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Helmut trank
Helmut trank. Er stellte das Glas auf den Tisch und füllte es erneut aus der daneben stehenden Schnapsflasche. Dann betrachtete er es lange und versuchte sich zu erinnern. Nachdem er eine Weile so dasaß, nahm er es schließlich und leerte es in einem Zug.
„Musst du schon wieder trinken?“, fragte seine Frau, die ihm gegenüber stand, die Hände auf den Tisch gestützt. Helmut sagte nichts. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte, obwohl sie ihn das schon so oft gefragt hatte.
Er stand auf und ging in das Wohnzimmer der kleinen Wohnung. Im Zimmer waren die üblichen Möbel, Sofa, Tisch und Schrank. Das Licht fiel durch ein Fenster. Öffnete man dieses, konnte man einen leichten Windzug spüren und die spielenden Kinder im Hof, drei Stockwerke tiefer.
Im vorigen September war seine Frau gestorben, mit der er lange Jahre verheiratet war. Er wachte morgens auf, aber sie war tot. Verstört wusste er nicht, was er tun sollte.
Später, nachdem der Arzt einen natürlichen Tod festgestellt hatte, nahmen die Männer vom Beerdigungsinstitut sie mit. Die Dame vom Beerdigungsinstitut kümmerte sich um die Papiere.
Drei Tage später war die Beerdigung. Es waren nicht viele da, sie hatten kaum Freunde und keine Kinder. Ein paar Nachbarinnen waren aus Anstand mitgegangen, verzogen sich aber bald, nachdem sie erfuhren, dass es keinen Kaffee geben würde. Helmut konnte sie nicht leiden.
Er schloss das Fenster und ging zurück in die Küche, wo die Flasche noch offen stand. Er machte das Licht aus und ging zu Bett.
Helmut tanzte. Er nahm das Mädchen in den Arm und küsste sie. Dann drückte er sie fest an sich, so als wolle er sie nie wieder loslassen. Hübsch sah sie aus in ihrem Sommerkleid und den nackten Füssen auf der Wiese stehend. Sie gefiel ihm, seitdem sie in seine Klasse kam. Von seinem Platz aus konnte er sie von hinten betrachten. Manchmal lächelte sie ihn in der Pause an und er sie. Sie würden heiraten, da war er sich sicher.
Helmut erwachte. Er machte das Licht und versuchte sich zu erinnern. Dann stand er auf, wusch sich und kochte Kaffee. „Möchtest Du auch eine Tasse Kaffee?“, fragte er seine Frau, die schon am Küchentisch saß. Sie gab keine Antwort. Beim Pfeifen des Wasserkessels fiel ihm ein, das er noch einkaufen musste. Er zog sich die Jacke über, nahm den Beutel und die Schlüssel und ging aus dem Haus. Auf der Treppe begegnete ihn die Nachbarin beim Fegen der Treppe im ersten Stock. Er murmelte etwas Unverständliches auf ihren Gruß, sie und die anderen waren ihm immer zu neugierig.
Der Arzt blätterte in seinen Unterlagen, während Helmut und seine Frau warteten. Er erklärte ihnen anschließend, warum sie keine Kinder bekommen konnten. Seine Frau weinte leise, er nahm sie in den Arm. Dann gingen sie schweigend nach Hause.
Helmut zahlte. Er nahm die paar Sachen, Brot, Bratwurst und Schnaps, und stopfte sie in seinen Beutel. Die Kassiererin nahm das Geld, gab Wechselgeld und wunderte sich auch nicht mehr über seinen Einkauf. Es war ihr egal. Es war ihm egal.
Helmut kochte. Die Bratwurst zischte in der Pfanne, während er zwei Teller auf den Küchentisch stellte. Die Flasche und das Glas schob er an den Rand, aber nicht so weit. Er teilte die Wurst und aß und trank. „Ich hoffe, es schmeckt.“, sagte er zu seiner Frau.
Der Fotoapparat klickte. Seine Frau am Strand, an der Nordsee, im Urlaub. Sie lachte ihn an und er sie. Sie fielen auf das Handtuch und umarmten sich. Sie waren glücklich.
Helmut machte den Herd aus, ging ins Wohnzimmer, und setze sich auf das Sofa. Er betrachtete das Bild seiner Frau, dass er im letzten Jahr an ihrem Geburtstag machte. „Ich habe dich lieb“, sagte sie, neben ihm sitzend. Er ging ans Fenster und öffnete es. Es war nichts zu hören, die Kinder waren weg. Er spürte den Luftzug in seinem Gesicht. Er spürte, wie er immer stärker wurde.