Mitglied
- Beitritt
- 17.03.2020
- Beiträge
- 49
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
- Anmerkungen zum Text
Der Versuch ein paar Gedanken, die ich mir zu Foucault's Überwachen und Strafen gemacht hatte, in eine kreative, emotionale Geschichte zu packen. Dabei steht die Prämisse und Realismus eher hinter dem Anspruch stilsicher zu erzählen.
Freund und Helfer
… und Vorsicht bei der Einfahrt."
Die kühle, trockene Herbstluft blies mir vorsichtig ins Gesicht und obwohl ich nicht wirklich gute Laune hatte, belebte sie doch ein wenig meinen immermüden Körper. Der Bahnsteig war kaum besiedelt, bis auf ein paar wenige Figuren, die auch darauf warteten endlich aus der kleinen Stadt in ihre dörfliche Heimat zu fahren. Vom Einkaufen kamen sie wohl nicht, da Sonntag war, aber einige hatten Taschen dabei, die vielleicht Mitbringsel von Freunden oder der Familie enthielten. Ein älteres Pärchen war dick bepackt mit Koffern und Taschen und ich vermutete, dass diese gerade aus dem Urlaub kamen und es nicht erwarten konnten, in ihr Bett zu fallen und die warme Heimat der eigenen vier Wände zu genießen. Ein weiteres Pärchen stand zusammen an der Bahnsteigmarkierung. Sie hatten beide jeweils einen Knopfkopfhörer im Ohr und unterhielten sich spärlich miteinander, während sie Musik hörten.
Ich stand mehr oder weniger ruhig in der Mitte des Bahnsteigs und konnte es, trotz des angenehmen Windes, nicht erwarten in den Zug zu steigen. Diese überspielte Unruhe war begründet in dem kleinen Plastikbeutel, den ich in meiner Socke mit mir trug und der eine kleine Menge Amphetamin enthielt, die ich vor hatte, heute Abend noch zu mir zu nehmen. Die dezente Paranoia versuchte ich als belanglos beiseite zu legen und nicht weiter zu beachten, wurde ich doch schon mal von der Hand des Gesetzes getroffen, als ich daheim eine größere Menge derselben Droge aufbewahrte. Ein wenig wütend wurde ich, als mir mal wieder der Gedanke kam, dass die meisten Menschen mit Verfolgungswahn, den Wahn nicht wegen der Droge, sondern der Verfolgung der Droge bekommen hatten. Wie viele Menschen wären ganz normale Bürger geblieben, könnten sie straffrei in ihrem eigenen Heim diese Substanzen konsumieren, wie sie gerade wollten.
Die drei Lichter, welche am Zugkopf leuchteten, kamen langsam näher und kündeten in der Dunkelheit die Einfahrt an. Ich griff mir nochmal an alle Hosentaschen um festzustellen, ob ich irgendetwas auf der Bank vergessen hatte, als ich mir dort eine Zigarette drehte. Diese steckte in meinem Mund und war fast komplett aufgeraucht. Ich griff an den Filter, als der Zug an mir vorbei fuhr und dabei schnell an Geschwindigkeit verlor. Ich atmete ein letztes mal den Rauch ein, behielt in kurz in der Lunge und ließ ihn durch meine Nase in den Zugwind verschwinden. Dann warf ich den Stummel in den Spalt zwischen Zugwand und Bahnsteig und ging langsam ein paar Schritte zu der Tür, die mir am nächsten war. Die anderen Gestalten taten es mir gleich und so füllten sich die Waggons sehr spärlich mit Menschen; alle auf dem Heimweg.
Ich setzte mich auf einen freien Platz mit Blick in Fahrtrichtung und legte mein rechtes Bein auf mein linkes Knie. Den Fuß mit dem illegalen Päckchen nach oben zu legen, erschien mir zu gefährlich. Wie doch schon eine leichte Paranoia sich in den Handlungen der Menschen niederschlägt. Auf den Viererplatz neben mir setzte sich ein Mann, der wohl um die 35 Jahre alt sein musste. Er blieb völlig teilnahmslos und schaute apathisch auf sein Handy. Neugierig blickte ich auf den Bildschirm und musste feststellen, dass er sich einfach nur gelangweilt durch die Timeline von Facebook wischte. Angesteckt von diesem Verhalten holte ich auch meine eigenes Smartphone aus der Hosentasche und wollte meine WhatsApp-Nachrichten auskundschaften. Mir fiel recht schnell wieder ein, dass mein Monatsvertrag am Nachmittag abgelaufen war und ich keine Internetverbindung hatte. Ein wenig frustriert verstaute ich das kleine Wundergerät wieder in meiner Hosentasche und spähte durch den Zug, welcher sich inzwischen in voller Fahrt befand. Die meisten meiner Mitfahrer schauten ausdruckslos auf ihre digital babys. Das Musik hörende Pärchen stand nebeneinander an der Tür des Zuges und widmete, genau wie ich, manchmal den Insassen des Abteils etwas Aufmerksamkeit. Die Frau, die wohl um die 30 Jahre alt war, blickte mich ab und zu an und danach wieder auf den Boden. Ich vermutete, das lag wohl an Interesse an mir, hatte ich mich doch ein wenig herausgeputzt an diesem Abend. Aber meine Eitelkeit hätte mich auch täuschen können.
Ich verfiel innerhalb kurzer Zeit, die mir sehr lange vorkam, in eine Art Hypnose und machte mir Gedanken über belanglose Dinge, meistens philosophischer Natur. Ich dachte an die kleine Gruppe die wir Reisenden bildeten, mit dem selben Ziel, nämlich nach Hause zu kommen und den Sonntagabend zu genießen und wie wir alle die Gemeinsamkeit hatten, tatsächlich den Zug und nicht das eigene Auto zu nutzen; aus den verschiedensten Gründen. Ich fragte mich ob es eine soziologische Theorie für eine kleine Gruppe Bahnfahrer gibt und die Dynamik und Hintergründe der Reisenden zueinander beschrieb. Vielleicht sollte ich sie schreiben dachte ich, wobei mir recht schnell einfiel, dass ich absolut keine Techniken kannte, mit der man solche Theorien entwickelte. Ein guter Freund von mir studierte irgendetwas mit Bezug zum Beamtentum und zwar mit einem Schwerpunkt auf Soziologie; jedenfalls war mir das noch bewusst. Vielleicht sollte ich ihn mal auf diesen speziellen Anwendungsfall ansprechen.
Wir kamen am ersten Bahnhof an und einige der Passagiere warteten in den Gängen darauf, dass der Zug zum Stehen kam und sich die Türen entriegeln würden. Das Quietschen der Bremsen kündigte diesen Moment an. Die Lichter der Häuser schwebten immer langsamer vorbei, bis sie schließlich im Fenster zum Stehen kamen. Das schrille Ertönen der kleinen Sirenen, welche die Türöffnung ankündigten brachte mich aus meiner Trance. Ich sah den Gestalten beim Aussteigen zu und stellte mir vor, wie sie nun den Berg hinauf in das Wohngebiet liefen und dann durch die Haustür in ihrer kleine Heimat eintraten. Ich wurde ungeduldig, da ich mich ebenfalls nach meinem gewohnten Platz zu Hause sehnte. Der Schreibtisch in meinem Zimmer mit den beiden Bildschirmen und den beiden Lautsprechern darauf. Mit dem Verstärker standhaft auf dem Wandregal über dem Schreibtisch und der Musik, die er mir seit ungefähr acht Jahren schenkte. Es war ein gutes, aber sehr altes Gerät, das mir der Vater eines ehemaligen Freundes schenkte, nachdem ich ihm bei der Reparatur seines PCs geholfen hatte. Ein verlässlicher Verstärker von Rotel. Ja, ich sehnte mich nach meinem Zuhause.
Mit einem Piepsen schlossen sich die Türen wieder und ein leises Geräusch sagte mir, dass sich die ausfahrbaren Plattformen an diesen wieder einzogen. Wir hörten ein Surren und der Zug setzte sich wieder langsam in Bewegung. Ich sah mich im Abteil um. Links neben mir saß immer noch der Mann und schaute auf sein Smartphone. Das Pärchen stand auch noch an der Tür und anscheinend waren wir vier die einzigen, die zu meinem kleinen Wohnort wollten, der Endstation des Zuges. Die Frau sah ab und zu zu mir auf und blickte dann wieder gedankenverloren aus dem Fenster. Ihr Freund wechselte wohl die Musik am Handy. Ich verweilte wieder in meiner Gedankenwelt und wir fuhren gemeinsam auf unser Ziel zu.
Circa nach zwei Minuten Fahrt ertönte plötzlich ein lauter Knall. Ich hatte gerade noch Zeit, aus meine Trance zu erwachen, als ich sah wie sich die lange Abteilröhre vor mir mit lautem Kreischen in andere Bahnen wand. Der Wagon in dem ich saß, machte einen kurzen Ruck und schleuderte mich dann mit dem Kopf voran gegen die Scheibe meines Platzes. Sehen konnte ich nichts mehr, doch ich spürte, wie ich immer wieder gegen Hindernisse geschleudert wurde, bis ich schließlich nur noch in der Leere war.
Ich ging eine Straße entlang und an ihr standen verschwommene Häuser. Sie interessierten mich nicht weiter. Der Himmel war blau und die Sonne schien mir ins Gesicht und machte meinen Blick unfokussiert. Ich kam bei meinem Elternhaus an und schritt die Treppe zur Haustür hinauf. Es war als würde ich fliegen. Leicht und entfesselt. Als ich an der Tür ankam stand dort meine Mutter und lächelte mir wissend entgegen. „Hast du Hunger?“, fragte sie mich und ich nickte. Ich wollte eintreten, doch meine Glieder waren plötzlich schwer und ungelenk, als hätte ich Gewichte an ihnen. Als wollte mich jemand vom Eintreten abhalten. Oder etwas. Ich sagte ihr, dass ich noch etwas zu erledigen hatte und sie nickte verständnisvoll. Ich ging die Treppe hinunter zurück zur Straße und folgte dieser weiter. Geister schritten an mir vorbei und beachteten mich nicht weiter, als wäre ich selbst einer unter ihnen. Aus einer engen Gasse kam ein Kind, es sah aus wie ich damals, auf einem Fahrrad angefahren und prallte gegen mein Bein. Der Schmerz, erst subtil und flüchtig, wurde immer stärker. Ich fing an zu schreien, während sich die Sonne am Himmel schwärzte und …
… erwachte keuchend in völliger Schwärze. Mein Kopf brummte wie verrückt. Mein Körper war übersäht mit dumpfen Schmerzen, von denen der in meinem Bein der mit Abstand schlimmste war. Ich ordnete meine Gedanken, versuchte die Impulse meiner Glieder zu missachten und mir fiel die Zugfahrt wieder ein. Die Fetzen fügten sich zu einem kurzen Film zusammen, auch wenn ich nicht begriff, was dieser zu bedeuteten hatte. Irgendetwas musste schrecklich schief gelaufen sein und ich konnte nur erahnen, dass die Wagons von ihren Schienen gesprungen waren.
Stöhnend versuchte ich mich aufzurichten und gab etwas Belastung auf mein linkes Bein, welches sofort wegknickte und mich wieder auf den Boden fallenließ, begleitet von dem Geräusch knirschenden Glasscherben. Heftig aus- und einatmend holte ich mein Handy aus der Hosentasche, klappte die Schutzhülle beiseite und drückte den Stand-by-Knopf. Ein kurzer heller Schein und ich sah den Startbildschirm. Ich versuchte die Nummern meiner PIN ins Bewusstsein zu rufen und tippte diese ein. 3 – 7 – 6 – 9. Das System entsperrte sich. Ich drückte auf die Schaltfläche für die Taschenlampe meines Handys und langsam machte sich ein Gesamtbild sichtbar.
Ich lag auf den schimmernden Bruchstücken des Fensters und unter diesem befand sich braune aufgeschürfte Erde. Der Waggon musste komplett auf die rechte Seite gefallen sein. Ich griff nach der Lehne eines Sitzes und zog mich nach oben, versuchte dabei nur auf dem rechten Bein zu stehen und keuchte die Schmerzen davon.
Nahe am eigentlichen Dach entlang humpelte ich ein Stück vorwärts und kam zur nächsten Sitzgruppe, die direkt vor mir lag. Ich wollte nur die Tür erreichen, die nun an der Decke, einige Meter vor mir sein musste. Als der klamme Schein meiner Lampe hinter die Sitze fiel, sah ich dort eine Gestalt am Boden liegen. Der grausame Aufprall, ließ die Gliedmaßen wild in seltsam aussehende Richtungen liegen. Ich ging zu dem Körper, legte das Handy auf die Seite um Licht zu haben und drehte die Person auf den Rücken. Es war der Mann, der neben mir gesessen hatte, als der Zug noch seinem normalen Tagewerk nachging.
Der Hals des Mannes wirkte komisch verdreht. Seine Augen waren offen und ohne erkennbare Reaktion. Ich hielt meine Hand an seinen Mund und spürte keine Anzeichen für irgendeine Atmung. Oder auch nur einen Hauch Luft. Wie ich es gelernt hatte, als ich meinen Führerschein gemacht hatte, legte ich ihm zwei Finger an den Hals. Es war kein Puls ertastbar. Ich verschob die Finger auf der Stelle an der die Hauptschlagader verlaufen musste, um vielleicht doch noch irgendeine Lebenszeichen zu vernehmen. Eine Träne glitt aus meinem Auge und lief mir an der Backe herunter. Zum ersten mal wurde mir die drastische Situation einigermaßen bewusst. Ich war einer Leiche seit dem Tod meines Großvaters nicht mehr so nahe gewesen.
Gedankenverloren nahm ich mein Handy und schritt weiter auf die Tür zu. Alles was ich wollte war rauszukommen aus diesem gottverlassenen Zug. Ich stolperte weiter an den waagerechten Sitzen vorbei und weiter auf die erlösende Tür zu. Inzwischen hatten sich noch mehr Tränen auf meine Backe gesellt und ich betete, das dieser Moment so schnell wie möglich enden würde.
An der Doppeltür angekommen, sah ich dass das Pärchen mit den Kopfhörern, verworren am Boden lag. Ein verstörendes Schauspiel, das ich kaum ansehen konnte. Beide lagen mit dem Rücken nach unten auf der Tür. Die Arme waren weit von ihnen gestreckt, während sie ohne eine Bewegung zu machen, still und stumm, nach meiner Hilfe riefen. Ich folgte dem Ruf und ging zuerst auf die Frau zu. Wie bei dem Mann eben, prüfte ich Atmung und Puls und konnte tatsächlich Lebenszeichen fühlen. Erleichtert lachte ich kurz glucksend auf und wischte mir über die feuchten Augen. Ich ging zu ihrem Partner, bei dem ich nichts feststellen konnte. Als ich seinen Kopf anhob griff ich mit meinen Fingern auf eine feuchte Stelle an seinem Hinterkopf. Meine Hand war über und über mit Blut bedeckt. Inzwischen abgehärtet, musste ich mir eingestehen, dass ich wohl nur noch seiner Frau helfen konnte. Meine Hände fingen an zu zittern, blutrot und schmerzend.
Ich kniete mich zu der Frau, die da, noch am leben, auf dem Boden lag.
„Hey, bitte wach auf“, brüllte ich sie an und klopfte ihr mit meiner Hand geben die Backe.
„Bitte“, stöhnte ich hervor und fing wieder an zu weinen.
Alles, was ich sah waren ihre geschlossenen Augen und ihre offener Mund, durch den die lebensspendende Luft strömte. Ihre Wangen waren gesprenkelt von Rottönen. Ihr Gesicht ruhig und ausdruckslos. Ihre linke Hand lag mit der Handfläche nach oben, geöffnet auf dem Boden und ich umgriff diese mit meiner eigenen linken Hand. Mit meiner Rechten strich ich ihr über die Stirn die Haare zurück und hauchte in ihr Ohr:
„Bitte wach auf.“
Plötzlich öffnete sie die Augen und fing an zu schreien.
Das Schreien war wie das unerträgliche Knirschen einer Gabel über Porzellan. Ihre Augen blickten wild um sich und fassten immer andere Details in ihren Blick. Ihr Oberkörper bebte während sie tief aus- und einatmete, während das stöhnen mal lauter wurde, mal verstummte.
„Shhhh“, machte ich wie in Trance und hielt immer noch ihre Hand. Ich streichelte ihr über die Stirn und versuchte sie zu beruhigen. Ihr Schreien verblasste allmählich und sie fasste mich in ihren Blick.
„Was ...“, brachte sie hervor.
Ich sagte nichts und gab ihr Zeit sich zu beruhigen. Strich ihr nur vorsichtig weiter über den Kopf und hielt ihre Hand. Blieb still in diesem Augenblick des Grauens und gab ihr Gelegenheit die Situation zu erfassen. Sie musste sich beruhigen, klar denken und mir helfen ihr zu helfen. Wir brauchte uns gegenseitig.
„Du lebst ... freu dich darüber“, sagte ich zu ihr. Sie blickte wieder wild um sich in dieser Umgebung von gebrochenem Glas und verbogenem Metall, welche nur durch das karge Licht meines Handys erhellt wurde.
„Was ist passiert“, fragte sie mich.
Es dauerte eine Weile bis ich antwortete.
„Ich glaube der Zug ist entgleist. Irgendein Scheiß. Ich bin mir nicht sicher.“
Sie blickte kurz nach links und dann nach rechts, lag aber immer noch regungslos auf dem Boden.
„Es tut weh“, brachte sie hervor während sie anfing zu weinen.
„Wo tut es weh?“
„An meinem Bein.“
Ich leuchtete an ihr herunter. Ihr Schienbein war abgeknickt und stand nach vorne heraus. Es musste wohl komplett gebrochen sein.
„Sieht nicht schlimm aus“, sagte ich zu ihr.
„Bist du sicher? Es brennt so sehr.“ Sie weinte immer noch leise vor sich hin.
„Ja ganz sicher“, antwortete ich.
Es war für einige Sekunden Stille, bis sie erneut anfing zu sprechen.
„Wie lange liege ich schon hier.“
„Ich habe dich erst eben gefunden. Ich weiß es nicht.“
„Mein Bein es tut so weh.“
„Ganz ruhig.“
Sie weinte weiter. Ich ließ ihre Hand los, hob ihren Kopf leicht an, setze mich unter ihn und legte ihn an meinen Oberschenkel, während ich ihre Stirn streichelte.
„Es wird alles gut“, sagte ich in der Hoffnung, es würde sie beruhigen.
Sie blickte sich , und ich hatte befürchtet, dass das passieren würde, nach rechts um, auf ihren toten Mitfahrer.
„Ist ... ist er am Leben“, stammelte sie hervor.
„Nein“, sagte ich gleichgültig.
Und es herrschte wieder Stille im Abteil. In dieser trostlosen Welt. So gesellten wir uns in unser Schicksal im Wagon und verblieben für ein paar Minuten in dieser surrealen Umgebung.
Ihr Schluchzen verstummt mit der Zeit und ihre Atmung beruhigte sich in dem Maße, welches ihre Schmerzen wohl zuließen. Sie blickte an die Decke des verdrehten Abteils. Ihr Kopf lehnte noch immer an meinem Oberschenkel und ich strich ihr noch immer über ihre Stirn. Ich war froh jemanden zu haben. Jemanden der mir wenigstens zuhören könnte, wenn ich reden wollen würde. Jemand der mich nicht allein ließ. Wir lebten und wir waren bei Bewusstsein. Wir konnten diesen Augenblick gleichzeitig fühlen, gleichzeitig wahrnehmen. Wir würden uns beide an diesen Augenblick erinnern können. Für immer.
„Du … du bist doch Frank Brettschneider, oder“, fragte sich mich. Ich war überrascht, dass sie die Stille mit so einer Frage durchbohrte.
„Ja“, sagte ich und begriff noch nicht.
„Woher weißt du das“, fragte ich mit leichtem Erstaunen, jedenfalls so viel wie die Situation erlaubte.
„Das da war mein Kollege. Wir sind Polizisten. Wir sollten dich beschatten. Du bist verdächtigt mit Drogen zu handeln.“
Ich antwortete nichts und versuchte ihre Worte zu erfassen.
„Wir wollten heute Abend zuschlagen. Dich verhaften. Wenn du die Drogen daheim hast. Wir wollten dich zum Reden bringen. Deine Dealer herausfinden.“
Sie lachte kurz, durchsetzt mit Stöhnen und Husten.
„Danke“, sagte sie.
Ich war wütend.
„Danke wofür“, fragte ich.
Sie blickte mich an und lächelte ein wenig.
„Danke, dass du hier bei mir geblieben bist. Das ist nicht normal.“
„Doch“, antwortete ich knapp.
Sie lachte kurz.
„Hätte ich nicht gedacht, von einem Kriminellen.“
Von weit her konnte man Sirenen hören.
„Ich bin nicht kriminell, ich bin nur ein Mensch.“ und fing wieder an ihr über die Stirn zu streicheln.