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Herbststurm

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12.02.2005
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Herbststurm

Ein kalter, windiger Tag im Herbst. Das in warmen Farben von Rot und Orange gefärbte Laub fällt von den Bäumen und sammelt sich auf der Straße.
Ein Mann, kahlköpfig, schaut mit leerem Blick auf das zerbrochene Schaufenster seines Geschäfts. „BARBIER DAVID GOLDSTEIN“ stand einst in großen Messinglettern über der Tür.

Sie waren heute Morgen gekommen, als er noch im Zug saß, hatten die Nachbarn ihm berichtet. Mehr wollten sie ihm nicht sagen. Als er gegen Mittag zuhause ankam, wusste er noch nichts von dem Unheil, das ihn erwarten sollte. Er schloss die Haustür auf und ging im Treppenhaus hoch und wunderte sich, dass die Kinder, die sonst da spielen, nicht da waren. An seiner Wohnungstür angekommen, sah er sofort den Brief, ein roter Umschlag. Im aufschließen seiner Wohnungstür öffnete er das Kuvert und eine Nachricht seines Vermieters kam zum Vorschein. Er hatte die Wohnung bis zum Monatsende zu verlassen. Es war der siebenundzwanzigste. Unter dem Zettel die Unterschrift des Hauseigentümers und das Zeichen der gerade neu gewählten Regierung.

Völlig vor den Kopf gestoßen fragte er sich, wo denn seine Frau und ihr gemeinsames Kind sein. Normalerweise waren sie um diese Zeit schon zuhause. Auf dem Küchentisch lag nicht wie sonst ein Zettel, in dem die Frau den Grund ihrer Abwesenheit erklärte. Vielleicht war sie im Geschäft?? Langsam und bedächtig schloss er die Wohnungstür wieder und ging die Treppe im Treppenhaus herunter. Im Parterre traf er seinen Vermieter, der ihn nur kurz mit Augen ansah, die wohl etwas wie „Ich kann nichts dafür“ sagen sollten, und sich dann mit gesenktem Blick abwandte.
Gedankenverloren ging er durch die Straßen der Stadt und lief fast noch vor eine Straßenbahn, die laut bimmelnd vorbeifuhr.
Später sollte er sich sagen, dass es besser gewesen wäre.

An seinem Geschäft angekommen, sah er das Chaos, sah die sinnlose Verwüstung und dachte, er wäre nur in einem schlimmen Alptraum und würde in seinem Zugabteil aufwachen. Eine Weile lang stand er da und dachte nach, sein leerer Blick wanderte zwischen der zerschlagenen Scheibe und der Nachricht, die mit gelber Farbe über sein Namensschild geschmiert worden war, hin und her. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen als er das gleichmäßige „Klapp Klapp“ vernahm, das beschlagene Stiefel auf Kopfsteinpflaster verursachen. „Kommen Sie bitte mit. Wir bringen Sie zu ihrer Frau und dem Kind“ Ein schmutziges Grinsen in dem Gesicht eines fremden Mannes. Die Nachbarn schauten nur zu, als er sich ohne Widerstand abführen ließ, das Laub fiel von den Bäumen und wehte zwischen seinen dürren Beinen hindurch.

Doch als er hinunter sah, konnte er keine warmen Farben erblicken. Für ihn sah das Laub nur aus wie eine wallende, braune Masse, die sich langsam und schleichend über die Welt legt.

Und der Wind wehte weiter.

 

Hallo Ts250, herzlich willkommen im Forum.

Erstmal vorneweg: Hier wird sehr offen kritisiert, also bitte nicht erschrecken, das meint niemand böse.

So, zum Inhalt:
Was mir gut gefällt, ist das Du es schön schaffst, die Hilf- und Fassungslosigkeit rüberzubringen, die der jüdische Händler beim Verlust von Wohnung, Geschäft und Freiheit empfindet. Die Zukunft bleibt dem Leser verschlossen, aber er kann es sich ausmalen (Zu diesem Zeitpunkt hätte Goldstein aber auch noch auswandern können).

Sofern ich das richtig sehe, muss sich Deine Geschichte irgendwann kurz nach Verabschiedung der Nürnberger Gesetze abspielen, vorher waren, soweit ich weiß, derartige Repressalien gegen Juden, von verhaftungen ganz zu schweigen, eher nicht an der Tagesornung.
Von daher habe ich etwas Schwierigkeiten mit diesem Satz:

Unter dem Zettel die Unterschrift des Hauseigentümers und das Zeichen der gerade neu gewählten Regierung.
Wenn meine Einordnung stimmt, dann war die NSDAP zu diesem Zeitpunkt schon fast 3 Jahre an der Macht. Vielleicht kannst Du mich da ein wenig aufklären, ich habe da gewisse Verständnisprobleme.

Ansonsten kann ich rein inhaltlich nichts direkt bemängeln, wobei ich aber auch anmerken muss, das ich außer der o.g. Hilflosigkeit keine Botschaft aus Deinem Text entnehmen konnte, leider.
Goldstein bleibt mir relativ fremd, Du hättest ihn wesentlich persönlicher machen können, wenn Du seine Gefühle mehr geschildert hättest, ich denke, da hättest Du wesentlich mehr rausholen können.


Nun zum stilistischen:

Du springst ein wenig oft zwischen den Zeiten, Präsens am Anfang, dann Rückblende im Plusquamperfekt, dann Präteritum...
Das muss nicht sein, und für das Lesen wäre eine konstante Zeitebene günstiger, persönlich hätte ich die ganze Geschichte (wenn ich sie denn geschrieben hätte) als Rückblende im PPQ verfasst, und erst zum Ende, bei der Verhaftung mit Prät. oder Präsens zum Prot hingeschwenkt.

So wirkt das Ganze ein wenig arg zerrissen, vielleicht schaust Du da nochmal drüber.

So, Fazit:
Keine wirklich schlechte Geschichte, aber ich denke, Du könntest da mit etwas Überarbeiten wirklcih noch was draus machen.

Erstmal schöne Grüße,
Charousek

Anbei ein paar Tipp- und Tempusfehler, soll jetzt keine Kritik sein, nur als Zeichen meines eingehenden Lesens:

die sonst da spielen
spielten

Im aufschließen
Aufschließen

wo denn seine Frau und ihr gemeinsames Kind sein.
seien/wären

Vielleicht war sie im Geschäft??
Bitte nur ein Fragezeichen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo, und erstmal danke für den netten Willkommensgruß.

Das mit den Zeiten habe ich mit Absicht gemacht, wegen der zeitgeschichtlichen Umstände: Ich habe mir da beim schreiben keine allzugroßen Gedanken drüber gemacht. Ich versuchte keineswegs, ein Ereigniss zu beschreiben, das ich mit korrekten Daten und Uhrzeiten belegen kann, sondern eher, eine allgemeine Situation zu schildern, die so hätte gewesen sein können.
Trotzdem danke für die konstruktive Kritik, ich werde mir da mal weiter Gedanken drüber machen.


Lieben Gruß, Hendrik Wenzel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Hendrik,

auch von mir ein herzliches Willkommen.

Ich bin eigentlich einer Meinung mit charousek.

Zuerst einmal zu den Zeiten:
Ich fande es auch eher hinderlich, als förderlich, dass du mehrere verschiedene Zeiten benutzt hast. Es hat mich ein wenig aus dem Konzept gebracht. Und dabei leidet eben auch der Stil darunter.
Ansonsten hast du es mit passenden Wörtern beschrieben. Vor allem am Ende fand ich die Beschreibung der Blätter ziemlich gut gelungen.

Aber im Ganzen fehlt der Geschichte noch ein wenig die Substanz. Es werden einfach die Gefühle Goldsteins, wie charousek bemerkte, zu wenig betont. Ich denke nämlich nicht, dass Goldstein nur hilflos war, sondern mehr Wut empfunden musste über ediese Regierung (die Wut deutest du nur durch die Umschreibung des Laubes ein wenig an). Aber er musste eine unglaubliche Wut haben und vielleicht könntest du bei einer eventuellen Überarbeitung dort wieder ansetzen.

Fazit: Ein guter Ansatz, hinter dem eben zu wenig Substanz steckt.

Achja: Hast du dich bei dieser Geschichte eventuell von Begninis "Das Leben ist schön" inspirieren lassen? Irgendwie kam mir das aus diesem Film bekannt vor...

cu_christoph

 

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