Mikro-Bewegungen nenne ich die, scheibchenweise werden die Charaktere präsentiert, so sollte es im besten Falle sein!, und eigentlich passiert scheinbar nicht viel, fast nichts. Ja, das ist so mein Prozess gerade, das Individuum in den Mittelpunkt stellen.

Danke dir für deinen Kommentar und deine Zeit.

Gruss, Jimmy

 

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