Was ist neu

Freund und Helfer

Beitritt
17.03.2020
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Anmerkungen zum Text

Der Versuch ein paar Gedanken, die ich mir zu Foucault's Überwachen und Strafen gemacht hatte, in eine kreative, emotionale Geschichte zu packen. Dabei steht die Prämisse und Realismus eher hinter dem Anspruch stilsicher zu erzählen.

Freund und Helfer

… und Vorsicht bei der Einfahrt."
Die kühle, trockene Herbstluft blies mir vorsichtig ins Gesicht und obwohl ich nicht wirklich gute Laune hatte, belebte sie doch ein wenig meinen immermüden Körper. Der Bahnsteig war kaum besiedelt, bis auf ein paar wenige Figuren, die auch darauf warteten endlich aus der kleinen Stadt in ihre dörfliche Heimat zu fahren. Vom Einkaufen kamen sie wohl nicht, da Sonntag war, aber einige hatten Taschen dabei, die vielleicht Mitbringsel von Freunden oder der Familie enthielten. Ein älteres Pärchen war dick bepackt mit Koffern und Taschen und ich vermutete, dass diese gerade aus dem Urlaub kamen und es nicht erwarten konnten, in ihr Bett zu fallen und die warme Heimat der eigenen vier Wände zu genießen. Ein weiteres Pärchen stand zusammen an der Bahnsteigmarkierung. Sie hatten beide jeweils einen Knopfkopfhörer im Ohr und unterhielten sich spärlich miteinander, während sie Musik hörten.
Ich stand mehr oder weniger ruhig in der Mitte des Bahnsteigs und konnte es, trotz des angenehmen Windes, nicht erwarten in den Zug zu steigen. Diese überspielte Unruhe war begründet in dem kleinen Plastikbeutel, den ich in meiner Socke mit mir trug und der eine kleine Menge Amphetamin enthielt, die ich vor hatte, heute Abend noch zu mir zu nehmen. Die dezente Paranoia versuchte ich als belanglos beiseite zu legen und nicht weiter zu beachten, wurde ich doch schon mal von der Hand des Gesetzes getroffen, als ich daheim eine größere Menge derselben Droge aufbewahrte. Ein wenig wütend wurde ich, als mir mal wieder der Gedanke kam, dass die meisten Menschen mit Verfolgungswahn, den Wahn nicht wegen der Droge, sondern der Verfolgung der Droge bekommen hatten. Wie viele Menschen wären ganz normale Bürger geblieben, könnten sie straffrei in ihrem eigenen Heim diese Substanzen konsumieren, wie sie gerade wollten.
Die drei Lichter, welche am Zugkopf leuchteten, kamen langsam näher und kündeten in der Dunkelheit die Einfahrt an. Ich griff mir nochmal an alle Hosentaschen um festzustellen, ob ich irgendetwas auf der Bank vergessen hatte, als ich mir dort eine Zigarette drehte. Diese steckte in meinem Mund und war fast komplett aufgeraucht. Ich griff an den Filter, als der Zug an mir vorbei fuhr und dabei schnell an Geschwindigkeit verlor. Ich atmete ein letztes mal den Rauch ein, behielt in kurz in der Lunge und ließ ihn durch meine Nase in den Zugwind verschwinden. Dann warf ich den Stummel in den Spalt zwischen Zugwand und Bahnsteig und ging langsam ein paar Schritte zu der Tür, die mir am nächsten war. Die anderen Gestalten taten es mir gleich und so füllten sich die Waggons sehr spärlich mit Menschen; alle auf dem Heimweg.

Ich setzte mich auf einen freien Platz mit Blick in Fahrtrichtung und legte mein rechtes Bein auf mein linkes Knie. Den Fuß mit dem illegalen Päckchen nach oben zu legen, erschien mir zu gefährlich. Wie doch schon eine leichte Paranoia sich in den Handlungen der Menschen niederschlägt. Auf den Viererplatz neben mir setzte sich ein Mann, der wohl um die 35 Jahre alt sein musste. Er blieb völlig teilnahmslos und schaute apathisch auf sein Handy. Neugierig blickte ich auf den Bildschirm und musste feststellen, dass er sich einfach nur gelangweilt durch die Timeline von Facebook wischte. Angesteckt von diesem Verhalten holte ich auch meine eigenes Smartphone aus der Hosentasche und wollte meine WhatsApp-Nachrichten auskundschaften. Mir fiel recht schnell wieder ein, dass mein Monatsvertrag am Nachmittag abgelaufen war und ich keine Internetverbindung hatte. Ein wenig frustriert verstaute ich das kleine Wundergerät wieder in meiner Hosentasche und spähte durch den Zug, welcher sich inzwischen in voller Fahrt befand. Die meisten meiner Mitfahrer schauten ausdruckslos auf ihre digital babys. Das Musik hörende Pärchen stand nebeneinander an der Tür des Zuges und widmete, genau wie ich, manchmal den Insassen des Abteils etwas Aufmerksamkeit. Die Frau, die wohl um die 30 Jahre alt war, blickte mich ab und zu an und danach wieder auf den Boden. Ich vermutete, das lag wohl an Interesse an mir, hatte ich mich doch ein wenig herausgeputzt an diesem Abend. Aber meine Eitelkeit hätte mich auch täuschen können.
Ich verfiel innerhalb kurzer Zeit, die mir sehr lange vorkam, in eine Art Hypnose und machte mir Gedanken über belanglose Dinge, meistens philosophischer Natur. Ich dachte an die kleine Gruppe die wir Reisenden bildeten, mit dem selben Ziel, nämlich nach Hause zu kommen und den Sonntagabend zu genießen und wie wir alle die Gemeinsamkeit hatten, tatsächlich den Zug und nicht das eigene Auto zu nutzen; aus den verschiedensten Gründen. Ich fragte mich ob es eine soziologische Theorie für eine kleine Gruppe Bahnfahrer gibt und die Dynamik und Hintergründe der Reisenden zueinander beschrieb. Vielleicht sollte ich sie schreiben dachte ich, wobei mir recht schnell einfiel, dass ich absolut keine Techniken kannte, mit der man solche Theorien entwickelte. Ein guter Freund von mir studierte irgendetwas mit Bezug zum Beamtentum und zwar mit einem Schwerpunkt auf Soziologie; jedenfalls war mir das noch bewusst. Vielleicht sollte ich ihn mal auf diesen speziellen Anwendungsfall ansprechen.

Wir kamen am ersten Bahnhof an und einige der Passagiere warteten in den Gängen darauf, dass der Zug zum Stehen kam und sich die Türen entriegeln würden. Das Quietschen der Bremsen kündigte diesen Moment an. Die Lichter der Häuser schwebten immer langsamer vorbei, bis sie schließlich im Fenster zum Stehen kamen. Das schrille Ertönen der kleinen Sirenen, welche die Türöffnung ankündigten brachte mich aus meiner Trance. Ich sah den Gestalten beim Aussteigen zu und stellte mir vor, wie sie nun den Berg hinauf in das Wohngebiet liefen und dann durch die Haustür in ihrer kleine Heimat eintraten. Ich wurde ungeduldig, da ich mich ebenfalls nach meinem gewohnten Platz zu Hause sehnte. Der Schreibtisch in meinem Zimmer mit den beiden Bildschirmen und den beiden Lautsprechern darauf. Mit dem Verstärker standhaft auf dem Wandregal über dem Schreibtisch und der Musik, die er mir seit ungefähr acht Jahren schenkte. Es war ein gutes, aber sehr altes Gerät, das mir der Vater eines ehemaligen Freundes schenkte, nachdem ich ihm bei der Reparatur seines PCs geholfen hatte. Ein verlässlicher Verstärker von Rotel. Ja, ich sehnte mich nach meinem Zuhause.
Mit einem Piepsen schlossen sich die Türen wieder und ein leises Geräusch sagte mir, dass sich die ausfahrbaren Plattformen an diesen wieder einzogen. Wir hörten ein Surren und der Zug setzte sich wieder langsam in Bewegung. Ich sah mich im Abteil um. Links neben mir saß immer noch der Mann und schaute auf sein Smartphone. Das Pärchen stand auch noch an der Tür und anscheinend waren wir vier die einzigen, die zu meinem kleinen Wohnort wollten, der Endstation des Zuges. Die Frau sah ab und zu zu mir auf und blickte dann wieder gedankenverloren aus dem Fenster. Ihr Freund wechselte wohl die Musik am Handy. Ich verweilte wieder in meiner Gedankenwelt und wir fuhren gemeinsam auf unser Ziel zu.
Circa nach zwei Minuten Fahrt ertönte plötzlich ein lauter Knall. Ich hatte gerade noch Zeit, aus meine Trance zu erwachen, als ich sah wie sich die lange Abteilröhre vor mir mit lautem Kreischen in andere Bahnen wand. Der Wagon in dem ich saß, machte einen kurzen Ruck und schleuderte mich dann mit dem Kopf voran gegen die Scheibe meines Platzes. Sehen konnte ich nichts mehr, doch ich spürte, wie ich immer wieder gegen Hindernisse geschleudert wurde, bis ich schließlich nur noch in der Leere war.

Ich ging eine Straße entlang und an ihr standen verschwommene Häuser. Sie interessierten mich nicht weiter. Der Himmel war blau und die Sonne schien mir ins Gesicht und machte meinen Blick unfokussiert. Ich kam bei meinem Elternhaus an und schritt die Treppe zur Haustür hinauf. Es war als würde ich fliegen. Leicht und entfesselt. Als ich an der Tür ankam stand dort meine Mutter und lächelte mir wissend entgegen. „Hast du Hunger?“, fragte sie mich und ich nickte. Ich wollte eintreten, doch meine Glieder waren plötzlich schwer und ungelenk, als hätte ich Gewichte an ihnen. Als wollte mich jemand vom Eintreten abhalten. Oder etwas. Ich sagte ihr, dass ich noch etwas zu erledigen hatte und sie nickte verständnisvoll. Ich ging die Treppe hinunter zurück zur Straße und folgte dieser weiter. Geister schritten an mir vorbei und beachteten mich nicht weiter, als wäre ich selbst einer unter ihnen. Aus einer engen Gasse kam ein Kind, es sah aus wie ich damals, auf einem Fahrrad angefahren und prallte gegen mein Bein. Der Schmerz, erst subtil und flüchtig, wurde immer stärker. Ich fing an zu schreien, während sich die Sonne am Himmel schwärzte und …

… erwachte keuchend in völliger Schwärze. Mein Kopf brummte wie verrückt. Mein Körper war übersäht mit dumpfen Schmerzen, von denen der in meinem Bein der mit Abstand schlimmste war. Ich ordnete meine Gedanken, versuchte die Impulse meiner Glieder zu missachten und mir fiel die Zugfahrt wieder ein. Die Fetzen fügten sich zu einem kurzen Film zusammen, auch wenn ich nicht begriff, was dieser zu bedeuteten hatte. Irgendetwas musste schrecklich schief gelaufen sein und ich konnte nur erahnen, dass die Wagons von ihren Schienen gesprungen waren.

Stöhnend versuchte ich mich aufzurichten und gab etwas Belastung auf mein linkes Bein, welches sofort wegknickte und mich wieder auf den Boden fallenließ, begleitet von dem Geräusch knirschenden Glasscherben. Heftig aus- und einatmend holte ich mein Handy aus der Hosentasche, klappte die Schutzhülle beiseite und drückte den Stand-by-Knopf. Ein kurzer heller Schein und ich sah den Startbildschirm. Ich versuchte die Nummern meiner PIN ins Bewusstsein zu rufen und tippte diese ein. 3 – 7 – 6 – 9. Das System entsperrte sich. Ich drückte auf die Schaltfläche für die Taschenlampe meines Handys und langsam machte sich ein Gesamtbild sichtbar.
Ich lag auf den schimmernden Bruchstücken des Fensters und unter diesem befand sich braune aufgeschürfte Erde. Der Waggon musste komplett auf die rechte Seite gefallen sein. Ich griff nach der Lehne eines Sitzes und zog mich nach oben, versuchte dabei nur auf dem rechten Bein zu stehen und keuchte die Schmerzen davon.

Nahe am eigentlichen Dach entlang humpelte ich ein Stück vorwärts und kam zur nächsten Sitzgruppe, die direkt vor mir lag. Ich wollte nur die Tür erreichen, die nun an der Decke, einige Meter vor mir sein musste. Als der klamme Schein meiner Lampe hinter die Sitze fiel, sah ich dort eine Gestalt am Boden liegen. Der grausame Aufprall, ließ die Gliedmaßen wild in seltsam aussehende Richtungen liegen. Ich ging zu dem Körper, legte das Handy auf die Seite um Licht zu haben und drehte die Person auf den Rücken. Es war der Mann, der neben mir gesessen hatte, als der Zug noch seinem normalen Tagewerk nachging.
Der Hals des Mannes wirkte komisch verdreht. Seine Augen waren offen und ohne erkennbare Reaktion. Ich hielt meine Hand an seinen Mund und spürte keine Anzeichen für irgendeine Atmung. Oder auch nur einen Hauch Luft. Wie ich es gelernt hatte, als ich meinen Führerschein gemacht hatte, legte ich ihm zwei Finger an den Hals. Es war kein Puls ertastbar. Ich verschob die Finger auf der Stelle an der die Hauptschlagader verlaufen musste, um vielleicht doch noch irgendeine Lebenszeichen zu vernehmen. Eine Träne glitt aus meinem Auge und lief mir an der Backe herunter. Zum ersten mal wurde mir die drastische Situation einigermaßen bewusst. Ich war einer Leiche seit dem Tod meines Großvaters nicht mehr so nahe gewesen.
Gedankenverloren nahm ich mein Handy und schritt weiter auf die Tür zu. Alles was ich wollte war rauszukommen aus diesem gottverlassenen Zug. Ich stolperte weiter an den waagerechten Sitzen vorbei und weiter auf die erlösende Tür zu. Inzwischen hatten sich noch mehr Tränen auf meine Backe gesellt und ich betete, das dieser Moment so schnell wie möglich enden würde.

An der Doppeltür angekommen, sah ich dass das Pärchen mit den Kopfhörern, verworren am Boden lag. Ein verstörendes Schauspiel, das ich kaum ansehen konnte. Beide lagen mit dem Rücken nach unten auf der Tür. Die Arme waren weit von ihnen gestreckt, während sie ohne eine Bewegung zu machen, still und stumm, nach meiner Hilfe riefen. Ich folgte dem Ruf und ging zuerst auf die Frau zu. Wie bei dem Mann eben, prüfte ich Atmung und Puls und konnte tatsächlich Lebenszeichen fühlen. Erleichtert lachte ich kurz glucksend auf und wischte mir über die feuchten Augen. Ich ging zu ihrem Partner, bei dem ich nichts feststellen konnte. Als ich seinen Kopf anhob griff ich mit meinen Fingern auf eine feuchte Stelle an seinem Hinterkopf. Meine Hand war über und über mit Blut bedeckt. Inzwischen abgehärtet, musste ich mir eingestehen, dass ich wohl nur noch seiner Frau helfen konnte. Meine Hände fingen an zu zittern, blutrot und schmerzend.
Ich kniete mich zu der Frau, die da, noch am leben, auf dem Boden lag.
„Hey, bitte wach auf“, brüllte ich sie an und klopfte ihr mit meiner Hand geben die Backe.
„Bitte“, stöhnte ich hervor und fing wieder an zu weinen.
Alles, was ich sah waren ihre geschlossenen Augen und ihre offener Mund, durch den die lebensspendende Luft strömte. Ihre Wangen waren gesprenkelt von Rottönen. Ihr Gesicht ruhig und ausdruckslos. Ihre linke Hand lag mit der Handfläche nach oben, geöffnet auf dem Boden und ich umgriff diese mit meiner eigenen linken Hand. Mit meiner Rechten strich ich ihr über die Stirn die Haare zurück und hauchte in ihr Ohr:
„Bitte wach auf.“
Plötzlich öffnete sie die Augen und fing an zu schreien.
Das Schreien war wie das unerträgliche Knirschen einer Gabel über Porzellan. Ihre Augen blickten wild um sich und fassten immer andere Details in ihren Blick. Ihr Oberkörper bebte während sie tief aus- und einatmete, während das stöhnen mal lauter wurde, mal verstummte.
„Shhhh“, machte ich wie in Trance und hielt immer noch ihre Hand. Ich streichelte ihr über die Stirn und versuchte sie zu beruhigen. Ihr Schreien verblasste allmählich und sie fasste mich in ihren Blick.
„Was ...“, brachte sie hervor.
Ich sagte nichts und gab ihr Zeit sich zu beruhigen. Strich ihr nur vorsichtig weiter über den Kopf und hielt ihre Hand. Blieb still in diesem Augenblick des Grauens und gab ihr Gelegenheit die Situation zu erfassen. Sie musste sich beruhigen, klar denken und mir helfen ihr zu helfen. Wir brauchte uns gegenseitig.

„Du lebst ... freu dich darüber“, sagte ich zu ihr. Sie blickte wieder wild um sich in dieser Umgebung von gebrochenem Glas und verbogenem Metall, welche nur durch das karge Licht meines Handys erhellt wurde.
„Was ist passiert“, fragte sie mich.
Es dauerte eine Weile bis ich antwortete.
„Ich glaube der Zug ist entgleist. Irgendein Scheiß. Ich bin mir nicht sicher.“
Sie blickte kurz nach links und dann nach rechts, lag aber immer noch regungslos auf dem Boden.
„Es tut weh“, brachte sie hervor während sie anfing zu weinen.
„Wo tut es weh?“
„An meinem Bein.“
Ich leuchtete an ihr herunter. Ihr Schienbein war abgeknickt und stand nach vorne heraus. Es musste wohl komplett gebrochen sein.
„Sieht nicht schlimm aus“, sagte ich zu ihr.
„Bist du sicher? Es brennt so sehr.“ Sie weinte immer noch leise vor sich hin.
„Ja ganz sicher“, antwortete ich.
Es war für einige Sekunden Stille, bis sie erneut anfing zu sprechen.
„Wie lange liege ich schon hier.“
„Ich habe dich erst eben gefunden. Ich weiß es nicht.“
„Mein Bein es tut so weh.“
„Ganz ruhig.“
Sie weinte weiter. Ich ließ ihre Hand los, hob ihren Kopf leicht an, setze mich unter ihn und legte ihn an meinen Oberschenkel, während ich ihre Stirn streichelte.
„Es wird alles gut“, sagte ich in der Hoffnung, es würde sie beruhigen.
Sie blickte sich , und ich hatte befürchtet, dass das passieren würde, nach rechts um, auf ihren toten Mitfahrer.
„Ist ... ist er am Leben“, stammelte sie hervor.
„Nein“, sagte ich gleichgültig.

Und es herrschte wieder Stille im Abteil. In dieser trostlosen Welt. So gesellten wir uns in unser Schicksal im Wagon und verblieben für ein paar Minuten in dieser surrealen Umgebung.

Ihr Schluchzen verstummt mit der Zeit und ihre Atmung beruhigte sich in dem Maße, welches ihre Schmerzen wohl zuließen. Sie blickte an die Decke des verdrehten Abteils. Ihr Kopf lehnte noch immer an meinem Oberschenkel und ich strich ihr noch immer über ihre Stirn. Ich war froh jemanden zu haben. Jemanden der mir wenigstens zuhören könnte, wenn ich reden wollen würde. Jemand der mich nicht allein ließ. Wir lebten und wir waren bei Bewusstsein. Wir konnten diesen Augenblick gleichzeitig fühlen, gleichzeitig wahrnehmen. Wir würden uns beide an diesen Augenblick erinnern können. Für immer.
„Du … du bist doch Frank Brettschneider, oder“, fragte sich mich. Ich war überrascht, dass sie die Stille mit so einer Frage durchbohrte.
„Ja“, sagte ich und begriff noch nicht.
„Woher weißt du das“, fragte ich mit leichtem Erstaunen, jedenfalls so viel wie die Situation erlaubte.
„Das da war mein Kollege. Wir sind Polizisten. Wir sollten dich beschatten. Du bist verdächtigt mit Drogen zu handeln.“
Ich antwortete nichts und versuchte ihre Worte zu erfassen.
„Wir wollten heute Abend zuschlagen. Dich verhaften. Wenn du die Drogen daheim hast. Wir wollten dich zum Reden bringen. Deine Dealer herausfinden.“
Sie lachte kurz, durchsetzt mit Stöhnen und Husten.
„Danke“, sagte sie.
Ich war wütend.
„Danke wofür“, fragte ich.
Sie blickte mich an und lächelte ein wenig.
„Danke, dass du hier bei mir geblieben bist. Das ist nicht normal.“
„Doch“, antwortete ich knapp.
Sie lachte kurz.
„Hätte ich nicht gedacht, von einem Kriminellen.“
Von weit her konnte man Sirenen hören.
„Ich bin nicht kriminell, ich bin nur ein Mensch.“ und fing wieder an ihr über die Stirn zu streicheln.

 
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Hallo @murphy_does_his_best

wir hatten noch nicht das Vergnügen. Willkommen.

Vielleicht möchtest du noch schnell die Formatierung anpassen. Da sind oft zwei bis sechs Leerzeilen, wo eine reicht.

Bei der Gelegenheit könntest du auch noch eben die wörtlichen Reden und die Auslassungspunkte korrigieren. Beispiele:

„Shhhh.“, machte ich
...
„Es tut weh.“, brachte sie hervor
Kein Satzzeichen innerhalb der wörtlichen Rede, wenn Redebegleitsatz folgt.

„Was ….?“, brachte sie hervor.
...
„Ist …. ist
Drei Punkte.

Viel Spaß hier.
Gute Grüße, GoMusic

P.S.: Ach so, was heißt "wöllte"? :Pfeif:

 

Hallo @murphy_does_his_best,

ein interessanter Text. Aber kein uneingeschränktes Vergnügen, muss ich gleich dazu sagen. Ich musste mich überwinden, ihn bis zum Ende zu lesen.
Ich versuche mal, aufzuzeigen, woran das lag.

Also, zum einen wäre da dein Schreibstil. Irgendwie komisch: Einerseits war es wahrscheinlich genau der, der mich dann doch irgendwie bis zum Ende getragen hat, andererseits dachte ich mir stellenweise, nein, so geht das nicht. Was ich damit meine?
Ich glaube, dafür muss ich ein bisschen mehr ins Detail gehen.

… und Vorsicht bei der Einfahrt."
Die kühle, trockene Herbstluft blies mir vorsichtig ins Gesicht

Diese Unachtsamkeit bzw. Unschönheit gleich zu Beginn lässt in mir den Verdacht aufkommen, dass da jemand … Ja, unachtsam ist beim Schreiben. Aber wenn ich mich auf einen verhältnismäßig langen Text einlasse, dann verlange ich eigentlich, mich auf eben das konzentrieren zu dürfen, auf den Text, den Inhalt, nicht auf die Schludrigkeit des Autors.

ch stand mehr oder weniger ruhig in der Mitte des Bahnsteigs

Hier eine andere Sache, die mir häufig aufgefallen ist, so Wischi-waschi-Formulierungen wie mehr oder weniger. Schau mal:

„Ich stand mehr oder weniger ruhig in der Mitte des Bahnsteigs.“

vs.

„Ich stand in der Mitte des Bahnsteigs (und versuchte, ruhig/gelassen zu wirken).“

Das hat, auf mich persönlich, zwei vollkommen unterschiedliche Wirkungen. Beim ersten lese ich den Autor raus, der sich denkt, ah, ja, wie stand er da wohl, ja, so mehr oder weniger ruhig halt … Beim zweiten fällt der Autor weg: Er stand da. Punkt.

Ein subjektiver Leseeindruck und möglicherweise auch nicht so aussagekräftig, wie ich es gerne hätte, wenn ich es an diesem einen Beispiel festmache.

Diese überspielte Unruhe, war begründet in dem kleinen Plastikbeutel,

Ein weiterer Punkt: Deine Kommasetzung. Da gibt es Verbesserungspotenzial. Hier zum Beispiel gehört keines hin. Ich ziehe jetzt aber nicht alle raus, dafür ist der Text zu lang.

begründet in dem kleinen Plastikbeutel, den ich in meiner Socke mit mir trug und der eine kleine Menge Amphetamin enthielt, die ich vor hatte, heute Abend noch zu mir zu nehmen.

Hier muss ich dir quasi genau das ankreiden, was du unter meiner Geschichte geschrieben hast (du erinnerst dich, das mit den zwei, drei Gramm Gras?). Wer erzählt da? Jemand, der Amphetamin konsumiert. Würde der sagen bzw. denken „ich möchte heute Abend Amphetamin zu mir nehmen“, auch wenn er es wie hier quasi für jemand anderen denkt? Klingt für mich wie so ein feiner Dandy, der seinen Wein schlürft. Auch hier wieder ein sehr subjektiver Leseeindruck.


Vorschlag: Ich fände ja schon das sehr einfache „die ich vorhatte, heute Abend zu nehmen“ irgendwie näher am Erzähler. Weniger literarisch, aber authentisch. Außerdem: vorhatte.

Die dezente Paranoia versuchte ich als belanglos beiseite zu legen und nicht weiter zu beachten, wurde ich doch schon mal von der Hand des Gesetzes getroffen, als ich daheim eine größere Menge der selben Droge aufbewahrte. Ein wenig wütend wurde ich, als mir mal wieder der Gedanke kam, dass die meisten Menschen mit Verfolgungswahn, den Wahn nicht wegen der Droge, sondern der Verfolgung der Droge bekommen hatten. Wie viele Menschen wären ganz normale Bürger geblieben, könnten sie straffrei in ihrem eigenen Heim diese Substanzen konsumieren, wie sie gerade wollten.

Das fand ich interessant. Nicht, weil das neue Erkenntnisse sind, aber weil ich mich hier wieder frage, wer da erzählt. Der Erzähler, der ein sozialkritisch angehauchtes, essayistisches Selbstgespräch führt? Oder doch der Autor, der mir seine Ansichten verklickern möchte?

Mit deinem Hinweistext kann ich mir die Frage ja glücklicherweise selbst beantworten. Ich weiß auch gar nicht, wie ich das werten soll, ob ich das werten möchte, ich merke nur, dass das eine sehr schwierige Art des Schreibens ist. Wenn die Gedanken, die du mir da vorkaust, nicht irgendwie innovativ oder wirklich geisterhellend sind, dann bekomme ich den Eindruck, einen Tagebucheintrag zu lesen, und wenn ich den Verfasser nicht „kenne“, dann hält sich mein Interesse da in Grenzen.

An der Stelle muss ich vielleicht noch erwähnen, dass ich das von dir erwähnte Überwachen und Strafe nicht gelesen habe, falls das eine Rolle spielt.
Außerdem: derselben.

Die drei Lichter, welche am Zugkopf leuchteten, kamen langsam näher und kündeten in der Dunkelheit die Einfahrt an. Ich griff mir nochmal an alle Hosentaschen um festzustellen, ob ich irgendetwas auf der Bank vergessen hatte, als ich mir dort eine Zigarette drehte. Diese steckte in meinem Mund und war fast komplett aufgeraucht. Ich griff an den Filter, als der Zug an mir vorbei fuhr und dabei schnell an Geschwindigkeit verlor. Ich atmete ein letztes mal den Rauch ein, behielt in kurz in der Lunge und ließ ihn durch meine Nase in den Zugwind verschwinden. Dann warf ich den Stummel in den Spalt zwischen Zugwand und Bahnsteig und ging langsam ein paar Schritte zu der Tür, die mir am nächsten war. Die anderen Gestalten taten es mir gleich und so füllten sich die Wagons sehr spärlich mit Menschen; alle auf dem Heimweg.

Das veranschaulicht die Sache mit dem Tagebucheintrag noch mal ganz gut, vorhin hat der Text mal ausgeschlagen, sozialkritisches Selbstgesprächessay, hier lese ich aber wieder nur Alltagsbeschreibungen, Eindrücke des Tagebuchschreibers. So was kann der Atmosphäre beitragen, tut es hier auch gewissermaßen, wenn man mal davon absieht, dass das die tausendundeinste Rauch-in-die-Luft-blas-Beschreibung ist, aber der Beigeschmack bleibt: Was interessiert mich, was der (noch relativ gesichtslose) Kerl da auf dem Bahnsteig macht? Ist ja nicht mal spannend, ist ja nur rauchen.

Das gilt dann übrigens auch für die kommenden Absätze. Aber noch mal möchte ich betonen, dass ich es trotzdem nicht ungerne lese, ich mag, wie du schreibst. Da schimmert was durch, was noch blankpoliert werden muss, um richtig zu strahlen.

illegalen Päckchen

Das klingt unfreiwillig komisch.

Circa nach zwei Minuten Fahrt, ertönte plötzlich ein lauter Knall. Ich hatte gerade noch Zeit aus meine Trance zu erwachen

Aha, jetzt geht’s los, denk ich mir!

Lass mich nur noch kurz erwähnen, dass ich 1) den Satzeinstieg „circa nach zwei Minuten“ in einer solchen Geschichte ganz schrecklich finde, das passt eher in eine Textaufgabe aus dem Matheunterricht und dass 2) ein Komma nach „Zeit“ muss. Ach, und 3), kein Komma nach Fahrt.

Ich nenn es mal den „Geisterabsatz“, den „An-der-Pforte-Absatz“, der liest sich auch wieder gut und interessant, aber auch hier habe ich wieder das Gefühl, dass man das noch viel besser machen könnte, irgendwie … ausgereifter, klarer. Nur ein Gefühlseindruck, kein Verbesserungsvorschlag – nicht sehr hilfreich, tut mir leid.

Dann zurück ins echte Leben,

Mein Körper war übersähet mit dumpfen Schmerzen

übersät! Und: Schräges Bild, „mit“ dumpfen Schmerzen „übersät sein“.

Wagons

Waggons

weg knickte und mich wieder auf den Boden fallen lies

wegknickte und fallenließ

Heftig aus- und einatmend holte ich mein Handy aus der Hosentasche, klappte die Schutzhülle beiseite und drückte den Stand-by-Knopf. Ein kurzer heller Schein und ich sah den Startbildschirm. Ich versuchte die Nummern meiner PIN ins Bewusstsein zu rufen und tippte diese ein. 3 – 7 – 6 – 9. Das System entsperrte sich. Ich drückte auf die Schaltfläche für die Taschenlampe meines Handys und langsam machte sich ein Gesamtbild sichtbar.

Ja, hier ist dann wieder die Luft raus aus der zwischenzeitlich aufgekommenen Spannung. Weil ich wieder im Tagebuch feststecke, so tief, dass ich sogar den Zahlencode des Handys des Tagebuchschreibers Zahl für Zahl erfahren muss: 3 – 7 – 6 – 9. Wenn ich mir diesen Code nicht merken muss, weil ich damit im echten Leben eine Tür knacken kann, hinter der ein Goldschatz auf mich wartet, dann ist das auch nichts, was ich hier lesen möchte, es hat keinen Mehrwert. Außer vielleicht, mich näher an den – nach wie vor ziemlich gesichtslosen – Erzähler zu kleben.

Und das passt dann wieder nicht, ja, ich bin durch diesen Tagebuchstil irgendwie ganz nah am Erzähler, andererseits weiß ich beinahe gar nichts über ihn. Außer, dass er raucht, Amphetamin konsumiert, offenbar eine Mutter hat und Zug fährt. Und ein Handy hat. Das könnte aber jeder sein und ich möchte keine Geschichte über einen jedermann lesen, ich möchte in die Welt von jemandem eintauchen, jemanden kennenlernen.

Dann habe ich angefangen zu überfliegen. Plötzlich verwandelt sich die Geschichte in etwas anderes. enschen, die ich nur bruchstückhaft kennengelernt habe, sterben und leiden, und ich frage mich, ob der Autor eigentlich selbst wusste, was er da schreiben wollte.

Und dann wird es auch noch … absurd: Das gesichtslose Pärchen mit den Kopfhörern, das waren Polizisten, verdeckte Ermittler, die den Kleinkriminellen verfolgt haben, und im Moment des größten Leids kommt die Erkenntnis: Auch Drogis sind Menschen! Da schließt sich also der Kreis, darauf sollte das also alles hinaus. Eine schöne, womöglich wichtige Moral, leider erdrückt von einem doch sehr konstruiert wirkenden Ende, um eben diese Moral an den Mann zu bringen.

Abschließend noch ein letztes Mal der Hinweis, dass trotz all dieser Kritikpunkte richtig spürbar ist, dass du Bock hast, zu schreiben, da steckt eine Kraft drin, die jetzt vielleicht noch in die richtigen Bahnen geleitet werden muss, oder so. Und dass du was zu sagen hast, das merkt man auch, deshalb würde ich auch gerne mehr von dir lesen.

Danke für die Geschichte, ich glaube, ich konnte durch die Auseinandersetzung damit auch für mich selbst eine ganze Menge mitnehmen.

Liebe Grüße,
Akka

 
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Guten Morgen @GoMusic

danke für deine Anmerkungen. Ich habe Text nochmal überarbeitet und hoffe, ich habe alle Fehler gefunden.

P.S.: Ach so, was heißt "wöllte"?

Ich benutze das Wort jetzt bestimmt schon so viele Jahre im Alltagsgebrauch. Jetzt zu erfahren, dass es eigentlich nicht existiert ist ... komisch. Man lernt nie aus.

Viele Grüße
Murph

Guten Morgen @Akka

auf eine Kritik von diesem Kaliber hatte ich gehofft. Deine Bemerkungen zum Stil sind sehr erhellend, danke dafür.
Ich gehe noch kurz auf ein paar Dinge ein, damit ich das nicht komplett unkommentiert stehen lassen.

Ein weiterer Punkt: Deine Kommasetzung.
Mit der Kommasetzung hatte ich leider schon immer Problem. Allgemein eigentlich mit der Zeichensetzung. Bei Arbeiten in der Schule kam es öfter vor, dass ich keinen Rechtschreibfehler hatte, aber um die dreißig Fehler in der Zeichensetzung. Vielleicht sollte ich mich nochmal damit auseinandersetzen.

dass ich sogar den Zahlencode des Handys des Tagebuchschreibers Zahl für Zahl erfahren muss
Damit wollte ich eigentlich ausdrücken, dass der Protagonist selbst damit zu kämpfen hat. Man weiß am Anfang leider nicht, wo so etwas auf den Leser wirkt. Desshalb eine wichtige Kritik.

Die Rechtschreibfehler habe ich hoffentlich alle gefunden und die Kritik am Stil werde ich mir zu Herzen nehmen.
Und noch ein großes Dankeschön für den letzten Absatz. Es ist motivierend so etwas zu lesen.

Viele Grüße
Murph

 

Okay Murph, dann nun zu deiner zweiten Geschichte! :D

Die drei Lichter, welche am Zugkopf leuchteten, kamen langsam näher und kündeten in der Dunkelheit die Einfahrt an. Ich griff mir nochmal an alle Hosentaschen um festzustellen, ob ich irgendetwas auf der Bank vergessen hatte, als ich mir dort eine Zigarette drehte. Diese steckte in meinem Mund und war fast komplett aufgeraucht. Ich griff an den Filter, als der Zug an mir vorbei fuhr und dabei schnell an Geschwindigkeit verlor. Ich atmete ein letztes mal den Rauch ein, behielt in kurz in der Lunge und ließ ihn durch meine Nase in den Zugwind verschwinden. Dann warf ich den Stummel in den Spalt zwischen Zugwand und Bahnsteig und ging langsam ein paar Schritte zu der Tür, die mir am nächsten war. Die anderen Gestalten taten es mir gleich und so füllten sich die Waggons sehr spärlich mit Menschen; alle auf dem Heimweg.

Dieser Absatz verdeutlicht für mich ebenfalls das, was mein Vorredner schon angesprochen hat: dieser ausufernde Tagebuchstil. Letztlich fährt nur der Zug ein, der Prota schnippt die Zigarette weg und steigt mit allen anderen in den Zug. Das wars. Das ist unspektakulär, und man muss auch nicht mehr daraus machen als nötig.

Die Frau, die wohl um die 30 Jahre alt war, blickte mich ab und zu an und danach wieder auf den Boden. Ich vermutete, das lag wohl an Interesse an mir, hatte ich mich doch ein wenig herausgeputzt an diesem Abend. Aber meine Eitelkeit hätte mich auch täuschen können.

Hehe, der Teil ist gut. Es zeigt mir, dass der Prota zur Selbstreflexion fähig ist. Aber wofür hat er sich denn herausgeputzt? Für seinen Dealer? ;)

Mit dem Verstärker standhaft auf dem Wandregal über dem Schreibtisch und der Musik, die er mir seit ungefähr acht Jahren schenkte. Es war ein gutes, aber sehr altes Gerät, das mir der Vater eines ehemaligen Freundes schenkte, nachdem ich ihm bei der Reparatur seines PCs geholfen hatte.

Der Vater eines ehemaligen Freundes? Das ist aber auch irgendwie weird. :D

Ich fragte mich ob es eine soziologische Theorie für eine kleine Gruppe Bahnfahrer gibt und die Dynamik und Hintergründe der Reisenden zueinander beschrieb.

Gibt es mit Sicherheit.

Ich ging eine Straße entlang und an ihr standen verschwommene Häuser. Sie interessierten mich nicht weiter. Der Himmel war blau und die Sonne schien mir ins Gesicht und machte meinen Blick unfokussiert. Ich kam bei meinem Elternhaus an und schritt die Treppe zur Haustür hinauf. Es war als würde ich fliegen. Leicht und entfesselt. Als ich an der Tür ankam stand dort meine Mutter und lächelte mir wissend entgegen. „Hast du Hunger?“, fragte sie mich und ich nickte. Ich wollte eintreten, doch meine Glieder waren plötzlich schwer und ungelenk, als hätte ich Gewichte an ihnen. Als wollte mich jemand vom Eintreten abhalten. Oder etwas. Ich sagte ihr, dass ich noch etwas zu erledigen hatte und sie nickte verständnisvoll. Ich ging die Treppe hinunter zurück zur Straße und folgte dieser weiter. Geister schritten an mir vorbei und beachteten mich nicht weiter, als wäre ich selbst einer unter ihnen. Aus einer engen Gasse kam ein Kind, es sah aus wie ich damals, auf einem Fahrrad angefahren und prallte gegen mein Bein. Der Schmerz, erst subtil und flüchtig, wurde immer stärker. Ich fing an zu schreien, während sich die Sonne am Himmel schwärzte und …

Der Teil hat mir richtig gut gefallen. Unerwarteter Flashback in die Kindheit kurz vor dem Ableben. Aber er hat noch etwas zu erledigen. Das find ich echt stark!

Heftig aus- und einatmend holte ich mein Handy aus der Hosentasche, klappte die Schutzhülle beiseite und drückte den Stand-by-Knopf. Ein kurzer heller Schein und ich sah den Startbildschirm.

Das Handy hat den Unfall tatsächlich unbeschadet überstanden? Muss wohl ein altes Nokia sein. Oder eine Schutzhülle aus Titan. Spaß beiseite: Wäre nicht zumindest ein Sprung im Display realistisch?

Wie ich es gelernt hatte, als ich meinen Führerschein gemacht hatte, legte ich ihm zwei Finger an den Hals. Es war kein Puls ertastbar.

Hm, ich hab erst vor einem Monat im Erste-Hilfe-Kurs gelernt, dass man nicht den Puls messen soll, wenn man es nicht explizit gelernt hat, weil man sonst ganz leicht zu einem falschen Ergebnis kommen kann. Und ob dafür ein gewöhnlicher Kurs für den Führerschein ausreicht? Egal, fiel mir nur dazu ein.

Sie blickte sich , und ich hatte befürchtet, dass das passieren würde, nach rechts um, auf ihren toten Mitfahrer.
„Ist ... ist er am Leben“, stammelte sie hervor.
„Nein“, sagte ich gleichgültig.

Und es herrschte wieder Stille im Abteil.


Reichlich abgeklärt. Oder sagt er es tatsächlich so gleichgültig, weil er die Dame halt doch heiß fand und ihr vermeintliches Interesse genossen hat, und es jetzt irgendwie doch auch genießt, dass ihr vermeintlicher Typ tot ist und er sich stattdessen um sie kümmern kann? ;) Wahrscheinlich gibt der Text diese Lesart nicht her, aber so wirkt diese Anteilnahmslosigkeit irgendwie auf mich.

Wir sollten dich beschatten. Du bist verdächtigt mit Drogen zu handeln.“
Ich antwortete nichts und versuchte ihre Worte zu erfassen.
„Wir wollten heute Abend zuschlagen. Dich verhaften. Wenn du die Drogen daheim hast. Wir wollten dich zum Reden bringen. Deine Dealer herausfinden.“

Ich blick gerade nicht ganz durch. Ist er nur einfacher Konsument, oder doch Händler, bzw. Produzent? Eigentlich hat er sich doch nur was aus der Stadt mitgenommen für den Abend, oder? Warum glaubt die Polizei, er sei selbst Händler? Naja, ist ja nicht kriegsentscheidend. Interessant finde ich vielmehr, dass sie ihm das so offen erzählt. Glaubt sie, dass sie stirbt? Oder erzählt sie ihm das aus Dankbarkeit für seine Hilfe? So als wolle sie ihm die Chance geben, den Stoff noch rechtzeitig zu verstecken.

„Danke, dass du hier bei mir geblieben bist. Das ist nicht normal.“
„Doch“, antwortete ich knapp.
Sie lachte kurz.
„Hätte ich nicht gedacht, von einem Kriminellen.“
Von weit her konnte man Sirenen hören.
„Ich bin nicht kriminell, ich bin nur ein Mensch.“ und fing wieder an ihr über die Stirn zu streicheln.

Puh, die Polizistin hat aber auch ein düsteres bzw. sehr einfach gestricktes Menschenbild. Der Prota ist ja jetzt kein Heroinopfer vom Bahnhofsklo, sondern ein normaler Typ, der halt bisschen was dabei hat. Sollte die Polizei echt glauben, dass er ein Drogenboss mit eigenen Dealern wäre, hätte sie ganz schön schlecht ermittelt. Naja, das ist nun auf jeden Fall die Moral von der Geschicht'. Sorry, aber die ging für mich komplett in die Hose. Da sticht mir durch den Bildschirm direkt dein erhobener Autorenzeigefinger entgegen und drückt mir aufs Auge, dass Leute, die Drogen nehmen, auch nur Menschen sind. Behauptet denn ernsthaft jemand etwas anderes? Ob das Betäubungsmittelgesetz und seine Vollstreckung verhältnismäßig sind, ist sicher diskutabel, aber das ist eigentlich nicht der Gegenstand deiner Geschichte. Und es würde doch niemand ernsthaft bezweifeln, dass sich der Protagonist in dieser Situation so verhalten würde, bloß weil er ein Päckchen Stoff im Socken hat. Tut mir leid, aber das ist mir zu pathetisch und konstruiert.

Interessant wäre, ob er vielleicht einen Moment zögert, wenn die Polizisten in Uniform statt in Zivil unterwegs gewesen wären, ihn vielleicht sogar schon öfter mal bei einer Kontrolle schikaniert hätten (ist ja nur eine Kleinstadt, da kennt man seine Pappenheimer). Dann gäbe es zwar nicht diesen kurzen "Aah"-Moment, als die Beamtin ihre Tarnung auffliegen lässt, aber dafür könntest du die moralische Dimension viel stärker aufmachen. Hilft er den schikanösen Bullen oder nicht?
Interessant wäre auch gewesen - und eigentlich hatte ich erwartet, dass es mit dem Unfall darauf hinausläuft -, wenn der Prota sein Bein nicht mehr hätte bewegen können, und ihm dann umgekehrt die Frau zu Hilfe eilt. "Der Fuß blutet ja so stark, da müssen wir jetzt aber schnell den Socken ausziehen, um ihn zu verbinden, und OH!, was ist denn das? Amphetamin? Ich bin übrigens von der Polizei!" :D
Beide Varianten fände ich reizvoller, als das Ende, das du geschrieben hast. Vielleicht magst du dir ja nochmal Gedanken darüber machen? Denn so kippt diese eigentlich lange Zeit alltägliche Geschichte doch recht abrupt in ein hochmoralisches Ende um.

Setz dich nochmal ran! Da kannst du mehr rausholen!

Schöne Grüße
PtG

 

Guten Morgen @PleasureToGrill

nochmals danke für deine Rezension. Ich habe mich doch erstmal für die lange Nacht entschieden.


Dieser Absatz verdeutlicht für mich ebenfalls das, was mein Vorredner schon angesprochen hat: dieser ausufernde Tagebuchstil. Letztlich fährt nur der Zug ein, der Prota schnippt die Zigarette weg und steigt mit allen anderen in den Zug. Das wars. Das ist unspektakulär, und man muss auch nicht mehr daraus machen als nötig.
Ich wollte die Situation möglichst genau beschreiben, aber du/ihr habt recht, ich trage da doch sehr dick auf.

Aber wofür hat er sich denn herausgeputzt? Für seinen Dealer?
Das hätte ich vielleicht doch noch erklären sollen. Aber dann ist man schnell wieder bei dem Tagebuch. Ich denke mal, man kann diese kurze Bemerkung im Text auch komplett streichen und die Situation anders erklären.

Der Teil hat mir richtig gut gefallen. Unerwarteter Flashback in die Kindheit kurz vor dem Ableben. Aber er hat noch etwas zu erledigen. Das find ich echt stark!
Überrascht mich tatsächlich. Das ist der Abschnitt, der mir am kitschigsten vorkam. Aber freut mich, dass er dir gefällt.

Das Handy hat den Unfall tatsächlich unbeschadet überstanden? Muss wohl ein altes Nokia sein. Oder eine Schutzhülle aus Titan. Spaß beiseite: Wäre nicht zumindest ein Sprung im Display realistisch?
Dazu hatte ich mir unglücklicherweise keine Gedanken gemacht. Genauso wenig wie zu:
Hm, ich hab erst vor einem Monat im Erste-Hilfe-Kurs gelernt, dass man nicht den Puls messen soll, wenn man es nicht explizit gelernt hat, weil man sonst ganz leicht zu einem falschen Ergebnis kommen kann. Und ob dafür ein gewöhnlicher Kurs für den Führerschein ausreicht? Egal, fiel mir nur dazu ein.

Reichlich abgeklärt. Oder sagt er es tatsächlich so gleichgültig, weil er die Dame halt doch heiß fand und ihr vermeintliches Interesse genossen hat, und es jetzt irgendwie doch auch genießt, dass ihr vermeintlicher Typ tot ist und er sich stattdessen um sie kümmern kann? ;) Wahrscheinlich gibt der Text diese Lesart nicht her, aber so wirkt diese Anteilnahmslosigkeit irgendwie auf mich.
Es sollte so wirken, als wären ihm Menschen für die er nicht direkt etwas empfand in dieser speziellen Situation wirklich komplett egal.

Interessant finde ich vielmehr, dass sie ihm das so offen erzählt. Glaubt sie, dass sie stirbt?
Meine persönliche Erfahrung hat mir gezeigt, dass manche Menschen dazu neigen sich jemandem (auch einem eher Fremden) anzuvertrauen, wenn sie kurz vorher ein einschneidendes Ereignis hatten. Ich denke ich wollte da eine Mischung aus Dankbarkeit und Verzweiflung darstellen.

Tut mir leid, aber das ist mir zu pathetisch und konstruiert.
Ja, da muss ich dir inzwischen auch recht geben. Die ganze Geschichte wirkt nicht sehr ausgefeilt und durchdacht. Ich hoffe ich werde in Zukunft mit mehr handweksgeschick arbeiten.

Und noch danke für deine Anmerkungen und Vorschlägen im letzten Absatz.
Leider muss ich sagen, und das werden vielleicht einige nicht gerne lesen, dass ich außer Grammatikfehlern keine Änderungen mehr an der Geschichte vornehme. Das kling vielleicht eitel, aber die Geschichte ist ungefähr zwei Jahre alt und lag auch fast die komplette Zeit ungelesen in einem Ordner. Als ich sie wieder ausgrub, habe ich sie hier und da noch ein bisschen rundgefeilt, aber nichts mehr an der Handlung geändert.
Ich bin dir dankbar, dass du sie kommentierst, da ich daraus viel mitnehme. Aber ich möchte eigentlich nicht die Zeit investieren und eine Geschichte, die mir selbst nicht besonders gut gefällt, nochmal komplett umschreiben. Besonders, weil der Text keine wirkliche Aussage hat.

Aber wie gesagt, vielen Dank für deine Zeit und deine Gedanken.

Viele Grüße
Murph

 

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