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Flammenmeer

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16.08.2001
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Flammenmeer

Licht - Schatten - Licht - Schatten - ein Wechselspiel der Flammen. Schock und Faszination vereinten sich in mir. Die Stadt war ein lodernder Scheiterhaufen, ein Herd der Feuerzungen, eine flackernde Ruine. Was war geschehen? Wer hatte das getan? ICH war es. ICH hatte das Feuer gelegt, eine ganze Stadt in Schutt und Asche hinterlassen, ICH stand vor dem Ergebnis MEINES Schaffens. Warum ich das alles getan habe? Der Grund erscheint mit schon jetzt so unwirklich, obwohl kaum ein paar Monate vergangen sind...
Es hatte alles so harmlos angefangen. Mein Vater arbeitete beim Kanalbau, und als an der Kreuzung mitten im Zentrum ein neues Drainage-System installiert werden sollte, mußten sie besonders tief ins Erdreich eindringen. Bei den Grabungen förderten sie einen metallischen Zylinder zutage, dessen Ursprung niemand erklären konnte. Es wurde ein großes Geheimnis daraus gemacht, weil sich die Baufirma einen gewinnbringenden Verkauf des seltsamen Dinges erhoffte. Mein Vater erwähnte es nur ganz beiläufig während des Abendessens, so, als sei es nichts Besonders, doch die Gerüchteküche brodelte wie ein Hexenkessel. Außerirdische und besonderes Kriegsmaterial waren im Gespräch. Obwohl es streng geheim war, wußte eigentlich jeder, daß es ETWAS gab, doch um was es sich eigentlich handelte, vermochte niemand genau zu sagen.
Ein paar Tage später kam mein Vater schon mittags von der Arbeit nach Hause. Er stolperte mehr, als daß er ging. Schweiß bedeckte sein blasses, abgekämpftes Gesicht. Sein Brustkorb hob und senkte sich in rasendem Tempo und seine Augen spiegelten blankes Entsetzen. "Sie...haben ihn...aufgemacht!" keuchte er. Dann verdrehte er die Augen, so daß nur noch das Weiße zu sehen war, und brach noch in der Tür zusammen.
Dicklicher blaugrüner Schleim ergoß sich aus seinem Mund und verbreitete sich in einer übelriechenden Pfütze auf dem Fußboden. Ein letztes ersticktes Röcheln folgte, dann hörte er auf zu atmen. Meine Mutter stieß einen Schrei aus, lies den Teller, den sie gerade zum Abtrocknen in Händen hielt, fallen und kniete sich neben ihn. Es dauerte ein paar Minuten, ehe sie begriffen hatte, daß wir beide nun allein waren. Sie hielt sich ihre Schürze vor die Augen und begann, leise zu schluchzen.
Ich wollte sie trösten, für sie da sein, jetzt, da mein Vater nicht mehr unter uns war, und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Wie vom Blitz getroffen fuhr sie herum. In ihren Augen spiegelten sich Angst und Verwirrung. Sie sah aus, als hätte sie mich nie zuvor gesehen. Heiße Tränen rollten über ihre Wangen, und ihr trüber Blick musterte mich von Kopf bis Fuß. Plötzlich flackerte die Erkenntnis in ihren Augen auf. Nur ein Funke, der langsam die Verwirrung löste. Ich ging in die Knie und legte meiner Mutter die Arme um die Schultern. Ihr ganzer Körper bebte unter den Schluchzern und schon bald durchweichten ihre heißen Tränen mein T-Shirt.
Eng umschlungen verharrten wir etliche Zeit vor der offenen Haustür, direkt neben dem Leichnam meines Vaters. Die Zeit strich einfach so dahin, floß an uns vorüber, doch in unserem Schmerz war sie für uns nicht vorhanden, wurde einfach ignoriert. Als wir beide uns allmählich wieder gefaßt hatten, leitete meine Mutter die nötigen Maßnahmen für die Beerdigung ein. Ein Arzt kam und stellte den Totenschein aus. Als Todesursache trug er "Erstickung" ein. Er fragte ganz beiläufig, als wäre diese dampfende schwelende Pfütze, die sich langsam aber sich in das Linoleum hineinfraß, das Natürlichste der Welt: "Was hat er denn als letztes gegessen?" Die Antwort mußten wir ihm schuldig bleiben. Zum einen, weil wir es nicht wußten, nicht wissen konnten, zum anderen, weil sie uns mindestens so unbedeutend, so sinnlos erschien, wie die eingetragene Todesursache.
Ich war nicht in der Lage, meinen Schmerz öffentlich auszuleben, denn in meinem Herzen war das Feuer des Hasses entflammt. Obwohl meine Mutter den Flecken auf dem Fußboden mit allen möglichen Reinigern behandelt hatte, verschwand er nie völlig. Er nahm eine Farbe an, wie das Meer an seinen tiefsten Stellen: blaugrün, unheimlich und unergründlich.
Und genau das war es, was mich in Rage brachte. Ich wußte, daß der Tod meines Vaters im Zusammenhang mit diesem Zylinder stand, doch außer meiner Mutter und mir - und wahrscheinlich einer Menge Leute, wichtiger Leute, bei der Baufirma - würde es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit niemals jemand erfahren.
Wiederum verstrichen ein paar Tage, ehe sich die Hände meiner Mutter zu...verändern...begannen. Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll. Es schien, als hätte jener seltsame Fleck auf dem Fußboden plötzlich von ihren Händen Besitz ergriffen. Am Abend, beim Abwasch, sahen sie noch ganz normal aus, und am nächsten Morgen waren sie plötzlich blaugrün. Man hätte meinen können, meine Mutter träge hauchdünne Latexhandschuhe in diesem seltsamen Farbton, doch sie und ich wußten, daß dem nicht so war.
Nach dem Frühstück griff sie mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Telefon und rief bei einem Dermatologen an. Zum Glück bekam sie noch für den gleichen Tag einen Termin, doch weil in den Händen ein brennender Schmerz aufflammte, mußte ich sie dorthin fahren. Mutter duschte, und ich hörte sie schreien, als das Wasser ihre Hände benetzte. "Es war", berichtete sie mir später während der Fahrt, "als hätte ich meine Hände mitten in ein Feuer gehalten." Sie hatte ihre Hände mit dicken Binden umwickelt, um sie vor allen möglichen Berührungen zu schützen. Beim Doktor gab es dann ein großes Problem: Sie wollten mich zunächst nicht mit hineinlassen, obwohl ich darauf bestand und auch meine Mutter nichts dagegen einzuwenden hatte. Aber schließlich konnte ich mich dann doch durchsetzen.
Der Arzt bombardierte meine Mutter mit Fragen über ihr ganzes Leben. Alle Möglichkeiten von Allergien wurden durchgesprochen, und als der Arzt mit seinem Latein am Ende war, da erzählte ich ihm von diesem Fleck. Ich konnte es meiner Mutter direkt ansehen, wie peinlich ihr diese Geschichte war, so, als hätte sie die Hände in einen Farbkübel getaucht und wüßte nur nicht, wie sie wieder sauber zu bekommen waren. Doch der Arzt wurde hellhörig. Natürlich hatte auch er die Gerüchte um den Zylinder vernommen, und als ich ihm erklärte, daß meiner Meinung nach sowohl der Tod meines Vaters, als auch der komische Ausschlag oder wie auch immer man es nennen wollte mit dem ominösen Fund im Zusammenhang standen, wollte er alles über den Fleck erfahren. Als ich fertig war meinte er, meine Mutter hätte sich irgendwie "angesteckt", als sie den Putzlappen auswringen mußte. Um die Art des Erregers, Virus' oder was auch immer feststellen zu können, mußte er ihr ein kleines Stück Haut herausschneiden, welches er im Labor untersuchen konnte.
Außerdem bat er mich, ein Stück des "befallenen" Fußbodens zu ihm zu bringen. Also fuhr ich meine Mutter nach Hause und kehrte sofort zurück in die Praxis. "Kommen Sie, junger Mann!" sagte der Doktor, legte mir freundschaftlich einen Arm um die Schulter und führte mich ins Labor. "Ich muß Ihnen etwas äußerst interessantes zeigen." sagte er und machte vor einem Elektronenmikroskop halt. "Schauen Sie hinein!" forderte er mich dann auf, und ich drückte beide Augen auf die Linsen. Zuerst konnte ich nichts erkennen, alles schien vor meinen Augen zu verschwimmen, doch dann klärte sich allmählich mein Blick. Ich kam mir vor, wie in einem dieser billigen Horrorfilme wie "Angriff der Körperfresser" oder so etwas, denn vor meinen Augen wanden sich winzig kleine Würmer durch den Hautfetzen. Es schien, als würden sie sich immer tiefer hineinfressen wollen, doch sie hatten keine Chance, durch das Glas hindurch zu kommen.
Ich wandte mich wieder dem Arzt zu. "Woher kommt diese seltsame Verfärbung?" fragte ich ihn. "Nun", meinte er, "sie sondern ein Sekret ab, das die blauen und grünen Farbpigmente in der Haut nach oben treibt. Und sie wachsen wahnsinnig schnell. Das ist wohl schon die dritte Generation von ihnen, seit ich Deiner Mutter diesen Hautfetzen 'rausgeschnitten habe." - "Und was kann man dagegen tun?" halte ich nach. Er zuckte nur mit den Achseln und sah mich mit mitleidiger Miene an. "Ich weiß es nicht!" gab er zu.
Plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ließ ich den Doktor allein in seinem Labor stehen, rannte aus der Praxis und fuhr so schnell wie nur möglich nach Hause.
Schon während der Heimfahrt erfüllte mich eine schreckliche Gewißheit. Ich jagte durch die Stadt, wie die Gedanken durch meinen Kopf. Ständig hatte ich das Bild dieser ekelhaften Maden vor Augen. Dieses Gewürm wütete in den Händen meiner Mutter und... Nein, ich durfte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn ich recht hatte. Plötzlich hörte ich links von mir Reifen quietschen. Aus meinen Gedanken gerissen blickte ich entsetzt auf den Kombi, der nur einen halben Meter vor meiner Fahrertür zum Stehen gekommen war. Der Fahrer zeigte mir den Vogel und fuchtelte wie wild mit den Händen herum. Ein verlegenes Lächeln umspielte meine Mundwinkel. Entschuldigend zuckte ich mit den Achseln und trat dann wieder mit voller Kraft das Gaspedal durch.
Eine rote Ampel brachte mich an den Rand der Verzweiflung. Die Sekunden schienen an mir vorbei zu schleichen, als wären sie Stunden. Mir kam es vor, als würde ich eine Ewigkeit auf das grüne Signal warten. Der Schweiß drang mir aus allen Poren und mein Herz schlug mit rasender Geschwindigkeit. Endlich sprang die Ampel um, und beim Anfahren hinterließ ich eine rauchende, stinkende Spur. Nur noch zwei Block trennten mich von unserem Wohnhaus. Eine Kurve, ein parkendes Auto, das mir den Weg versperrte, ein entgegenkommender Lkw, dann stand unser Auto endlich in der Hofeinfahrt.
Ich riß die Wagentür auf, versuchte auszusteigen und mußte feststellen, daß ich in der Aufregung nicht einmal den Sicherheitsgurt gelöst hatte. Meine Finger schienen gegen mich zu arbeiten. Der Knopf für den Gurt schien unerreichbar, obwohl ich ihn mit eigenen Augen sehen konnte. Nervös fummelte ich daran herum, bis ich dann beinahe aus dem Wagen fiel. Meine Füße steuerten ganz unabhängig auf das Haus zu, und ich versuchte, meine Fassung wiederzuerlangen. Sollten sich meine Ahnungen nicht bewahrheiten, dann würde ich meiner Mutter einen gehörigen Schrecken einjagen. Und das wollte ich nicht.
Mit aller Kraft verlangsamte ich meinen Schritt und versuchte, meine Atmung und meinen Herzschlag wieder auf ein normales Tempo abzubremsen. Eine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir zu, daß ich einem Hirngespinst aufgesessen war. Gleich würde meine Mutter mich schelten, ich solle den Wagen doch anständig parken oder zumindest die Tür schließen. Was sollten denn die Nachbarn von uns denken?
Ich trat ins Haus und hörte nichts als Totenstille. Das Ticken der großen Standuhr im Wohnzimmer drang an mein Ohr, langsam und gleichmäßig. Vielleicht hatte meine Mutter sich ja hingelegt? Dieser letzte Hoffnungsschimmer zerbrach, als ich aus dem ersten Stock ein schmatzendes Geräusch hörte. So etwas konnte meine Mutter niemals zustande bringen.
Ich stürzte die Treppe hinauf und stolperte dabei beinahe über meine eigenen Füße. Mit jeder Stufe, die ich hinter mich brachte, schien das Geräusch lauter zu werden. Vor der Schlafzimmertür machte ich schließlich halt. Das Schmatzen war immer mehr zu einem ohrenbetäubenden Lärm angeschwollen, die Bilder an der Wand schienen zu vibrieren, und der Boden unter meinen Füßen bebte im Rhythmus der Kaugeräusche. Was war dort drin? Konnte es mich hören? RIECHEN? SEHEN? Die Angst schnürte mir die Kehle zu, doch die Hoffnung, meine Mutter noch retten zu können, ihren irgendwie helfen zu MÜSSENB, ihr das Leben zu retten, verlieh mir neuen Mut. Die Tür flog aus den Angeln und landete im Schlafzimmer, als ich mich mit aller Kraft dagegen warf. Auf dem Bett sah es aus, wie auf einem Schlachtfeld. Außer ein paar Knochen, an denen noch die letzten Fleischfetzen hingen, war von meiner Mutter nur noch ein großer Blutfleck übriggeblieben.
Und inmitten dieses Flecks saßen zwei dieser Maden, Würmer oder was auch immer sie sein mochten, und mampften genüßlich die letzten Fleischreste vom Bett. Wie ich sie mit dem bloßen Auge sehen konnte? Nun, beide waren mittlerweile auf die Größe von Hausschweinen angewachsen und ließen sich durch mein Eindringen nicht im geringsten stören. Vor Schrecken, Wut und Entsetzen stieß ich einen markerschütternden Schrei aus, doch selbst das interessierte diese Monster ziemlich wenig. Am Rand des Blutflecks auf dem Bett trat allmählich wieder dieser blaugrüne Farbton auf und ich wußte, daß dort Tausende, wenn nicht gar Millionen dieser seltsamen Würmer hausten. Ich mußte irgend etwas tun, ich konnte nicht mit ansehen, wie sie die letzten Überreste meiner Mutter auch noch vernichteten.
Kurz entschlossen rannte ich ins Treppenhaus und holte den Feuerlöscher. Ich wußte nicht, was er enthielt, nur, daß das Zeug verdammt kalt war. Schnell zog ich den Sicherungsstift heraus, richtete den Schlauch auf die Monster und drückte ab.
Dicker weißer Nebel schoß in rasendem Tempo aus der Düse, doch vor meinen Augen schien er sich nur im Zeitlupentempo zu bewegen. Die Schwaden prallten auf den vorderen der beiden Würmer, ließen ihn erstarren und pusteten ihn vom Bett. Gleich darauf änderte ich die Richtung ein wenig und visierte den zweiten an. Wenig später war das Bett wieder frei - abgesehen von einer weißen Puderschicht, die sich langsam setzte.
Ich hörte einen schrillen quietschenden Ton, preßte mich so nahe es ging an die Wand und ging um das Bett herum. Die zwei Monster sahen wie eingefrorene Wolken aus, wie sie da so vor dem Bett lagen. Doch dann bekam das Eis, das sie umhüllte, plötzlich Risse. An mehreren Stellen breiteten sie sich wie ein Spinnennetz aus und überzogen allmählich die kompletten Körper der Kreaturen.
Dann hörte ich einen dumpfen Knall und wurde von einer Druckwelle gegen die Wand geschleudert. Ich spürte einen brennenden Schmerz in meinem Rücken und meinem Hinterkopf. Mit geschlossenen Augen glitt ich an der Wand nach unten, bis ich schließlich auf dem Fußboden saß. Ein paar Minuten Ruhe würden mir gut tun.
Aber dann spürte ich plötzlich etwas. An meinen Hosenbeinen, auf meiner Brust, ja, sogar in meinem Haar wuselte es in alle Richtungen. Entsetzt schlug ich die Augen auf. Die beiden Würmer waren zwar explodiert, doch aus jedem Splitter war ein neuer gefräßiger kleiner Wurm entstanden.
Die Angst brachte mich wieder auf die Beine. Ich schüttelte mich und schaffte es, einen Teil dieser Viecher loszuwerden, doch manche hatten sich schon voll und ganz in meinen Haaren verfangen oder in meine Klamotten hinein gefressen. Voller Panik rannte ich zur Dusche und stellte das Wasser so heiß ein, wie ich es nur aushalten konnte. Dampfend und brodelnd prasselten die Wassermassen auf mich nieder, durchweichten meinen Körper und röteten meine Haut. Und wieder hörte ich jenen seltsamen schrillen Ton, doch diesmal viel leiser, dafür aber von mehreren Stellen gleichzeitig. Ich blickte permanent nach unten, um mir nicht auch noch das Gesicht zu verbrühen, und plötzlich sah ich etwas in die Duschwanne fallen.
Ein kleiner schwarzer Wurm hatte sich von meinem Kopf gelöst und lag nun regungslos zwischen meinen Turnschuhen. Innerhalb weniger Augenblicke regnete es mehrere Kadaver zu Boden. Mein Rücken brannte immer mehr von dem heißen Wasser, und ich hätte nie gedacht, daß schon so viele an mir hingen, wie ich nun rund um meine Füße liegen sah. Als schließlich keine neuen "Opfer" mehr hinzukamen, blieb ich trotz allem noch fünf Minuten unter der Dusche stehen. Dann kehrte ich zurück ins Schlafzimmer.
Dort herrschte Totenstille. Außer dem Feuerlöscher, der an der Wand lehnte und aussah, als würde er jeden Moment umkippen, und dem Löschpulver war nichts besonderes zu sehen. Hatte ich nur geträumt? Ich traute meinen Augen nicht. Selbst der Blutfleck auf dem Bett war verschwunden. Ich eilte ans Fenster, das einen Spalt breit offenstand und blickte hinaus. Wie ein Heer krochen und wuselten die Würmer die Straße entlang. Fußgänger blieben entsetzt stehen, ließen kreischend ihre Einkaufstaschen fallen oder versuchten, sich auf die umstehenden Bäume zu retten.
Sie hatten keine Chance. An jedem Hauseingang und bei jedem Passanten löste sich eine Schar der Würmer aus dem Rudel und befiel alles, was ihnen in den Weg kam. Innerhalb weniger Minuten blickte ich auf eine Straße voller Leichen, wiederum kurz darauf auf eine leere Straße.
Entmutigt stapfte ich in mein Zimmer, schälte mir die triefenden Kleider vom Leib und vergrub mich splitternackt im Bett. Eine Hitzewelle überrollte mich, und der Schweiß drang mir aus allen Poren. Von Kopf bis Fuß war meine Haut ziemlich rot geworden, und das war es, was meinen Körper zum Kochen brachte. Total erschöpft und entkräftet schlief ich schließlich ein.
Die Sonne war schon lange hinter dem Horizont verschwunden, als ich die Augen aufschlug. Ein Streifen fahlen Mondlichtes flutete über den Teppich. Ich stand auf, zog mich an und verließ das Haus. Die ganze Stadt hüllte sich in beklommenes Schweigen. Kein einziges Fenster war erleuchtet. Ich setzte mich ins Auto und fuhr die Straßen entlang, doch überall bot sich meinen Augen das selbe Bild der Düsternis und Leere.
Ich spürte einen brennenden Schmerz in meinem Herzen. All jene Menschen, die ich Zeit meines Lebens gekannt und geliebt hatte, existierten nicht mehr. Sie waren nicht einfach gestorben, nein, sie waren vernichtet - AUFGEFRESSEN - worden. Ich steuerte den Wagen rechts an den Fahrbahnrand. Obwohl kein einziges Fahrzeug mehr unterwegs war, folgte ich der Gewohnheit.
Verzweiflung breitete sich in mir aus und füllte die Leere. Heiße Tränen brachen wie Sturzbäche aus meinen Augen, schmerzhafte Schluchzer krampften meinen Brustkasten zusammen. Ich heulte lange, doch irgendwann war es vorbei. Ich konnte nicht mehr, keine Träne war mehr vorhanden, die geweint werden wollte. Also startete ich den Motor wieder und fuhr weiter.
Im Stadtzentrum fand ich nichts als Verwüstung vor. Häuser waren zur Hälfte eingestürzt, Autos einfach platt gewalzt, Straßenlaternen umgeknickt wie Strohhalme. Je mehr ich mich dem Zentrum näherte, um so schlimmer wurde das Chaos. Und schließlich entdeckte ich die Ursuche dafür: Inmitten unseres einst so gut gepflegten Stadtparks saßen vier oder fünf dieser Würmer, jeder einzelne so groß wie ein Blauwal. Von den anderen war keine Spur mehr zu sehen. Aus Angst, einer von ihnen könnte mich entdecken, legte ich den Rückwärtsgang ein. Zwei Bocks weiter machte ich dann bei einer Tankstelle halt. Niemand war mehr da, der hätte aufpassen können. Ich stellte mein Auto mit laufendem Motor ab und stieg aus. Innerhalb weniger Minuten hatte ich alle Schläuche aus den Säulen gelöst und ließ alles Benzin über den Fußboden fluten. Ein Eimer im Büro diente mir dazu, auf der Straße eine fast fünfzig Meter lange Spur bis zu meinem Auto zu legen. Während aus den Schläuchen noch immer das Benzin sprudelte, saß ich schon wieder in meinem Wagen.
Plötzlich dachte ich irgendwie an meine Zukunft. Ich kehrte zur Tankstelle zurück, ging in den Laden und nahm alles Bargeld mit, das ich finden konnte. Außerdem stopfte ich drei Tüten mit Lebensmittel voll, um wenigstens etwas Nahrung für die nächsten Tage zu haben.
Wiederum im Auto steckte ich ein Streichholzheft in Brand und war es zum Fenster hinaus. Im gleichen Moment trat ich das Gaspedal durch und verließ mit quietschenden Reifen die Tankstelle. Es dauerte nicht lange, da wurde mein Auto durch die Druckwelle ein paar Meter nach vorn geschleudert, doch das störte mich wenig. Ich ignorierte es einfach.
Auf dem Weg zur nächsten Tankstelle kam ich an einer großen Bank vorbei. Ein Lächeln umspielte meine Mundwinkel, als ich an das viele Geld dachte, das schon bald mir gehören würde. Und niemand war da, der mich dafür bestrafte. In der Bank fand ich mehrere leere Pappkartons, in die ich bündelweise Banknoten stapelte. Als mein Kofferraum dann irgendwann voll war, konnte ich davon ausgehen, daß das Geld genügte.
Dann steckte ich die nächste Tankstelle in Brand. Immer wieder räumte ich unterwegs Geschäfte aus, ehe ich das Spiel mit dem Feuer fortsetzte. Schließlich stand die ganze Stadt in Flammen und mein Rücksitz war angefüllt mit allerhand lebensnotwendigen und unwichtigen Sachen. Ich kehrte der Stadt den Rücken, erfüllt von Melancholie und der Wehmut der Erinnerung. Nachdem ich die Paßstraße hinter mir gelassen hatte, die mich von Rest des Landes trennte, hielt ich auf der Aussichtsplattform an.
Noch einmal wollte ich einen Blick auf die Stadt werfen, die ich geliebt hatte und die lange Jahre mein Leben gewesen war. Jetzt war sie nur noch ein Scheiterhaufen. Ich mußte meinen Blick von diesem Chaos lösen und ließ ihn am Horizont entlang schweifen. Und erst jetzt sah ich das komplette Ausmaß des Schreckens: Überall in den umliegenden Städten herrschte nichts als die undurchdringliche Finsternis, und das, obwohl die Nacht sternklar war.
Etwas war passiert, denn so weit das Auge reichte, war mein Leben das einzig menschliche, das noch existierte.

 

Hallo Iwahn,

Deine Geschichte gefiel mir richtig gut.
Manche Verhaltensweisen des Erzählers sind zwar nicht ganz logisch, aber ich denke das tut der Geschichte eigentlich keinen Schaden an.
Besonders das Ende fand ich gut. Sinnlose menschliche Gier... (hehehe)

Weier so!

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