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Grandioser Auftakt

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Grandioser Auftakt

Immerhin, das Licht ist an – ähnlich wie beim Baden im See, man sitzt und läßt die Beine baumeln, die man zwar nicht mehr sieht, weiß aber trotzdem, daß sie noch da sind. Hoffentlich.
Doch, die Deko ist auch nicht wirklich häßlich – auf ihre Weise, irgendwie.
Noch sitzen alle. Wohl viele Brillenträger hier.
Geht´s denn jetzt bald mal los.
Guck sie dir an, wie sie sitzen und gaffen, dieses Erste-Reihe-Pack.
Ha, irgendwer von denen ist am Ende wenigstens dreckig, naß, kurzgeschoren oder schwanger.
Schade eigentlich – dachte wäre größer der Raum – und weniger verschwitzt.
Ich zieh jetzt einfach mal die Schuhe aus. Ohnehin wäre es günstiger nie Schuhe zu tragen.
Stühle sind unbequem und irgendwie riecht´s komisch. Hätten die das mal doch woanders gemacht; aber konnten sie wohl nicht. Kann sich ja eh keiner leisten, diese Kulturschiene. Drum auch alles so sparsam hier.
Wenigstens für die Gaslaternenbeleuchtung hat´s noch gereicht.
Überreste von den Besuchern der letzten Vorstellung findet man auch nicht auf den Stühlen – kann also nicht allzu schlimm gewesen sein.
Am besten man tut erfahren und kultiviert – Gott ist mir schlecht, dachte Currywurst verträgt sich mit Pils und Korn.
Aber es riecht muffig.
Vielleicht haben sie noch schnell jemanden weggekarrt.
Die Leute würden ja schon komisch reagieren, wenn man ihnen erklären würde, daß hier kürzlich einige Menschen zufällig bei einer Vorstellung verstorben sind.
Können die da hinten das Kichern und Flüstern nicht sein lassen?
Ich finde ja das geht zu weit – da kann ein Programm noch so schlecht sein, aber Drauflossterben ist wirklich ungerecht und verletzt den Künstler auch.
Mir ist, als hätte da gerade jemand „Plan B“ gesagt.
Nichts – nur ein Mensch auf der Bühne und der kann nicht lesen.
Klasse Programm, hoffentlich war´s das jetzt. Grandioser Auftakt.
Dafür hab ich Geld ausgegeben.
Nun guck sie dir an, wie sie alle gaffen mit ihren offenen Mündern. Man wünscht sich sie würden vergessen zu atmen bis sie sterben. Ich wette die Hälfte sind noch Brüder, Schwestern, Eltern, Enkel, Vetter und Verdammte.
Achja – und Freunde! Verfluchte Freunde, wenn ich keine hätte, säße ich ja gar nicht hier.
Am besten man zieht in den Wald. Die andere Hälfte guckt wie eine Herde Faultiere mit Schnupfen, kurz bevor sie merken, daß sie eigentlich Einzelgänger sind.
Gehen denn die Fenster gar nicht auf?
Alles so eng, als würden sie einen einsperren wollen.
Da hat doch gerade jemand „Plan B“ gesagt, oder?
Vielleicht sind das gar keine Musiker und Autoren, sondern Kriminelle – obwohl das ohnehin fast das gleiche ist.
So stickig hier als würde eine Schlinge um den Hals immer enger werden und dennoch zieht´s in der Nackengegend.
Plan B, Plan B... Ich hör´ hier immer Plan B.
Früher hieß das, wir zünden alles an und laufen dann weg und schauen wie das Publikum reagiert.
Und diese Lichtspiele neben diesem hysterischen Gejappse hinter mir – wie schwarze, lederne Hände. So eine Enttäuschung.
Also ich bin das letzte Mal zu einer Lesung gegangen – da kann man sich aber sicher sein.

 

Hm...

Kann man davon ausgehen dass Dein Protagonist sich nicht allzu häufig auf Lesungen aufhält?

Und wieso kann der Typ da vorne nicht lesen?

Einige Pointen fand ich ganz gut, z.B. dass der Proti die Schuhe auszieht und sich dann die ganze Zeit aufregt dass es so müffelt oder das sich - oh wie kultiviert - Bratwurst nicht mit Korn und Bier verträgt :D .

[ 07.08.2002, 03:32: Beitrag editiert von: MisterSeaman ]

 

hallo sebastian, eine nette, fiese geschichte, die du da geschrieben hast. wie du richtig sagst, muss es sich nicht unbedingt um eine lesung handeln - jeder auftritt in der kleinkunstszene könnte gemeint sein.

Es ist ja eigentlich keine handlung in deiner geschichte. alles ist "nur" beschreibung - die ist dafür in vielen teilen sehr gut gemacht. du schaffst interessante aha- und überraschungseffekte durch das aneinanderreihen von dingen, die genau genommen nichts miteinander und auch nichts mit der sache zu tun haben, z.b.

Noch sitzen alle. Wohl viele Brillenträger hier.
- hier zielst du wahrscheinlich auf die intellektuellen ab. oder:
Guck sie dir an, wie sie sitzen und gaffen, dieses Erste-Reihe-Pack.
Ha, irgendwer von denen ist am Ende wenigstens dreckig, naß, kurzgeschoren oder schwanger.
- gut gemacht!

was ich allerdings nicht verstehe ist die "plan B"-geschichte. kannst du mir das mal erklären, bitte? beste grüße. ernst

 

Hallo Tränenlicht,

ich war noch nie auf einer Lesung, wenn es eine ist, aber ich stelle es mir so vor, wie du es beschrieben hast.
Allerdings habe ich es auch nicht mit Plan B verstanden, kannst du mir das einmal erklären.

Ansonsten finde ich ist das eine ganz gute Szenebeschreibung.

viele grüsse Archetyp

 

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