- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Feuer
Feuer
Als Marlene mitten in der Nacht schweißgebadet erwachte, brauchte sie einige Zeit, bis sie erkannt, wo sie sich befand. In ihrem Schlafzimmer - in der kleinen Wohnung, die sie gemietet hatte. Sie atmete erleichtert auf und tastete nach dem Lichtschalter ihrer Nachtischlampe. Leichte Panik überkam sie, als sie ihn erst nicht fand, doch dann wurde das kleine Zimmer in warmes, gelbes Licht getaucht.
Marlene setzte sich auf und griff nach der Wasserflasche, die auf dem Boden stand und trank gierig.
Sie hatte auf ihrer kleinen Couch gesessen und gelesen, als das Telefon klingelte. Sie wollte abnehmen, aber ein ungutes Gefühl hi8nderte sie daran. So wartete sie. Ihr Blick wanderte zum Fenster, doch draußen war es völlig dunkel. Die digitale Uhr neben dem Telefon verriet ihr die Zeit: 3:12 Uhr.
Warum war sie ausgerechnet um diese Zeit wach?
Und wer rief jetzt wohl noch bei ihr an?
Der Anrufbeantworter klackte um ihre Frage zu beantworten. Aber nach den drei Pieps – Lauten, die das Gerät immer machte, bevor die Stimme des Anrufenden aufgezeichnet wurde, war einen Moment Stille. Dann brummte und dröhnte es seltsam, wie eine leiernde Kassette, gefolgt von einem schrillen Lachen, dass ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
Es klickte und Marlene bleib einen Augenblick wie versteinert. Langsam betätigte sie den Rückspulknopf und hörte wieder das Gelächter, rückwärts diesmal. Sie verstärkte den Druck auf die Taste. Und dann erkannte sie plötzlich einzelne Wortfetzen in dem dumpfen Brummen und Jaulen. Sie verstand sie nicht deutlich, es waren keine deutschen Worte, sondern Englische. Marlene beugte sich dicht über den Lautsprecher und lauschte mit angehaltenem Atem. Es war ein tiefes, schwer verständliches Flüstern. Beim dritten Hören verstand sie zwei Worte: fiere und freiend. Beim fünften Mal den ganzen Satz: Fire is the devil’s only friend.
Sie schauderte und wich vor ihrem Anrufbeantworter zurück. Draußen zuckte ein Blitz über den Himmel und ein Donner krachte. Sie schrie erschrocken auf.
„Nur die Ruhe“, ermahnte sie sich. „Nur die Ruhe bewahren.“ Mühsam zwang sie sich auf dem Sofa Platz zu nehmen und das Buch, das sie gelesen hatte, wieder aufzuschlagen. Aber sie las nicht. Ängstlich starrte sie aus dem Fenster in die unheimliche Dunkelheit, die von Blitzen zerrissen und vom lauten Dröhnen der Donner erschüttert wurde. Ein lautes Krachen verriet ihr, dass der Blitz eingeschlagen hatte. Im gleichen Moment heulte die Sirene auf dem Haus los und Marlene sprang panisch auf. In Morgenmantel und Pantoffeln lief sie zur Wohnungstür. Sie wohnte im zweiten Stock des viergeschossigen Hauses und als sie die Tür hektisch aufriss war sie verwundert darüber, dass niemand außer ihr versuchte das Haus zu verlassen. Das monotone Heulen der Sirene quälte sie, es war unerträglich laut, dennoch hörte sie ein statisches Knistern aus dem Stockwerk über ihr. Sie sah nach oben und entdeckte einen tennisballgroßen Kugelblitz, der gelb – weiß leuchtend, mit züngelnden Flammen und kleinen Blitzen die Treppe hinunter hüpfte, eine breite Spur geschmolzenen Steins hinter sich lassend.
Kugelblitze suchen sich immer den kürzesten Weg in die Erde, dachte Marlene und trat einen Schritt zur Seite.
Doch die zuckende, knisternde Kugel blieb vor ihr liegen. Es roch nach Schwefel und Plastik.
Die Kugel drehte sich um sich selbst, bewegte sich, wuchs und schwoll an wie ein funkensprühender Luftballon.
Marlene war unfähig sich zu bewegen. Sie wollte ihre Tür zuschlagen, konnte aber den Blick nicht von der Kugel wenden. Erst als die mittlerweile kürbisgroße Kugel sich in Bewegung setzte und auf sie zu rollte wich sie Schritt um Schritt in ihre Wohnung, von der Kugel gefolgt. Schon brannte ihre Fußmatte und die Kugel wuchs weiter. Dann war sie in der Wohnung.
Der Teppichboden schmorte erst eine Weile, der Gestank von Plastik und Gummi wurde unerträglich, dann brannte der Boden in hellen, alles verschlingenden Flammen. Der Weg zum rettenden Ausgang war versperrt.
Der Feuerball war irgendwo zwischen den Flammen des Teppichs verschwunden, aber die gierige Wand aus Feuer fraß sich ihren Weg immer tiefer in die Wohnung hinein.
Ein wahnsinniges Lachen ertönte und Marlene sah voll Schrecken, wie sich eine lodernde Gestalt auf sie zu bewegte.
Von der rückwärtigen Wand des Flurs aus starrte sie mit angstvoll aufgerissenen Augen auf das Wesen, das begonnen hatte sich zu materialisieren. Angstschweiß lief über ihr Gesicht, die Hitze war unerträglich.
In diesem Moment war sie schweißgebadet aufgewacht, hatte ihren Kopf geschüttelt als könne sie dieses Schreckgespenst damit verscheuchen, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken.
Marlene erhob sich, zog ihren Morgenmantel an, nahm ihr Buch zur Hand und setzte sich in ihrem kleinen Wohnzimmer auf das Sofa und begann zu lesen.
Das Klingeln des Telefons riss sie kurze Zeit später aus ihren Gedanken. „Wer ruft mich um diese Zeit an?“ fragte sie sich.
Marlene stand auf, ging zum Telefon, aber ein ungutes Gefühl hinderte sie abzunehmen.
Ihr Blick fiel auf die Digitaluhr neben ihrem Telefon. 3:12Uhr.
Marlene schrie auf.
Keine zehn Minuten später wurde ein Rettungswagen in die Remigiusstraße gerufen. Eine junge Frau hatte sich vom zweiten Stock aus dem Fenster gestürzt und war auf der Stelle gestorben. Ihr langes Haar war schlohweiß wie das einer Greisen.
„Sie hatte Todesangst.“ sagte der diensthabende Polizist und ein greller Blitz zuckte über den Himmel.