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Heinrich (3): Wir werden Glück haben
»Rudolf, können wir nicht nach Hause gehen?«
Mama zog mich auf die Seite. Eine Frau mit ganz dickem Bauch und Kinderwagen drückte sich an uns vorbei. Papa blieb einfach stehen. Seinen Eimer in der rechten Hand, mit dem Leder und den zwei Fensterwischern darin. Eine Zigarette im Mund. Peter Stuyvesant. Er hörte vielleicht nicht, was Mutter sagte. Der O-Bus stoppte mit singendem Motor an der Haltestelle. Ein Mann lief über die Straße und ein Taxi hupte. Der Fahrer wedelte mit den Armen.
»Heute ist Samstag«, sagte Mama, »da könnten wir doch in den Wildpark gehen.«
Papa schüttelte den Kopf.
»Ich komme bald nach. Emil hat heute Geburtstag und ich hab versprochen, dass ich vorbeikomme. Er gibt einen aus. Spätestens um fünf bin ich daheim.«
»Deinen Sohn siehst du gar nicht mehr«, warf Mama ein. Ich erkannte den Ton in ihrer Stimme. Es wird ihr letzter Satz sein. In Papas Augen blitzte es auf.
»Ich kann ihn ja mitnehmen, Hilda! Wie findest du das? Dann lernen ihn die anderen auch mal kennen.«
Der Bus setzte die Fahrt fort und die ausgestiegenen Menschen verteilten sich, gingen in den Tchibo, hinüber in den Oberpaur, kauften sich eine Zeitung am Kiosk. Von Mutter kam nichts mehr, aber sie ließ meine Hand los und Papa streckte mir seine entgegen.
»Komm, Heinrich. Jetzt lernst du mal alle kennen!«
Ich nickte und dachte an wegrennen, an ein Nein. Er griff nach meinen Fingern und mit einem Ruck ging es los. Mama lächelte mir zu und verschwand zwischen den vielen Gesichtern der Stadt. Ich spürte ein unsichtbares Gummi, das mich mit Mutters Lächeln verband, mich zurück zog. Umso stärker, je weiter wir uns entfernten. Bis ich Bauchweh bekam.
»Wir sind gleich da«, sagte Papa, bog um eine Hausecke in eine kleine Gasse mit schmalen Bürgersteigen und gepflasterter Straße. Zigarettenkippen, Papier, ein alter Schuh im Rinnstein. Er stoppte auf der Hälfte. Weiter hinten wurde die Gasse dunkler. Neben einigen Mülleimern stritten sich zwei Katzen.
»Du kannst doch schon lesen«, meinte er, »was steht da oben über der Tür?«
Ich schaute nach oben. Da hing ein dreckiger Kasten nicht mehr ganz an der Wand. Aus seiner Seite ragte ein Kabel. Im Kasten leuchteten drei Birnen, eine vierte flackerte. Es dauerte, bis ich das Wort erfassen konnte, denn es war mir gänzlich unbekannt.
»Mmm-ooo-kkaa-sch-tu-bee. Mokkastube.«
»Sehr gut«, lobte Papa mich. »Nichts wie rein.«
Er öffnete die gelbe Glastür.
Ich betrat eine Welt aus Qualm, lauten Rufen, Lachen, Schweiß und anderen Gerüchen, von denen ich weder eine Ahnung hatte noch je haben wollte. Papa zog mich fester, denn alles in mir sträubte sich, diesen kleinen Raum zu betreten.
»Rudolf!«, schrie jemand.
»Emil, alter Haudegen! Wie isset? Hat dich deine Alte gehen lassen?!«, rief Papa zurück und war schon bei den vielen Männern, die an einem hohen Tisch standen. Wie angewachsen stand ich still. Die Tür noch offen.
»He! Kleiner! Mach die Tür zu«, forderte mich ein Mann auf, der rechts am Tisch saß. Ich tat, was er mir auftrug. »Komm her, Kleiner«, sagte er und winkte mich zu sich. Aber ich blieb stehen.
»He, Rudolf! Dein Kleiner ist aber ein Angsthase«, lachte er zu Papa gedreht. Der kam her und nahm mich auf den Arm.
»Ist schon richtig so«, erklärte Papa ihm. »Bei all den Verrückten die so rumlaufen …«
»Ja, hast ja recht, Rudolf …«
Wir gingen zu einer bunten Maschine an der Wand. Drei Schreiben drehten sich immer wieder und es piepte, blinkte und ratterte.
»Das ist ein Rotomat«, meinte Papa und setzte mich auf den Stuhl neben diesem Gerät. Er blieb davor stehen. »Weißt du, was der macht?«
»Nein. Was macht der denn?«
»Erst hol ich mal was zu trinken. Was willst du?«
»Apfelsaft?«
Er ging an diesen hohen Tisch, stellte sich zwischen die Anderen und zündete sich eine Zigarette an. Papa lachte, redete, drehte sich zu jedem, klopfte mit den Händen auf das Holz. Der Mann hinter dem Tisch füllte etwas in ein Glas und brachte es zum Tisch, an dem ich saß.
»Na, kleiner Mann? Du bist der Heinrich, was?«
Ich nickte.
»Ich bin der Dragan. Wenn du was brauchst, rufst du mich.«
Sein Gesicht war freundlich, aber ich konnte nicht lange in diese dunklen Augen blicken. Es war wie der Gang in den schwärzesten Kohlenkeller. Ich entdeckte nichts dahinter. Plötzlich musste ich pinkeln.
»Ich muss aufs Klo«, sagte ich.
Dragan zeigte mir die Toilette. Als sich die Tür hinter mir schloss, kroch ein beißender Geruch in meine Nase. Ich ging vorsichtig um die Ecke. Im Rinnstein vor mir lag ein Mann. Seine Hose war nass, ein gelber Bach floss in ein Bodenloch. Der Mann hatte gebrochen. Er sagte nichts, hatte die Augen zu. Nur der Gestank und die Stille. Panik kroch in meinen Nacken, die Haare stellten sich auf. Schnell verließ ich die Toilette und rannte zu Papa.
Dragan zog den Mann am Kragen gepackt aus der Toilette, quer durch den Raum und legte ihn vor der Tür auf dem Bürgersteig ab. Die Männer lachten, ich saß am Tisch und lauschte dem Klicken der bunten Maschine. Ab und zu trank ich einen kleinen Schluck Apfelsaft und dachte an den Mann. Hoffentlich war er nicht tot. Papa stand am hohen Tisch, redete, lachte und trank ein Bier nach dem anderen. Als mein Glas leer war, kam er her.
»Heinrich, wir sehen mal, was der Rotomat macht.«
»Was macht er denn?«, wollte ich wissen.
Er holte eine Menge Kleingeld aus seiner Hosentasche.
»Er schluckt Geld«, sagte Papa.
»Und wohin geht das Geld?«
»Sehr gute Frage.« Mit dem Finger deutete er auf die Seite der Maschine. »Hier drin ist ein Kasten. Die Leute schmeißen Geld rein. Wieder und wieder«, erklärte er und tippte auf das Metall. Es klang dumpf. »Wenn nichts drin ist im Kasten, macht es ‚Klack!‘. Wenn der Behälter für das Geld aber voll ist, macht es ‚Klick‘. Verstehst du? Klack bedeutet leer, Klick bedeutet voll.«
Ich nickte. Klack ist leer, Klick ist voll.
»Wenn es Klick macht, dann spielen wir. Denn dann muss er eine Serie bringen.«
»Eine Serie? Was ist eine Serie?«
Sein Gesicht hellte sich auf. Offenbar freute er sich über die Frage.
»Das ist mein Sohn. Immer neugierig. Also …«, er nahm mich auf den Arm und wir stellten uns direkt vor die Scheiben. »Hier oben in den drei Löchern müssen drei gleiche Sachen kommen, ein Clown etwa. Solange sich die Scheiben drehen, kann man hier unten die Scheiben weiterdrehen. Wenn es keine drei Gleiche sind, dreht man weiter. Alles klar?«
»Ja«, sagte ich vorsichtshalber und überlegte, was das mit dem Drehen war.
»Aber der Trick ist, nicht weiterzudrehen, wenn er voll ist«, flüsterte er in mein Ohr. »Dann bringt er die Serie schneller.«
Ich ahnte, dass dies sein Geheimnis war und er es nun mit mir teilte.
»Was passiert dann?«, fragte ich. Wieder flüsterte er.
»Dann können wir unseren Pullover drunter halten und gewinnen.«
Ich machte große Augen. Gewinnen hörte sich gut an.
»Was kann man denn gewinnen?«
Er setzte mich auf den Stuhl.
»Na, Geld natürlich.«
Eine Maschine mit Geld drin. Ich dachte nach.
»Aber wie kommt das Geld da rein?«
Papa seufzte.
»Dummerchen. Wir müssen es da reinwerfen. Sonst spielt die Maschine nicht. Aber deswegen warten wir ja, bis es Klick macht, denn das ganze Geld haben die anderen da reingeworfen. Und wir holen es raus.«
Papa zwinkerte mir zu und strahlte bis über beide Ohren. Er nahm eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie an und warf drei Groschen in den Rotomat.
»Willst du noch was trinken?«
Ich nickte.
»Emil, du altes Arschloch», schrie jemand. Ich konnte das Rattern und Piepen nicht mehr hören. Schnell drehte ich mich um. Ein Glas klirrte, noch eins. Zwischen den Männern wurde es unruhig.
»Das sagst du nicht noch mal«, erwiderte einer. Vielleicht dieser Emil.
Ich sah Papa, der zwei Schritte zurücktrat und einem Glas auswich, das in meine Richtung flog und unter der bunten Maschine zerschellte. Schnell stand ich auf und verkroch mich zwischen Wand und Tisch.
»He! Du hättest fast meinen Sohn getroffen!«, brüllte Papa und schubste einen Mann gegen den hohen Tisch. Der holte aus und schlug zu. Aber viel zu langsam für Papa, der sich wegduckte. Dragan kam hervorgerannt und versetzte dem Mann einen kräftigen Schlag ans Kinn. Er fiel wie ein Baum zwischen Stühle und Tisch. Ein Aschenbecher rutschte runter, zwei Gläser, die Männer johlten. Dragan hob den Mann auf und setzte ihn auf einen Stuhl im Eck. Dann ging er wieder hinter den hohen Tisch. Papa kam her.
»Alles in Ordnung?«
Ich sagte nichts. Mir fiel einfach nichts ein. Sogar meine Blase hatte ich vergessen. Er zog mich hoch und wir stellten uns vor den Rotomat.
»Papa?«
»Hm?«
»Können wir nach Hause?«
Er warf drei Groschen in die Maschine.
»Klar, gleich. Wart’s ab. Bald kommt die Serie. Wir werden Glück haben, wirst schon sehen.«
Ich versuchte, das Klick zu hören, dann gingen wir nach vorne zum hohen Tisch. Er setzte mich mitten drauf, zwischen Biergläser und ganz kleinen Gläsern. Dragan kippte immer wieder etwas aus einer Flasche hinein.
»Was ist da drin«, fragte ich Papa und deutete auf ein kleines Glas.
»Schnaps«, antwortete er.
»Schmeckt das?«
»Uns schmeckt es«, rief der Mann neben uns. »Nicht wahr, Rudolf?«
»Und wie«, bestätigte Papa.
»Ich möchte mal probieren«, sagte ich. Um mich herum wurde es stiller. Die Männer sahen mich an, dann Papa.
»Alkohol ist nichts für Kinder«, erklärte Dragan mit lauter Stimme.
»Bitte! Nur einmal«, drängelte ich. »Bitte!«
Papa verzog den Mund.
»Na gut. Ein halbes Gläschen aber nur. Du musst es gleich schlucken. Verstanden?«
Ich nickte. In meinem Bauch kribbelte es plötzlich. Dragan schüttelte den Kopf, die anderen Männer starrten gebannt auf mich. Papa trank seines halb leer und reicht es mir.
»Hier. Trinken und schlucken.«
Ich nahm das Gläschen, trank, schluckte und sofort sprang mich ein Feuerdrachen an, riss an meiner Kehle, entzündete alle Flammen, die er nur finden konnte. Es schüttelte mich fast vom hohen Tisch runter. Papa fing mich auf. Ich bekam nicht mal Luft. Jeder Atemzug war wie noch ein Schluck von diesem fürchterlichen Zeug. In meinem Bauch explodierten Sonnen oder flogen ganze Bienenschwärme hin und her. Dann übergab ich mich mit enormer Gewalt. Die Männer sprangen zurück und Papa hielt mich weit von sich. Ich kotzte und zappelte in der Luft mit beiden Beinen, wusste nicht, wie mir geschah. Wollte einfach nicht mehr sein. Auf der Stelle verschwinden, laufen, weinen. Mama kam mir in den Sinn.
Papa saß neben mir. Ich lag auf einem Holzbett. Mir kam es vor, als hätte ich geschlafen.
»Mein Bauch tut so weh«, stöhnte ich. Papa tupfte meine Stirn mit einem nassen Handtuch.
»Du hast ein paar Minuten geschlafen«, sagte er. Seine Stimme zitterte.
Die Tür ging auf und Dragan kam herein mit einem Glas Cola und zwei Schreiben Brot.
»Hier, Rudolf. Er soll Brot essen. Saugt den Alkohol auf. Dann gib ihm Cola. Beruhigt den Magen.«
Ich lauschte, was Papa und Dragan sagten, folgte dabei ihren Lippen. Sie bewegten sich nicht zu den Worten. Ich erinnerte mich an die Badewanne daheim. Kopf unter Wasser. Dunkel und langsam hörte ich Mutter sprechen. Wie das Wasser über mir, so brach die Angst herein.
»Muss ich ins Krankenhaus, Papa?«, fragte ich leise, hörte mich aber nur undeutlich sprechen. Meine Hand hob sich, die Finger griffen nach Vaters Ärmel, zogen daran.
»Was hast du gesagt, Heinrich?«
Ich schloss die Augen, weil mich etwas dazu zwang. Schlafen.
Als ich erwachte, drückte ich mich schnell hoch. Eine Hand griff unter meinen Kopf und schob einen Eimer vor mich. Ich übergab mich hinein. Es wollte gar nicht mehr enden. Dann kamen auch noch Tränen, sie tropften auf das grüne Zeug. Hustend versuchte ich etwas zu sagen, aber eine Hand streichelte meinen Nacken, meinen Rücken. Jemand sang leise ein Lied.
»Mama?«, fragte ich in den Eimer hinein und drückte ihn weg.
»Nein«, sagte die Stimme. »Ich bin Ivona. Sieh mich an.«
Mein Blick klärte sich. Sie stellte den Eimer beiseite und wischte mit einem feuchten Lappen über mein Gesicht. Ihre Augen waren grün, der Mund feuerrot, dunkle Haare. Ihr Lächeln erinnerte mich an eine freundliche Figur aus Bambi.
»Was haben sie nur mit dir gemacht, diese Idioten?«
Ich verstand, dass es keine Frage an mich war. Ihr Blick ging durch mich hindurch. Dann kehrte sie zurück und fixierte mich streng.
»Warum hast du das nur getrunken?«
Ich zuckte mit den Schultern
»Papa trinkt das auch immer. Er muss sich nicht übergeben.«
Ivona schüttelte langsam den Kopf.
»Dein Papa ist ein erwachsener Mann. Der kennt den Schnaps. Für dich ist das Gift«, sagte sie eindringlich und packte meine Oberarme. »Verstehst du?«
Das Wort Gift stach mitten in meinen Kopf. Gift. Musste ich jetzt sterben?
»Muss ich sterben?«
Sie blickte überrascht, dann zog sie mich an sich und drückte fest zu.
»Nein, mein Kleiner. Du hast ja alles ausgespuckt. Aber mach das nie wieder!«
Sie roch wie Mamas frisch gewaschene Wäsche. Ihre Wange war weich und warm. Ich mochte sie und schlang die Arme um Ivona.
»Wo ist Papa?«, fragte ich leise.
»Komm.«
Papa sang ein Lied. Zusammen mit allen anderen. Der Raum war voller Qualm. Ich bekam kaum Luft und es erinnerte mich an neblige Tage, wenn draußen die Blätter gelb wurden. Ivona setzte mich neben den Rotomat. Die Scheiben drehten sich unentwegt, machten eine Pause, fingen von vorne an.
»Möchtest du mal was einwerfen?«, fragte sie mich und zog ein paar Groschen aus der Tasche. Ich nickte. Sie hob mich hoch.
»Alle?«, wollte ich wissen.
Ivona nickte.
»Mach ruhig. Wir werden Glück haben, so süß, wie du bist«, grinste sie.
Also warf ich alle Groschen hinein. Die letzte Münze fiel in den Schlitz und ich konnte gleich danach das Klick hören. Mein Herz begann zu rasen. Wir beobachteten zusammen die Scheiben, die umlaufenden Lichter. Ivona gab mir einen Kuss auf die Backe und drückte mich fest an sich. Dann stoppte ein Clown, der zweite und ich vergaß das Geschrei und den Gesang hinter mir, vergaß meinen schmerzenden Bauch. Da gab es nur noch die Scheibe. Sie blieb stehen. Der dritte Clown. Alles blinkte. Die Maschine dudelte ein Lied, Ivona jauchzte. Dann klackerte es auf Höhe meiner Knie. Unmengen von Kleingeld landeten von irgendwoher in der Schale, dann quoll sie über und die Groschen, Fünfziger und Markstücke fielen auf den Boden. Ivona fing an, sich mit mir im Kreis zu drehen. Sie sang ein Lied, das ich nicht verstand. Ich sah Papa kommen. Er schwankte und schob Stühle weg, die gar nicht im Weg standen.
»Heinrich!«, schrie er. »Das ist mein Sohn!«
Er riss mich von Ivona weg zu sich. Sein Atem stank wie das grüne Zeug im Eimer und mir wurde wieder ein bisschen schlecht. Schnell entwand ich mich seinem Griff und landete auf dem Boden, unter meinen Schuhen die Münzen. Ivona kniete sich und legte alle sorgfältig auf ein Taschentuch.
»Heinrich! Wir haben gewonnen!«, rief Papa und setzte sich neben uns auf den Boden, den Kopf an die Wand gelehnt.
»Aber Papa, das war Ivonas Geld«, erwiderte ich.
»Ivonas Geld?«, stutzte er.
»Ivona hat mir die Groschen gegeben und dann hat es Klick gemacht«, erklärte ich ihm, stolz, das alles begriffen zu haben wie ein Erwachsener.
»Na dann …«
Er schwieg und schaute auf irgendeinen Punkt vor sich. Ivona hob mich hoch. Wir holten alle Münzen aus der Schale und legten sie auf den Tisch.
»Immer einen Groschen für dich, einen für mich. Einverstanden?«, fragte sie.
Ich nickte.
So machten wir es mit den Fünfzigern und den Markstücken. Ich konnte schon bis zehn Mark zählen. Ivona sagte, ich solle einfach noch mal zehn Mark zählen, solange, bis alles weg sei. Dragan stellte eine Tasse Fencheltee auf den Tisch und ich zählte wie selbstvergessen all die Münzen. Papa schnarchte mit offenem Mund. Ein kleiner Speichelfaden verfing sich im Bart. Dann schrieb Ivona die Zahl auf einen Zettel. Wir besaßen beide 36 Mark und 70 Pfennig. Mein Gesicht glühte. Mama würde stolz sein auf mich. Mit der Hand streichelte ich über Papas Haare.
»Papa?«
Er hörte nichts. Dragan kam zu uns und hob ihn hoch, als wäre er ein Bleistift. Über die Schulter gelegt, trug er ihn vor die Tür und Ivona schob mich hinterher.
»Dragan hat ein Taxi gerufen«, sagte sie. »Das bringt euch nach Hause.«
Der Fahrer drückte Papa durch die Tür auf die Rückbank. Wie ein nasser Lumpen fiel er um und war nicht wach zu kriegen.
»Du darfst nicht vorne sitzen«, sagte der Taxifahrer, »aber geht nicht anders. Wenn ich sage ‚runter‘, dann kriechst du vom Sitz da unten rein.« Er deutete auf den Boden vor dem Sitz. Ich nickte. Ivona gab mir einen langen Kuss auf die Wange, schlug die Tür zu und wir machten uns auf den Weg. Jetzt erst sah ich, dass es schon völlig dunkel war. Mama wird schimpfen, dachte ich und hielt das Taschentuch mit dem Geld fest an mich gepresst. Ich vergaß Mama, die Mokkastube, den Qualm, den Schnaps, denn ich hatte gewonnen und war glücklich.