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Gnichl und die Monsterinjektion
Gnichl bekam vom klugen Vortrag des Ehrenmagikus von und Hähnchen nichts mit, weil er krampfhaft versuchte, einen gefährlichen Niesanfall zu unterdrücken. Das Brennen in seiner Nase wurde mit jedem Atemzug schlimmer, sein Gesicht schien zu pulsieren wie eine Kröte in Opiumsuppe. Sein Kopf leuchtete rot, die Augen juckten und tränten. Gnichl atmete flach durch den Mund. Kniff mit den Fingern die Nase zu. Aber immer höher stieg das Brennen, wie Magma in einem Vulkan, das sich anschickte, eine ganze Stadt unter sich zu begraben. Eines fernen Tages würden Archäologen den Hörsaal freilegen und die Kaugummis unter den Tischen zählen. Gnichl hielt die Luft an. Angst knabberte an seinem Hirn. Denn dieses furchtbare Brennen prickelte … magisch. Sein Kopf würde vermutlich jeden Moment zu einem Blumenkohl explodieren, dabei Ätherplasma-Fetzen über das Auditorium schleudern... bloß, weil er am Vormittag diese blöde Häschen-Übung vermasselt hatte.
Der Gedanke gab ihm den Rest. Er verlor den ungleichen Kampf gegen den Niesreiz.
»Hhhhhhhaaaaaaa...«
»Du musst den Entzauberstab schon ein bisschen kräftiger in den Hasen pieken«, erklärte Tsnok gemütlich. »Am besten nimmst du die Faust, nicht nur zwei Finger.« Der Übungsleiter, der aussah wie ein Bär mit Haarausfall, gehüllt in einen grün-rot gestreiften Umhang, bedachte Gnichl mit einem gnädigen Grinsen, als wolle er sagen: »Ich hab das damals auch immer verkehrt gemacht, und du siehst ja, dass trotzdem was aus mir geworden ist.«
»Tut das dem Hasen nicht weh?«, fragte Gnichl. Er sah dem grau gescheckten Tier in die unschuldigen Augen. Was es wohl gerade dachte?
Tsnok seufzte demonstrativ und gestikulierte aufgebracht. »Er ist doch nicht echt. Der Hase ist ein Illusionszauber, eine leere Hülle des Scheinbaren, die du neutralisieren sollst. Indem du ihm deinen Entzauberstab...« An dieser Stelle verließen Tsnok seine Kräfte, drei Sätze waren dann doch zuviel für einen Mann seines Formats.
»...hineinschiebst«, half Gnichl. »Aber muss es ausgerechnet, ich meine... kann ich nicht auch vorne...?«
Dass Tsnok in diesem Moment die Augen schloss, konnte mehrere Gründe haben. Entweder war er eingeschlafen, was häufig geschah, wenn ihn Übungsstunden über Gebühr anstrengten. Oder er war verstorben, was bislang noch nie passiert war.
Gnichl beschloss, den unbeobachteten Moment zu nutzen, und es auf seine Art zu versuchen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es einen Unterschied machte, durch welche Körperöffnung der Entzauberstab in die Hasen-Illusion geschoben wurde.
Vorsichtig hielt Gnichl den Hasen am Nacken fest und sah ihm streng in die Augen. »Sag Aa!«
Der Hase fuhr unbeeindruckt damit fort, Gnichl glasig zu begaffen.
»Nun gut«, meinte der Entzauberlehrling nach einem Seitenblick auf seinen Übungsleiter. »Dann eben mit Gewalt.« Er packte den Zauberstab und hielt dem Nager die Spitze dicht vors Maul. Als nichts weiter geschah, biss Gnichl die Zähne zusammen und drückte den Stab in den Hasen. Es ging erstaunlich leicht.
Dann ein Plopp. Es dauerte einen Moment, bis Gnichl begriff und erstaunt die Augenbrauen hob. Der Hase hatte ein buntes Ei gelegt. Gleichzeitig fing er an, durchsichtig zu werden. Kurz darauf war er verschwunden.
Neugierig beugte Gnichl sich über den Tisch, bestaunte das Ei aus der Nähe. Es trug Streifen und Tupfen in grün, gelb und rot. Vorsichtig richtete Gnichl seinen Stab auf das Ding.
»Neiiin!«, heulte in diesem Moment Tsnok, der offenbar doch noch nicht tot war.
Gnichl fuhr zusammen, sein Entzauberstab stach in das Ei.
»...tschiiiiiii!«
»Fiiiep!«
Einen Moment war es still, dann donnerte Gnichl wieder los. »Haaaatschi!«
»Fiep!« »Fiep?«
Gnichl nieste Küken.
Zwei stolperten schon durch die Reihen, über die Tische, Stühle und Studenten. Jeder Nieser schleuderte ein weiteres Küken hervor.
Das Geschrei war groß, als die Leute versuchten, die Tiere zu fangen, wussten dann aber nicht, was sie mit ihnen anfangen sollten.
»Haaatschiii!«
»Fiep fiep?«
Als es Gnichl endlich gelang, damit aufzuhören, war an eine ordentliche Fortsetzung der Vorlesung nicht mehr zu denken. Der Entzauberlehrling wischte sich die Tränen aus den Augen. Vor ihm auf dem Tisch saß ein Küken. Sein Blick erinnerte Gnichl an den des Hasen.
»Was für eine Unverschämtheit«, donnerte ein älterer Student, der sich ein paar Reihen weiter vorn erhoben hatte. »Eine primitive Beleidigung des Namens unseres ehrenwerten Vortragenden!«
Der Satz versetzte Gnichl einen Stich. Sein Blick suchte Ehrenmagikus von und Hähnchen – erfolglos.
»Oder ist er vielleicht zauberkrank?«, summte plötzlich eine Stimme neben Gnichl. Er fuhr herum. Neben ihm stand der Ehrenmagikus und sah auf ihn herab: »Interessante Symptomatik.«
»Fiep?«
Gnichl piekte verzweifelt mit dem Entzauberstab nach dem Küken, aber das tat ihm nicht den Gefallen, zu verschwinden. Gleichzeitig spürte er, wie erneut etwas in seine Nase stieg. Es fühlte sich federhaltig an.
»Hhhhahhhaaaatschi!«, explodierte Gnichl und nieste ein weiteres Küken.
Der Ehrenmagikus fing es elegant auf, dann ließ er seinen Blick schweifen. »Meine Herren?«, wandte er sich an das Auditorium. »Packen wir die Möglichkeit für eine praktische Demonstration meiner Theorien am Schopf. Sie und Sie...«, zeigte er auf zwei kräftige Studenten, »...tragen Sie den Patienten zum Podium und legen Sie ihn auf den Tisch.«
»Aber...«, wollte sich Gnichl wehren, als ihn starke Arme packten.
»Alles wird gut«, beruhigte ihn der Ehrenmagikus und lächelte beunruhigend.
»Neiiin! Falsche Öffnung!«, heulte Tsnork.
Das Ei zerstaubte in glitzernde Partikel. Es war Gnichls Pech, dass er in diesem Moment einatmete.
»Da schläft man einmal ganz kurz ein, und schon...« Tsnork gestikulierte verzweifelt und versuchte anscheinend, aufzuspringen und aufgebracht herumzulaufen, allerdings erwies sich dies als Ausdrucksform, die leichteren Personen vorbehalten war.
»Wwww«, machte Gnichl. Seine Nase kribbelte, als müsse er niesen, aber das Gefühl verging so schnell, wie es gekommen war.
»Nie machen die Leute, was ich sage«, wimmerte Tsnork und verbarg sein Gesicht hinter einer seiner Pranken.
»Aber... der Hase ist nicht mehr da, oder?« Gnichl versuchte ein Lächeln, aber es sah aus wie das einer Leiche, hergerichtet von einem Bestattungsunternehmer, der nicht ganz bei der Sache war.
»Oh je... oh je...« Die Bewegungen des Übungsleiters ließen nach, dann schloss er die Augen und bewegte sich nicht mehr.
Gnichl packte seinen Zauberstab ein und machte sich eilig aus dem Staub.
»Meine Herren«, intonierte Ehrenmagikus von und Hähnchen, »Sie werden nun Zeuge der von mir erfundenen Therapie, der ich den Namen Homöomagie zu geben gedenke.«
Das Publikum raunte, staunte und fiepte vereinzelt.
Gnichl lag rücklings auf dem Tisch, von und Hähnchen stand ihm zur Seite. Es war nicht so, dass es dem Student an Vertrauen in die Homöomagie mangelte, vielmehr störte ihn irgendwie, dass der Ehrenmagikus befohlen hatte, ihn am Tisch festzubinden.
Im Moment kramte von und Hähnchen in einem Koffer und fuchtelte dann mit etwas herum, das Gnichl nicht richtig erkennen konnte.
»Diese Flüssigkeit«, donnerte der Ehrenmagikus, »enthält Kanalschrat D50.«
»Kanalschrat?«, entfuhr es Gnichl, der endlich erkannt hatte, dass von und Hähnchen mit einer großen Spritze hantierte.
Der nickte: »Canalustikus Okkultus. In einer Verdünnung von D50, das heißt: 50 mal um den Faktor zehn mit Wasser verdünnt.«
Einen Moment lang trat Stille ein. Gnichl konnte den Blick nicht von der Monsterinjektion wenden, die über ihm schwebte.
»Herr Ehrenmagikus«, meldete sich ein Student und winkte energisch, »bedeutet das nicht, dass in diese Flüssigkeit praktisch kein bisschen Monster enthalten ist?«
»Sehr klug bemerkt«, nickte von und Hähnchen. »Das bringt uns zum Kern der Homöomagie. Das Kanalschrat-Monster hat nämlich einen Abdruck in der Flüssigkeit hinterlassen.«
Der Student schlug sich vor die Stirn. »Natürlich, hab ich bloß einen Moment lang vergessen. Hehe.«
»Versteh ich nicht«, sagte Gnichl, der langsam zu schwitzen anfing.
»Junger Mann«, entgegnete der Ehrenmagikus, »was bekommen Sie, wenn Sie durch eine Matschpfütze gehen?«
»Schmutzige Schuhe?«
»Ja, das auch.« Der Ehrenmagikus lächelte gnädig. »Und... Abdrücke. Genau die hinterließ der Canalustikus Okkultus in der Flüssigkeit.«
Gnichl sieht noch einmal genau hin, aber in der Spritze ist kein Matsch, nur Wasser oder etwas, das so aussieht.
»Der Abdruck ist negativ, und nimmt die miasmische Enermagie in Ihrem Körper auf. Und minus Eins plus Eins ergibt bekanntlich...?«
»Null!«, riefen mehrere Studenten eifrig.
Die Spritze näherte sich Gnichls Unterarm.
»Ich fühl mich schon viel besser«, knirschte der, wand sich in seinen Fesseln. »Ich muss auch nicht mehr niesen! Wirklich!«
Der Ehrenmagikus nickte gnädig. »Das Wunder der Homöomagie wirkt immer. Und das sogar ohne Eingriff in den Körper, allein durch Injektion des Mittels in die Vorstellungskraft des Patienten.«
Applaus brandete auf, vereinzelte »Bravo«-Rufe. Ehrenmagikus von und Hähnchen verbeugte sich.
»Äh«, brachte Gnichl hervor, »kann mich mal jemand losbinden?«
Er musste plötzlich fürchterlich dringend aufs Klo.