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Glänzende Isolation
Eine Zeitlang hatte Anand geschlafen. Erwachend blieb ihm eine süßlich-laue Trägheit in den Gliedern und Träume, die in seinem Kopf wie Papageien herumschwirrten. Er lag auf dem Boden des Dritte-Klasse-Abteils. Die dünnen Gitterstäbe der Vogelkäfige, an die er im Liegen seinen Rücken lehnte, hatten ihm ein schmerzendes Muster in den Rücken gedrückt.
Das Abteil war nun fast leer. Nur eine Frau lag noch mit angewinkelten Beinen auf einer der schmutzigen Holzbänke. Hastig wischte er sich den Speichel, der ihm während des Schlafens aus dem Mund getrieft war, von seiner Wange ab. Dann entspannte er sich wieder und rollte sich etwas zur Seite, um sein Gesicht mehr in den Fahrtwind zu halten, der die Schwüle des Nachmittags etwas linderte. Noch wollte er die Frau nicht ansehen. Er öffnete seinen Gedanken alle Türen und das Flag-Flag der zerschlissenen Sonnenblenden, die gegen die Abteilwände schlugen, machte er zum Flügelschlag, der ihn direkt in den Himmel bringen sollte.
Wie viele Analphabeten besaß er ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Und in diesen Stunden zwischen Schlafen und Wachen ging er im Stillen alle Frauen durch, die er näher kannte oder die jemals seine Aufmerksamkeit, wodurch auch immer, erregt hatten. Um sich alle merken zu können, hatte er sie geordnet. Namen waren dabei nicht wichtig. Er ordnete sie nach ihren Besonderheiten. Vieles, fast alles an den Frauen schien es ihm wert, dass man sich dessen erinnerte. Der Schwung eines Oberlides, die Geschmeidigkeit einer Bewegung, die Melodie eines Lachens - das alles konnte ihn tagelang beschäftigen. Am Ende machte Anand das verbotene Fach auf. Hier waren die Schätze, die seltenen Momente, in denen er von einigen Frauen mehr gesehen hatte, als er eigentlich durfte, denn er war unverheiratet. Frauen, sie sich im Fluss die Haare wuschen, und denen sich beim Vorbeugen der nasse Stoff in die Falte zwischen den Beinen schmiegte. Die im Vollmond glänzende Haut von Nachbarinnen, die sich ihren Männern in den unerträglich heißen Sommernächten auf den Dächern hingaben. Brüste, die während der Feldarbeit aus den schweißnassen Oberteilen rutschten. Einmal hatte er ein Mädchen beobachtet, das sich in einem selbstvergessenen Moment zwischen den Beinen rieb.
In seinem Schatzkästlein fehlten jedoch die Blicke der Frauen; Blicke, die an deren fruchtbaren Tagen tiefer und wärmer wurden. Das Spiel mit losen Worten, Gesten und kehligem Lachen kannte er nicht. Niemals hatte ihn eine Frau begehrt.
Doch er war keiner jener verbitterten Männer geworden, deren angesammelter, gestockter Saft sich in verbale Galle verwandelt, die sie bei jeder Gelegenheit über die Frauen ausschütten. Das sehnsüchtige Gefühl für sie blieb bei ihm rein und unveränderlich, ja, es machte das Zentrum seines Wesens aus, dem er alles unterordnete.
Endlich erlaubte Anand sich, seinen Blick auf ihr ruhen zu lassen. Er sah vor allem ihre kleinen, aber breiten Füße, die silbernen Schellen um ihre Fesseln, die manchmal leise klirrten, und ihre an die Abteilwand gelehnten Unterschenkel. Ihr Kleid und die weite Hose waren purpurfarben und der Fahrtwind plusterte sie in regelmäßigen Wellen auf, um sie dann wieder an ihren Körper zu pressen. Es war, als würde ihr der Stoff, immer wieder an den Füßen beginnend, über den ganzen Körper streicheln. Anand stand auf. Anjali schlief, während es um sie herum mit rosafarbenen Flügeln flatterte.
Er trat zu ihr hin und betrachtete sie eingehend. Sie wohnte im Dorf nur ein paar Häuser weiter, mit Mann und Kindern, und er versuchte, mit seinem Mund ihren Namen zu formen. ... Anjali schlief weiter. Nun überlegte er, was das Anziehendste an ihr war. Außergewöhnlich waren ihre Nasenflügel, die, da sie sich scharf in die Wangen kerbten, ihrem Gesicht etwas Ornamentales gaben, zwei vollendet gerundete Bögen, die Energie und Leidenschaft verrieten. Schön war auch die Höhlung unter ihrem Kehlkopf, glatt, leise pochend, in einem dunklen Perlmuttton schimmernd. Schließlich entschied er sich jedoch für ihren Nabel, ein kleiner Trichter, in dem sich so manches inmitten ihres wohlgenährten Bauches hätte sammeln können. Er stellte sich ganz knapp neben die Holzbank, auf der sie lag, und beugte sich mit hinausgestreckter Zunge über sie. Vorsichtig senkte er sie in ihren Nabel und begann an ihm zu lecken, ganz leicht nur.
Die rosa Flügel der Tücher umschwirrten ihn und ihr Geruch füllte ihm das Gehirn. Tief atmend richtete er sich wieder auf und sah, wie sich die feuchte Spur auf ihrem Bauch regelmäßig hob und senkte. Er stellte sich vor, dass er mit ihr wie in einem Film auf dem Zugdach tanzte, Anjalis Bauch würde dabei im Rhythmus der Musik ein wenig schlingern, aber der Mann neben ihr, der eigentlich er hätte sein sollen, hatte kein Gesicht.
Jetzt legte er seinen linken Zeigefinger ganz sanft auf die Spalte zwischen ihren Brüsten und zog eine Linie hinunter: Haut, Stoff, Haut, Stoff. Aufmerksam beobachtete er, wie sich der Abstand zwischen Hosenbund und Bauch bei jedem ihrer Atemzüge vergrößerte und wieder verkleinerte. Er war Vogelhändler, er hatte flinke, geschmeidige Hände. Ruhig und konzentriert schob er nun zwei Finger in diese Öffnung, so weit, bis er unter dem Drahtgeflecht der Haare feuchtes Fleisch spürte. Ein paar Augenblicke nur ließ er die Finger dort ruhen, dann zog er sie wieder behutsam aus dem Hosenbund. Sein Pulsschlag ließ nun auch sein Inneres purpurfarben erglühen. Rasch kehrte er zu seinem Platz zurück.
Als der Zug an seiner Station hielt, schulterte Anand seine Vogelkäfige, leer wie immer, wenn er von der Stadt nach Hause kam, und stieg aus. Er bemerkte gar nicht mehr, dass Anjali knapp hinter ihm die gegitterten Stufen hinabstieg. Er ließ die ganze Zeit seine linke Hand an der Nase; nicht das kleinste Geruchsteilchen wollte er verlieren. Es erschien ihm, als ob zuerst die Nase und dann sein ganzer Kopf voll und schwer von diesem leicht säuerlichen Duft würden. Nie mehr würde Anand ihn vergessen. Oft würde er ihn noch berauschen.
Anjali zog rasch ihr Tuch über den Kopf, als sie an ihm vorbeiging, und sah ihn nicht an. Anand jedoch stand auf dem in der Abendsonne liegenden Bahnsteig und lächelte. So weit man bei einer gespaltenen Lippe von einem Lächeln sprechen kann.