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Genre Verbrechenserzählung

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26.02.2009
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Genre Verbrechenserzählung

Verbrechenserzählungen gehören zum realistischen Fiktionstyp. Meist folgt sie dem Thema „Kampf des Guten gegen das Böse“ oder, wie es in der Literaturwissenschaft einfacher genannt wird: „das Böse“. Der zentrale Konflikt ist ein Verstoß gegen das Gesetz oder gegen gesellschaftliche Konventionen.

Subgenres:

Kriminalgeschichte
Sie erzählt aus der Sicht des Täters oder aus der Sicht des Opfers.

Detektivgeschichte
Meist ist ein Privatdetektiv oder ein Kriminalpolizist der Protagonist/Ermittler. Es kann auch jede andere Person sein, die ermittelt. Zum Beispiel ein Journalist oder ein Familienangehöriger des Opfers.
Im US-amerikanischen Raum angesiedelte Detektivgeschichten haben oft ein Gespann aus Rechtsanwalt und Privatdetektiv als Ermittler (Grund: das dortige Rechtssystem). Je nach Gewichtung kann man eine solche Geschichte als Gerichtsdrama bezeichnen.

Thriller
Das Hauptaugenmerk richtet sich auf die Action. Sehr oft gibt es von beiden Seiten, der guten und der bösen, jeweils eine Hauptfigur, in die der Erzähler eintaucht. Die beiden Handlungsstränge verwickeln und trennen sich mehrfach bis zum Showdown.

Der Wirtschaftskrimi und Politkrimi
„Der Fisch stinkt vom Kopf her“. Ein Sprichwort, das für die oberen Etagen der Wirtschaft und der Politik nicht passender sein kann. So wandelt sich in letzter Zeit der Krimi zunehmend zum gesellschaftskritischen Roman.
Da Wirtschaft und Politik in den fundamental-kapitalistischen Staaten der westlichen Welt kaum zu trennen sind, werden diese beiden Genres hier zusammengefasst.

Zum Wirtschaftskrimi
gibt es noch keine feste Definition, daher orientiere ich mich an das Gerichtsverfassungsgesetz und das Strafgesetzbuch, Berichten aus den Medien und Ergebnissen diverser Studien.
Zunächst eine Liste der (für den Autor) interessantesten Straftaten, die der Wirtschaftskriminalität zuzuordnen sind:
Betrug bei Börsengeschäften,
illegale Beschaffung oder Verrat von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen (Industriespionage), Bestechung bei der Auftragsvergabe (Ausschreibungsbetrug),
illegale Arbeitnehmerüberlassung.

Nun zu der Frage, wer ist in der Wirtschaftskriminalität der übliche Verdächtige?
Die meisten Täter sind männlich. Der Anteil der weiblichen Täter liegt (derzeit) unter 10%.
Der Täter ist im mittleren bis gehobenen Alter. Er hat einen Posten im Senior-Management, im Aufsichtsrat oder eine leitende Funktion in der Entwicklungs- oder Finanzabteilung.
Er ist lange genug in der Firma, um Schwachstellen nutzen zu können oder Sicherungen umgehen zu können.
Er arbeitet meist mit Komplizen oder Auftraggebern zusammen, die außerhalb der Firma agieren.

Seine Persönlichkeit ist schon fast auffällig unauffällig. Er gibt sich freundlich und verständnisvoll, sagt oft, was sein Gegenüber hören will (ohne sich dabei festzulegen), gibt sich in der Firma engagiert und hilfsbereit, auch wo er nicht zuständig ist. Es geht ihm dabei um das Sammeln von Informationen und Finden möglicher Helfer und Lücken im System. Oft sind die Täter Soziopathen, die auf diese Weise geschickt ihr striktes und dominantes Vorgehen tarnen.


Wer ermittelt in diesen speziellen Fällen?
International ist das BKA zuständig. National ist die Polizei des betroffenen Bundeslandes zuständig. Das BKA kann jedoch um Unterstützung (durch dessen umfangreiches Datenmaterial, Informationen, Serviceleistungen und Know-How) gebeten werden, in schwierigen Fällen auch um die Übernahme der Ermittlungen.

Der Politische Krimi
hatte seine Blütezeit im kalten Krieg. Derzeit erlebt er ein Aufblühen, jedoch sind die Schwerpunkte heute weniger im Konflikt der großen politischen Ideologien angesiedelt. Heute hat das Ausspionieren von politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bündnispartnern ein hohes Gewicht. Ebenso die innerstaatliche Kontrolle und Unterwanderung von politischen Abweichlern wie z.B. die rechte und linke Szene durch gezielte Abhöraktionen und V-Personen.

Ein großes Feld ist auch die Einflussnahme der Geheimdienste auf Regierungen und Macht-Strukturen in Ländern mit wichtigen Rohstoffen. Dabei geht es im Grunde weniger um Politik, mehr um wirtschaftliche Interessen (Durch das Herbeibomben von Demokratie erschließt sich gleichzeitig ein neuer Markt für Global Player) und der Sicherung der eigenen Rohstoff-Versorgung.

Ein weiteres Feld für einen Politkrimi ist das initiieren von Massenterror. Hierbei ist auch besonders die Opferperspektive ein interessantes Motiv.

Der übliche Verdächtige ist im politischen Krimi schwieriger zu definieren, da hier meist mehrere Personen aus Politik, Geheimdienst und Wirtschaft miteinander agieren. Die persönlichen Merkmale sind denen der Wirtschaftsverbrecher ähnlich.

Politkrimis bergen gewisse Nachteile.
Es besteht die „Gefahr“, dass sich der Autor politisch entlarvt, und/oder dass der Roman zu sehr engagiert wirkt, also die Distanz des Erzählers zum Thema fehlt. Zu den etablierten Autoren gibt es Listen, wer ist links, wer ist konservativ usw.
Bietet der politische Krimi nicht genug Fülle und Tiefe, ist seine Welthaltigkeit gering, das heißt, er hat ein sehr nahes Verfallsdatum.
Ein Roman, der mit moralischen Appellen auf das reale Leben einwirken will, ist genauso dogmatisch wie das, was er anprangert.

Der Sozialkrimi
Mehr noch als der Wirtschafts- und Politkrimi ist der Sozialkrimi (Sozial-Verbrechenserzählung) ein Medium gesellschaftlicher Analyse. Er setzt dort an, wo die Grundwerte des Rechtsstaats nicht mehr intakt sind.
Die Führungsschicht, einschließlich die der Polizei und der Journaille, wird als korrumpiert entlarvt.

Sind die Ermittler im WK und PK noch brave Beamte oder sonstige Handlanger des Systems sowie der allgemein anerkannten Werte und Normen, beugen sich die Hauptfiguren im SK nur selten den etablierten Hierarchien und Gepflogenheiten. Sie bedenken nicht nur die menschlichen Hintergründe eines Verbrechens, sondern vor allem auch die gesellschaftlichen.
Sie beschäftigen sich mit Verbrechen, verursacht durch politische Faktoren wie die Beschränkung der freien Entfaltung durch staatliche Bevormundung, Ausgrenzung, mangelnde Bildung, Mittel- und Chancenlosigkeit. Ebenso mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und anderen Ideologien, die von großen Teilen der Gesellschaft stillschweigend geduldet (und damit sogar gefördert) werden.

Der SK erzählt also nicht vordergründig von einem Verbrechen im juristischen Sinn.
Allein durch diese Feststellungen ergeben sich starke Unterschiede zu den anderen Spielarten der Verbrechenserzählung. Der SK besitzt eine eigne Struktur, so dass man hier schon fast von einem eigenständigen Genre sprechen kann (ob dies in der deutschen Literaturforschung bereits der Fall ist, kann ich noch nicht sagen, bleibe da aber dran).


Das führt zunächst zu zwei Fragen:

Kann es zu einem Happyend kommen?
Das wird zumindest sehr schwierig zu installieren sein, denn die Verhaltensnormen der (fiktiven) Gesellschaft werden sich am Ende kaum geändert haben.
Der verbeamtete Ermittler muss (beruflich) scheitern, so sehr er sich auch bemüht. Seine Empathie für die Betrogenen und Geschundenen und sein Gerechtigkeitsverständnis werden ihm zum Verhängnis. Gleiches kann auch für einen unabhängigen Ermittler gelten, zum Beispiel einem Journalisten.

Kann der Leser am Ende der Handlung poetische Gerechtigkeit entdecken?
Das ist durchaus möglich. Jedoch wird man nicht unbedingt das übliche Muster vorfinden. Das übliche Muster in der Verbrechensdichtung beruht darauf, dass der Gute kraft seines Verstandes gegen das Böse gewinnt und es seiner im Rechtssystem vorgesehenen Strafe zuführt. Letzteres ist im SK nicht möglich, da die bestehenden Gesetze nicht greifen oder dem Missstand gar förderlich ausgelegt sind.
Wenn ein Autor mag, kann er den Bösewicht am Ende dem Zufall opfern, einer Krankheit, einem Unfall oder Ähnlichem.

Eine sehr interessante Form des SK ist die ohne Ermittler, also eine „echte“ Kriminalgeschichte. Opfer und Täter stehen im Fokus, ohne eine vermittelnde Figur dazwischen. Sie bietet eine eindringliche Verbindung zwischen Unterhaltung, Information und Wirklichkeit, die den Leser fordert, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Die Sozial-Verbrechenserzählung ist also alles Andere als leichte Kost. Sie ist der Gegenpol zum mechanisierten Muster der Massenkrimis mit ihren raumgreifenden Beziehungsdramen und Nabelschauen der Protagonisten. Die Sozial-Verbrechenserzählung bricht die weit verbreitete Verschränkung des Krimis mit der wohlstandsbürgerlichen Literatur auf und vermittelt dem Leser neue Sichtweisen.

Hard boiled
Meist eine Detektivgeschichte (hard-boiled detectiv). Das übliche Thema „Gut gegen Böse“ wird in hard-boiled Storys jedoch schwer zu finden sein. Der Held kann auch andere Ambitionen haben als die Aufklärung, zum Beispiel Vergeltung oder das simple, brutale Beseitigen eines Unrechtszustandes.
Der Hauptcharakter beschreitet dabei illegale Wege, geht über Leichen, wenn es sein muss. Er ist Einzelgänger und sozial inkompetent. In seiner „Freizeit“ gibt er sich so manchem Laster hin.
Die Nebenfiguren sind der Hauptfigur ähnlich. Selbst Gesetzeshüter handeln zumindest am Rande der Legalität, sind korrupt und alles andere als zimperlich.
Trotz dieser rohen Weise bieten die hard-boiled Storys eine poetische Gerechtigkeit am Ende, der Schuldige bekommt seine Strafe. Jedoch ist diese Strafe kaum konform mit dem Gesetz. Von einem Happy End zu sprechen, wäre vielleicht etwas zynisch, doch vom Grundsatz her nicht falsch.
Ein solches Ende ist auch ein Aspekt der Abgrenzung zum Roman-Noir.

Roman-Noir
Der Held ist, im Gegensatz zur Hauptfigur in der hard-boiled Story, eher ein Antiheld. Er ist von Depressionen und Illusionslosigkeit geprägt. Er pflegt sein düsteres Weltbild schon fast mit philosophischer Gründlichkeit. Sein Frauenbild ähnelt dem des hard-boiled Helden, es gibt nur Göttinnen und Schlampen. Der hard-boiled Held kann sie eher unterscheiden als der Noir Held.

Die Hauptfigur im Roman-Noir lebt in seiner eigen Welt, mit ehrbaren Vorstellungen von Gerechtigkeit, die meist mit seinem Umfeld wenig zu tun haben. So gerät er prompt in Schwierigkeiten. Die Schlinge um seinen Hals zieht sich immer weiter zu. Seine wahren Gegner sind ihm am Anfang meist nicht bekannt. Er schlägt sich mit dem Fußvolk herum, bis er die großen Zusammenhänge erkennt und, falls er das Ende der Geschichte überlebt, nur noch der Rückzug übrig bleibt.
Ihm ist es nicht vergönnt, die Ordnung wieder herzustellen. Seine Erkenntnis am Ende: Im Grunde ist alles wie vorher, weil die Welt schon immer so war, korrupt und grausam, und so wird es bleiben.
Im Noir neuerer Generation findet sich oft Gesellschaftskritik. Ein Missstand der realen Welt wird verstärkt und als prägender Allgemeinzustand in einem bestimmten Milieu dargestellt. Dieses kann in einer Stadt, einem Stadtviertel oder einer ländlichen Gegend angesiedelt sein.
Die Sprache ist meist von Umgangssprache geprägt.

Der Regional-Krimi
Ist der Regionalkrimi nur von regionaler Bedeutung?
Kann man auch Heimatkrimi dazu sagen?
Bejaht ein Autor diese Fragen zu seinem Werk, hat er etwas falsch gemacht. Ein Regionalkrimi sollte auch für den Rest der Welt interessant und vor allem verständlich sein.
Aus einer Heimatstory per Krimi-Einlage einen Regionalkrimi zu machen, stößt meist auf Kritik, weil typische Heimatromane mit ihrem Pathos (Kitschalarm!) bei der breiten Leserschaft heute nicht mehr beliebt sind.

Was also ist ein Regionalkrimi?

Er ist in jedem Fall eine Variante der Verbrechenserzählung. Die kann, wie bereits oben in den anderen Subgenres beschrieben, als Kriminalgeschichte, Detektivgeschichte oder Thriller daherkommen. Nicht anders verhält es sich beim Regionalkrimi (Der Zusatz „Krimi“ steht hier als geläufiger Platzhalter).
Man kann versucht sein, dieses Subgenre als überflüssig zu betrachten, schließlich gibt es viele Krimis und Krimiserien, die in einer bestimmten Stadt spielen, ohne dass jemand auf die Idee käme, sie als Regionalkrimi einzustufen.

Worin also liegt der Unterschied?

Geografisch ist der Regionalkrimi (aus deutscher Sicht) nicht in exotischen Orten wie Malmö oder Los Angeles angesiedelt. Er spielt in Deutschland, in einer Stadt, einem Stadtteil oder in einem Dorf.
Die Haupthandlung bleibt innerhalb einer Örtlichkeit, die der Autor wie seine Westentasche kennen sollte. Reale Einheimische des Handlungsortes wollen ihn (zum Beispiel durch Orts- und Straßennamen) wiedererkennen. Auch reale Geschäfte können erwähnt werden, solange sie nur als Wegmarke dienen und nicht weiter in der Handlung involviert sind.
Darüber hinaus ist es dennoch wichtig, im Sinne des allgemeinen Interesses, die Gegend detailliert zu beschreiben und mit diesen Beschreibungen ein wirklichkeitsgetreues Bild zu schaffen. Man kann auch, durch Selektion der realen Gegebenheiten, ein bewusst untypisches Bild des Ortes generieren, das Grauen hinter der Idylle zeigen oder die Idylle hinter der grauen Fassade. Zu vermeiden ist, dass diese Beschreibungen keinerlei Zweck innerhalb der Geschichte haben.

Die Gemeinschaft in der Region, den Menschen mit all ihren typischen Eigenarten, auf ihr liegt der Fokus. Die Verflechtungen zwischen den Menschen haben im Regionalkrimi recht hohen Raumanteil gegenüber anderen Verbrechenserzählungen.
Im Regionalkrimi gibt es, von Tätern und professionellen Ermittlern mal abgesehen, den Stammtisch, den allzu neugierigen Nachbarn, die Tratschtanten und -onkel, die selbstsüchtigen Intriganten, die Opportunisten, die Besserwisser, die Möchtegerns, die Korrupten, die Voreingenommenen, die Selbstlosen, die Gerechten, die Schweiger und die typischen (vorverurteilten) Opferfiguren.

Daraus ergeben sich mehr Nebenhandlungen als in anderen Erzählungen. Damit diese Nebenhandlungen nicht zu einer Anekdotensammlung und somit zum Kritikpunkt werden, sollten sie innerhalb der Auflösung des Verbrechens eine Rolle spielen. Es könnte zum Beispiel die „Gerüchteküche“ die Arbeit der professionellen Aufklärer beeinflussen oder sie könnte zu völlig anderen Ergebnissen gelangen, so dass ein Teil der Spannung schon dadurch entsteht, welche Gruppe am Ende richtig liegt.
Auf diese Weise ist die verhältnismäßig hohe Zahl an Nebenhandlungen ein ein interessanter Aspekt des Regionalkrimis.

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Lieber GoMusic!

Wie von dir gewünscht (Jaha! Hier gehen noch Wünsche in Erfüllung!), :D
habe ich mich mit dem Sozikrimi beschäftigt.
Ich muss sagen, das Thema hat mich doch ein wenig überrascht. Ich hatte da etwas andere Vorstellungen.
Hier nun vorab das Ergebnis - Falls es keine Beanstandungen gibt, werde ich den Beitrag so die Tage in das Hauptfenster integrieren.


Der Sozialkrimi

Mehr noch als der Wirtschafts- und Politkrimi ist der Sozialkrimi (Sozial-Verbrechenserzählung) ein Medium gesellschaftlicher Analyse. Sind die Ermittler im WK und PK noch brave Beamte oder sonstige Handlanger des Systems sowie der allgemein anerkannten Werte und Normen, beugen sich die Hauptfiguren im SK nur selten den etablierten Hierarchien oder der staatlichen Ordnung. Sie bedenken nicht nur die menschliche Hintergründe eines Verbrechens, sondern vor allem die gesellschaftlichen und nehmen so die Rolle des gesellschaftlichen Außenseiters ein.

Allein durch diese Feststellungen ergeben sich starke Unterschiede zu den anderen Spielarten der Verbrechenserzählung.
Der SK besitzt eine eigne Struktur, so dass man hier schon fast von einem eigenständigen Genre sprechen kann (ob dies in der deutschen Literaturforschung bereits der Fall ist, kann ich noch nicht sagen, bleibe da aber dran).
So erzählt der SK nicht vordergründig von einem Verbrechen im juristischen Sinn. Er erzählt von Verbrechen, die von keinem Richter geahndet werden, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in der Gesellschaft stillschweigend geduldet (und damit sogar gefördert) werden.

Das führt zunächst zu zwei Fragen:

Kann es zu einem Happyend kommen?
Das wird zumindest sehr schwierig zu installieren sein, denn die Verhaltensnormen der (fiktiven) Gesellschaft werden sich am Ende kaum geändert haben.
Der verbeamtete Ermittler muss (beruflich) scheitern, so sehr er sich auch bemüht. Seine Empathie für die Betrogenen und Geschundenen und sein Gerechtigkeitsverständnis werden ihm zum Verhängnis. Gleiches kann auch für einen unabhängigen Ermittler gelten, zum Beispiel einem Journalisten.

Kann der Leser am Ende der Handlung poetische Gerechtigkeit entdecken?
Das ist durchaus möglich. Jedoch wird man nicht unbedingt das übliche Muster vorfinden. Das übliche Muster in der Verbrechensdichtung beruht darauf, dass der Gute kraft seines Verstandes gegen das Böse gewinnt und es seiner im Rechtssystem vorgesehenen Strafe zuführt. Letzteres ist im SK nicht möglich, da die bestehenden Gesetze nicht greifen oder dem Missstand gar förderlich ausgelegt sind.
Wenn ein Autor mag, kann er den Bösewicht am Ende dem Zufall opfern, einer Krankheit, einem Unfall oder Ähnlichem.

Eine sehr interessante Form des SK ist die ohne Ermittler, also eine „echte“ Kriminalgeschichte. Opfer und Täter stehen im Fokus, ohne eine vermittelnde Figur dazwischen. Sie bietet eine eindringliche Verbindung zwischen Unterhaltung, Information und Wirklichkeit, die den Leser fordert, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Die Sozial-Verbrechenserzählung ist also alles Andere als leichte Kost. Sie ist der Gegenpol zum mechanisierten Muster der Massenkrimis mit ihren raumgreifenden Beziehungsdramen und Nabelschauen der Protagonisten. Die Sozial-Verbrechenserzählung bricht die weit verbreitete Verschränkung des Krimis mit der wohlstandsbürgerlichen Literatur auf und vermittelt dem Leser neue Sichtweisen.

Lieben Gruß

Asterix

 

Ganz kurze Anfrage von einem, der Anfang der 1970er Jahre die Anti-Keynes Fraktion und die Front wider rheinischen Kapitalismus' in den Anfängen der School of Chicagol hautnah erlebte in einem "mangelhaft" nicht nur einer Semesterarbeit, zu einer Zeit, da die sozialliberale Koalition soziale Schranken zu Beerde anfing, durchlässiger zu machen, gar in der Brandt-Ära einzureißen und Chancengleichheit kein Lippenbekenntnis mehr zu sein schien,

lieberAsterix und lieber GoMusic,

sind die Verbrechen oder die Anstiftungen dazu durch die Herren mit weißem Kragen und reiner Weste nicht Wirtschaftskrimis, wenn die Ökonomie schon den Kindergarten beherrscht?

Ich hab immer so meine Probleme mit Schubladen, dass die Unterhosen schon mal mit den Socken gemeinsam verbunkert werden ...

Tschüss

Friedel

 

Lieber Friedrichard!

sind die Verbrechen oder die Anstiftungen dazu durch die Herren mit weißem Kragen und reiner Weste nicht Wirtschaftskrimis, wenn die Ökonomie schon den Kindergarten beherrscht?
Im Wirtschaftskrimi geht es um Verbrechen, Verbrechen sind rechtswidrige Handlungen.
Im Sozikrimi geht es eher um Handlungen zum eigenen Vorteil, die gegen das Gerechtigkeitsempfinden der breite Masse oder zum überzogenen Nachteil Dritter durchgeführt werden, die jedoch nicht rechtswidrig sind oder von den zuständigen Organen nicht verfolgt werden.
Oft sind diese Missetaten der Öffentlichkeit nicht einmal bekannt.
Die Anfänge des Sozikrimis haben wohl Dürrenmatt und -ky (alias Prof. Dr. Horst Boseztky, Diplomsoziologe) geschrieben.

Ich kann nur davon abraten, Kinder in Gärten auszusetzen. Nicht ohne Grund holen Diktaturen aller Farb- und Glaubensrichtungen ihre Kinder frühstmöglich zu sich. Auch hierzulande geschieht dies seit einigen Jahren mit Nachdruck.

Beim nochmaligen Durchlesen hab ich grad einen Fehler entdeckt:

Er erzählt von Verbrechen, die von keinem Richter geahndet werden, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
Die Formel: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist bereits inhaltlich anderweitig belegt.
Wiki: ist ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht, der durch einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung gekennzeichnet ist.
Obwohl, so simpel gesehen ist der globale Kapitalismus ein Verbrechen.
Da muss ich mir wohl eine andere Formulierung einfallen lassen.

Ich hab immer so meine Probleme mit Schubladen, dass die Unterhosen schon mal mit den Socken gemeinsam verbunkert werden ...
Immerhin weißt du, dass die Socken und Unterhosen in einer Schublade sind. Stell dir vor, die könnten überall sein!

Lieben Gruß

Asterix

 

Lieber Asterix,

Wie von dir gewünscht (Jaha! Hier gehen noch Wünsche in Erfüllung!), habe ich mich mit dem Sozikrimi beschäftigt.
Super, hast du hier doch alle Merkmale, Kriterien und Varianten des Sozialkrimis aufgezeigt, soweit ich das als begeisterter Leser dieses Genres beurteilen kann. :thumbsup:

Anbei nur ein paar kleine Ergänzungsvorschläge (fett), die vielleicht dort reinpassen oder separat an anderer Stelle stehen könnten, falls du sie als sinnvoll betrachtest:

Sind die Ermittler im WK und PK noch brave Beamte oder sonstige Handlanger des Systems sowie der allgemein anerkannten Werte und Normen, beugen sich die Hauptfiguren im SK nur selten den etablierten Hierarchien oder der staatlichen Ordnung. Zu berücksichtigen wäre hier, dass die Gesellschaft im SK oft als gleichgeschaltet verstanden wird, und die Führungsschicht - einschließlich die der Polizei - als korrupt, die die Massen mit vordergründigen Eingeständnissen ruhig hält (nicht mehr intakte Grundwerte des Rechtsstaats).
Die Ermittler
bedenken nicht nur die menschliche Hintergründe eines Verbrechens, sondern vor allem die gesellschaftlichen und nehmen so die Rolle des gesellschaftlichen Außenseiters ein, wobei deren Arbeit oft durch ungeklärte Probleme im privaten Umfeld beeinträchtigt oder gar verschärft werden.

So erzählt der SK nicht vordergründig von einem Verbrechen im juristischen Sinn. Er erzählt von Verbrechen, die von keinem Richter geahndet werden, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit - verursacht durch politische und soziale Faktoren wie die Beschränkung des freien Willens (staatliche Bevormundung), mangelnde Bildung und Erziehung, Mittel- und Chancenlosigkeit - sowie Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit, die in der Gesellschaft stillschweigend geduldet (und damit sogar gefördert) werden.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Lieber GoMusic!

So, nun sind deine Vorschläge (sinngemäß) eingearbeitet. Meist jedoch an anderer Stelle, daher ist die erste Hälfte umgestaltet.
Was ich nicht reingenommen habe:

wobei deren Arbeit oft durch ungeklärte Probleme im privaten Umfeld beeinträchtigt oder gar verschärft werden.
Das ist so ein Punkt, den auch alle anderen Verbrechenserzählungen drin haben. Selbstverständlich kann ein Autor diesen Aspekt mit ins Spiel bringen, muss aber nicht sein.
Im Idealfall stehen die Probleme der Opfer und die Ursachen im Vordergrund. Probleme der Hauptfigur sind allein solche, die sich durch ihr engagiertes Handeln ergeben.

Eingefügt ist das Ganze im Anschluss an Wirtschts- und Politkrimi.

Lieben Gruß

Asterix

 

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