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Dieser Text ist eine Episode aus einer Zusammenstellung von Kuzgeschichten zu verschiedensten Themen und Situationen des Alltags.
Gänsehaut
Gänsehaut (Achtung: nichts für furchtsame Gemüter! ;-))
Wissen Sie, was ich an guten Gruselgeschichten mag? Wenn man sich Gruseln kann aber alles dennoch ein schaurig schönes Vergnügen bleibt, das einen nicht verfolgt, wenn man aus dem Kinosaal herauskommt oder das Buch zuklappt. Sie wissen wovon ich rede? … „Nachhaltigkeit“, genau … die ist an dieser Stelle gänzlich unerwünscht.
Wenn eben keine Verbindung zur persönlichen, realen Welt geschaffen wird, wenn das Unsagbare ungesagt bleibt, sondern nur andeutet, und nicht versucht wird, für das Unbeschreibliche ein optisches Gleichnis zu erschaffen, wie brillant auch immer die Grafik dafür sein könnte oder wie ausgetüftelt auch immer die Beschreibungen wären. Nur dann kann Ihr eigenes Kopf-Kino arbeiten … unübertroffen … auf Basis Ihrer Erfahrungen.
Oh … das soll nicht etwa heißen, dass ich kein Freund von dargestellter Fiktion bin, ganz im Gegenteil. Ich persönlich aber glaube, zumindest beim Thema Gruseln ist der eigne Kopf immer noch Meister und damit den Erschaffungen anderer (Köpfe) überlegen. Gute Gruselgeschichten wahren diesen Abstand zur realen Welt.
Ist es aber nicht seltsam, dass man diesen gewissen „Thrill“ sucht … aus sicherer Distanz natürlich und der Eine mehr als der Andere … „bitte einmal alle Lebensfunktionen in Alarmmodus versetzten“ … „aber nicht übertreiben … und mit Happy End … ach, und einmal Nachos mit Käsesoße und eine große Tüte Popcorn … bitte“.
Eine Steilvorlage für eine solche Geschichte begegnete mir im beruflichen Alltag. Ich schrieb sie für eine liebe Kollegin … nennen wir sie Caren … und sie spielt darin die Hauptrolle. Aber worin bestand die Steilvorlage? Der Ort, an dem die Geschichte spielt, all die Einzelheiten der skurril anmutenden Inneneinrichtung existierten genauso wie beschrieben … und die gewisse Abneigung meiner Kollegin gegen diesen Ort auch.
Kopf-Kino eben …
*** Das Archiv ***
Sie hatte lange gebraucht, um sich an Ihrem neuen Arbeitsplatz einzuleben. Eine fremde Stadt, die Kollegen und das seltsam pikante Klima, das in der neuen Firma herrschte. An all das hatte sie sich gewöhnt und hätte mittlerweile fast sagen können, es gefalle Ihr hier, wenn da nicht das Archiv gewesen wäre.
Was kann an einem Archiv schon Besonderes sein, fragt man sich. Garnichts! Denn nicht das Archiv selbst, der Ort an dem es eingerichtet wurde, war das Besondere. Der Zufall wollte es, dass sich, vor Jahren schon, die Pathologie in einen Teil des großen Areals eingemietet hatte. Und in diesem Gebäude war im Keller das Archiv untergebracht.
Sie wusste natürlich, was man in der Pathologie macht. Kein Grund zur Sorge … sagt ihr Kopf, doch ihr Bauch sagte etwas anderes. Und tatsächlich schien es, als strahlte dieser Ort etwas Merkwürdiges aus, er schien eine seltsame Aura zu haben. Auch ihr Kollege war nicht wirklich gern dort unten. Jedenfalls hatte sie sich geschworen, sie werde da nicht rein gehen, NIEMALS!
Doch eines Tages kam der Moment. Ihr Kollege bat sie, mit ins Archiv zu kommen, um wichtige Unterlagen herauszusuchen. Was nie passieren sollte (sie hatte es sich so gewünscht) passierte. Jetzt war es so weit und eine Veränderung schien mit der Welt vorzugehen. Ist es in diesem Moment nicht eine Spur dunkler geworden? Haben die Vögel draußen nicht aufgehört zu zwitschern (kein Wunder … um 16:15 Uhr an einem verregneten Dezembertag)?
Im Zwiespalt zwischen Verweigerung und Einsehen siegte der Verstand. Doch, oh weh, was nützen rationale Überlegungen gegen tiefes, unergründliches Unbehagen. Und dieses vergrößerte sich genau in dem Moment, als sie das Gebäude betraten.
Alle ihre unbewussten Ängste manifestierten sich an diesem Ort. Schon der steril wirkende, saubere Teil des Gebäudes wirkte unheimlich. Erst kam die halbe Treppe, die abwärts führte, dann die große, schwere Glastür mit dem Edelstahlrahmen, die, nur wenn man kräftig genug an der sonst ausschließlich an Kühlhaustüren vorhandenen Hebelklinke zog, unwillig und sich scheinbar wehrend aufging, um dann aber, wie von Geisterhand bewegt, selbsttätig und mit einem laut schmatzenden Geräusch wieder schwer ins Schloss zu fallen. Dann der lange, hell erleuchtete und doch irgendwie düster wirkende Gang und zu „guter Letzt“ diese eigenartige, komplett schwarz geflieste Dusche im hinteren Zimmer.
Es bestand für sie kein Zweifel mehr, plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen … DAS HIER ist der Ort, HIER war „Das Schweigen der Lämmer“, HIER starb die Frau unter der Dusche in „Psycho“.
Sie gingen beide den Gang entlang. Ihr Kloß im Hals wurde immer größer. Der Gang schien ihr kalt und böse entgegen zu atmen. Plötzlich, kurz vor dem vorletzten Zimmer in dem die alten Akten standen, hielt ihr Kollege inne und fragte verwundert, ob sie nicht auch dieses tropfende Geräusch höre. „Klingt, als ob jemand kopfüber aufgehängt wurde und jetzt aus vielen Wunden blutet“.
Der menschliche Körper ist bekanntlich zu mehrerlei Reaktionen gleichzeitig fähig. Bei ihr äußerte sich dies in der Art, dass in ihrem Körper eine gigantische Menge Adrenalin ausgeschüttet wurde, sie einen markerschütternden Schrei ausstieß (es war nicht ein Schrei, es war DER SCHREI ) um dann, eine nicht geahnte Spurtkraft entwickelnd, wie der Blitz ins Freie zu stürmen.
Ihr Kollege begriff in dem Moment die ganze Bedeutung der Redewendung, wenn jemand “auf dem Absatz kehrt macht“ und konnte nicht umhin, mit einem leicht schlechten Gewissen umzudrehen und sie zurückzuholen. Noch ganz aufgelöst stand sie draußen. Sie wusste jetzt, dass das natürlich nicht real sein konnte, ihre Angst war unbegründet. Ihr Kollege hatte ihr nur einen Streich gespielt … zugegebenermaßen einen bösen Streich.
Vom Schreck erholt, gingen beide wieder ins Archiv. Auf dem Weg in den Keller sagte ihr Kollege dann … halb entschuldigend, halb beruhigend, doch mit einem Lächeln auf den Lippen, dass sie sich nicht fürchten müsse.
„Es gibt keinen Grund zur Panik“…
„In dem Zimmer mit den Akten ist nichts“ …
„Ich habe den toten Körper in ein anderes Zimmer gehängt.“
Wehte den Beiden da nicht ein eisiger Hauch aus dem Gang entgegen? ...
***