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Flüchtlingsbengel

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12.07.2021
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Flüchtlingsbengel

Wütend stampfte er die matschige Straße entlang. Sein Gesicht schmerzte. “Flüchtlingsbengel, dir zeigen wir's!” hatten sie gerufen und dann ging es wieder los. Sie waren zu Dritt. Sie waren immer zu Dritt. “Irgendwann”, schwor er sich, “irgendwann…”

Warum schlugen sie ihn, warum beschimpfen sie ihn? Er verstand es nicht. Eines hatte er schon gelernt in den letzten Monaten. Schnauze halten. Damit keiner merkte, dass er nicht von hier war. Er wollte nicht hier sein, aber das konnte er nicht bestimmen. Er musste fliehen, als der Krieg in sein Dorf kam.


Alles war weg. Ob sein Spielzeug wohl noch noch da war? Er hatte es hinter dem Haus vergraben. Irgendwann würden sie zurückkehren, sagte die Mutter. Alles Brauchbare hatten sie vergraben. Wahrscheinlich hatten es sich die Nachbarn geholt, gleich als sie weg waren. Vater war noch im Krieg. Wohl gefangen. Oder tot.

Sie hatten nur was sie auf dem Leib trug, als sie das Boot bestiegen, das sie über das Meer bringen sollte. Angst hatte er, aber Angst war verboten. Die Kinder mussten leise sein, damit sie nicht erwischt wurden. Nur die Erwachsenen, die durften weinen. Erwachsene sind komische Menschen. Sie bringen die Welt in Unordnung. Die Frau neben ihm, die ist mit ihrem Baby über Bord gesprungen. Sie hätte wenigstens die Decke dalassen können.

Die Menschen hier hassten die Flüchtlinge. Weil sie abgeben mussten, Platz machen, zusammenrücken. “Wir haben doch auch nichts!”, sagten die immer. Und die Flüchtlinge? Die sehen anders aus, sprechen anders, sind dreckig, stinken, klauen wie die Raben und machen nur Ärger. Die sollen dahin verschwinden wo sie hergekommen sind, oder dahin wo der Pfeffer wächst.

Wenn sie doch bloß nur aus diesen Blechbüchsen ausziehen konnten. In ein echtes Haus. Raus aus dem Lager.

Warum musste er auch hier entlanggehen. Gerade wenn die anderen aus der Schule kamen. Warum hatten er und seine Geschwister nur ein Paar Schuhe, das sie sich teilen mussten. Zu Hause hatte er sogar ein Fahrrad. Wenn er essen wollte, dann musste er in die Schule. Wütend stakste er weiter.

“Irgendwann...” schwor er und bog rechts ab. Geradeaus war ein Bombentrichter, da stand unten Wasser drin.
Wie es wohl bei ihm zu Hause aussah. Ob das Haus noch stand, in dem er geboren wurde? Was sollte er hier in Kiel? Wenn doch bloß der Russe nicht gekommen wäre...

 

Hallo @Bruno C Fritz,

herzlich willkommen bei den Wortkriegern :-)

Dein Einstieg gefällt mir, der verspricht eine individuelle Geschichte zu werden. Leider bleibt der Text dann in der Rückblende kleben. Toll wäre, wenn du den Teil im Präteritum auch weiter ausbauen würdest, wenn es eine echte Geschichte im Präteritum gäbe, vielleicht prügelt er sich mit den Jungen und beschließt am Ende eben nicht mehr die Schnauze zu halten, also wenn du ihn irgendetwas lernen lassen könntest aus dieser Begegnung mit den Jungen, wenn er sich irgendwie entwickeln könnte in dieser Situation (muss ja gar nicht Richtung Selbstermächtigung gehen). Und darin eingewoben die Vorvergangenheit, die Erinnerungen usw. Das könnte ich mir gut vorstellen.

Und wo ich schon mal da bin, dann könntest du, falls du die Geschichte noch ausbaust, auch darauf achten, dass du als Autor nicht zu sehr durchkommst und dass du mir als Leserin zutraust, zwischen den Zeilen zu lesen. MMn könnten die Warum-Sätze alle weg und auch der ganze Absatz, der mit "Die Menschen hier hassten Flüchtlinge" beginnt. Wenn du dir mehr Zeit lässt und eine richtige Geschichte, einen Plot mit Handlungen zu der bisher sehr kurzen Einführungssequenz schreibst, dann brauchst du das mMn nicht, weil es dann sicher zwischen den Zeilen oder bspw über Dialog transpotiert wird.

Der letzte Satz macht den Text mMn kaputt. Es ist, als ob du etwas aufbaust und dann reißt du alles mit dem Holzhammer wieder ein. Wenn ich dir einen Rat geben darf, obwohl ich keine Expertin bin, dann wäre es, dich mit Plots zu befassen, also was braucht eine Geschichte für Zutaten, um zu funktionieren. Es gibt zB einen Youtube-Workshop von Dan Wells über Story Structure (falls du Englisch kannst), in dem er sieben relevante Punkte im Plot bespricht. Es gibt da ja verschiedene Herangehensweise. Die Heldenreise findet man zB auf Wikipedia. Wie gesagt, ich bin keine Expertin und habe nicht wirklich viel Literatur zum Schreiben gelesen. Es mag sicher besseres und vor allem noch viel mehr geben, was ich nicht kenne.

Viele Grüße
Katta

 
Zuletzt bearbeitet:

Kiel? Wenn doch bloß der Russe nicht gekommen wäre[...]...

Der Schlusssatz verrät, dass es eher nicht die aktuelle Flüchtlingswelle ist, von der da erzählt wird und ich kann mir gut vorstellen, dass es den Ost-Flüchtlingen nicht viel anders ging als heute den Flüchtlingen aus der Levante und Afrika – selbst von der Sprache her (im Memelland wurde mit anderer Zunge gesprochen als in Kiel). Grass hat sich derer in seinem Spätwerk (am bekanntesten dürfte „Im Krebsgang“ sein, das vom Untergang der Gustorf in der Ostsee erzählt) angenommen, aber bis zu einer literarischen Sprache,

lieber @Bruno C Fritz ,

ist ein weiter Weg und Deine gewählte Form wirkt sehr naiv auf mich und doch gekünstelt. Schon die Wahl, den Geflüchteten „Flüchtlingsbengel“ reicht im Bengel vom „kleinen Jungen“ bis zum „Rüpel“ (am extremsten im „Rotzbengel“)

und damit erst einmal herzlich willkommen hierorts!

Flusenlese

Beginnen wir mit dem Eingangszitat und den Auslassungspunkten, die direkt am Wort behaupten, da fehle wenigstens ein Buchstabe – was nicht der Fall ist. In fast aller Regel solltestu ein Leerzeichen zwischen Wort und Auslassungspunkten lassen

Sein Gesicht schmerzte. “Flüchtlingsbengel, dir zeigen wir's!”KOMMA hatten sie gerufen und dann ging es wieder los.

An sich machstu es richtig nach wörtlicher Rede, wenn direkt daran ein („Redebegleit)satz folgt, aber die Regel besagt auch, dass das Endzeichen maßgeblich ist, für den Folgesatz – und bei Punkt und Ausrufezeichen (und auch Fragezeichen) ist wieder mit Großbuchstaben fortzufahren.

Sie waren zu Dritt. Sie waren immer zu Dritt. “Irgendwann”, schwor er sich, “irgendwann…”
„zu dritt“; Auslassungspunkte vgl. zuvor

Warum schlugen sie ihn, warum beschimpfen sie ihn?
Warum der Wechsel der Zeitform in einem Satz?

Kein Grund, den Kopf hängen zu lassen, findet der

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bruno C. Fritz!

Dein Text wirkt auf mich vor allem plakativ und behauptend, zudem lässt du darin kaum ein Flüchtlingsklischee aus. Von der verzweifelten Mutter, die sich mit ihrem Baby ins Meer stürzt, über die prügelnden rassistischen Rowdies, den elenden Blechhütten (Gibt es sowas überhaupt in Kiel?) bis hin zu den bösen Russen, die bekanntlich immer und überall an allem Schuld sind. Nur der gute Westen kann nie was dafür.
In dieser Form wirkt der Text auf mich propagandahaft. Ich lese keine Geschichte im eigentlichen Sinn, sondern eine Art politisches Klagelied, das als Erzählung getarnt einhergeht.

LG

 

Hallo @Katta ,

herzlichen Dank für die konstruktive Kritik und die Tipps - der YouTube-Workshop steht für heute Abend auf dem Programm... :-)

LG
Bruno

 

Hallo @Manuela K. ,

vielen Dank für deine Kritik. Sie zeigt mir vor allem, dass meine Geschichte nicht gut genug strukturiert ist.

Zu Beginn meiner Geschichte könnte/soll der Leser glauben, es ginge um die heutigen Flüchtlinge. Im Verlaufe der Geschichte kommen dann Hinweise darauf, dass es sich nicht um die Gegenwart handelt, sondern um die Zeit 1946/1947.

Und nein, es gibt keine Blechhütten in Kiel - aber auch keine Bombenkrater... ;-) Es gab aber beides.

Klischees: Die Mutter, die sich Anfang 1945 mit ihrem Baby ins Meer stürzte, war die Tante meines Vaters, das Baby seine Cousine - und der "Flüchtlingsbengel" mein Vater selbst.

LG
Bruno

 

@Bruno C Fritz

Ich habe deinen Text wohl fehlinterpretiert, las ihn auf die aktuelle Situation gemünzt.
Danke für deine Klarstellung, die ich dem Text nicht entnahm.
LG

 

Hallo @Friedrichard und @AWM ,

danke für eure lehrreichen Anmerkungen! Es steckt eine Menge für mich darin... das muss ich erst sortieren.

LG
Bruno

p.s. Die Flüchtlingsunterkünfte waren tatsächlich aus Blech ("Nissenhütten").

 

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